19 - Verreist

„Das war megagut", ließ Paula mich wissen.

Sie hatte offenbar hinter mir gestanden und ebenfalls der Geschichte von Löwe Leo zugehört.

„Ich weiß nicht so recht. Hast du gesehen, wie mitgenommen Theo aussah? Ich habe ihn den Spiegel von seinem Leben vorgehalten und gerade in seinem Fall ist das keine schöne Sache."

„Aber vielleicht hat er das auch einfach mal gebraucht."

„Oder ich habe ihn nur noch mehr kaputt gemacht als er eh schon ist."

Dieser Gedanke setzte sich für den Rest des Tages in mir fest. 

Ich hatte seinen Anblick kaum ertragen und es bereitete mir ein unfassbar schlechtes Gewissen ihn überhaupt in diese Situation gebracht zu haben. Ich hatte ihn ja förmlich vorgeführt.

Das zeigte mal wieder, dass spontane Ideen nicht zwangsläufig auch die besten waren. Was hatte ich mir nur dabei gedacht? 


Ich hatte Theo an diesem Tag nicht mehr gesehen. Von seinem „frische Luft schnappen" war er nicht mehr wiedergekommen und ich machte mir immer mehr Sorgen um ihn.

Ich entschied mich am nächsten Nachmittag in die Kirche zu gehen und hoffte darauf ihn dort anzutreffen. Doch er war nicht da. Stattdessen fand ich dort den Pfarrer.

Ein älterer Herr mit grauem Haar und einer erstaunlich großen Bierplautze.

„Kann ich dir helfen?", fragte er und sah freundlich zu mir auf.

„Ich suche Theo", erzählte ich ihm mein Anliegen und hoffte auf Hilfe. 

Sein Gesicht wurde ernster.

„Er ist nicht hier. Er ist heute Morgen abgereist."

Was?
„Er ist abgereist? Wohin ist er denn gegangen?"

„Das kann ich dir nicht sagen."

Diese Aussage beruhigte mich in keinster Weise.

„Aber Sie wissen es? Oder? Sie wissen, wo er ist?"

„Ja, das tue ich."

Für einen Pfarrer war er ziemlich wortkarg.

„Bitte sagen Sie es mir! Ich muss Theo sehen! Es ist wirklich wichtig! Wo ist er?"

Er seufzte laut. Ich hatte mir Pfarrer immer als Personen vorgestellt, die Zuversicht ausstrahlten, doch das konnte ich von meinem Gegenüber nicht behaupten. 

„Du bist Helvi, oder?", fragte er, ohne auf meine Bitte einzugehen.

„Ja", sagte ich etwas genervt, weil ich eine Antwort auf meine Frage haben wollte.

„Ich glaube, du hast ihm die Augen geöffnet. Er hat mir von dir erzählt und du hast ihn ganz schön durch den Wind gebracht."

Er hatte mich auch ganz schön durch den Wind gebracht. Wobei Orkan, Sturm und Hurricane wohl besser zutrafen.

„Das wollte ich nicht."

„Versteh mich nicht falsch!", sagte er sofort. „Ich finde es gut. Ich bin auch der Meinung, dass Theo sich aus den falschen Gründen für das Pfarrer-Dasein entschieden hat. Ich weiß nicht, wie viel du aus seiner Vergangenheit kennst. Aber er wurde über viele Jahre schwerstens misshandelt. Das hat sein Vertrauen zu Menschen gebrochen. Er braucht jemand, der viel Geduld mit ihm hat. Er muss menschliche Nähe von Grund auf neu lernen."

„Also unterstützen Sie das gar nicht, dass er nur Gott lieben will."

Der Pfarrer schüttelte den Kopf.

„In seinem Fall tatsächlich nicht. Man hat das Gefühl, dass er nur Pfarrer werden will um sich menschlichen Beziehungen zu entziehen. Das sollte nicht das Motiv sein."

Wow! Das hätten auch meine Worte sein können!

„Ich würde ihm so gerne helfen, aber ich weiß einfach nicht wie! Ich habe keinen Zugang zu ihm."

Nun lächelte er. So witzig fand ich das nicht.

„Du hast mehr Zugang als jeder andere. Seitdem du hier bist, ist er wie ausgewechselt. Du tust ihm gut, auch wenn du das vielleicht nicht merkst. Aber seitdem du hier bist, hat er sich so sehr verändert. Wenn es einer schaffen kann zu ihm durchzudringen, dann bist du das."

Ich? 

War das wirklich so? Zurzeit hatte ich das Gefühl, dass da eine riesige Mauer zwischen Theo und mir war.

„Wann kommt er denn wieder? Ich will wirklich mit ihm reden."

„Morgen sollte er wieder da sein."

„Und sie sagen mir wirklich nicht, wo er ist?"

„Das kann er dir selber erzählen, wenn er wieder da ist. Ich richte ihm aber gerne aus, dass du bei mir warst und er sich bei dir melden soll."

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