12 - Buch über Herz
Mein Kreislauf war zwar schwach gewesen, doch den Weg nach Hause hatte ich selbst bewältigen können.
Am Abend erhielt ich eine kurze Nachricht von Theo.
Bist du gut zu Hause angekommen?
Ich hatte mit einem knappen Ja geantwortet und seitdem herrschte Funkstille.
Am nächsten Tag überlegte ich, ob ich es Paula erzählen sollte, doch da es Theo so unfassbar unangenehm gewesen war, verzichtete ich darauf noch weitere Personen mit einzubeziehen.
Am Nachmittag sah ich, wie er durch die Tür kam. Ich versuchte mit ihm Blickkontakt aufzunehmen, doch er machte es mir unmöglich.
Er ging zielgerichtet auf die Kinder zu, die ihn schon sehnsüchtig erwarteten.
Kurz überlegte ich mich in den Sitzkreis einzureihen, doch ich hatte nicht das Gefühl, dass er meine Anwesenheit wollte. Also widmete ich mich dem Einsortieren von Büchern.
„Was ist denn mit Theo? Er hat noch nie die Mittagspause mit uns geschwänzt ohne ein Wort zu sagen."
Ich zuckte mit den Schultern.
„Ist etwas zwischen euch vorgefallen?"
Das konnte man so sagen.
„Ja, aber ich kann nicht darüber reden."
„Was hast du gemacht?", wollte Paula sofort neugierig wissen und lehnte sich zu mir nach vorne.
„Nichts. Ich habe wirklich nichts gemacht. Es war alles einfach nur ein bisschen unglücklich."
„Komm schon! Erzähl!"
Ich konnte sehen, wie sie nach Informationen gierte.
„Wirklich nicht, Paula! Theo würde mich einen Kopf kürzer machen."
Paula seufzte.
„Ist es denn etwas Schlimmes gewesen'? Ist das nur vorrübergehend?"
„Ich hoffe, dass es nur vorrübergehend ist." Mir war Theos Gesicht, das voller Scham und peinlicher Berührung gewesen war, noch sehr präsent und ich befürchtete, dass es noch eine Weile andauern würde. „Vielleicht geh ich heute noch mal bei ihm vorbei."
Tatsächlich überwand ich mich nach Feierabend noch mal zu ihm gehen. Er wohnte, wie sollte es aus anders sein, direkt neben der Kirche.
Es gab keine Klingel, weshalb ich sachte an die hölzerne Tür klopfte. Ich hörte Schritte näherkommen und war froh, dass die Tür keinen Spion hatte. Vermutlich hätte er mir dann nicht einmal geöffnet.
Doch nun schwang die Tür auf.
Ich sah ihm an, dass er die Tür am liebsten wieder zuschmeißen würde, doch dazu war er zu gut erzogen.
„Was machst du hier?", fragte er distanziert.
Als ob es mein Fehler gewesen wäre, dass seine Sexualhormone kurzzeitig die Kontrolle übernommen hatten.
„Ich wollte mit dir reden. Wegen gestern."
„Da gibt es nichts zu reden", sagte er trotzig.
Er konnte ganz schön bockig sein.
„Ich denke schon", widersprach ich ihm bestimmt. „Kann ich nicht reinkommen?"
Er machte keinen Schritt bei Seite, was ich wohl als „Nein" interpretieren konnte.
„Ich denke, dass wir uns nicht mehr so oft sehen sollten", nuschelte Theo kaum hörbar.
Das hatte er jetzt nicht wirklich gesagt. Warum machte er so ein Drama daraus?
„Wie bitte?", hakte ich nach und hoffte innig darauf mich verhört zu haben.
„Wir sollten nicht mehr so viel Zeit miteinander verbringen. Du tust mir nicht gut!"
Ich tu ihm nicht gut?
Was für ein Blödsinn!
Seine Worte knallten wie eine fette Ohrfeige in mein Gesicht.
„Wieso tu ich dir denn nicht gut?", fragte ich und versuchte ruhig zu bleiben.
Er sah zu Boden. Ich kannte die Antwort und er auch: Er hatte Gefühle für mich entwickelt, die er sich einfach nicht eingestehen konnte.
„Du bringst mich von meinem Weg ab", sagte er knapp.
„Theo, vielleicht solltest du einfach auf dein Herz hören anstatt auf ein Buch, das vor tausenden Jahren geschrieben worden ist."
„Genau das meine ich!", schimpfte er plötzlich. Noch nie zuvor hatte ich ihn derart aufgebracht gesehen. „Hör auf mir in meine Entscheidung hineinzupfuschen! Kümmere dich um dein eigenes Leben und sag mir nicht auf was ich zu hören habe!"
Meine Augen füllten sich mit Tränen und ich bekam kein Wort über die Lippen.
„Ich will, dass du jetzt gehst!", ließ Theo mich wissen.
Ich konnte sehen, dass es ihm leid tat mich zum Weinen gebracht zu haben, doch für tröstenden Worte war er momentan auch nicht in der Stimmung.
„Geh bitte!", sagte er nun etwas sanfter, aber immer noch bestimmt.
Arschloch, dachte ich innerlich, sprach es jedoch nicht aus.
Ich nickte, drehte mich um und ließ meinen Tränen nun freien Lauf. Ich konnte ein lautes Schluchzen nicht unterdrücken und war mir sicher, dass auch Theo es noch hören konnte. Das sollte er auch!
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