Chapter 31

Am nächsten Morgen bekam ich Zyriak wieder nicht zu Gesicht. Als ich aufwachte, noch immer auf dem Sofa liegend, war er bereits weg. Woher ich das wusste? Ich war durch die zufallende Haustür aufgewacht. Den Tag verbrachte ich damit, zuerst zu lernen, wie man Kufen wachste, auch wenn ich mir vor lauter Gedanken nur ein paar der ausschlaggebenden Dinge merken konnte, und dann wie immer zu meinem Vater zu gehen. Als ich danach zurück kam, war Zyriak zwar grade vom Traning wieder da, allerdings, vermutlich aus Sturheit, hatte ich keine Lust mich mit ihm zu unterhalten. Er konnte definitiv seine Zeit ohne mich verbringen, also konnte ich das ebenfalls.
"Falls ihr mich sucht, ich bin im Café.", informierte ich Nadine, die mit einem Buch auf dem Sofa saß. Zyriak duschte grade, eine bessere Gelegenheit, um mich aus dem Staub zu machen, würde ich nicht bekommen. Sie sah mich zwar überrascht an, lächelte aber und nickte.
"Ich seh auch in meiner Wohnung einmal nach dem Rechten, je nachdem wie viel liegen geblieben ist, komme ich dann vielleicht erst morgen früh wieder. Odin lasse ich solange hier, ich weiß nicht ob ich ihn mit in die Wohnung nehmen darf, das muss ich erst abklären.", Fügte ich noch hinzu. Okay, ich hatte es gesagt. Gott, diese Worte hatte ich fast nicht rausbekommen. Diesmal musterte sie mich etwas Länger, nickte aber dennoch ein zweites Mal.
"Pass auf dich auf, wenn was ist, du weißt wo der Zweitschlüssel liegt.", Sie lächelte mich noch einmal an und zwinkerte mir freundlich zu. Ich erwiderte ein schwaches Lächeln, bedankte und verabschiedete mich, und machte mich dann in der Abenddämmerung auf den Weg zu Anyas Café. Dort angekommen begrüßte sie mich wie immer mit einem strahlenden Lächeln.
"Hey Ares! Lange nicht gesehen.", sagte sie, als ich den Laden betrat.
"Hey, joa. Im Moment ist alles ein bisschen kompliziert.", gab ich zögerlich zu. Ich wusste nicht, ob ich mit ihr drüber reden wollte, aber mit irgendwem musste ich reden, sonst würde ich noch wahnsinnig werden. Und mit Zyriak wollte ich grade ganz entschieden grade nicht reden. Ich war immer noch verletzt und das nervte mich. Ich ging ihm aus dem Weg, weil ich eine Heulsuse war, nicht weil er zwingend irgendwas gemacht hatte, um mich zu verletzen.
"Magste drüber quatschen?", Sie deutete auf eine der Sitzecken. Ich nickte und bat sie darum mir einen Cappuccino zu machen.
"Auch Kuchen? Hab noch ein bisschen Apfelkuchen in der Küche, der muss noch weg. Bekommst ihn zum halben Preis.", bot sie mir an. Wie auf Kommando machte sich mein Magen bemerkbar und ich nahm das Angebot dankend an.
"Gestern war so einer vom Gesundheitsamt hier, weil irgendeiner aus'm Dorf meinte, die Kaffeemaschine werde nicht richtig gereinigt.", Sie lachte auf, während sie vor sich hin erzählte, "Hab ihm dann zeigen müssen, wie ich sie reinige. Und ich musste ihm erklären, dass man solche Kaffeemaschinen zum sauber machen nicht auseinanderbaut, sondern mit 'ner Lauge einfach ein paar Mal durchlaufen lässt.", Sie verdrehte die Augen und ich schmunzelte.
"Klingt anstrengend.", Ich ließ meinen Rucksack von den Schultern gleiten und legte ihn neben mir auf die Bank. Ich hatte ein paar Sachen mitgenommen, da ich von Anfang an vorgehabt hatte, diese Nacht nicht in Zyriaks Elternhaus zu verbringen. Vielleicht übertrieb ich ein bisschen, aber für den Moment war es das, was sich richtig anfühlte, also machte ich das auch.
"Ich sag's dir.", Sie ging in die Küche und kam kurz darauf mit einem Tablett und zwei Tellern wieder, auf denen sich je ein Stück Kuchen mit Eiscreme befand. Dann lud sie meinen Cappuccino noch darauf und brachte das Gedeck dann zu mir an den Tisch.
"Einmal reduzierter, heißer Apfelkuchen mit einer gratis Portion Vanilleeis und einen Cappuccino, der Herr.", Sie stellte mir meine Bestellung vor die Nase, nahm sich das andere Stück Kuchen und setzte sich mir gegenüber hin. Nachdem sie sich eine Ecke mit ihrer Kuchengabel abgetrennt und zusammen mit etwas Eiscreme in den Mund geschoben hatte, deutete sie mit den Zacken auf mich und schluckte.
"Also, du sagst es ist kompliziert?", Fragte sie mich direkt.
"Ja, aber zuerst mal kurz: Hast du Zyriak gesagt, dass ich mich wegen ihm vielleicht irgendwann umbringen könnte?", erwiderte ich, da ich es aus ihrem Mund hören wollte. Sie verschluckte sich geradezu und räusperte sich dann.
"Jein. Ich hab ihm gesagt, dass dein Leben kein Zuckerschlecken ist und sicher nicht mehr viel fehlt, um dem Ganzen ein Ende zu setzen. Nicht dass du dich explizit wegen IHM umbringen würdest, Gott."
"War ich denn so offensichtlich am Arsch?", ich blickte auf den Kuchen und nahm die Gabel in die Hand. Mir war zwar grade der Appetit vergangen, aber jetzt hatte ich ihn schon zum halben Preis bekommen, dann sollte ich ihn vermutlich auch essen. Anya zögerte.
"Alle, die grob etwas mit dir zu tun haben, wissen, wie schwer du es hast, Ares. Das einzige, was mich wundert, ist, warum du dir nie bei jemandem Hilfe geholt hast. Es gibt so viele Leute, die dir unter die Arme greifen würden.", Ihre einfühlsamen Worte sorgten nur dafür, dass ich SCHON WIEDER mit den Tränen zu kämpfen hatte.
"Hm.", Machte ich und atmete konzentriert durch.
"Falls du irgendwann mal Hilfe annehmen willst, dann sag mir einfach bescheid. Ich kenn' hier jeden. Und fast jeder schuldet mir einen Gefallen.", Sie zwinkerte mir zu und legte ihre Hand auf meine, die wieder leicht zitternd neben meinem Teller auf dem Tisch lag. Ich nickte und wollte grade anfangen zu erzählen, als ich von einem Déjà vu niedergewalzt wurde. Die Tür zum Café schwang auf und Zyriak kam rein. Sein Blick huschte durch den Raum und blieb an Anya und mir hängen. Sie zog ihre Hand von meiner und stand auf, da sie schließlich ihren Job machen musste. Zyriaks durchdringender Blick war auf mich gerichtet. Ich stocherte jedoch grade in Kuchen herum und blickte, mitunter deshalb, nicht auf.
"N'Abend Zyriak. Bekommst du was?", Fragte sie ihn und ging hinter den Tresen.
"Hm, ne.", Brummte er, drehte sich nach einigen Sekunden um und verließ das Geschäft wieder. Ich hatte ihn nicht einmal angesehen und nur auf die goldbraune Kruste des Gitterkuchens gestarrt. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass ich ihm hinterherlaufen sollte, aber ich tat es nicht. Ich blieb sitzen und wartete darauf, dass Anya und ich unsere Unterhaltung fortsetzen konnten.
"Was war'n das?", Fragte sie und legte den Kopf leicht schief. Ich zuckte mit den Schultern und blickte zu den großen Fenstern, in denen ich, bei der draußen bereits herrschenden Dunkelheit, allerdings wieder mal nur mein Spiegelbild erkannte. Sie seufzte, kam wieder zu mir und ließ sich auf die Sitzbank plumpsen.
"Okay, also NOCHMAL. Du sagtest es ist kompliziert?", Wiederholte sie diese Nachfrage nun bereits zum zweiten Mal. Meine Mundwinkel zuckten, als sie sich zur Tür umsah, um sicherzugehen, dass jetzt nicht direkt wieder jemand reinkommen und uns unterbrechen würde. Ich erzählte ihr von der Sache mit meinem Vater, seinem Entzug und der Kontovollmacht. Davon, wie er in den letzten Tagen mit mir umgesprungen war und davon, dass es sich irgendwie falsch anfühlte, nicht von ihm angeschrien zu werden. Sowohl die Sache mit Rob, als auch alles, was mit Zyriak zu tun hatte, ließ ich außen vor. Wenn ich ihr jetzt erzählen würde, dass ich seit ein paar Wochen mehr oder weniger bei ihm zuhause wohnte, würde sie mich vermutlich für verrückt erklären. Sie hörte sich alles an, was ich mir von der Seele reden wollte und unterbrach mich dabei nicht ein einziges Mal.
"Dann sollte dein Gürtel ja bald zumindest nicht mehr so extrem eng sitzen.", sagte Anya, als ich mit meiner Erzählung geendet hatte.
"Mhm. Es fühlt sich nur einfach scheiße an, wenn Dinge, an die man sich schon komplett gewöhnt hat, sich plötzlich ändern."
"Jap, kenne ich. Ich hatte früher mal ein Kindermädchen. Sie war wirklich, echt fies und hat uns eigentlich nur angeschrien und beschimpft."
"Uns?"
"Mich und meine zwei Schwestern. Irgendwann hat Mam das mitbekommen, sie entlassen und ein neues, sehr liebes Kindermädchen eingestellt. Die neue Nanny war wirklich erste Klasse, aber... Die alte Nanny hat mir gefehlt. Es war ganz komisch. Ich hab mich noch nie in meinem Leben wegen einem Menschen so oft beschissen gefühlt und sie hat mir trotzdem gefehlt. Fast, als ob wir Menschen darauf stehen, dauernd angeschissen zu werden.", erzählte sie dahin und aß ein weiteres Stück Kuchen. Ich hatte mittlerweile auch mit dem Dessert und somit meinem obligatorischen Abendessen begonnen. Das Eis war schon lange geschmolze und in den Kuchenboden eingezogen, aber irgendwie hatte das was.
"Yeah, genauso fühle ich mich im Moment. Es ist so dumm, aber irgendwie fehlt etwas, wenn ich zur Blockhütte reinkomme und nicht direkt für meine Existenz zur Rechenschaft gezogen werde.", ich seufzte und war unendlich erleichtert, dass ich nicht der einzige Mensch auf dieser Welt war, dem es mit diesem Bullshit so ging.
"Ich kann es dir nicht versichern, aber vielleicht, ganz vielleicht, hat dein Vater mit dem Entzug ja verstanden, was für ein Glück er hat, dass du dir jeden Tag die Mühe machst und nach ihn siehst? Es wirkt zumindest so, wenn du mir das jetzt erzählst."
"Es wäre schön, aber das wäre doch irgendwie schon sehr surreal, denkst du nicht?", Ich sah Anya zweifelnd an, doch sie zuckte nur mit den Schultern.
"Ich meine, er hat mich seit... Seit er angefangen hat zu trinken immer nur runtergemacht. Ich kann mich kaum noch an Zeiten erinnern, in denen es anders war. Ich glaube nicht, dass ihn der Entzug so sehr umgekrempelt hat, dass er plötzlich etwas für mich übrig hätte.", Ich schnaubte und aß das letzte Stück von meinem Kuchen auf.
"Es ist aber möglich.", Sie grinste mich an, "Wär doch cool, wenn er dir das Leben nicht mehr dauerhaft so schwer machen würde, oder?"
Ich nickte abwesend und trank dann auch meine Tasse leer.
"Danke für's zuhören.", nuschelte ich dann, den Blick auf meine Hände gerichtet, die noch immer um die Tasse geschlossen waren.
"Für dich doch immer.", Anya zwinkerte mir zu und begann das dreckige Geschirr abzuräumen. Ich hätte ihr fast angeboten zu helfen, allerdings war sie bereits mit allem nach hinten verschwunden, bevor ich sie hatte fragen können.
"Was machst du jetzt noch?", Fragte sie mich, als ich meinen Rucksack wieder aufsetzte und aufstand.
"Ich bereite mich schonmal ein bisschen auf's nächste Semester vor. Die Themen haben wir schon grob mitgeteilt bekommen.", ich zog mein Portemonnaie und wartete darauf, dass Anya abrechnete.
"Achja.", Sie griff grinsend unter den Tisch und zog einen Karton hervor, den sie öffnete. Sie klappte den Deckel auf und zog einen bedruckten Pappstreifen und einen Stempel, "Das mit den Stempelkarten habe ich seit letzter Woche umgesetzt. Und du bekommst natürlich auch eine.", Sie zwinkerte mir erneut zu, setzte einen Stempel und schob mir die Karte entgegen. Dann bezahlte ich, verabschiedete mich und ging in die Richtung von meiner Wohnung. Bereits aus der Entfernung sah ich, dass vor dem Eingang ein, mir nicht unbekannter, Jeep mit laufendem Motor stand und wartete. Ich zog die Augenbrauen zusammen und überlegte, ob ich auf einem anderen Weg in den Komplex kommen würde, allerdings gab es nur den Haupteingang. Was wollte Zyriak jetzt so plötzlich, dass er unbedingt vor dem Wohnkomplex parken musste? Er hatte seine Zeit in den letzten Tagen doch auch anders verbracht, was scherte es ihn jetzt also, dass ich auch mal was für mich unternahm? Ich zog die Augenbrauen tapfer zusammen, versuchte alle Emotionen irgendwo in mein Unterbewusstsein zu schließen und ging dann tapfer auf den Haupteingang zu. Auch, wenn ich mich am liebsten irgendwo in einen Papiercontainer verkrochen und dort ausgeharrt hätte, bis Zyriak wieder verschwunden wäre.

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