Chapter 29
"Hey Paps.", Rief ich monoton, wie immer, in den Flur der Blockhütte hinein, als ich sie betrat. Odin schüttelte sich den Schnee aus dem Pelz und trabte dann, die Nase hoch erhoben, ein paar Schritte in den Flur hinein, nur um im Türrahmen zum Wohnzimmer stehen zu bleiben und auf mich zu warten. Mein Herz hing mittlerweile wirklich sehr an diesem Hund. Ich lächelte ein wenig, zog meine Jacke und meine Stiefel aus und kam rein.
"Hm.", Grummelte mein Vater aus seinem Rollstuhl heraus, ohne mich anzusehen. Seitdem ich von Zyriak erfahren hatte, dass er nun nicht mehr an Alkohol rankam, hatte er mit mir kaum mehr ein Wort gewechselt. Zum einen war ich froh, dass die Beleidigungen ausblieben. Zum anderen wünschte ich mir irgendwie, dass er mich beleidigen würde, damit ich nicht das Gefühl haben müsste, so eiskalt ignoriert zu werden. Negative Aufmerksamkeit war irgendwie immer noch besser aus gar keine Aufmerksamkeit. Und mein Vater hatte mich über die letzten Jahre so in dieses Verhaltensmuster gedrückt, dass es sich falsch anfühlte, nicht angebrüllt zu werden.
"Ich habe dir eine Zeitung vom Kiosk mitgebracht.", Sagte ich matt, ging zu ihm hin und reichte ihm das zusammengerollte Schriftstück, das er nicht annehmen wollte. Ich seufzte, presste die Lippen zusammen und warf die Blätter dann einfach auf den Wohnzimmertisch. Ja, es war mir wirklich fast lieber, wenn er jetzt sowas gesagt hätte wie "Was soll ich damit?! Was interessiert es mich hier, was irgendein Arschloch am anderen Ende der Welt gesagt hat?!", oder "Schieb dir den Dreck in den Arsch, ich lese so 'ne Scheiße nicht.". Meistens hatte er sie ja doch gelesen, aber er hatte wohl nicht gewollt, dass ich mir vorkomme, als hätte ich was richtig gemacht.
Ich ging in die Küche und begann sein Essen vorzubereiten. Seit ich mehr oder weniger bei Zyriak wohnte, bestand seine Mutter wohl darauf, dass mein Vater die Reste vom Essen bekam, statt irgendeinen Fertigfraß aus dem Supermarkt. Es hätte keinen Unterschied gemacht, da sein Geschmackssinn sowieso so abgestumpft sein musste, wie die Messer, die sich in meiner Wohnung befanden.
"Was is' das für ein Hund?", rief die raue Stimme meines Vaters schließlich aus dem Wohnzimmer. Ich streckte den Kopf aus der Küche und sah, dass Odin sich vor meinen alten Herrn gesetzt und seinen Kopf in seinen Schoß gedrückt hatte. Angst überkam mich. Was, wenn er ihm etwas antun würde. Ich sah, wie sich in Zeitlupe die Hand meines Vaters hob und sich Odins Ohr näherte. Bilder davon, wie er den Hundekopf an den Ohren von seinem Körper wegzerrte, tauchten vor meinen Augen auf und Panik flammte in meinem Brustkorb auf, da ich erneut das Bild von Rob und meinem Husky vor Augen hatte. Ich stolperte in den Raum hinein.
"T-tu ihm nichts. Ich schicke ihn in den Flur.", stotterte ich, beinahe mit Tränen in den Augen. Ich schaffte es dieses eine Mal nicht vor meinem Vater zu verbergen, dass ich Angst hatte. Doch Vaters dicken Finger legten sich einfach auf Odins Kopf und er kraulte ihm sein weiches Fell. Langsam hob der alte Mann seinen Blick zu mir. Einen Blick, bei dem ich einen Moment glaubte eine ganz andere Person zu sehen, als die, die an dieser Stelle sonst gesessen hatte. Jetzt grade saß da einfach nur ein einsamer, alter Mann, der einen Hund kraulte - der MEINEN Hund kraulte. Aber noch immer hämmerte mein Herz aus Angst davor, dass er wieder in sein normales Verhaltensschema zurückfallen konnte.
"Odin.", Rief ich den Husky schließlich zu mir, der sofort gehorchte.
"Ich tu' deinem Hund schon nichts.", Brummte mein Vater etwas grummelig und nahm seine Hände dann wieder in den Schoß. Meine Hände hatten zu zittern begonnen und ich musste mich kurz in der Küche auf einen der Klappstühle setzen, die dort standen. Odin kam zu mir und tat nun genau das, was er auch grade bei Paps getan hatte. Er kam zu mir und legte seinen Kopf auf meinen Beinen ab. Mein Herz hämmerte noch immer und ich versuchte tief durchzuatmen. Allerdings brachte mir das, genau wie damals mit Zyriak im Auto, absolut nicht viel. Ich musste an die frische Luft, sofort. Zitternd stand ich auf und ging zu den großen Schiebetüren, die zu der kleinen, hölzernen Terrasse führten, die sich dahinter befand. Kraftlos zog ich die Tür auf, rief Odin zu mir hinaus und lehnte die Tür hinter mir dann wieder an. Die eisige Luft umhüllte meine glühenden Wangen und ich stand einen Moment lang einfach nur da, bevor ich dann, nur auf Socken, in den Schnee watete, der unbekümmert hier lag. An der Brüstung angekommen stützte ich mich mit den Ellenbogen darauf ab und vergrub das Gesicht in meinen schwitzigen, eisig kalten Händen.
"Scheiße man.", Schniefte ich leise und wischte mir Tränen aus den Augen. Ich hatte eigentlich gedacht, dass ich mit dem Kram, der dort passiert war ganz gut klarkam, aber so allmählich überkam mich das Gefühl, dass es eben nicht so war.
"Bist du auf Socken draußen?!", Rief mein Vater plötzlich von drinnen. Ich fuhr zusammen, da seine Stimme näher war, als ich es erwartet hätte. Ich atmete durch und sammelte irgendwie meine Nerven, bevor ich mich aufrichtete, erneut über meine feuchten Augen wischte und mich umdrehte. Ich erwartete, dass jetzt eine Standpauke kommen würde, aber als ich wieder reinkam, schwieg mein Vater einfach nur und stierte mich aus blutunterlaufenen Augen an.
"Yeah, sorry.", Murmelte ich leise und mit etwas brüchiger Stimme, bevor ich meine nassen Socken auszog und zum trocknen über den Heizkörper in der Küche legte.
"Ich hätte dem Hund schon nichts getan.", Wiederholte er seine Worte von vorhin. Ich schüttelte nur den Kopf leicht, ohne eine Antwort zu geben, und fuhr damit fort, sein Essen aufzuwärmen.
'Ich wünschte Zyriak wäre hier.', Ein Gedanke, der mich mitten im Tun innehalten ließ. Aber es stimmte. Ich wünschte er hätte zu Charly gesagt "Ich komme ein bisschen später, muss noch kurz meinem Kumpel helfen.". Ich wünschte er wäre danach mitgekommen und hätte seine dämlichen Sprüche gerissen, um mich aus meinem Schneckenhaus zu locken. Und ich wünschte er wäre jetzt grade hier, neben mir und würde diese verdammte Suppe aufwärmen, die ich mit meinen zittrigen Händen niemals in die Schüssel ungefüllt bekommen würde, ohne dass die Hälfte auf dem Boden landete. Ich gab mein bestes, um genau das zu vermeiden und es klappte einigermaßen.
'Okay, Ares. Denk an etwas anderes. Die Uni. Denk an die Uni. Und an dein nächstes Semester. Das Semester, in dem Zyriak vermutlich nicht hier sein wird, weil er...', wieder hielt ich inne. Diesmal, weil sich ein dicker, fetter Kloß in meinen Hals gesetzt hatte. Das mit der Ablenkung klappte ja mal absolut blendend. Mit einem Seufzen versuchte ich dann einfach an gar nichts zu denken. Ich brauchte meinem Vater das Tablett mit der Mahlzeit und begann dann mit der Hausarbeit. Etwas, das mir grade wirklich das Leben rettete, da ich so zumindest etwas zu tun hatte.
"Achja..", brummte mein Vater mir zu, als ich wieder ins Wohnzimmer kam, nachdem ich die Müllsäcke an die Tür gestellt hatte. Odin war mir in der Zeit nicht von der Seite gewichen, wofür ich ihm sehr dankbar gewesen bin, da mir das die Sorge darum, ob Paps ihm etwas antun würde, genommen hatte.
"Du musst hier so'n Wisch unterschreiben und noch was ausfüllen.", Grummelte er noch einmal. Er fuhr mit seinem Rollstuhl zum Tisch und hob einen Briefumschlag auf, den er mir mit zitternden Händen reichte. Ich wusste, dass er zitterte, weil er alt war und weil sein Körper vermutlich nach wie vor mit dem plötzlich ausbleibendem Alkoholpegel zu tun hatte, allerdings schien es mir außerdem, als sei er nervös. Ich nahm das Kuvert mit ebenso zitternden Händen an. Auch ich war nervös, weil ich Angst hatte, dass da jetzt wieder irgendjemand Geld haben wollte, das ich nicht besaß. Ich lunste kurz zu meinem Vater, der allerdings mit knirschenden Zähnen zum Kamin blickte. Als ich die Bögen darin auseinandergefaltet hatte und dann las, worum es sich da handelte, musste ich mich erstmal auf den Sessel setzen, der meinem Vater gegenüber stand.
"Du hast...?"
"Ja. Füll es einfach aus und schick es dann zur Post. Adresse steht da oben in der Ecke.", Brachte er mit Mühe hervor. Ich schwieg und hatte einen Moment lang Angst, dass das nur irgendein Trick war. Allerdings war ich mir sehr sicher, dass mein Vater in keinster Weise auch nur einen Hauch von Humor hatte. Die Frage, wie es dazu kam, sparte ich mir einfach. Ich sah, dass er ohnehin schon Probleme damit hatte, mir das hier zuzugestehen. Ich wollte seine Nerven und seine Laune wirklich nicht überstrapazieren - ein Gedanke, bei dem mein Blick automatisch zu Odin huschte, der sich grade vor dem Kamin hin und her wälzte. Ein kleines Lächeln zuckte über meine Lippen.
"Zumindest dem scheint's gutzugehen.", Brummte mein Vater mit einer Spur Amüsement in der Stimme.
"Mhm, solltest mal sehen, wenn er das im Schnee macht.", ich lächte erneut ein wenig, allerdings vermattete dieses erneut recht schnell. So traurig das auch klingen mochte, das waren grade seit Jahren die ersten Worte zwischen meinem Vater und mir gewesen, die nicht in einem Streit gewechselt wurden. Es sollte mich glücklich machen, bewirkte aber das Gegenteil. Nun war ich noch niedergeschlagener. Ich presste die Lippen zusammen und beobachtete Odin noch eine Weile, bis ich dann einen Kugelschreiber suchte - ich fand einen in der Küche - und dann das Vollmachtsformular über das Konto meines Vaters ausfüllte.
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