Chapter 22

Schweigend saß ich in Zyriaks Auto, während wir darauf warteten, dass der Notarzt an der Schule ankam. Zyriak stand mit einigen Lehrern draußen und versuchte ihnen irgendwie klarzumachen, dass es Notwehr gewesen ist.
Nach kurzer Zeit erschienen die Blaulichter in dem dichten Schneegestöber. Die Schneeflocken reflektierten und scgluckten das Licht zu gleich. Alles sah blau aus und gleichzeitig trotzdem weiß und still.
Noch immer klammerte ich mich in dem Fell von Odin fest, während mir stumm eine Träne nach der anderen die Wange hinabrann. Als ich Zyriak auf meine Autoseite zukommen sah, wischte ich mir eilig über die Wangen und versuchte den Rest meiner Nerven irgendwie vom Grund meines beschissenen Befindens zusammenzukratzen.
Er öffnete die Tür mit einem ziemlich ernsten Blick und sah mich im Schein des Blaulichts an.

"Ist er...?", Fragte ich tonlos, brachte das letzte Wort allerdings nicht über die Lippen.

"Es ist kritisch, sie bringen ihn ins Krankenhaus.", Antwortete er etwas gedämpft und stand kurz unentschlossen vor mir, als überlegte er, mir etwas nicht zu erzählen, was aber eigentlich erzählt werden sollte. Ich atmete tief durch und kraulte erneut Odins Kragen.
"Officer Goldenberg will eine Aussage haben. Aber ich denke, bei den Blutergüssen und der Platzwunde da, wird es nicht schwer sein überzeugend zu sagen, dass du dich nur selbst verteidigt hast.", Fügte er leise hinzu.

"Ich kann doch nicht die Polizei belügen.", Meine Stimme versagte ein wenig, als ich das aussprach. Ich hatte in dem Moment, als ich zu dem Stein gegriffen habe, nicht mich verteidigt.

"Du belügst sie nicht. Er hat dich verprügelt, du hast dich gewehrt, ich seh da keine Lüge."

"Ich hab ihm mit einem Stein den Schädel zertrümmert, weil er einem Hund das Genick brechem wollte.", Die Worte verließen kaum meinen Mund, da meine Stimme wieder zu brechen begann, "Bei bleibenden Schäden wander ich in den Bau Zyriak, ich bekomm nichtmal mildernde Unstände. Die Verletzung oder Tötung eines Tiers gilt hingegen grade Mal als Sachbeschädigung."

"Wir kriegen das hin, Ares. Goldenberg kommt bei uns vorbei, wenn er hier fertig ist, und dann erzählst du ihm einfach nur was passiert ist. Ich bin mir sicher, dass das sauber über den Tisch geht.", Er stützte seine Hände neben mir auf dem Sitz ab und suchte meinen Blick. Als er ihn fand hätte ich am liebsten wieder angefangen zu weinen. Ich wollte ihm glauben, wollte mich auf seine Worte verlassen, aber grade sah ich nur noch schwarz. Schwarz und nichts anderes.

"Tief durchatmen.", Sagte er und seine Hand lag einen Moment lang auf der meinen. Ein Moment, der mein Herz einen Ton höher schlagen ließ. Ein Moment, der von zu kurzer Dauer war, denn er zog sie reichlich schnell wieder weg und schloss meine Tür um auf der Fahrerseite wieder einzusteigen.

Die Fahrt verging in aller Stille. Nichtmal Bon Jovi zertrümmerte die Boxen mit seinem Geschrei. Etwas, das mir klar machte, dass die Situation tatsächlich so ernst war, wie ich dachte.
Nach wie vor kraulte ich Odin und versuchte alles an Stress in sein Fell einzukneten, doch ich hatte in diesem Moment weiß Gott nicht das Gefühl, dass mir das half. Im Gegenteil, je mehr ich ihn kraulte, desto mehr war mir nach Heulen zumute. Hechelnd und aus seinen hellen, blauen Augen, blickte Odin mich an. Er schloss den Mund und legte den Kopf schief, als ich versuchte tief einzuatmen und die Anspannung in meinem Brustkorb etwas zu lösen.

"Halt bitte kurz an.", Bat ich Zyriak, da ich endlich merkte, dass ich hier kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand. Wenn ich jetzt keine frische Luft bekam, würde ich ersticken, oder jedenfalls fühlte es sich so an.
Zyriak wandte mir einen schnellen Blick zu und fuhr sofort rechts ran. Ich riss die Tür auf und stürzte quasi hinaus. Meine Beine gaben kompromisslos unter mir nach und ich sackte in den Schnee. Ich hatte allerdings nicht das Gefühl den Schnee zu berühren. Ich hatte das Gefühl, ich hockte in einer dicken Schaumfolie, die mich komplett von allem und jedem abschirmten. Ich wusste, dass Odin neben mir stand, und junkte, aber ich hörte es nicht. Ich hörte nichtmal, wie die Fahrertür knallte und Zyriaks schnellen Schritte um den Wagen rumkamen, während ich meine Hände in den Schnee grub und verzweifelt nach der Kälte suchte, die ich dort eigentlich spüren sollte. Tränen brannten mir in den Augen, fast wie Säure, die mir jemand ins Gesicht geträufelt hatte. Ich kniff die Augen zu und versuchte in dem Wirrwarr von Gedanken einen Strom zu erfassen, der mich nicht direkt in eine Schlucht hinabriss.

Wegen mir wäre Odin fast gestorben, wegen mir war nun auch ein Mensch fast gestorben und wegen mir war meine Mutter gestorben.

Dieser Gedanke schockierte mich, da ich wusste, dass das nicht stimmte. Aber es fühlte sich so an. Seit Jahren fühlte es sich schon an, als wäre es meine Schuld gewesen. Mein Vater hatte es mir täglich eingeprügelt und ich war einfach an dem Punkt, an dem ich es fast schon wirklich glaubte. Ich riss automatisch die Augen auf um mich nicht der Schwärze meiner Gedanken hinzugeben.

Ich spürte, wie mich zwei Hände an den Schultern packten und mich dazu zwangen vom Schnee aufzublicken. Ich sah in Zyriaks besorgte, grüne Augen. Seine Lippen bewegten sich, aber es dauerte einige Zeit, bis ich verstand, was er sagte.

"Sprich mit mir man!", Sagte Zyriak, nun beinahe ein wenig panisch, da ich nur still da saß, die Hände im Schnee und die Augen ohne Fokus auf ihn gerichtet, während in aller Stille Schnee auf uns herabfiel. Es war so leise um uns herum, nicht einmal mehr Odin junkte.
Zyriaks keuchender Atem ging in leichten Stößen von ihm und bildete kleine Dunstwolken genau vor meinem Gesicht. Mein Atem hingegen ging schnell, flach und zittrig. Es fühlte sich einfach an, als wäre meine Lunge zu klein für meinen Brustkorb.
Weiterhin herrschte diese seltsame, dumpfe Stille des Schnees um uns herum. Jedenfalls so lange, bis ich den Mund öffnete und ein paar Worte sprach, die ich unter normalen Umständen niemals einem anderen Menschen mitgeteilt hätte, einfach, weil mir das Vertrauen dazu fehlte.

"Es ist alles meine Schuld.", Flüsterte ich.

Es war das erste Mal, dass ich es aussprach.
Das erste Mal, dass ich es mir überhaupt eingestand.
Und das erste Mal, dass da jemand war, der mir zuhörte, wenn ich diesen Bullshit von mir gab.

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