Teil 79

Die Familie ging zu ihrem Haus. Die Eltern hatten keine Lust, nach der Reise und den aufreibenden Gesprächen sich jetzt auch noch einer Konfrontation zu stellen. Das musste bis morgen warten, ob die anderen das verstanden oder nicht.

Eine halbe Stunde, nachdem sie die Kinder ins Bett gebracht hatten, klopfte es an der Haustüre. Lukas und Mona hatten den Weg zu ihnen gefunden, die Familien schienen zu bocken.
Sie setzten sich zu viert mit einer Flasche Wein auf die Terrasse.

„Was ist denn mit denen los?" begann Mona, die wie Anna das Herz auf der Zunge trug. „Die haben ja eine Scheißlaune! Ziehen über Mario und Angie her, als wären das zwei Straßenköter. Nennen Mario einen notgeilen Schmarotzer, der von ihrem Geld lebt und seine Huren zu ihnen bringt. Sind die alle übergeschnappt?"

Lukas sah seine Frau lächelnd an. Sie war höllisch sauer, und das zu recht. Er wusste aber auch, dass sie beide zusammen mit den Vanmeerens das in Ordnung bringen würden.
Bringen mussten!

Mario hatte diese Reden nicht verdient.
Er hatte in seinem Leben mehr geleistet als die anderen zusammen.
Notfalls würde er ihnen das auch genauso unter die Nase reiben.
Er war froh, dass sein bester Kumpel wieder im Lande war.
Dass er und Mona Mitstreiter hatten.

Thomas wurde immer gereizter. Jo schien nicht mehr zu kommen. Ließ sie einfach sitzen, verbrüderte sich mit dem verrückten Pfaffen und seiner Hure.
Er trank seine Bierflasche etwas schneller als gewöhnlich leer, ging vors Haus, um eine Zigarette zur Beruhigung zu rauchen.
Verdammt! Verdammt! Verdammt!

Er hatte seinen Bruder und seine Familie so sehr vermisst – und jetzt das!
Leise Stimmen drangen über den Innenhof, er erkannte Lukas' , Monas, Jo's und Annas.
Die vier klangen fröhlich.
Er wurde noch wütender.
Und der Rest der Gemeinschaft, die sie eigentlich sein sollten, saß in seiner Wohnung und keifte und spuckte Gift und Galle.
Warum eigentlich?

Der Alkohol und das Nikotin hatten ihn etwas ruhiger werden lassen.
Wegen Mario, diesem Idioten, der diese unsägliche Frau angeschleppt hatte.
Warum hatten sie sich schnell wieder so sehr auf das Mädchen eingeschossen?
Weil sie jung war, bunt gefärbte Haare hatte, offen und frech war?

Wenn er sich recht erinnerte, hatte seine Inga ganz am Anfang eine ähnliche Frisur gehabt, war mehr als einmal mit ihrem vorlauten Mundwerk bei seinen Eltern angeeckt.

Er musste direkt lächeln, wenn er sich an die Auseinandersetzungen erinnerte, die Mum und Dad mit seiner Frau gehabt hatten, an die Klagen ihm gegenüber, dass Inga nicht zu ihm passte.
Aber der Auftritt, als Angie sich auf seine Schoß gesetzt hatte, als Inga auf dem Weg in den Innenhof war, war echt daneben gewesen.

Doch da waren ja schon einige verbale Auseinandersetzungen vorausgegangen.
Anfangs war Marios Freundin eigentlich noch ganz okay gewesen.
Etwas jung vielleicht, aber freundlich und höflich, erfrischend fröhlich.
Dann hatte plötzlich Maria zu sticheln begonnen, ihre Eltern hatten sich auf ihre Seite gestellt, Inga hatte seltsamer Weise mitgemacht.
Warum wohl?

Vielleicht hatte er sie ein wenig vernachlässigt in letzter Zeit?
Hatte ihre Liebe als Selbstverständlichkeit angesehen?
Hatte den typischen Ehemann-Fehler gemacht?
Vielleicht war sie seiner nicht mehr so sicher gewesen, wie sie es sein konnte?
Und jetzt?

Jetzt saß der eine Teil von ihnen bei Jo, Mario in seinem Haus und der Rest in seiner Wohnung.
So war das nicht geplant gewesen.
So sollte das auch nicht bleiben.

Wer waren sie denn, dass sie sich so schnell auseinander dividieren ließen?
Hundertjährige, typisch deutsche Spießer?
Die einem jungen Mädchen so ablehnend gegenüber traten, weil sie im Augenblick nicht in ihre Welt zu passen schien?

Sie hatten sich immer so viel auf ihre Toleranz und Weltoffenheit eingebildet, und bei der ersten Herausforderung hatten sie kläglich versagt.

Er zündete sich noch eine Zigarette an. Sie hatten sogar die aufgeschlossenen Kinder, die Mario vergötterten und Angie vollkommen offen entgegengetreten waren, aufgehetzt.
Seine Tochter beschimpfte eine Frau, die sie kaum kannte.
Er stürmte nach oben, wo alle noch immer zusammensaßen.

Die Stimmung war am absoluten Tiefpunkt angelangt. Alle hatten sich so sehr auf die Familie seines Bruders gefreut. Doch die waren nicht aufgetaucht.
Er fühlte, dass nicht nur er sich Gedanken gemacht hatte. Eigentlich saßen alle da wie begossene Pudel. Er nahm Inga in die Arme, küsste sie.

„Wir gehen jetzt zu Jo und Anna, Süße!" flüsterte er so, dass die andern es hören konnten.
Maria sah Max an. „Wir auch!" bestimmte sie.
Die Eltern standen ebenfalls auf. „Wir bringen die Kinder ins Bett, dann kommen wir nach!" erklärte Fritz, der seine jüngere Tochter unendlich vermisst hatte.

Fünf Minuten später standen die Geschwisterpaare mit Wein und Resten vom Abendessen bewaffnet auf der Terrasse von Johannes und Anna.
Die beiden begriffen sofort. Es würde keine Auseinandersetzung nötig sein, der gesunde Menschenverstand hatte auch ohne ihr Eingreifen gesiegt.
Alle fielen sich in die Arme, ein paar Liter Tränen flossen, bei den Männern wie bei den Frauen.

Anna stürzte sich auf das Essen, doch Johannes hielt sie zurück. „Wer hat gekocht?" fragte er, nur um sicher zu gehen dass sie keine Lebensmittelvergiftung riskierten.
Inga verdrehte die Augen. „Maria!" antwortete sie.

„Gut! Genehmigt! Du kannst das essen, Süße. Und wenn du in einer halben Stunde noch lebst, nehme ich mir auch was." Er küsste seine Frau glücklich. Alles würde gut werden.
Dann beschloss Thomas, einen Teil seiner Schuld gleich abzutragen. „Ich hole Mario und Angie!" sagte er und ging los, ohne auf Einwände zu warten. Es waren auch keine gekommen.

Mario öffnete Thomas die Türe, wappnete sich gegen neue Vorwürfe. Doch er wurde mehr als überrascht. Der ältere Vanmeeren-Bruder sah ihn etwas verunsichert an, knetete unsicher sein Hände.

„Also!" begann er. „Wir sitzen alle bei Jo auf der Terrasse und würden uns freuen, wenn ihr auch kommen würdet."
Und der Priester in Mario erteilte sofort Absolution, weil Reue und Buße schon vorausgegangen waren.

„Danke! Wir kommen gern!" sagte er leise.
Anna hatte das Wort bei den jungen Paaren ergriffen. „Lasst euch irgendwann einmal Angies Geschichte erzählen!" bat sie. „Nicht heute, das wäre zu viel an Emotionen. Aber in den nächsten Tagen. Und ihr werdet begreifen, dass sie es wert ist, geliebt zu werden."

Als alle zusammen saßen, dauerte es nicht lange, bis die Stimmung locker und gelöst wurde. Der Alkohol trug natürlich auch dazu bei. Doch mehr noch war es der Wunsch aller Mitbewohner, die Freundschaft, die sie hier zusammengeführt hatte, zu bewahren.
Anna und Johannes erzählten von den Tagen auf Mallorca bei den Großeltern, Mona und Lukas von ihrem so und so vielten Liebesurlaub in Italien mit dem Wohnmobil, das sie auf ihren Namen hatten umschreiben lassen.

„Der Kaufpreis nach Liste liegt in eurer Kommode!" erklärte Lukas.
Johannes grinste ihn an. „Na, Gott sei Dank! Ich hatte schon Bedenken, ihr habt euch das Teil unter den Nagel gerissen, und ich kann meine Familie nicht mehr ernähren."

„Du weißt, dass ich Beamter bin. Da muss alles korrekt ablaufen. Nicht, dass du mich verklagst wegen Unterschlagung!" zog Lukas ihn auf. Fuck! War er froh, dass sein Kumpel wieder da war.

Ein Wort gab das andere in der aufgedrehten Runde. Die Eltern kamen dazu, als die Kinder schliefen, beteiligten sich lachend an den Wortgefechten. Angie wagte die ersten Worte, als alle lachten, wurde sie mutiger. Sie saß auf Marios Schoß, fühlte sich so wohl wie in ihrem ganzen Leben noch nie.
Sie hatte ein Zuhause gefunden! Endlich war sie angekommen!


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