Teil 71

Anna dachte an die Stationen ihres Lebens zurück, begann aber erst an dem Tag, an dem sie Johannes wieder getroffen hatte.
An seinen zurückhaltenden Flirt, der so genau richtig gewesen war, weil alles andere sie verunsichert hätte.

Sie hatten sich schon ein paar Mal über diesen Tag unterhalten, er hatte ihr gestanden, dass er auch ziemlich unsicher gewesen war.
„Wenn dein Traum Wahrheit zu werden scheint, muss man ganz behutsam damit umgehen. Träume neigen dazu, bei Tageslicht einfach zu verschwinden!" hatte er einmal gesagt.
Sie hatte diesen Satz auf ihrer Homepage veröffentlicht, hatte sehr viele gerührte Kommentare dafür bekommen.

Ihr Verlag lag ihr permanent in den Ohren, sie sollte einen weiteren Band über ihre gemeinsame Geschichte schreiben.
Aber noch wehrte sie sich.

Noch gehörte Johannes ihr alleine. Sie hatte viel von ihrem Leben sehr öffentlich gemacht, aber es war ein Unterschied, ob ihre Fans, die sie seit Jahren treu begleiteten, das auf ihrer Seite lasen, oder ob sie sich Wildfremden öffnete und ihnen Einblicke in ihre tiefste Seele gewährte.
Johannes hatte keine Einwände gehabt, als sie mit ihm darüber gesprochen hatte. Nie wieder würde sie Geheimnisse vor ihm haben. Das war beim letzten Mal ziemlich dumm gelaufen.
Aber er bedrängte sie natürlich auch nicht.

Sie würde sich auch vom Verlag nicht bedrängen lassen.
Vielleicht in zehn oder zwanzig Jahren.
Lächelnd erinnerte sie sich an die Premiere des letzten Filmes. Mona hatte eine Videoaufzeichnung geschickt. Die Schauspieler waren gut gewählt, Mona hatte ein Auge darauf gehabt.

Eine Menge Geld war in die Kasse der Drehbuchautorin geflossen, die an den beachtlichen Umsätzen beteiligt war. Die eine Hälfte hatte sie Mario gespendet, die andere angelegt, falls der Cousin nach Hause käme und endlich dieses Priesteramt aufgab, das so gar nicht zu ihm passte. Es erschien ihr sehr unnatürlich, dass ein so toller Mann, innerlich und äußerlich, nicht mit einer Frau glücklich sein sollte. Anna teilte ihre Meinung eins zu eins.

Am Morgen fielen sich Eltern und Kinder in die Arme. Die Nacht hatte allen gut gefallen, aber die normale Konstellation war besser. Das fanden vor allem Mama und Papa.

Die letzten Tage verflogen mit Lachen, Spielen, Lachen, Küssen.
Sie wanderten den Berg hoch, an dem die Hütte lag, machten oben ein Picknick, spielten Ball und Federball, lachten, küssten sich, lachten!
Alle vier waren sicher, nie glücklicher gewesen zu sein.

Am letzten Abend saßen Johannes und Anna vor der Hütte. Die letzte Flasche Wein musste noch geleert und Küsse und ein paar Zärtlichkeiten geteilt werden.
Schweratmend löste er sich schließlich von ihr. Das Bett rief zwar gewaltig, aber er wollte diese Innigkeit zwischen ihnen noch eine Weile genießen.
Er hielt sie im Arm, sah in den Sternenhimmel.

„Möchtest du gerne meine Großeltern kennen lernen?" fragte er nach einer Weile aus seinen Gedanken heraus.
„Auf Mallorca?" fragte sie und genoss seine Hände, die an ihren Armen entlangglitten.
„Ja! Klar! Sie sind mittlerweile alle um die neunzig, aber fit wie ein Turnschuh, hat Thomas erzählt. Sie waren letztes Jahr drüben. Ich war ja erst zwölf, als sie ausgewandert sind und ziemlich sauer, weil sie einfach gegangen sind. Wir hatten ein sehr enges Verhältnis. Mum und Dad sind öfter hingeflogen, aber ich habe mich lange geweigert, mitzukommen. Erst, als ich erwachsen war, war ich dazu bereit.

Als ich verstanden habe, dass sie ihr Leben so gestalten mussten, wie sie es wollten. Sie hatten ja auch nur das eine. Oma Vanmeeren hatte Brustkrebs, die Ärzte hatten ihr keine großen Chancen eingeräumt, damals. Das war auch ein Grund, warum Opa sie in die Wärme gebracht hat. Sie ist vollkommen gesund geworden. Als Kind habe ich das natürlich nicht kapiert. Thomas hat erzählt, dass sie dich und die Kinder gerne kennenlernen würden, bevor es zu spät ist."

Anna ließ die lange Rede sacken. Er hatte seine Großeltern nur einmal kurz erwähnt, ganz am Anfang, und sie hatte die für sie fremden Menschen vollkommen vergessen gehabt.
„Natürlich fliegen wir dahin! Gleich wenn wir zu Hause sind? Bevor Amelie in die Schule kommt?" schlug sie vor.
Er drückte sein spontanes Mädchen an sich. „Ja! Das wäre toll!"

Er suchte auf dem Handy nach Flügen. Es war nicht leicht, es war Ferienzeit in Bayern. Schließlich wurde er fündig. Vier Flüge Business-Class zu einem horrenden Preis - aber was war schon Geld?

Er buchte und konnte sein heißes Mädchen endlich abschleppen. Kurz überlegte er, ob sie den Felsen noch einmal aufsuchen sollten, entschied sich aber dann für die Bequemlichkeit des Bettes. Er hatte so das Gefühl, dass sie beide viele Wünsche hatten, die sie sich gegenseitig erfüllen wollten!

Irgendwie würden sie am nächsten Tag schon aus den Federn kommen.
Bisher hatte es immer geklappt!
Seit fast zehn Jahren!
Und sicherheitshalber hatte er Mike erst für den Nachmittag bestellt.
Er ahnte auch, warum.


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