Teil 68
Im Inneren der Hütte erwartete Anna und die Kinder eine Überraschung. Es war gut gelüftet, der Kühlschrank brummte.
„Karl hat alles vorbereitet," erklärte er lachend. „Lebensmittel für eine Woche hätte ich nicht raufschleppen können."
Anna lachte mit. Daran hatte sie gar nicht gedacht gehabt. Aber es war ja klar, dass ihr fabelhafter Ehemann alles aufs Beste organisiert hatte.
Wie immer!
Die Kinder sahen sich staunend um. Das war ja eine richtige Wohnung.
Dann fiel Amelies Blick auf das große Doppelbett.
„Schlafen wir da zu viert?" fragte sie.
„Ja! Ja! Von wegen!" antwortete Johannes. Das hatten sie nicht einreißen lassen, dass eines von beiden bei ihnen im Bett schlief, da waren sie sich immer einig gewesen.
Lieber verbrachte er mal eine Nacht mit einem Baby auf dem Arm oder neben dem Kinderbettchen.
Oft war das nicht vorgekommen, beide waren ausgesprochen pflegeleichte Kinder gewesen.
Joshua stemmte die Arme auf die Hüften. „Und wo bitteschön schlafen wir?"
Der Papa blieb todernst. „Ja, im Keller! Wo sonst?"
Der Sohn sah ihn erst erschrocken an, dann sah er das Blitzen in Papas Augen und spielte mit. „Okay! Passt schon!"
Anna wechselte einen belustigten Blick mit ihrem Mann. Da schau her! Der Kleine ließ den Großen auflaufen.
Inzwischen hatte Amelie die Stiege nach oben entdeckt.
„Komm!" rief sie dem Bruder zu. „Schauen wir mal, was da oben ist."
Die Eltern hörten lautes Jubelgeschrei. „Das ist ja eine richtige Höhle!" jubelte der Junge. „Total kuschelig."
Johannes klaute sich schnell einen Kuss von seiner Süßen. Das musste er wohl in der nächsten Zeit schamlos ausnutzen, wenn die beiden mal außer Sichtweite waren.
Joshua kam die Treppe herabgestürmt, flog in ihre Arme.
„Mama! Hast du das schon mal gesehen , da oben? Da sind zwei Betten unter dem Dach, und das Zimmer ist winzig klein. Aber so gemütlich! Ganz dunkel, aber ich habe ja keine Angst, wenn Amelie da ist. Und du und Papa seid ja hier unten. Es ist so schön hier, und ich habe dich und Papa sooo lieb!" Er drückte ihr einen ziemlich feuchten Kuss auf die Lippen. Johannes drehte sich schnell um und holte das Gepäck herein. Er wollte seinen glücklichen Sohn nicht mit seinen feuchten Augen verunsichern.
Es war richtig gewesen, mit den Kindern heimzukommen.
Und es war fucking richtig gewesen, hierher zu kommen. Er ging um die Hütte herum, steckte sich eine Zigarette an. Sie versuchten, vor den Kindern nicht zu rauchen, aber jetzt brauchte er etwas, das seine Nerven beruhigte.
Wieder einmal wusste er nicht, wohin mit der ganzen Liebe in sich.
Am liebsten hätte er sein Glück laut hinausgeschrien.
Amelie kam angelaufen, hatte sich auf die Suche nach ihm gemacht. Schnell warf er die Kippe zu Boden, drückte sie mit dem Fuß aus.
„Ah! Da bist du!" rief sie freudig. Sie sah ihn prüfend an, legte den Kopf schief wie ihre Mutter. „Musst du heulen, weil du glücklich bist?"
Er hob sie hoch, küsste sie auf ihren Scheitel. „Ja, Kleine!" stieß er hervor.
Sie streichelte seine etwas stoppeligen Wangen. „Das darfst du doch! Ich verrate es niemandem!"
Da konnte er die Tränen nicht mehr zurückhalten, ließ sie einfach laufen, während seine wunderbare Tochter sein Gesicht streichelte.
„Joshua und ich müssen auch oft weinen, weil wir so glückliche Kinder sind. Weil wir die besten Eltern der Welt haben. Weil wir so ein schönes Leben haben. Erst in Afrika und jetzt in dem alten Deutschland. Es geht uns so gut! Aber ich bin manchmal auch ein wenig traurig, weil ich das mit Raoul nicht gemerkt habe. Ich habe mit Joshua geschimpft, weil er mir nichts erzählt hat." Die Worte sprudelten aus ihrem Mund.
Johannes küsste sein kleines Mädchen ab, das seinem großen so ähnlich sah. „Amelie, du darfst nicht solche Sachen denken. Wir Erwachsenen hätten etwas merken sollen. Ich, Mama, Mario, Emma! Wie soll ein Kind wie du auf eine solche Idee kommen?"
Er setzte sich auf einen Holzstamm, nahm sie auf den Schoß. „Aber weißt du, Süße? Eltern machen auch Fehler. Deshalb müsst ihr Kinder immer zu uns kommen und uns alles erzählen, was euch bedrückt. Weil wir eben nicht alles wissen. Weil wir ja noch nie Kinder hatten. Weil wir eben nur Menschen sind."
Sie sah ihn ernst an, mit Augen, die seinen eins zu eins glichen. „Ich verspreche es dir!" Dann kuschelte sie sich in seine Arme. „Das ist schön, so alleine mit dir. Den Papa nur für mich!"
„Ja! Ich finde das auch schön!" sagte Johannes etwas heiser, weil schon wieder Tränen in ihm hochstiegen. „Das machen wir zu Hause auch mal - einen Vater-Tochter-Tag."
Joshua besichtigte zusammen mit Anna das Häuschen, packte seine und Amelies Sachen in den kleinen Schrank unter dem Dach, lachte die ganze Zeit, ließ sich von seiner geliebten Mama abknutschen. Das war schön! Die Mama nur für sich zu haben! Anna genoss die seltenen Minuten, in denen sie sich nur ihrem Sohn widmen konnte. Er war ein so hübscher Kerl, schon fast so groß wie die um zwei Jahre ältere Amelie.
Sie verwuschelte seinen dichten Haarschopf. Da fiel ihr urplötzlich ein, wie sie damals über Johannes gedacht hatte. Dass er in ein paar Jahren eine Halbglatze haben würde, und musste lächeln. Seine Haare waren eigentlich von Jahr zu Jahr dichter geworden.
Ob das an dem Testosteron lag, das er pausenlos ausschüttete? Grinsend ließ sie sich auf die Bank am Esstisch fallen, zog den Kleinen auf ihren Schoß.
„Ich bin so glücklich!" gestand sie ihm.
Er drückte sich fest an sie. „Ich auch! Wir sind so glückliche Kinder!"
„Das ist gut Joshua! Mehr wollen Papa und ich nicht erreichen in unserem Leben."
Plötzlich wurde er unruhig. „Wo ist Amelie? Wo ist Papa?"
Sie drückte ihn noch fester an sich. „Sie werden es halt genießen, zu zweit zu sein."
„So wie wir es genießen?"
Wieder einmal war sie erstaunt über seine Wortgewandtheit. „Genau!" sagte sie nur.
Mehr brachte sie nicht heraus, ihre Stimme brach vor lauter Glück.
Es dämmerte schon, als Johannes mit Amelie hereinkam. Er sah seine Frau liebevoll an, in deren Armen sein Sohn eingeschlafen war.
Amelie weckte den Bruder auf. „Hey! Nicht pennen! Wir müssen jede Stunde genießen!"
Johannes nahm seine Frau in die Arme. „Danke für diese wunderbaren Kinder!" flüsterte er nah an ihrem Ohr.
„Gern geschehen!" flüsterte sie an seinem und biss in leicht ins Ohrläppchen. Sein gesamtes Blut floss gen Süden. Er rieb sich an ihr, um ihr zu zeigen, was sie mit ihm anstellte.
Noch immer anstellte!
Er räusperte sich und ging auf Abstand von dem süßen Biest, das seine Ehefrau war.
„Also! Geliebte Familie! Was wollt ihr essen? Pizza? Spagetti? Schnitzel?"
„Pizza!" rief Amelie.
„Spagetti!" kam von Joshua.
„Schnitzel!" bestellte Anna.
„Gut!" meinte er. „Also Bratwürste!"
Alle lachten, alle waren zufrieden.
Um acht gingen die Kinder freiwillig ins Bett. Sie waren vollkommen platt.
Johannes schaltete das Babyphone ein, erklärte den beiden, dass sie nur laut zu rufen brauchten, und die Eltern würden kommen.
Dann setzte er sich mit seinem großen Mädchen auf die Bank vor der Hütte. Er war rundum zufrieden mit seinem Leben, sogar die Hormone schwiegen. Sie stießen mit einem Glas Rotwein an, einem edlen Tropfen, den er in seinen Rucksack gepackt hatte.
Er hatte ihr Handy an einen Bluetooth-Lautsprecher angeschlossen, ließ leise die Playlist laufen. Noch immer waren die Titel gespeichert, die er ihr bei seinem ersten Ausrutscher geschickt hatte. Aber sie war ziemlich umfangreich geworden. Immer, wenn er einen Song gehört hatte, dessen Text zu ihnen passte, hatte er ihn heruntergeladen.
Sein erklärtes Lieblingslied war noch immer „My Lady in Red".
Es erinnerte ihn an den Abend beim Thailänder, als sie in ihrem roten Kleid die Blicke aller Männer auf sich gezogen hatte.
Als er zum ersten Mal diesen typisch männlichen Besitzerstolz empfunden hatte.
Als er zum ersten Mal allen hätte zurufen wollen: „Sie gehört mir!"
Als er so sehr gehofft hatte, dass sie wirklich ihm gehören würde.
Die wunderschöne Frau in ihrem roten Kleid!
Heute wusste er, dass sie nie ihm gehören würde, dass er das auch gar nicht mehr wollte.
Dass sie aber für immer zu ihm gehören würde – trotz aller Schicksalsschläge.
Anna - die einzige Liebe seines Lebens.
Auch Anna hing ihren Gedanken nach. Wie oft hatte sie früher sehnsüchtig diese ganzen Liebeslieder gehört, hatte sich verzehrt vor Sehnsucht nach Liebe.
Wie oft hatte sie resigniert das Radio ausgeschaltet, sicher, dass es eine solche Liebe, wie sie immer wieder besungen worden war, für sie nie geben würde.
Nicht mit Christian, den sie, warum auch immer, geheiratet hatte.
Doch dann hatte das Schicksal sich etwas Besonderes für sie ausgedacht.
Sie hatte eine zweite Chance bekommen.
Sie hatte sie nicht gleich genutzt, aber das war rückblickend okay. Denn so hatte sie diese Bücher schreiben können, die immer noch ziemlich viel Kohle einbrachten.
Doch das Schicksal war hartnäckig gewesen. Sie hatte Johannes wieder getroffen. All das Schlimme vergaß sie immer mehr. Leon würde für immer in ihrem Herzen sein. Aber seit sie mit ihrem Mann an seinem Grab gewesen war, konnte sie immer mehr loslassen. Konnte sie immer mehr ihr grenzenloses Glück annehmen.
„Das war eine deiner besten Ideen, hierher zu kommen. Und du hast schon verdammt viele sehr gute Ideen gehabt!" sagte sie aus ihren Gedanken heraus.
Johannes lachte leise und zufrieden auf. „Finde ich auch."
Sie sah ihn grinsend an. „So bescheiden heute?"
Er verstärkte seinen Griff um ihre schmale Taille. „Bescheiden? Ein Mann, der dich erobert hat, braucht überhaupt nicht bescheiden zu sein. Er ist schlichtweg der Größte."
Und da erwachten die Hormone schlagartig in ihr. Er hatte es immer besser mit den Worten drauf. Er war drauf und dran, sie zu schlagen. Sie liebte diesen selbstbewussten, hübschen Kerl, zu dem er geworden war.
Oder der er schon immer war, ohne dass sie es am Anfang bemerkt hatte?
Ihre Hände machten sich auf die Reise über seinen Wahnsinnskörper. Gut! Alle Muskeln waren noch an Ort und Stelle. Sonst wäre sie ganz schön sauer geworden.
Aber es war ja eher unwahrscheinlich, dass sie seit der letzten Nacht verschwunden waren.
Sie schlichen sich leise ins Häuschen, versuchten so leise wie möglich zu stöhnen. Sie fühlten sich wie Teenager, die heimlich Sex machten.
Zur Sicherheit zog er die Bettdecke über ihre Köpfe, den so ganz konnten sie die lustvollen Töne nicht zurückhalten.
Leise kichernd befreiten sie sich später aus dem Schallschutz, kuschelten sich wohlig seufzend aneinander.
Am nächsten Tag untersuchten Amelie und Johannes den kleinen Schuppen hinter der Hütte. Joshua wollte lieber mit Mama zeichnen. Neben einem alten Grill, Thomas' Kinderfahrrad, ein paar Kisten mit Feuerholz fanden sie das alte Zelt, in dem sein Bruder und er manchmal übernachtet hatten.
Es hatte Stockflecken, ein paar Stellen hatten die Mäuse angeknabbert, aber Amelie fand es supertoll.
„Das machen wir sauber, flicken es, dann können wir beide mal da drin schlafen!" bestimmte sie resolut.
„Wen meinst du jetzt genau mit wir beide?" fragte er vorsichtig.
„Na du und ich!"
Er hatte es befürchtet.
Gottergeben schleppte er die Plane vors Haus und drehte den Schlauch auf.
Anna schreckt hoch, als das Wasser in alle Richtungen spritzte.
Joshua begann zu lachen, als ihn ein Strahl traf.
Er ist echt hart im Nehmen! dachte sein Vater voll Stolz. Seine Zeichnung war zerstört, aber er nahm es nicht krumm.
Er war ein echt sonniges Kerlchen. Deshalb traf es ihn noch schlimmer, als er das Böse in Person von Raoul erleben musste. Doch auch dieses Erlebnis hatte seine Lebensfreude nicht zerstört. Er war ein Stehaufmännchen wie Anna.
Nachdem sich alle gegenseitig nassgespritzt hatte und wieder trockenen Sachen anhatten, machten sich Amelie und ihr Vater ans Abschrubben der Plane.
Anna sah ihnen eine Weile zu. „Was soll das eigentlich werden, wenn es fertig ist?" fragte sie schließlich.
Die Tochter baute sich vor ihr auf. „Das ist ein Zelt, da schlafen Papa und ich drinnen, wenn es sauber ist. Und du musst es flicken."
„Ich? Flicken? Mit Nadel und Faden? Vergiss es!" wies Anna dieses Ansinnen weit von sich.
„Aber du bist eine Frau! Frauen können nähen!" beschwerte sie die Kleine.
„Du bist auch weiblich! Und anstatt Püppchen hübsch anzuziehen, rennst du den ganzen Tag mit Hammer und Zange durch die Gegend. Was ich übrigens wundervoll finde." Anna gefiel das wirklich, dass sich das Mädchen nicht in eine vorgegeben Rolle pressen ließ.
Amelie grinste ihren Vater an. „Wo sie recht hat, hat sie recht!" Sie schlugen sich ab. „Kannst du wenigsten nähen?"
„Nein! Aber ziemlich gut Flicken aufkleben!" antwortete Johannes und wischte sich die Lachtränen aus dem Gesicht.
Die Sexismus-Diskussion zwischen seinen beiden Mädchen war schon vom feinsten gewesen.
Er war sicher, es würde nicht die letzte sein.
Er fand in einer Schublade Radflickzeug, mit dem er gekonnt die Löcher in der Plane reparierte.
Amelie grinste ihre Mutter an. „Eine Frau braucht nicht nähen zu können, wenn sie einen Mann hat, der sich zu helfen weiß."
Anna blieb der Mund offen stehen über die Ausdrucksweise des Kindes. In Afrika hatte sie das alles gar nicht so richtig wahrgenommen, die Kinder waren die längste Zeit unterwegs mit den anderen, aber hier erstaunten beide sie immer wieder,
Das waren schon schlaue Köpfchen, die sie da zusammengebastelt hatten.
Der stolze Blick ihres Mannes zeigte ihr, dass er empfand wie sie. Er hob den Daumen, sie erwiderte in stummem Einvernehmen die Geste.
Und sie wussten auch beide, dass es gut war, die Kleinen heimgebracht zu haben.
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