Teil 65

Mehr als glücklich kam die Familie wieder in ihrem neuen Zuhause an. Die Kinder rasten gleich zu den Großeltern Falkenberg, um ihnen von dem seltsamen Tag in dem alten Deutschland zu erzählen.

Johannes und Anna räumten die neuen Klamotten in die Schränke – zumindest eine Zeit lang. Dann wurden sie sich ganz schnell der Nähe bewusst. Der Tag hatte viele Erinnerungen an die ersten, berauschend glücklichen Tage hervorgerufen.

Seine Hände griffen nach ihr, zogen sie an sich.
Seine Lippen fanden ihr, küssten, küssten, küssten!
Ihre Körper pressten sich aneinander, sie fühlte seine Erektion, etwas, das sie zu Strahlen brachte, weil sie sich so gerne als begehrte Frau fühlte – noch immer.

Sie lauschten nach draußen, hörten die aufgeregten Stimmen ihrer Kinder jenseits des Hofes und ließen sich in die Leidenschaft fallen.
„Weißt du, wie sehr du mich anmachst?" stöhnte er, als er endlich alle Kleidungsstücke entfernt hatte.

„Nein!" stöhnte sie. „Nicht – oh – die – oh – geringste – oh - Ahnung!"
„Soso! Nicht die geringste Ahnung!" zog er sie auf. „Und was meinst du, bedeutet die Beule hinter meinem Reißverschluss?"
„Weiß nicht!" keuchte sie. Seine Finger waren sehr gekonnt auf ihrem Körper unterwegs. „Aber – ich – schau – mal – nach!" Ihre Finger waren auch sehr begabt.

Sie hatten sich gerade zum Gipfel gestreichelt, geküsst, geliebt, als Amelies Stimme durchs Haus schallte: „Mama? Papa? Wo seid ihr?"

Aufseufzend ließ Johannes sich ins Kissen zurückfallen.
Das war knapp gewesen!
„Eigentlich hatte ich ja vorgehabt, einen Panikraum einbauen zu lassen, wo man die Kinder hin und wieder einsperren kann." Er war schon dabei, in seine Jeans zu steigen.
„Hättest du es nur gemacht!" stöhnte Anna.

Elternsex war nicht immer einfach. Das Kuscheln und Knutschen danach kam immer ein wenig zu kurz. Dabei liebten sie es beide doch so sehr. Genauso, wie die zweite Runde, für die sie sich gerne viel Zeit ließen.
„Komme schon!" rief er und versuchte so schnell wie möglich, in seine Sandalen zu schlüpfen.
Amelie sah ihn aufmerksam an. „Was habt ihr gemacht?"

„Wir haben die neuen Sachen eingeräumt!" erklärte er. Geschwindelt war das ja nicht direkt.
„Und warum kuckst du so?" bohrte sie weiter.
„Wie kucke ich denn?" fragte er lachend und warf die freche Göre in die Luft, in der Hoffnung, sie abzulenken. Sie war ein kleines bisschen zu schlau.
„Mit so einem Schleier vor den Augen!" stellte sie fest, und er war sicher, dass sie mehr als nur ein bisschen zu schlau war.

Joshua lachte. „Einem Schleier! Papa ist doch keine Braut!"
Sie warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Doch nicht so ein Schleier! So was wie Nebel!"
„Habt ihr Hunger?" fragte Johannes, um die Diskussion über verschleierte oder vernebelte Papa-Augen abzuschließen. „Nein, wir haben bei Oma und Opa Pizza bekommen. Die hat lecker geschmeckt. Das haben wir noch nie gegessen. Warum haben wir in Afrika nie Pizza gegessen?" fragte Joshua.

An die Wortströme seines Jüngsten musste sich Johannes erst noch gewöhnen.
Da fiel ihm der Grund für dessen Schweigsamkeit wieder ein. Er musste zu Mario, er musste hören, ob der Freund schon etwas erfahren hatte.
Anna kam frisch geduscht, strahlend wie ein Sommertag und ebenso duftend nach unten.

Er flüsterte ihr etwas ins Ohr und verließ das Haus.
„Wo geht der Papa hin? Was hat er zu dir gesagt? Bestimmt, dass du sehr hübsch aussiehst!" stellte Joshua grinsend fest.
Sie nahm den Sohn auf den Arm, knutschte den kleinen Charmeur ab. Das hatte er auch vom Papa!

Mario freute sich über Johannes' Besuch. „Gerade habe ich noch einmal mit Rainer gesprochen. Raoul hat fürchterlich geheult und Stein und Bein geschworen, dass er Joshua oder Amelie nie etwas angetan hätte.
Ein Typ von außerhalb, ein Fremder habe ihn erpresst. Der Junge schien sehr glaubwürdig zu sein, meinte Rainer. Heute erwarten die jungen Männer den Kerl, dann werden sie ihm wohl Manieren beibringen."

Johannes atmete auf. Jemand von außerhalb des Dorfes! Keiner von ihnen hatte das seinem Sohn angetan. Er ließ sich erleichtert auf einen Stuhl fallen.
Mario klopfte ihm auf die Schulter. Er dachte genauso.
„Aber, dass wir nichts gemerkt haben!" Johannes konnte das noch immer nicht fassen! „Dass Joshua nichts erzählt hat! Oder Raoul! Wir müssen immer wieder mit den Kindern reden, noch mehr als bisher, damit sie uns wirklich alles sagen." Er fuhr sich entnervt mit den Fingern durch die Haare. Vater sein war gar nicht so einfach.

In den nächsten Tagen spielte sich das Leben zu Hause ein. Die Kinder der drei Elternpaare verstanden sich bestens, spielten zusammen, besuchten sich gegenseitig, aßen mal da, mal da.
Nach einer Woche nutzte Anna eine ruhige Stunde, als die Kinder im Bett waren, um ein Anliegen loszuwerden, das ihr auf der Seele lag.
„Ich würde gerne zu Leons Grab gehen. Damit ich endlich Abschied von ihm nehmen kann!" sagte sie vorsichtig.

Johannes' Herz setzte kurz aus, doch dann verstand er. Damals war sie ganz und gar nicht in der Lage gewesen, an der Beerdigung teilzunehmen.
Er hatte das zwar eingesehen, aber er hatte sie auch sehr vermisst.
Damals, als er, gestützt von Ben und Oli, den winzig kleinen Leichnam, der nur in ein weißes Tuch eingewickelt war, in die Erde gebettet hatte.

Kurz zögerte er mit seiner Antwort. „Ich weiß nicht, ob es ein Grab gibt, Anna!" gab er zu bedenken. „Das ist mehr so eine Rasenfläche, ohne Gedenksteine oder so etwas." Tränen ließen seine Stimme heiser klingen.
Sie griff nach seiner Hand, streichelte sie zärtlich. Das war etwas, das sie sich nie würde verzeihen können: Dass sie ihn damals mit seinem Schmerz so gnadenlos alleine gelassen hatte.

„Aber du kannst dich sicher an die Stelle erinnern!" sagte sie leise.
„Ja! Sicher!" brachte er nur hervor, dann ließ er die Tränen einfach laufen.
Sie hatten sich wieder versöhnt, hatten sich wieder gefunden – aber sie hatten eigentlich nie über die ersten Tage nach Leons Tod gesprochen. Das wurde Anna mit einem Mal schmerzlich bewusst. Bis heute hatte sie ihn mit diesen Erinnerungen allein gelassen.

Sie hatte Beruhigungsspritzen bekommen, aber er hatte alles bei vollem Bewusstsein erleben müssen.

Sie setzte sich auf seinen Schoß, kuschelte sich an ihn. „Erzähle! Bitte!" forderte sie ihn auf.
Und ein Damm brach in ihm. Er hatte noch jede Sekunde vor seinem geistigen Auge.
„Ohne Ben und Oli hätte ich es wahrscheinlich nicht geschafft!" schloss er leise.

Lange hielten sie sich einfach nur im Arm. „Wenn es dich zu sehr aufwühlt, kann ich auch alleine gehen!" schlug Anna dann vor.
„Nein! Auf keinen Fall! Das machen wir gemeinsam." Seine Stimme war wieder fester geworden.
Und ihr war klar, warum sie diesen Mann liebte und immer lieben würde.

Am nächsten Morgen parkten sie die Kinder bei Inga, besorgten eine rote Rose und fuhren zur Klinik. Johannes führte sie um den Neubau herum zu einer Grünfläche. Erstaunt sah er das Schild am Rande.
„Friedhof der Engel" stand darauf. Das war damals nicht hier gewesen.

Etwa in der Mitte fanden sie eine kleine Bodenplatte, eine Vase mit frischen, bunten Blumen stand darauf. Eingraviert war: Leon Vanmeeren, sein Todestag und der Text „Hier ruht unser Engel Leon, von Herzen geliebt und unvergessen".

Johannes war überrascht. Wer das wohl gemacht hatte? In unregelmäßigen Abständen sah er weitere Steine. Scheinbar waren auch andere dem Beispiel gefolgt.
Anna lächelte ihn an, steckte die Rose zu den anderen Blumen. „Schön!" sagte sie leise. „Das waren sicher Lukas und Mona."

Er legte den Arm um sie. Sie hatte wohl recht. Die Freunde waren ihnen so nah, dass sie diesen Stein für das Kind, das ihr Patenkind hätte sein sollen, anfertigen hatten lassen.
Sie erzählten Leon von seinen Geschwistern, den Jahren in Afrika, von Joshuas Redeschwällen, die sie vollkommen überraschend getroffen hatten, von Amelies Rechenkünsten und Joshuas Zeichentalent.

Sie waren nicht traurig, zumindest nicht sehr, sie waren eher glücklich.
Leon, ihr erster Sohn, war nicht vergessen, auch nicht in der Heimat.

Johannes fühlte sich auf eine seltsame Art und Weise befreit. Seine Frau stand neben ihm am Grab des Kindes, das nicht hatte leben dürfen. Dadurch konnte er endlich die Qual der Beerdigung vor Jahren vergessen. In sich ruhend fuhren sie nach Hause.

Sie gingen geradewegs zum Häuschen, das Lukas und Mona bewohnten. Beide saßen gerade auf dem Balkon, genossen die Sonnenstrahlen.
„Wir waren an Leons Grab!" erklärte Anna geradeheraus. „Das ward ihr, nicht wahr? Ich danke euch so sehr!"

Lukas lächelte sie an. Sie hatten sofort gewusst, wer hinter dem Grabstein steckte, das zeugte von einer tiefen Verbundenheit zwischen ihnen.
Johannes riss den Jugendfreund in seine Arme. „Ich denke, langsam sind wir quitt!" erklärte er heiser.
„Wir nähern uns einem Patt!" antwortete der.

Mona kochte frischen Kaffee, brachte für jeden einen Cognac mit. Sie erzählte, wie sie mit der Krankenhausverwaltung diskutiert hatte, als sie den Stein für Leon setzen lassen wollten.
„Eine großzügige Spende von der besten Ehefrau ever hat die Betonköpfe schließlich überzeugt!" merkte Lukas an. „Seitdem folgen immer mehr Eltern unserem Beispiel."

Sie saßen noch eine Weile schweigend zusammen, in Erinnerungen gefangen.

Danach holten sie die Kinder von Inga ab. „Wart ihr brav?" fragte Johannes.
„Klaro! Wir haben beim Kuchenbacken geholfen, Inga hat gesagt, das haben wir gut gemacht. Oder, Inga? Warum haben wir in Afrika nie Kuchen gebacken?" fragte Joshua.

„In Afrika haben andere Frauen dauernd gebacken, das mussten wir ja auch essen!" erklärte Johannes. Er erinnerte sich schmunzelnd. Nachdem bekannt geworden war, dass er Süßes liebte, hatten ihn die Damen des Dorfes versucht zu mästen. „Bist zu dünn, Strom-Mann!" hatten sie erklärt. „Lehrerin-Frau auch!"

Heimlich hatten sie viel von den fetttriefenden Backwaren an die Hühner verfüttert, in der Hoffnung, die Tiere gingen nicht an Diabetes oder einer Fettleber zugrunde.
Während Annas Schwangerschaften hatte er gebeten, dass sie nichts brachten, weil seine Süße die Zucker-Sachen nicht riechen konnte. Da versorgten sie ihn an den diversen Arbeitsstellen. Aber er war sehr erfinderisch geworden, hatte sich geheime Depots angelegt, wo er das Gebäck bunkerte, bis er es zu den Hühnern bringen konnte. Er bat im Kopf um Abbitte, aber das Federvieh schien glücklich zu sein.

„Komisch!" hatte Marisha einmal angemerkt. „Der Strommann isst und isst und wird nichts! Da sind ja die Hühner besser ernährt!"
Anna und er erstickten beinahe an einem unterdrückten Lachanfall.

„Stimmt!" pflichtete Joshua ihm zu. „Und hier backt Inga für uns alle. Ich werde ihr immer helfen, dann braucht Mama das nicht selbst machen."
„Zum Glück! Weißt du, die Mama hat es nicht so mit dem Kochen und Backen!" erklärte Johannes lachend, wartete auf einen Knuff seiner geliebte Ehefrau.

Doch die blieb ganz cool. „Die Mama hat andere Talente!" knallte sie ihm hin und sah ihn lasziv an.
Ihm wurde heiß. Oh ja! Da hatte sie sowas von recht!
„Genau! Die Mama kann toll zeichnen und malen!" stimmte Amelie zu, froh, auch endlich mal zu Wort zu kommen.
„Das auch!" brummelte Johannes vor sich hin. Puh! Die Kids!


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