Teil 57

Lukas und Johannes verbrachten viel Zeit miteinander. Der Kripomann, der mittlerweile zum Polizeioberrat aufgestiegen war, litt sichtlich unter dem Verlust des Freundes, mit dem er so viele Jahre verbracht hatte.

Und er litt auch unter seinem Beruf, dem ewigen Kampf gegen Windmühlen, der nie erfolgreich zu sein schien.

„Schmeiß hin!" schlug Jo vor. „Hier wird immer ein Platz für euch sein!"
Doch noch war Lukas nicht so weit. Noch hielt ihn die Verantwortung an seinem Stuhl im Präsidium.

Aber er war sicher, das nicht bis zur Pensionierung durchhalten zu können.
Johannes verstand ihn gut. In Südafrika war zwar die Kriminalität viel höher als in Deutschland, aber hier in ihrem Dorf lebten sie in einer Blase. Er hoffte, dass das noch lange oder für immer so blieb.

Mona und Anna alberten den ganzen Tag herum. Auch sie hatten sich vermisst. Maria gesellte sich oft zu den beiden. Max merkte, dass seine Frau von Tag zu Tag lockerer wurde. Zu Hause war ihre Welt von Zahlen bestimmt.
Als Investmentbanker schien es für sie beide nichts Wichtigeres als Zahlen, Kurse, Goldpreise, Marktschwankungen zu geben.

Doch hier war alles unendlich weit weg. Er selbst verbrachte seltsamerweise viel Zeit mit den Kindern, liebte dieses Lachen, diese Unbeschwertheit. Warum haben wir eigentlich keine Kinder gewollt? fragte er sich eins ums andere Mal. Sie hatten zwar ein riesiges Haus gebaut, fuhren teure Luxusautos, hatten dicke Bankkonten und Aktienpakete – aber wofür?

Am Abend in der Lodge fasste er Mut und sprach mit Maria darüber.
Sie waren beide noch keine vierzig, es war nichts Ungewöhnliches, in dem Alter mit der Familienplanung zu beginnen.

Maria lächelte ihn an, hatte ähnliche Gedanken gehabt, als sie Max zusammen mit den Kindern beobachtet hatte.
Sie nahm den Pillenblister, warf ihn quer durch das Schlafzimmer. „Dann machen wir doch ein afrikanisches Baby!" schlug sie vor, und Max ließ sich kein zweites Mal bitten.

Der Abschied nach der einen Woche fiel allen schwer. Sie beschlossen, das so bald wie möglich zu wiederholen.
Die Zeit raste dann nur so dahin.
Johannes verbesserte seine Speicher, ein deutsches Unternehmen hatte sich die Rechte an all seinen Erfindungen gesichert, ihn dafür am Umsatz beteiligt.
Ein fantastisches Geschäft für beide Seiten entwickelte sich.

An seinem 38. Geburtstag freute er sich auf neue Gutscheine. Die vom letzten Jahr hatte er wie immer sehr schnell verbraucht. Dieses Mal fand er einen Neuen in dem Packen: Wir machen ein Geschwisterchen für Amelie und Leon.
„Bist du sicher?" fragte er seine Süße, die jeden Tag schöner wurde.
„Natürlich!" antwortet sie grinsend. „Bevor du 40 bist, sollten wir das in Angriff nehmen!"

Sie schlugen sich ab. „Dann löse ich den heute Abend gleich ein!" Er war außer sich vor Freude. Nie hätte er Anna darum gebeten, aber er hatte oft an ein weiteres Kind gedacht.
Die Gummis bleiben für eine Weile in der Schublade, bald schon lag ein weiterer positiver Schwangerschaftstest auf dem Tisch vor ihnen.
Und dieses Mal gab es nur Freudentränen, glückliche Küsse, helles Lachen des absoluten Glückes.

Acht Monate später hielt Johannes seinen Sohn in den Armen. Es war wieder eine sehr schnelle Geburt gewesen.
Anna nahm Mario zur Seite. „Ich würde ihn gerne Joshua nennen. Ich finde den Namen so hübsch, aber ich möchte auch keine Wunden in deinem Herzen aufreißen."

Mario schloss sie in die Arme. „Nein, Anna! Ihr beide, das Dorf und Gott haben meine Wunden sehr gut heilen lassen. Es wäre mir eine Ehre, stellvertretend für meinen Sohn der Pate deines werden zu dürfen."

So wurde zwei Monate später wieder zusammen mit all den Liebsten von Johannes und Anna der kleine Bruder Amelies getauft: Joshua Mario Vanmeeren.
Da sah dann Anna auch zum ersten Mal ihren Neffen Robin, der tatsächlich in Afrika gezeugt worden war. Beide Elternteile waren mehr als glücklich, pausierten in ihren Jobs, genossen das späte Familienglück.

Amelie war vollkommen aus dem Häuschen über den Bruder. Sie war gerade zwei Jahre alt geworden, lief sicher auf ihren Beinchen, sprach perfekt drei Sprachen. Als Anna mit dem Kleinen aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen war, lief die Tochter zu der Zeichnung von Johannes mit Leon auf dem Arm.

„Er sieht aus wie unser Engel Leon!" sagte sie verwundert.

Sie kannte die kindgemäße Version der Geschichte ihres großen Bruders, der ein Engel war und im Himmel auf sie aufpasste.
Sie wich kaum einen Schritt von Joshuas Seite, beobachtete den Papa genau, wenn er Joshua wickelte und badete. Sie eiferte auch nicht im Geringsten. Sie fühlte, dass die Eltern genug Liebe in sich trugen, dass sie für alle ausreichte – auch für Leon, den Engel.

Die beiden „hellen Kinder" wuchsen in aller Freiheit auf. Sie spielten mit den „dunklen", lernten deren Sprache, ihre Lieder. Es waren glückliche Kinder.

Es gab immer etwas zu feiern im Dorf: Hochzeiten, Taufen, Geburtstage, Verlobungen.
Anna dachte manchmal an Deutschland, wie gerne sie da gefeiert hatte, wie sie es genossen hatte, jung und frei sein zu dürfen.
Reden zu dürfen, wann und worüber sie wollte, ohne dass vorwurfsvolle Blicke sie trafen.
Sich angenommen zu fühlen von dem Mann an ihrer Seite, von Johannes, der Liebe ihres Lebens.

Hier war alles ein wenig anders.
Keine Kinos, keine Eisdiele, kein Theater, keine Konzerte.
Aber Johannes, der sie liebte und auf Händen trug.
Zwei Kinder, die das Glück ihrer beider Leben waren.

Menschen um sie herum, die sie verehrten, denen sie hatten helfen können, die sie in ihrer Kultur und ihrem Leben aufgenommen hatten.
Ihre Tage waren zu einem einzigen Abenteuer geworden, mit Johahannes, der alles ebenso genoss wie sie.

Es gab keine Wanderungen in den Bergen, kein Fitnessstudio, nicht einmal Räder.
Aber es gab eine Aufgabe, ein Ziel, es gab Spuren, die sie hinterlassen würden.
An einem wunderschönen, sternenklaren Abend auf ihrem Felsen sah sie ihn neckend an.
„Wenn wir uns morgen zum ersten Mal treffen würden, und ich würde dich fragen, was du so machst, was würdest du antworten?"

Lachend zog er sie in seine Arme.
„Ich baue leidenschaftlich gerne Elektrospeicher und Möbel. Aber es tut mir leid, meine Hübsche -  ich bin glücklich verheiratet und habe zwei perfekte Kinder, die ich über alles liebe."
Sie grinste ihn an. „Dann habe ich wohl keine Chancen bei dir?"
„Du hast alle Chancen der Welt, Baby!" flüsterte er in ihr noch immer so erogenes Ohr.

Und zum ersten Mal liebten sie sich auf dem Felsen.
Mario war bei den Kindern, er hatte sie augenzwinkernd weggeschickt.
„Damit habe ich einen der neuesten Gutscheine eingelöst!" stellte er glücklich lächelnd fest, als sie erfüllt und berauscht nebeneinander lagen. Er strich ihre eine Locke hinters Ohr. Seit sie in Afrika waren, trug sie ihre Haare halblang, und sie kringelten sich zuckersüß. „Ich liebe dich so sehr, Anna!" stieß er hervor. „Ich liebe das Leben mit dir so sehr!"

„Vermisst du nichts?" fragte sie etwas heiser.
„Was sollte ich vermissen? Ich bin doch wirklich gesegnet!" antwortete er. „Das Leben hier, mit dir, mit den Kindern. Welche Wünsche sollte ich denn noch haben, Schönheit?" Dann küsste er sie leidenschaftlich, denn er brannte schon wieder so sehr nach ihrer wunderbaren Haut, nach ihrem perfekten Körper, nach der Leidenschaft, die er nur mit ihr erleben konnte – seit der ersten Nacht hatte er keine andere Frau mehr gewollt.

„Wie viele Liebesrunden beinhaltet der Gutschein eigentlich? Da stand nur: Sex auf dem Felsen!" fragte er aufgedreht.
„Wie viele schaffst du?" antwortete sie trocken.

Lachend rollten sie auf dem kleinen Plateau hin und her. Morgen würden sie ein paar blaue Flecke habe, vielleicht auch ein paar kleine Abschürfungen, aber das war es wert. Sich hier unter den Sternen in der warmen Nacht lieben zu können, war alles wert.
Als sie sich in einer Atempause in den Armen hielten, sahen sie Leons Stern blinken.
„Schlaf jetzt, Großer!" flüsterte Johannes. „Das ist ganz und gar nicht jugendfrei."

Im Morgengrauen gingen sie Hand in Hand zurück zu ihrem Haus. Mario war auf dem Sofa eingeschlafen. Sie weckten ihn nicht, legten sich noch ein wenig aufs Ohr. Viel Schlaf brauchten sie nie, und nach solch heißen Liebesrunden waren sie immer abgefüllt mit Adrenalin, dass es für den nächsten Tag reichte.

Außerdem waren sie hier so wunderbar frei, dass niemand auch nur das Geringste einwandte, wenn sie sich tagsüber einmal eine Ruhepause gönnten. Eine Aufsicht für die Kinder fanden sie immer.


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