Teil 55

Anna und Johannes saßen stundenlang auf dem Holzboden im Bad. Er weinte, sie streichelte seinen Kopf.
Sie sprachen nicht, das war nicht nötig.

Als er endgültig keine Tränen mehr hatte, schlief er vollkommen ausgelaugt ein. Sein Kopf lag in ihrem Schoß, die Wange presste sich an die Stelle, an der in ihr das Kind wuchs.
„Hallo, Baby!" flüsterte sie. „Wir freuen uns auf dich! Jetzt können wir uns auf dich freuen!"
Sie hätte ihrem geliebten Mann diesen Schmerz gerne erspart, wusste aber instinktiv, dass sie jetzt Leon endgültig loslassen konnten, dass sie dieses neue Kind ohne Angst erwarten konnten.

Zur gleichen Zeit verließ Mario die Kirche. Er war sicher, die Stimme von oben gehört zu haben, die ihm versprochen hatte, von nun an das Paar nicht mehr zu quälen.
„Das will ich dir dann mal glauben!" hatte der Priester geantwortet.

Ein paar Stunden später wachte Johannes auf, merkte, dass er sein Mädchen fast zerquetschte.
Seine tapfere Anna, die ihn hatte schlafen lassen, damit seine Seele heilen konnte.
Die schöne Frau, die er von Anfang an so sehr in seinem Leben gewollt hatte, und der er immer wieder so viel Leid zugefügt hatte.

Und die ihm immer wieder verziehen hatte.
Die stundenlang auf dem Fußboden gekauert hatte, um ihn nicht zu wecken.
Die sein Kind erwartete!
Und aus seinen Gedanken heraus sagte er: „Verdient habe ich dich nicht! Aber ich bin glücklich und dankbar, dass du noch immer in meinem Leben bist."

Er zog ihren Kopf zu sich, wollte sie küssen, doch sie sperrte sich. Ein eisiger Schrecken griff wieder nach seinem Herzen.
Doch sie lächelte ihn süß an, wie nur Anna lächeln konnte. „Zähneputzen würde nicht schaden!"

Er zog die Schultern hoch. „Sorry, Baby!" Schnell sprang er auf, spülte kräftig mit Mundwasser nach.
Dann endlich durfte er ihr einen Kuss schenken. Und in diesen Kuss legte er die ganze Zärtlichkeit, die er für sie empfand.
„Danke, Anna!" flüsterte er. „Danke für dich!"

Er schaffte es sogar, ein paar Bissen zum Frühstück hinunter zu würgen. Ihm war etwas schwindlig, aber der größte Schmerz war vergangen.
Er wollte auch nicht weiter mit Anna über alles sprechen, sie kannte die Tatsachen, sie mussten nicht alles wieder aufwärmen – außer natürlich, sie hatte das Bedürfnis dazu.
Aber sie sprach von sich aus das Thema nicht an.

Er zog sie auf seinen Schoß. „Dann bekommen wir also ein Baby?" flüsterte er leise, der Gedanke, den er nun endlich genießen konnte, nahm ihm die Stimme.
Sie strahlte ihn an. „Sieht so aus!"

„Möchtest du nach Hause, bis es zur Welt kommt?"
„Ich bin zu Hause, mehr als sonst wo auf der Welt!" antwortete sie vollkommen überzeugt.
„Aber wegen der medizinischen Versorgung? Hast du keine Angst?" fragte er weiter.
„Nein! Nicht mehr! Ich bin Mario dankbar, dass er uns die Wahrheit gesagt hat! Auch wenn es für dich schrecklich war!"

„Betonung liegt auf war, Süße! Im Moment hat es mir den Boden weggezogen. Aber deine Reaktion war so liebevoll, dass ich mir auch verzeihen kann." Er küsste sie wieder zärtlich. „Wir lassen alles hinter uns, ja? Leon werden wir nie vergessen, aber wir dürfen uns auf das Baby freuen. Er hätte bestimmt gerne ein Geschwisterchen."
Anna lächelte ihn verliebt an. Es war gut, dass er den wahnsinnigen Schmerz herausgekotzt und herausgeheult hatte.

Es war gut, dass er das zugelassen hatte.
Dass er nicht den starken Mann markiert hatte und dabei innerlich zerbrochen war.
Die Liebe zwischen ihnen war stark genug, auch diesen Schlag auszuhalten.
Der Teufel hatte wieder einmal nicht über sie gesiegt.
Vielleicht würde er jetzt endlich aufgeben?

„Ich muss Lukas anrufen, ich brauche mehr Details!" sagte er schließlich.
„Er wird sauer sein, weil Mona bei Mario geplappert hat!" gab sie zu bedenken.
„Nein, das glaube ich nicht! Er wird verstehen, wie sie uns im Grunde geholfen hat. Dass wir die Panik vor einer neuen Schwangerschaft überwinden konnten."

Sie musste ihm unumwunden Recht geben. Ja! Im Grunde hatte Mona sie gerettet, und das würde auch Lukas einsehen.
Während er mit seinem besten Freund skypte, kam Mario, um nach dem Rechten zu sehen. Er sah augenblicklich, wie sehr Anna strahlte, wusste, dass alles in Ordnung war.
Das war ja schnell gegangen! Er schickte einen Dank an seinen Chef da oben.

Johannes kam lächelnd zurück. „Mona möchte mit dir sprechen!" erklärte er seinem Mädchen. Sie hopste ins Schlafzimmer.
Johannes sah Mario etwas verunsichert an, bis der zu grinsen begann. „Na? Wieder klar im Kopf?" fragte der Geistliche.

„Ja! Sorry wegen gestern! Aber bei Anna denke ich nicht immer sehr logisch!" entschuldigte sich Johannes.
„Na ja! Zwischen nicht sehr logisch und uns eine Affäre andichten mit einer Schwangerschaft ist schon ein kleiner Unterschied." Mario wollte den Freund noch etwas aufziehen.

Der hob die Hände. „Es hat irgendwie alles gepasst! Sie war etwas seltsam in den letzten Tagen, dann sitzt sie auf deinem Schoß, du streichelst ihr Gesicht, und sie redet von Dingen, die ich nie erfahren darf." Er grinste schief. Heute wusste er natürlich auch, wie idiotisch seine Gedanken gewesen waren.

„Anna ist meine kleine Schwester. Und daran wirst du nichts ändern können, eifersüchtiger Strom-Mann."
Als Anna zurückkam, hielten sich die beiden lachend im Arm. Und dieses Lachen klang wunderbar in ihren Ohren.

„Mona hat von Kriminaldirektor Dr. Lukas Scholz eine offizielle Belobigung bekommen!" trällerte sie. „Wegen des Einsatzes der weiblichen Qualität, kein Geheimnis für sich behalten zu können."

Mario und Johannes lachten über den aufgedrehten Schmetterling, zu dem sie wieder geworden war. Sie war wieder ganz die Alte: Der Sonnenschein eines ganzen Dorfes in Afrika.

Sie verkündete die frohe Nachricht auf ihrer Homepage, berichtete aber nichts von den tragischen Umständen, die zu Leons Tod geführt hatten. Sie freute sich über die einstimmig liebevollen und aufmunternden Antworten ihrer Fans, die immer zahlreicher wurden.
Ihr Lektor hatte sie vor ein paar Wochen darüber informiert, dass ihre Bücher mittlerweile die siebte Auflage erreicht hatten und ins Italienische und Französische übersetzt worden waren.

„Zwei Nationen, die große Liebesgeschichten mögen!" hatte er lachend angemerkt. „Läuft dein Konto eigentlich schon über?" hatte Matthias nachgefragt.
„Keine Ahnung! Ich hab schon ein paar Jahre nicht mehr nachgeschaut!" antwortete sie wahrheitsgemäß.

„Wie viel Geld habe ich eigentlich auf dem Konto, von den Büchern meine ich?" fragte sie an diesem wieder glücklichen Tag ihren Mann.
„Siebenstellig!" antwortete der grinsend. Es gefiel ihm, dass sie sich so gar nicht für Kohle zu interessieren schien, seit sie hier waren.

„Was?" Sie brachte den Mund nicht mehr zu. Kurz dachte sie nach. „Dann baue ich einen Kindergarten und einen Treffpunkt für die Jugendlichen!" beschloss sie spontan.
„Klar!" sagte er vollkommen ungerührt.
Sie sahen sich an und bekamen gleichzeitig einen Lachkrampf.
„Oder ... oder ... oder soll ich mir lieber ein paar Luxusklamotten und High-Heels kaufen?" japste sie. „So wie es normale Frauen tun?"

Er warf sie in die Luft. „Du bist die normalste Frau der Welt, Süße!" jubelte er. „Denn du bist 100 Prozent Anna!"
„Und das ist gut?" fragte sie, legte den Kopf kokett schief.
„Nein! Gut ist das nicht!" widersprach er. „Das ist fantastisch, phänomenal, gigantisch!"
Von diesem Tag an genossen sie die Schwangerschaft in vollen Zügen.
Sie wurde immer runder, was Johannes oft zu Frotzeleien verleitete. „Bist du sicher, dass du ein Baby bekommst? Also, ein menschliches? Nicht einen kleinen Elefanten oder so was?"

Als der Geburtstermin näher rückte, wurde er doch etwas nervös. Reichten die Kompetenzen in der kleinen Klinik?
Hätte er sie nicht doch lieber nach Deutschland bringen sollen?
Wenn es Komplikationen gab?

Doch sie hatten im Dorf auch schon komplizierte Geburten gehabt, und immer war alles gut gegangen.
Sie verfügten über moderne medizinischen Geräte und einen nagelneuen Brutkasten. Der Arzt war auch in Neugeborenen-Medizin bewandert.

Mario verbrachte in den Tagen vor der Geburt viele Stunden in der Kirche, erinnerte den da oben an sein Versprechen, die Beiden nicht mehr zu prüfen.
Die kleine Amelie machte dann auch überhaupt keine Schwierigkeiten, als sie zur Welt kam.
Vom Platzen der Fruchtblase bis zur Geburt verging kaum eine Stunde. Das war auch gut so, denn mehr hätte Johannes nicht überlebt.

Anna tröstete ihn bei jeder Wehe lachend, drückte seine Hand, sprach ihm Mut zu. Dadurch wurde sie von den eigenen Schmerzen abgelenkt. Als das wunderschöne Mädchen auf ihrem Bauch lag, meinte sie verwundert: „Das war alles?"

Johannes bekam einen beinahe hysterischen Lachkrampf. Das war ja wieder einmal typisch Anna!
Er hatte gelitten wie ein Hund, ihm war die Zeit unendlich vorgekommen, und sie haute einen trockenen Spruch raus.

Dann hatten beide keine Zeit mehr, an die Geburt zu denken, denn sie mussten das kleine, perfekte Wunder anhimmeln.
„Schau mal, die kleinen Zehen!"
„Und die perfekten Händchen!"
„Die Lippen hat sie eindeutig von dir!"
„Und die Augen von dir!"
„Wie viele Haare sie schon hat!"
„Jetzt hat sie mich angelächelt!"
„Meinst du, ich kann sie mal nehmen? Sie ist so klein!"
„Wie gut sie riecht!"

Amelie ließ die ganze Bewunderung stoisch über sich ergehen, saugte glücklich an Mamas Brust, genoss die zarten Streicheleinheiten des Papas zufrieden.


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