Teil 53
Johannes gingen die Ideen nie aus. Endlich war sein kreativer Geist in allen Bereichen gefordert.
Immer wieder kam jemand aus der Familie oder dem Freundeskreis für ein paar Tage oder Wochen vorbei. Alle wurden eingespannt.
Anna war fassungslos über seinen Einfallsreichtum, seine Intelligenz, seine Einsatzfreude, sein Genie.
Und diesen Mann habe ich abblitzen lassen?
Wegen eines Prolos schlimmster Art?
Was, wenn er das Interesse an mir verloren hätte?
Wenn er gedacht hätte: Fahr zur Hölle, eingebildetes Weib?
Am Abend auf ihrem Felsen berichtete sie ihm von ihren Gedanken.
Er lächelte vor sich hin. „Also, wenn ich ehrlich bin, habe ich schon so ähnlich gedacht. Gleich nach dem Ball. Aber irgendwie habe ich diese Augen, diese Grübchen und diese Lippen nicht aus meinem Kopf gebracht."
Er drückte sie an sich, küsste die angesprochenen Merkmale ihres schönen Gesichtes. „Und Gerd hat mir auch versichert, dass du nicht im Mindesten eingebildet bist. Eher schüchtern, verunsichert. Darum habe ich ja noch mal angerufen, um den Eindruck, den du von mir hattest, gerade zu rücken. Aber da hatte sich schon der andere in deinem Kopf festgesetzt."
Sie sah ihn erstaunt an. Er hatte es echt mit den Worten drauf. Hatte die Tatsachen auf den Punkt gebracht.
„Jetzt grüble nicht mehr, Süße. Ich wollte dich haben, ich habe dich bekommen. Das ist das Einzige, das zählt." Und sie gehorchte sehr gerne, hörte auf zu denken, genoss seine Liebkosungen, seine Leidenschaft, seine Liebe.
Am Ende des zweiten Jahres stand die Schreinerei. Johannes hatte sich in Johannesburg eigene Quellen erschlossen, er war ein gern gesehener Kunde. Ihm war schon klar, dass er manchmal etwas abgezockt wurde, aber es war ihm egal. Die Händler, die er ausgesucht hatte, verdienten seine Unterstützung.
Er fuhr ab sofort zweigleisig. Die sechs Jugendlichen bildete er in Elektrik und zwei von ihnen in Elektronik aus.
Sechs neue Lehrlinge interessierten sich für das Schreinern. In der Schule hatten sie alle ziemlich gut Englisch gelernt, Johannes und Anna sprachen aber inzwischen auch perfekt Afrikaans.
Mittlerweile gab es genug Strom, er hatte eine Anlage zur Wasserstoffgewinnung installiert, dadurch war auch genügend Speicherkapazität vorhanden.
Auch an Wasser mangelte es nicht, die Männer hatten Zisternen angelegt, um die Gewitterregenmassen aufzufangen. Damit konnten auch kleine Felder bewässert werden. Dazu kamen noch jede Menge an freilebenden Kühen und Schweinen, manches Mal dachten sie, sie wären im Voralpenland. Das Dorf war kanalisiert, das Abwasser wurde geklärt und konnte in den Fluss abgeleitet werden.
Anna versuchte die Frauen zu einer Art von Empfängnisverhütung zu überreden, war durch die kostenlose Verteilung von Kondomen relativ erfolgreich. Manche der Männer lehnten die Gummis kategorisch ab, manche waren aber dankbar, dass ihr Frauen nicht ständig schwanger waren und dadurch frühzeitig alterten oder krank wurden.
Sie hoffte, dass die heranwachsende Generation noch aufgeschlossener sein würde.
Sie hielt Aufklärungsunterricht in der Klasse der Älteren, erklärte die Notwendigkeit des Gebrauches von Kondomen, auch wegen Aids. Alle Bewohner des Dorfes waren getestet worden und zu ihrer großen Erleichterung negativ.
Sie errichteten ein Gästehaus mit kleinen Bungalows darum herum.
Zuerst war das für ihre Freunde und Verwandten gedacht, bis dahin mussten die immer entweder bei Mario oder bei einer der anderen Familien schlafen.
Dann nahmen sie auch Praktikanten auf, die ein paar Wochen, Monate oder ein Jahr bei ihnen mithalfen.
Sie dachten auch daran, die Lodges an Urlauber zu vermieten, kamen aber wieder davon ab.
Immer wieder wollten Verwandte der Dorfbewohner zuziehen.
Sie wurden stets auf Herz und Nieren überprüft, mussten die Charta des Dorfes ohne Diskussionen annehmen.
An erster Stelle standen die Punkte:
Keine Gewalt – nicht gegen Frauen, nicht gegen Kinder.
Keine Drogen – bei Zuwiderhandlung erfolgte der sofortige Ausschluss aus der Gemeinschaft.
Kein Verstoß gegen die Gesetze des Staates
Das gemeinsame Leben von Anna und Johannes war mehr als ausgefüllt, mehr als glücklich.
„Mein größter Traum war eine eigene Schule!" sagte sie eines Abends zu ihrem wunderbaren Mann. „Und was habe ich bekommen? Ein ganzes Dorf."
Sie wunderte sich, dass sie das Leben in Deutschland gar nicht vermisste. Sie hatte die Losgelöstheit, die neugewonnenen Lebenslust dort so genossen. Aber sie war eine andere geworden, hatte ihr Glück hier gefunden, genauso wie Johannes.
Als auf ihrer Homepage eine Leserin nach einem Spendenkonto fragte, richtete sie eines bei einer Johannesburger Bank ein und stellte die Daten ins Netz.
Beide wurden vollkommen überrascht, wie viel Geld in kürzester Zeit floss. Neue Häuser konnten gebaut werden, etwas größer als die ersten. Das Krankenhaus erhielt einen Anbau, eine Hebamme, ein Arzt und zwei Krankenschwestern wurden festangestellt.
Eines Tages stand ein Aufnahmeteam vom Bayerischen Rundfunk vor ihrer Türe. Für die Reihe „Lebenslinien" sollte ein Beitrag über ihr Leben und Schaffen gedreht werden. Anfangs war Anna gar nicht begeistert, sie ließ sich aber überreden. Hauptproblem war, dass dadurch ihr Inkognito gelüftet wurde.
Doch da es Johannes nicht das Geringste auszumachen schien, wollte sie auch über ihren Schatten springen. Aus Anna Berg wurde Anna Vanmeeren, geborene Falkenberg.
Nach der Ausstrahlung des Berichtes flossen die Spendengelder noch reichlicher. Sie konnten die begabtesten Schülerinnen und Schüler mit einem Stipendium in ein Internat schicken, einen Marktstand in Johannesburg einrichten, an dem die Frauen ihre kunsthandwerklichen Gegenstände verkaufen und so etwas unabhängiger werden konnten.
Sie bauten ein Kühlhaus und eine Metzgerei. Ein Interessent aus Deutschland traf ein, der das Handwerk gelernt hatte.
Alexander war ein Mann in den Dreißigern, der seine Frau und seine Tochter durch einen Verkehrsunfall verloren hatte. Er hatte mit Angelika, seiner großen Liebe, immer die Einträge auf Annas Homepage verfolgt.
Oft hatten die beiden darüber gesprochen, dass es gut wäre, auch Spuren im Leben zu hinterlassen. In guten Monaten hatten sie immer wieder größere Summen für das Dorf in Afrika, dem sie sich so seltsam verbunden fühlten, gespendet.
Nach ihrem und Lauras Tod hatte er lange in einem Dämmerzustand gelebt. Doch dann hatte er das Gefühl, seine Frau schickte ihm in seinen Träumen Botschaften. Kurzerhand nahm er schließlich mit Anna Kontakt auf, die ihn zu einem Aufenthalt einlud.
Er verkaufte nach vier Wochen seine drei Metzgereien in Deutschland und zog nach Afrika.
Wurst und Fleisch lieferten sie bald an die Nobelrestaurants der Stadt.
Ein Möbelhaus nahm mit Handkuss die Möbel ab, die in der Schreinerei entstanden.
Das Dorf kam zu Wohlstand, die jungen Leute hatten eine Perspektive fürs Leben.
Mario dankte jeden Tag dem Herrgott, dass er ihm die beiden engagierten Deutschen geschickt hatte.
Doch wieder einmal schlug das Schicksal auf dem höchsten Punkt des Glückes zu. Seit ihrer ersten Schwangerschaft behielt Anna ihren Zyklus akribisch im Auge.
Als ihre Periode ausblieb, wurde sie von Tag zu Tag nervöser.
Mario besorgte ihr einen Schwangerschaftstest, etwas ungewöhnlich für einen Priester, aber er war ihr innigster Vertrauter.
Johannes wunderte sich über sein Mädchen. Sie schien etwas neben sich zu stehen. Sollten sie vielleicht mal nach Deutschland fliegen?
Hatte sie Sehnsucht nach Zuhause?
Immer wieder fragte er sie, aber sie wich ihm offensichtlich aus.
Eines Morgens nahm sie ihren ganzen Mut zusammen. Ihr war schlecht vor Angst, aber es musste sein.
Kurz dachte sie an das Glücksgefühl, das sie beim letzten Mal empfunden hatte, als sie einen solchen Test gemacht hatte.
Aber sofort kam die abgrundtiefe Verzweiflung zurück, die sie sechs Monate später erleben musste.
Nach fünf endlosen Minuten war es sicher: Sie erwartete wieder ein Kind!
Sie brach zusammen.
Nein!
Nein!
Wie hatte das passieren können?
Sie konnte das nicht ertragen!
Nicht noch einmal!
Warum hatte Johannes nicht aufgepasst?
Wieder richtete sich – trotz aller guten Vorsätze – ihre ganze Wut gegen ihn.
Sie heulte auf wie ein gefangenes Tier. Sie schrie sich ihre Verzweiflung aus dem Herzen, versuchte es wenigstens.
Nie würde sie das noch einmal überstehen können! Sechs Monate lang ein Kind in sich zu spüren und dann dieser Schock, wenn die Bewegungen ausblieben.
Sie warf die Stühle durchs Zimmer, das Geschirr, das noch auf dem Tisch stand, folgte.
„Verdammter Bastard!" schrie sie unaufhörlich.
Emma, ihre Nachbarin, sah durchs Fenster, sah sie wüten. Schnell lief sie zu Johannes, der gerade irgendetwas verkabelte. „Schau nach deinem Mädchen, Strom-Mann!" rief sie schon von weitem.
Sein Herz blieb stehen. Anna! Heute war Samstag, also keine Schule. Er hatte sie schlafen lassen am Morgen, sie schien so müde und fertig zu sein zur Zeit. Sie hatte auch keine Lust auf Zärtlichkeiten oder gar Liebe seit ein paar Tagen.
Aber sie rückte nicht mit der Sprache raus, was sie bedrückte, was ganz und gar unüblich für sie war, weil sie normalerweise ihr Herz auf der Zunge trug.
Er war besonders rücksichtsvoll mit ihr gewesen, was sie aber noch mehr zu nerven schien.
Er raste zum Häuschen, hörte sie schon von Weitem toben und brüllen.
„Verdammter Bastard!?" Mein Gott! Auf wen war sie denn so wütend? Doch nicht etwa auf ihn?
Endlich hatte er sie erreicht, wollte sie in die Arme nehmen, sie beruhigen.
Doch wieder einmal schlug sie nach ihm, schob ihn weg, brüllte ihn an: „Hau ab! Nimm deine Finger von mir! Lass mich in Ruhe! Ich hasse dich!"
Er verstand die Welt nicht mehr.
Doch dann sah er den Test auf dem Tisch, das Plus-Zeichen strahlte ihm entgegen.
Schwanger! Sie war wieder schwanger!
Für einen Moment erstarrte er. Wie hatte das passieren können?
Er hatte doch so aufgepasst!
Doch urplötzlich überwältigte ihn die Freude. Ein Kind!
Sie würden ein Kind bekommen!
Und sie würden nicht das gleiche Leid aushalten müssen wie bei Leon.
Dieses Kind würde zur Welt kommen.
Wieder fasste er nach ihrer Hand.
Anna war wie von Sinnen. „Hast du nicht gehört? Fass mich nicht an! Nie wieder!" Ihre Stimme überschlug sich vor Zorn. „Glaub ja nicht, dass ich das noch einmal durchmache. Ich werde dieses etwas in mir abtreiben! Lieber jetzt, als es später sowieso wieder zu verlieren!"
Er fasste nicht, was sie da von sich gab.
„Anna! Bitte! Sag nicht so schlimme Sachen!" flehte er.
„Das sind Tatsachen! Ich wollte dieses Kind nicht! Du hast wieder irgendetwas gemacht, damit ich schwanger werde! Du hast mich reingelegt! Weil Männer sich fortpflanzen wollen! Egal, um welchen Preis!" Sie spuckte Gift und Galle, ihr schönes Gesicht war zu einer schrecklichen Fratze verzerrt.
Jetzt wurde er auch laut. Sie hatte ihn schon einmal für ein Unglück verantwortlich gemacht. Hatte versprochen, ihn nicht mehr so zu behandeln.
Und jetzt? Was tat sie als erstes? Ging wieder auf ihn los!
„Red' nicht solchen Unsinn! Du weißt ja nicht mehr, was du sagst!" schrie er zurück.
„O doch! Das weiß ich ganz genau!" konterte sie. „Und ich weiß auch ganz genau, was ich tun werde! Und jetzt verschwinde aus meinem Leben!"
Da reichte es Johannes. Mehr konnte er im Augenblick nicht ertragen.
Er musste abwarten, bis sie sich etwas beruhigt hatte. Er ging mit großen Schritten aus dem Zimmer, aus dem Haus, zu ihrem Felsen. Wenn sie ihn finden wollte, würde sie wissen, wo.
Doch er wartete umsonst. Er hatte Hunger und Durst, war bleimüde vor Sorge und Angst.
Was, wenn sie wirklich ihr Kind umbringen ließ?
Vor lauter Angst, es könnte in ein paar Monaten wieder sterben?
Dann wär's das mit ihnen!
Das könnte er nicht einmal Anna verzeihen!
Die Tränen begannen zu fließen.
Duncan, einer seiner Schreiner-Lehrlinge, fand ihn zufällig, brachte ihm Wasser und einen Hirsebrei, rannte dann zu Pater Mario, erzählte, dass der Strom-Mann weinend auf dem Felsen vor dem Dorf saß.
Mario sah zuerst voller Panik nach Anna, die immer noch das Inventar zerlegte. Aus ihren wirren Worten hörte er den Grund heraus. Sie war tatsächlich schwanger, wie sie es vermutet hatte. Aber, als sie ihn darum gebeten hatte, den Test zu besorgen, hatte sie doch so gelassen gewirkt!
Warum drehte sie jetzt so am Rad?
Wollte Johannes das Kind nicht?
Wegen Leon?
Er nahm sie in seine starken Arme, ließ zu, dass sie ihn schlug, kratzte und biss, lockerte seinen Griff nicht.
Langsam versiegte ihre Kraft, und sie weinte nur noch.
„Will Johannes das Kind nicht?" fragte er vorsichtig.
„Pf! Er hat es ja gemacht! Dann muss er es schon wollen! Aber ich nicht! Etwas stimmt doch bei mir nicht! Es wird wieder sterben!" Ihre Stimme war heiser vor lauter Brüllen.
Marios Herz begann zu rasen. Mona hatte sich mal bei einem Telefonat verplappert, hatte von Brittas Anschlag erzählt.
Nein! Eigentlich hatte sie sich nicht verplappert, eigentlich hatte sie nur jemanden gebraucht, dem sie das Geheimnis anvertrauen konnte, weil sie selbst so unter diesem Wissen litt.
„Aber Johannes darf es nie erfahren!" hatte sie ihn angefleht, und Mario hatte auch verstanden, warum.
Da kannte er schon alle Geheimnisse des jungen Paares, auch das von dieser Britta, die Johannes mit Drogen versorgt hatte, der dafür mit seinem Körper hatte zahlen müssen.
Der junge Priester rang mit sich. Wenn er schwieg, würde Anna dieses Kind der größten Liebe töten.
Wenn er redete, bestand die Gefahr, dass Johannes etwas davon erfuhr.
Oder, dass Anna noch wütender auf ihren Mann wurde.
Er steckte in der Falle, aber so was von.
Er versuchte, mit Anna vernünftig zur reden. „Wer sagt denn, dass etwas bei dir nicht stimmt? Die Ärzte haben doch gesagt, dass es keinen ersichtlichen Grund gab, warum Leons Herzchen aufgehört hat zu schlagen."
„Ärzte!" fauchte sie. „Mein Frauenarzt hat auch gesagt, alles sei in Ordnung, und zwei Tage später war mein Baby tot!"
„Aber, Anna! Du kannst doch nicht ein Kind abtreiben, weil es vielleicht ein paar Monate später sterben kann!" Er versuchte es noch einmal.
„Doch! Das muss ich! Denn jetzt sind es nur ein paar geteilte Zellen! Jetzt kann ich es besser ertragen!" flüsterte sie. „Es muss sein! Sonst drehe ich in den nächsten Monaten komplett durch."
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