Teil 51
Johannes hatte es Anna natürlich erzählt. Sie würden neu anfangen, aber es sollte kein Geheimnis zwischen ihnen stehen, keine Lüge.
Sie tauschten erste, vorsichtige Zärtlichkeiten aus, merkten, wie die Leidenschaft in ihnen hochstieg. Doch er hielt ihre Hände fest.
Er musste alles gestehen, bevor sie miteinander schliefen. Danach wäre es nicht mehr möglich.
Er zog sie auf den Stuhl neben sich. „Ich muss dir etwas erzählen. Erzählen und gestehen!"
Er atmete noch einmal tief durch.
„Also! Ich war in einem tiefen, schwarzen Loch. Ich hatte mein Kind verloren, und meine Frau gab mir die Schuld, schickte mich jedes Mal weg, wenn ich mit ihr reden wollte. Ich war so ziemlich am Boden, weiter, glaubte ich damals, würde es nicht nach unten gehen. Da schob mir Britta eine Tages eine kleine Pille zu. Ich wollte sie wegwerfen, fand sie aber am Abend in meiner Hosentasche. Eine würde ja nicht schaden! dachte ich und schluckte sie. Und ich konnte für eine Zeit lang mein Elend vergessen, ein paar Stunden so etwas wie glücklich sein. Ich war eben high! Ein paar Tage lang gab sie mir täglich eine, bald aber wollte ich mehr. Dafür musste ich allerdings bezahlen. Leider gab sie sich nicht mit Geld zufrieden."
Anna zog zischend die Luft ein, wusste nicht, ob sie noch mehr hören wollte. „Sie wollte dich!" stellte sie leise fest. „Natürlich wollte sie dich! Sie hat dich immer gewollt!" Sie stand auf, lief im Zimmer hin und her.
„Ja! Sie wollte mich! Und sie hat mich bekommen. Meinen Körper hat sie bekommen, aber niemals auch nur den Hauch von Gefühl. Diese Pillen ließen mich halt auch wieder als Mann fühlen!" gestand er offen ein.
„Sie haben dich geil gemacht!" verbesserte sie ihn, und ihre Stimme klang etwas bitter.
„Ja!" Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als wollte er die Erinnerung an den fetten, schrecklichen, falschen Körper der anderen Frau wegwischen.
„Aber ich habe nichts gegeben, nur genommen. Und dafür habe ich dann eine höhere Dosis bekommen, und noch eine höhere Dosis, und noch eine höhere Dosis. Dann habe ich vollkommen zugedröhnt Lukas besucht. Der hat natürlich gleich gemerkt, was mit mir los war und mit mir einen kalten Entzug durchgedrückt. Ich bin durch die Hölle gegangen, und die beiden mit mir. Aber wir haben es zusammen geschafft, ich bin clean. Aber nur eine einzige Tablette, und alles fängt von vorne an, hat Lukas gesagt – und das glaube ich."
Anna hörte seine Worte, und konnte sie doch kaum verstehen. Johannes, der immer so sehr gegen Drogen gewettert hatte, hatte sich von diesem Weib in eine massive Sucht ziehen lassen?
„Und sie?" schaffte sie es schließlich zu fragen.
„Ist durch die Prüfung gerauscht und hat Uni und Stadt verlassen." Er sah sie lange an, wartete auf ein Wort der Vergebung, des Verstehens.
In Annas Kopf rauschte es.
Er hat mit ihr geschlafen!
Oft!
Es war kein einmaliger Ausrutscher!
Er hatte regelmäßig mit einer anderen geschlafen!
Doch da war auch eine Stimme in ihr, die ihn verteidigte.
Du hast ihn weggeschickt!
Du hast ihn verletzt, beleidigt!
Jedes Mal wieder!
Sein Kind war gestorben, und du hast ihn alleine gelassen mit seinem Schmerz.
Er war immer wieder vor deiner Türe gestanden, und du hast ihn immer wieder aus deinem Leben ausgesperrt.
Du hast ihn verraten, nicht er dich!
Bis er keinen Ausweg mehr gefunden hatte!
Bis ihm nur noch eine Droge ein paar Stunden Erleichterung verschaffen konnte.
Er hatte sich prostituieren müssen, weil seine Frau ihn verraten hatte.
Weil sie ihn verraten hatte.
Und trotzdem war er zu ihr gekommen.
Bis nach Afrika!
Und sie sagte, was er nie im Leben erwartete hatte. Sie sagte nicht: „Ich verzeihe dir!"
Sie sagte: „Verzeih mir!"
Und da wusste er, dass sie neu beginnen konnten. Dass ihre Liebe auch diesen Schicksalsschlag überlebt hatte.
Dass ihre Liebe alles überleben würde.
„Verzeihen wir uns gegenseitig?" schlug er heiser von all den unterdrückten Tränen vor, und sie war einverstanden. Denn er war der großzügigste Mann der Welt. Er konnte vergessen, was sie ihm angetan hatte, wie er verstand, dass sie zu dieser Zeit nicht sie selbst gewesen war.
Genau so wenig, wie er er selbst gewesen war, als er im Drogenrausch irgendeine Frau gefickt hatte.
„Ein guter Deal!" erklärte sie, und es waren für einige Zeit die letzten Worte, die sie sagte. Ab da war nur noch leises Stöhnen und wohliges Seufzen zu hören. Ihre direkten Nachbarn zogen ein Haus weiter und begannen zusammen mit den anderen zu singen.
Von Pater Mario wussten sie, dass ein Liebespaar sich wieder gefunden hatte, ein ganz besonderes Liebespaar. Und das sollte doch ungestört bleiben.
Johannes hörte die ungewohnten Gesänge während einer kurzen Pause. Er war noch etwas außer Übung. Zum Glück hatte er aber daran gedacht, Kondome einzupacken. Da hatte die Hoffnung wohl über die Unsicherheit gesiegt.
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