Teil 50

Lukas

Schweren Herzens machte sich Lukas auf den Weg. Schon wieder eine Drogentode, schon wieder ein junges Leben sinnlos ausgelöscht.
Dieses Mal schien es sich um Selbstmord zu handeln, aber das war es ja eigentlich immer. Von dem Moment an, wenn sie die erste Pille einwarfen, den ersten Schuss setzten, die erste Line durch die Nase zogen.

Bei den einen ging es schneller, bei den anderen dauerte es länger.
Eigentlich hätte der Fall ja nichts mit der Sonderkommission Mord zu tun, die er leitete, aber der Name der jungen Frau hatte ihn hellhörig werden lassen: Britta Eglund.
Britta hatte die junge Frau geheißen, die Johannes in diesen Mist hineingezogen hatte.
Gut, es gab wahrscheinlich mehrere Brittas in der Stadt, aber so häufig war der Name auch nicht.

Aber hatte die junge Frau nicht die Stadt verlassen? So war es ihm zugetragen worden. War das Biest womöglich wieder zurückgekommen?
Er wollte mal am Leichenfundort vorbeischauen.
Er fand eine heruntergekommene Wohnung vor, eine typische Junkie-Wohnung.
Die Spurensicherung hatte die Arbeit schon abgeschlossen. „Eindeutig Selbstmord!" erklärte Sabine. „Jede Menge Abschiedsbriefe: an die Eltern, die Geschwister, an Johannes, an Peter, an Klaus."

Lukas wurde hellhörig. „An Johannes?"
Sabine verdrehte die Augen. „Ja! An Johannes, die Liebe meines Lebens!" zitierte sie.
„Kann ich den mal sehen?" fragte er, obwohl er wusste, dass das gegen alle Regeln war. Der Brief musste erst im Labor untersucht werden.

Aber bei Selbstmord mussten sie es ja nicht so genau nehmen.
Sabine und er waren seit Jahren Freunde, eine Zeit lang auch Freunde mit besonderen Vorzügen, wie sie es immer genannt hatte.
„Herr Hauptkommissar! Sie wissen genau, dass das nicht möglich ist!" empörte sie sich, ließ aber wie unbeabsichtigt eines der Kuverts fallen.

Er öffneten den Umschlag, zog mit behandschuhten Fingern ein Blatt heraus.
„Liebster Johannes,
ich habe dich so sehr geliebt. Wenn du wissen willst, wie sehr, und was ich für dich getan habe, lies mein Tagebuch. Es liegt in der Schublade meines Nachttisches. Aber es ist nur für dich bestimmt! In ewiger Liebe
Britta"

Ohne nachzudenken suchte er das Buch und begann zu lesen.
Wirre Gedanken von einer kindischen Schwärmerei, manchmal der reine Wahnsinn, durch den Drogenrausch ausgelöst. Doch dann wurde er hellhörig.

„Dann wurde die Schlampe auch noch schwanger! Wahrscheinlich hat sie dich reingelegt, dich in die Babyfalle tappen lassen. Ich habe gebetet, dass sie das Kind verliert, ich habe dem Teufel meine Seele versprochen. Dann musste ich handeln, um dich vor ihr zu bewahren. Weißt du noch? Der Mittag in der Pizzeria? Ich war ganz super geschickt! Sie hat nicht gemerkt, dass ich ihr K-O.-Tropfen in ihr Wasserglas geschüttet habe! Dann war endlich dieses Kind weg. Ich musste nur noch ein bisschen warten - und du hast mir gehört! Hast mir aus der Hand gefressen, warst jeden einzelnen Abend in mir! Doch dann war alles vorbei! Ich bin aus der Stadt weg, aber ich konnte es nicht aushalten, so weit weg von dir zu sein. Dann habe ich gehört, dass du nach Afrika gegangen bist - und nun hat das Leben keinen Sinn mehr für mich!"

Die Schrift wurde immer unleserlicher, was wohl auch den Drogen geschuldet war.

Lukas strömten Tränen über das Gesicht - und er weinte nicht leicht. Diese Teufelin hatte den kleinen Leon kaltblütig ermordet! Sie hatte dieses grenzenlose Leid über seine Freunde gebracht. Es war nicht Schicksal gewesen, es war ein unvorstellbarer, grausamer Mord an einem ungeborenen Kind!

Er hatte schon viel erlebt in seinem Job, hatte gelernt, nichts zu nahe an sich heranzulassen. Aber hier war er sehr persönlich involviert.

Er war froh, dass die Frau schon tot war, denn sonst wäre er unweigerlich zum Mörder geworden. Ohne nachzudenken, schob er das Buch ein. Niemand durfte diese Worte lesen, nie durfte Johannes das erfahren. Er würde behaupten, es wäre kein Buch dagewesen. Dann stand das Wort einer Drogensüchtigen gegen seines. Das konnte er riskieren. Er brachte Sabine den Brief ins Labor. „Den hast du fallen lassen!" sagte er.

„Oh! Ich danke dir! Und du hast ihn mir sogar schon aufgemacht. Immer noch der vollendete Kavalier." Sie lächelte ihn an, las die paar wirren Zeilen. „Ein Buch hast du natürlich nicht gefunden? Und dieser Johannes ist auch nicht dein bester Kumpel Jo Vanmeeren?"
„Nein! Wie kommst du denn da drauf?" Er schüttelte verwundert den Kopf.
„Gut!" sagte sie nur.

Er nahm sich den Rest des Tages frei. Er musste Mona sehen, mit ihr sprechen, sich von ihr trösten lassen.

Seine Frau war freudig überrascht, dass er schon nach Hause kam. Doch ein Blick auf sein gequältes Gesicht erschreckte sie.
Sie küsste ihn zärtlich, strich über sein Gesicht, und schon ging es ihm etwas besser.
„Was ist passiert?" fragte sie schließlich.

Er ließ sich aufstöhnend auf einen Stuhl fallen, zog sie auf seinen Schoß. „Diese Britta ist tot. Überdosis, suizidal. Sie hat einen Brief für Johannes hinterlassen mit einem Hinweis auf ein Tagebuch. Und darin hat sie neben ziemlich wirrem Gefasel über ihre Liebe zu ihm gestanden, dass sie Anna K.O.-Tropfen ins Glas geschüttet hat und damit Leon umgebracht hat. Und keiner ist damals auf die Idee gekommen, Annas Blut zu untersuchen. Ich auch nicht! Das macht mich ziemlich verrückt, weißt du? Wenn die beiden gewusst hätten, dass es kein Schicksalsschlag war, sondern ein Anschlag, wäre es vielleicht nicht zu solchen Kämpfen zwischen ihnen gekommen."

Mona dachte kurz nach. „Da bin ich mir gar nicht sicher. Britta war Johannes' Studentin, die verknallt in ihn war. Vielleicht hätte Anna ihm noch mehr Schuld gegeben, weil er sie und Leon nicht schützen konnte vor der anderen."

Lukas sah seine kluge Frau stolz an. Ja! Sie hatte wahrscheinlich recht! Er gab ihr das Büchlein, sie hatte es schnell durchgelesen.
„Die war ganz schön durchgeknallt. Da dürfen wir wohl noch dankbar sein, dass Anna überlebt hat."

Lange hielten sie sich im Arm, trösteten sich.
„Johannes darf nie erfahren, dass er mit der Mörderin seines Sohnes geschlafen hat!" stellte Mona schließlich bestimmt fest. „Das würde er nicht überleben."

„Nein, auf keinen Fall! Das könnte auch Anna nie verzeihen!" war Lukas sicher. „Zurecht, wenn du mich fragst."
„Ob er ihr von dieser Phase überhaupt erzählt hat?" überlegte sie. „Also, ich meine, alles?"
Lukas zuckte mit den Schultern. „Ich glaube eher schon!"

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top