Teil 35

Am Montag begann dann der Alltag. Ulla freute sich, dass Anna wieder besser aussah.
„Was war denn los?" fragte sie, noch immer etwas besorgt.
„Nur ein Missverständnis!" antwortete Anna.

Sie wohnten an den Werktagen bei ihr, die langen Wochenenden verbrachten sie meistens bei ihm. Außer, es war irgend ein Fest, eine Feier, ein Konzert in der Stadt. Denn noch immer bekam Anna nicht genug davon, ihre Jugend nachzuholen. Und noch immer machte Johannes nichts mehr glücklich, als ihr das zu ermöglichen.

Ihre Bücher verkauften sich überraschend gut. Der Verlag klopfte immer wieder einmal an wegen einer Lesereise. Aber sie wollte ihr Inkognito nicht lüften, auf keinen Fall!
Johannes hätte nichts dagegen gehabt, also nicht ernsthaft. Aber es war auch okay, wenn sie sich dagegen entschied.

Im August hatte er vier Wochen Urlaub, bevor die nächsten Prüfungen anstanden. Er grübelte lange, ob er seine Süße überraschen oder die Urlaubspläne mit ihr gemeinsam besprechen sollte. Sein langjähriger Traum war es, mit einem Wohnmobil durch Italien zu gondeln. Aber darüber hatten sie noch nie gesprochen.

Und wieder einmal überraschte ihn sein Mädchen vollkommen und total.
Mitte Juli saßen sie in ihrer Eisdiele, sie brauchten Kalorien, die sie bei einem heißen Liebesmarathon verbraucht hatten.

„Duhu! Johannes?" begann sie und spielte mit einer Strähne seiner Haare. Das war sehr erregend, das war jedes Mal fucking geil und ein Grund dafür, dass er seine Haare jetzt länger trug als früher.
„Jaha! Süße?" antwortete er lächelnd.
„Du hast doch bald Urlaub!"

„Echt? Das hatte ich ganz vergessen!"
„Vanmeeren! Bleib ernst!" befahl sie.
Er setzte ein sehr ernstes Gesicht auf. „Sprich, Lady!"

Sie atmete tief durch. „Also! Ich würde gerne einmal, also nicht unbedingt, wenn du das blöd findest, aber ich fände es schön, einfach einmal mit einem Wohnmobil durch Italien zu fahren. Ich war da noch nie, und ich war auch noch nie auf Campingplätzen oder in einem Wohnmobil, aber ich würde das wirklich so gerne mal ausprobieren!"
Hatte er jetzt geträumt, oder hatte sie das wirklich gesagt? Sein Mund stand offen, er konnte kaum einen vernünftigen Gedanken fassen.

„Du findest das nicht gut?" fragte sie leise.
„Ich finde das oberaffengeil!" stieß er hervor, und sie musste lachen, weil er sich sonst immer sehr gewählt ausdrückte, der Herr Dipl. Ing. Johannes Vanmeeren.
„Echt jetzt?" Sie wusste nicht so recht, ob er sie aufzog oder das behauptete, um ihr eine Freude zu machen.

Er holte sein Handy aus der Hosentasche, zeigte ihr die letzten Suchanfragen: Wohnmobile, Preise für Kauf oder Vermietung, Campingplätze in Italien.
„Nein, oder?" stieß sie hervor.

„Doch, Süße! Das wäre mein Traum! War es schon immer!" versicherte er, und sie glaubte ihm jedes Wort. Warum auch sollte er sie anschwindeln?
Sie juchzte so laut auf, dass die Leute um sie herum sie lachend ansahen. „Wir fahren mit einem Caravan in Urlaub!" gab sie eine Erklärung für alle ab. Ihre Fangemeinde klatschte Beifall.
„Sie finden das auch supertoll!" verkündete sie glückstrahlend.
„Da bin ich aber froh!" meinte er trocken und bekam einen dicken Kuss dafür.

Am nächsten Tag fuhren sie zu einem Anbieter. „Kaufen oder mieten?" fragte Johannes.
„Mieten reicht erst mal!" bestimmte sie. „Sonst steht die Riesenkiste das halbe Jahr unnütz rum!"
„Aber es wäre unser kleines Zuhause!" gab er zu bedenken. „Wir könnten dann an den langen Wochenenden auch mal abhauen."
„Es ist gar nicht sicher, ob ich nächstes Jahr auch den Montag wieder frei habe!" wandte sie ein.
„Dann gehst du eben Teilzeit! 20 Stunden reichen in deinem Job vollkommen." Noch immer tat es ihr gut, wie er ihren Beruf schätzte.
„Klar! Ich arbeite 20 Stunden und du 40!" Sie schüttelte den Kopf.

„Das kannst du doch nicht vergleichen, Süße! Außerdem arbeite ich 35 Stunden!" erklärte er.
„Aber ich habe die ganzen Ferien und du nicht!" Sie gab sich noch nicht geschlagen.
Er musste allerdings aufgeben. Da hatte sie recht. Er überlegte nur kurz, ob er ihr von dem Angebot erzählen sollte, das er vor einer Woche bekommen hatte. Er hatte es gleich zur Seite gelegt, weil er sich superwohl in seinem Job fühlte.

Andererseits wäre es eine Möglichkeit, etwas ganz Neues anzufangen. Und auch mehr Zeit für die Beziehung zu haben.
Er parkte am Straßenrand. „Ich muss etwas mit dir besprechen!"
„Hier?" fragte sie verwundert.

„Ja! Ich hätte es schon eher ansprechen müssen, aber ich war mir nicht sicher, was ich will!" erklärte er. „Also: Das Kultusministerium hat mich angeschrieben, ob ich als ordentlicher Dozent im Fachbereich Elektrotechnik anfangen möchte. Meine Diplomarbeit hat sie aufmerksam werden lassen, und sie suchen einen Mann mit genau diesem Schwerpunkt. Das Gehalt ist zwar ein Witz gegenüber dem, was ich bei Eckert verdiene, aber ich hätte dann halt mehr Zeit für uns, und das ist ja normalerweise nicht mit Geld zu bezahlen. Außerdem habe ich genügend auf der hohen Kante, und ich bin ja auch an Thomas' Betrieb finanziell beteiligt."

Annas Augen wurden bei jedem seiner Sätze größer. Wow! Johannes Superstar!
„Und der Job würde dir Spaß machen?" fragte sie nach.
„Das ist das Problem! Ich habe gerne mit den angehenden Meistern gearbeitet. Das wären dann eben Studenten. Und ich weiß nicht, wie ich mit denen klar komme." Er sah sie ernst an.

Anna lächelte. „Du kommst mit jedem Menschen klar! Du bist Mensch gewordene Empathie!"
Und da wusste er, dass seine Entscheidung eigentlich schon gefallen gewesen war. Sie hatte ihn nur noch bestärkt. Ja! Er würde die Herausforderung annehmen! Auch, weil sie an ihn glaubte!
Plötzlich begann sie zu lachen. „Es ist schon sehr seltsam, dass wir ein so elementares Thema hier am Straßenrand besprechen!"
„Passt doch zu uns, oder?" antwortete er lächelnd. „Alles außer normal!"

Der Inhaber des Caravan-Betriebes hatte seine helle Freude an dem glücklichen, verliebten Paar, das am Nachmittag auf sein Freigelände stürmte. Er gab ihnen die Schlüssel von allen Modellen, denen, die zu kaufen und denen, die zu mieten waren, ließ sie alleine auf Entdeckungsreise gehen.

Lachend besichtigten sie Wohnmobil nach Wohnmobil. Die Mietcaravans hatten sie sehr schnell abgeschrieben. Sie rochen schlecht, die Matratzen waren teilweise sehr abgenutzt, die Grundrisse entsprachen nicht ihren Vorstellungen.

„Also kaufen?" fragte er hoffnungsvoll.
Sie zuckte mit den Schultern. „Wenn du bezahlst? Ich habe die Kohle nicht!"

Wir haben sie durchaus!" antwortete er.
Ein heißer Kuss von ihr zeigte ihm, dass sie verstanden hatte.
Sie tanzten von Wohnmobil zu Wohnmobil, versuchten sich das Leben darin vorzustellen, diskutierten über Vor- und Nachteile der Modelle.

„Aber bei einem Alkofenbett wackelt sicher das ganze Ding!"
„Der Kühlschrank ist zu klein!"
„Die Küche in der Mitte ist unpraktisch!"
„80 PS sind zu wenig!"

„Die Garage für die Fahrräder ist super!"
„Die Matratze ist genial!"
„Ein Vierplattenherd macht echt Sinn!"
„Die zusätzliche Außenküche ist perfekt!"

Nach zwei Stunden hatten sie sich für ihren Traum-Caravan entschieden, waren vollkommen einer Meinung.
Allerdings war es auch das teuerste Modell. Sie sahen sich kurz in die Augen.
„Okay?" fragte Johannes.

Sie atmete tief durch. „Okay!" antwortete sie.
Eine Stunde später verließ ein glückliches Paar das Gelände, und ein glücklicher Verkäufer schloss das Tor hinter ihnen.

Am nächsten Tag telefonierte Johannes mit dem Kultusministerium. Eine Woche später kam schon die Einladung des Dekans zu einem Gespräch. Anna begleitete ihn, wartete auf dem Flur.
Der Professor, bei dem er studiert hatte, war auch zugegen. Er begrüßte ihn herzlich.

„Vanmeeren! Das finde ich ja genial, dass Sie mich unterstützen werden!"
Es wurden Details von Johannes' Tätigkeit besprochen, alles klang sehr gut. Sein Vorlesungsplan war locker, er würde viel mehr Zeit für das Leben an der Seite seiner Süßen haben. Was ihm auch sehr entgegen kam, war die Tatsache, dass er vor allem Praxis unterrichten konnte.

Der Prof sah Johannes aufmerksam an. Der junge Mann hatte sich verändert in den letzten Jahren.
Zu seinem Vorteil, auf alle Fälle!
„Man munkelt, es gibt eine Frau in Ihrem Leben?" fragte er ziemlich direkt.
Johannes schmunzelte. Auch der Professor war wohl der Meinung gewesen, er hätte es nicht mit dem weiblichen Geschlecht.

„Ja! Gut informiert! Anna, die Liebe meines Lebens!" antwortete er.
„Wir werden sie hoffentlich bald mal kennen lernen?" fragte sein künftiger Chef nach. Er legte großen Wert auf geregelte private Verhältnisse und auch persönliche Kontakte innerhalb seines Fachgebietes.

„Das können wir gleich machen!" antwortete Johannes, und wunderte sich über seine Lockerheit. „Sie wartet draußen auf mich."
Anna wurde hereingebeten und rockte natürlich wie immer die Gruppe.

Johannes platzte beinahe vor Stolz. Es gab niemanden, der ihr gewachsen war, niemanden, den sie nicht um den Finger wickelte.
Egal, ob Mann oder Frau!
Und nun gab es eben zwei neue Verehrer: Seinen ehemaligen Professor und seinen zukünftigen Dekan.


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