Teil 33
Johannes und Anna
Johannes erschrak, als er sie da in der Türe stehen sah. Die riesigen grauen Augen schienen zu groß für ihr Gesicht zu sein, das sehr schmal geworden war. Dunkle Ringe lagen darunter, sie war ziemlich blass.
Mein Gott! Was hatte er ihr angetan!
Sie umarmte ihn nicht, was er durchaus verstehen konnte.
Im Flur ließ er seine Tasche und diverse Tüten fallen, fasste vorsichtig nach ihr.
Als wäre sie zerbrechlich, zog er sie an sich.
Sie hatte abgenommen, das fühlte er sofort.
Seine Augen brannten, die Kehle war zugeschnürt.
Sie machte sich frei, sah ihn aufmerksam an. „Du siehst gut aus! Braungebrannt!" sagte sie leise, und er hörte durchaus den Vorwurf in ihrer Stimme. „Ich hoffe, nicht nahtlos!"
Ihr kleiner Scherz entspannte die Stimmung ein wenig.
„Kannst ja nachsehen!" ging er darauf ein, obwohl ihm so gar nicht zum Scherzen zumute war.
„Könnte ich, ja! Später, vielleicht!" Er hörte die Mauer in ihrer Stimme.
Ihr Ton tat ihm mehr weh, als es Schläge hätten tun können.
Anna fühlte, dass etwas falsch lief.
Sie hatte sich auf ihn gefreut, auf einen Neuanfang gefreut.
Aber sie hatte gedacht, dass ein zerknirschter, blasser, gezeichneter Johannes zurückkäme, nicht so ein erholt aussehender junger Mann, der im Urlaub gewesen zu sein schien.
„Anna!" bat er leise. „Rede nicht so mit mir, bitte! Schrei mich an! Mach mich fertig, so wie ich es verdiene! Aber sei nicht so... so.... so süffisant! Das bist nicht du!"
Und damit hatte er genau die richtigen Worte gefunden. Sie war erleichtert, sie war ihm dankbar.
Die Tränen liefen wieder, als sie einen Schritt auf ihn zuging, als sie zuließ, dass er sie in seine Arme riss und küsste.
Der Kuss nahm kein Ende, und sie wussten beide, dass er auslöschen würde, was zwischen ihnen gestanden hatte.
Als sie sich voneinander trennten, schweratmend, noch etwas wirr im Kopf, waren sie wieder Anna und Johannes, das Traumpaar, das Dreamteam.
Sie hatten beide Fehler gemacht, und sie würden nicht aufrechnen, wer mehr Schuld trug.
Das brauchten sie nicht, das war ihrer nicht würdig.
Er ließ sich in einen Sessel fallen, wusste, er war wieder zu Hause bei ihr.
Sie kochte Kaffee, hatte gesehen, wie müde er doch aussah.
Die gebräunte Haut hatte auf den ersten Blick getrogen.
Während sie in der Küche beschäftigt war, driftete er in einen heilenden Schlaf ab, zum ersten Mal seit langer Zeit schlief er tief und ohne quälende Träume.
Anna ließ ihn schlafen, setzte sich ihm gegenüber, betrachtete sein entspanntes Gesicht, seine noblen Klamotten, sah das Lächeln.
Er war wieder da, alles andere war unwichtig.
Sie war durch die Hölle und zurück gegangen, aber er war wohl auch dort gewesen, sie hatten sich nur verfehlt.
Sie entdeckte die neuen Falten um seine Mundwinkel, die etwas ergrauten Haare an seinen Schläfen. Und sein gebräuntes Gesicht war auch schmaler geworden. Nicht nur sie hatte an Gewicht verloren.
Nach einer Stunde schreckte er hoch, sah sie an und lächelte. Sie war noch da! Er hatte nicht nur geträumt.
„Komm zu mir, Süße!" flüsterte er. Die Sehnsucht nach ihrer Nähe machte ihn atemlos. „Ich brauche dich, Anna! Ich brauche dich jetzt!"
Sie taumelten ins Schlafzimmer, liebten sich schnell und leidenschaftlich, danach langsam und voller Zärtlichkeit.
„Danke!" brachte er danach nur heraus.
„Von Herzen gerne geschehen!" antwortete sie grinsend.
Und dieses freche Grinsen löschte alle Schuld, bei ihm und auch bei ihr.
Alles war wie vor dem Schullandheimaufenthalt, der zeitlich ungünstiger nicht hätte sein können.
Die Liebe und die Vertrautheit waren wieder da, vielleicht mehr als je zuvor.
Sie kochten gemeinsam irgendein Essen, das kalt wurde, weil sie noch einen Zwischenstopp im Bett einlegen mussten.
Lachend wärmten sie alles wieder auf, schlugen sich die Bäuche voll. Der Appetit war zurückgekommen.
Lachend legten sie sich noch ein wenig nieder, lachend räumten sie danach die Küche auf.
Dann setzten sie sich mit einer Flasche Rotwein, die er mitgebracht hatte, an den Esstisch.
„Was ist das für ein Krempel?" fragte sie mit einem Blick auf die vielen Tüten.
„Keine Ahnung!" antwortete er schulterzuckend. „Schau halt nach!"
„Nö! Keine Lust! Hab was viel Besseres zum Anschauen!" erwiderte sie.
„Pf!" wehrte er ihr Kompliment ab. „Was soll ich da sagen?"
„Was hat dich eigentlich am meisten gestört an den Büchern?" fragte sie nach einem langen Kuss.
Er hielt ihre Augen mit seinen fest, als er antwortete: „Dass du dir Geschichten ausgedacht haben könntest, als wir schon zusammen waren!"
Das verstand sie, aber auch wieder nicht. „Wie bist du auf die Idee gekommen?"
Er lachte leise. „Ich bin im normalen Leben relativ selbstbewusst. Aber was dich angeht, da frage ich mich eben noch immer, was ein so hübsches Mädchen an mir findet."
„Und du hältst dich immer noch für die zweite Wahl? Was soll ich denn noch tun, damit du diesen Gedanken mal aus dem Kopf bekommst?" fragte sie.
Er zuckte mit den Schultern. „Das werde ich nie ganz schaffen! Aber das ist normalerweise auch nicht schlimm! Dann höre ich eben nie auf, um dich zu werben!"
Das allerdings fand sie auch nicht schlecht.
Dann packte sie doch die Neugier. Betont uninteressiert ging sie in die Richtung, in der die Tüten lagen, Ihr Fuß berührte die erste, dass sie umfiel und ihren Inhalt freigab: Ein blaues Etwas mit viel Spitzenstoff. Sie hob es auf.
„Also, ich würde als sagen, das ist für mich! Dir steht das nicht so gut, glaube ich! Oder für Inga?"
Johannes lachte. „Mein Bruder würde mir was erzählen, wenn ich seiner Frau so ein Teil schenken würde!"
„Das Teil" entpuppte sich als sehr sexy Morgenmantel mit passendem Satin-Negligé.
„Ist eher was zum Ausziehen als zum Anziehen!" erklärte er schmunzelnd. „Aber ich zieh dich eben lieber aus als an!"
Dann war sie schon mal am Auspacken, tat ihm den Gefallen und machte weiter.
Nach einer halben Stunde häuften sich auf dem Sofa die edlen Teile, und sie strahlte ihn an.
Diese Reaktion hatte er sich erträumt, als er die Sachen gekauft hatte. Aber so richtig daran glauben hatte er nicht gekonnt!
„Du bist eindeutig verrückt, Vanmeeren! Aber ich sage einfach: Danke!" flüsterte sie gerührt. Die Klamotten waren ein einziger Frauentraum, und sie würde sie sowieso nur anziehen, um ihm zu gefallen.
Er nahm sie vorsichtig in die Arme. „Ich habe ja die anderen Sachen alle kaputt gemacht!" sagte er leise.
Sie grinste ihn an. „Hast du nicht! Bätsch! Musste bloß alles in die Reinigung."
Lachend drehten sie sich im Kreis.
Er vergrub sein Gesicht in ihrem duftenden Haar. Wie er das vermisst hatte.
Wie er so vieles vermisst hatte!
„War eine verdammt harte Zeit, Süße! Auch wenn du es mir auf den ersten Blick nicht angesehen hast!"
„Aber alles wird wieder gut, nicht wahr?" antwortete sie.
„Alles ist schon wieder gut! Weil du es zugelassen hast!" Ihm wurde erst in diesem Moment so richtig bewusst, dass sie ihn ohne Wenn und Aber zurückgenommen hatte. Obwohl er sich wie ein Arschloch benommen hatte.
„Du hast mir gar keine Schimpfwörter an den Kopf geworfen!" stellte er dann lächelnd fest.
„Ich habe mir alle, die mir eingefallen sind, aufgeschrieben, fürs nächste Mal!" erklärte sie.
Eigentlich sollte er da ja versichern, dass es kein nächstes Mal geben würde. Aber er war sich da nicht so sicher. Bei ihr reagierte er eben irrational. Er hoffte, dass es keine solchen Situationen mehr geben würde, aber darauf geschworen hätte er nicht.
Da fiel ihm noch etwas ein. Er holte die Tassen aus seiner Tasche.
Und das war das schönste Geschenk von allen, fand sie.
Dass er sich daran erinnert hatte, dass sie in Zukunft auch bei ihm aus diesen abscheulichen Dingern ihren Kaffee genießen konnten.
„Du bist wirklich ein sehr uneinfühlsamer Mensch! Ich habe die Liste nicht umsonst geschrieben!" Sie versuchte, ihre Rührung zu verbergen und schob ihm das Blatt hin.
Lachend las er, und so konnte er die Tränen in den Augen behalten.
Bei der letzten Zeile bekam er einen Lachkrampf. „Besser als ein Skifahrer oder Tennisspieler! Das ist echt, das ist hundertprozentig mein Baby!" Bei diesem Satz war er sich vollkommen sicher, dass alles wieder wirklich im Reinen war. Denn das hatte sie geschrieben, während sie auf ihn gewartet hatte, ohne dass sie ein Wort gewechselt hatten.
Er hatte nichts erklären müssen, er hatte nicht um Vergebung flehen müssen, er hatte nicht bitten müssen.
Er hätte natürlich alles getan, aber es war für sie nicht wichtig.
Für sie zählte, dass er verstanden hatte, dass er wieder da war.
Sie war die großartigste Frau der Welt!
Damals hatte sie ihn schon zurück genommen, als er nach dem Vorfall im Club abgehauen war. Und jetzt noch einmal.
Er erinnerte sich daran, dass er sie um die Chance gebeten hatte, den nächsten Fehler zu machen. Das hatte er ja dann perfekt hingekriegt!
Und plötzlich war es genau der richtige Zeitpunkt, ihr den Ring anzustecken.
„Das ist kein Verlobungsring, Anna!" sagte er ernst. „Einen richtigen Antrag kriege ich schon hin. Aber hier und heute wäre das zu vermessen von mir. Es ist auch kein Entschuldigungsring, denn verziehen hast du mir schon. Es ist einfach ein Ring der Freude über dich, okay?"
Anna blinzelte eine dicke Träne weg, sah den wunderschönen Saphir in der modernen Fassung an. „Willst du nicht das nächste Buch an meiner Stelle schreiben?" fragte sie heiser vor Liebe zu dem verrückten Kerl, der immer noch glaubte, nicht gut genug zu sein.
Er schüttelte den Kopf. „Nein! Ich erlebe meine Liebesgeschichte lieber selbst! Mit dir!"
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