Teil 21
In den nächsten Wochen und Monaten richteten sie sich in ihrem gemeinsamen Leben ein, lebten an zwei Wohnorten, ohne zu planen, immer spontan. Sie machten Ausflüge, alleine oder mit Thomas und Inga, kochten zusammen, manchmal nur für sich, aber auch für ihre oder seine Familie. Sie gingen auf Feten bei seinen Freunden, zum Tanzen in die Clubs in ihrer Stadt, trafen sich mit Ben und Oli.
In den Herbstferien fuhren sie nach Südtirol, nahmen sich in einem piekfeinen Wellnesshotel eine Suite. Er hatte das als Überraschung gebucht und sie einfach entführt.
Sie schluckte ein wenig wegen der Kosten, sagte aber nichts. Es war ihr erster Urlaub, sie wollte ihn nicht verderben.
Das Bett war so bequem, dass ihr zweitliebstes Hobby, das Wandern, etwas zu kurz kam. Aber sie machten auch ein paar schöne Touren, stiegen lachend und Händchen haltend zu den drei Zinnen und zum Rosengarten hoch.
Dann schmeckte das Fünf-Gang-Menü am Abend so gut wie die Brotzeit, die sie unterwegs machten. Johannes verliebte sich Tag für Tag mehr. Sie war ein Mädchen zum Pferdestehlen und fürs Luxushotel. Sie zog mit ihrem Lächeln, ihrer Schlagfertigkeit, ihrem Charme jeden in ihren Bann.
Alle im Hotel liebten das glücklich verliebte Paar. Beim Bezahlen meinte der Besitzer: „Eigentlich sollte wir Ihnen gar nichts berechnen. Sie haben so viel Glück in unser Haus gebracht."
Als es zum ersten Mal schneite, fuhr er sie zur Schule und holte sie in seiner Mittagspause schnell wieder ab.
„Johannes! Bei uns gibt es Busse!" schimpfte sie lächelnd mit ihm.
Er tat sehr erstaunt. „Echt? Busse? Das kennen wir auf dem Land nicht." Aber es gab einen besonderen Grund, warum er gekommen war. Auf ihrem Stellplatz im Hof stand ein feuerroter Fiat 500, der sehr neu aussah, mit einem Landkennzeichen. Er parkte dahinter.
„So eine Frechheit! Wer steht denn da schon wieder?" schimpfte sie.
„Du!" antwortete er.
Er wedelte mit einem Autoschlüssel, drückte auf die Fernbedienung, das Auto fing an zu blinken.
Sie sah ihn an, dann das Auto, dann ihn und schüttelte den Kopf.
Nein! Er hatte ihr kein Auto gekauft! So schnell war nicht einmal er.
„Das ist das von meiner Mutter!" erklärte er. „Hat schon ein paar Jahre auf dem Buckel, aber kaum Kilometer, weil sie wenig fährt. Praktisch gar nicht mehr, seit Dad zu Hause ist. Sie wäre heilfroh, wenn du ihn wenigstens im Winter ein wenig bewegen könntest."
Sie lachte. „Ist das ein Pferd? Aber nein, Johannes! Das kann ich nicht annehmen!"
„Irgendetwas musst du annehmen! Ich lasse dich auf keinen Fall bei Eis und Schnee mit dem Rad fahren. Da diskutiere ich auch nicht. Also entweder dieses Auto, oder meines, oder ich ziehe im Winter ganz zu dir und fahre dich jeden Tag."
Sie schmunzelte. Letzteres wäre ja nicht schlecht! Aber es war auch gut so, mit den zwei Wohnsitzen und den Besuchen gegenseitig.
Er ahnte ihre Gedanken schon. Immer wieder wollte er sie überreden, sich für einen Wohnort zu entscheiden, ließ es aber dann. Sie brauchte noch eine Weile das Gefühl der Freiheit. Sie würde es natürlich nie ausnutzen, aber er fühlte, dass es ihr guttat. Er versuchte auch, ihr hin und wieder einen Tag nur für sie selbst einzuräumen, dezent natürlich, aber es gelang ihm nicht allzu oft. Zu schnell war die Sehnsucht nicht auszuhalten.
Er sah auf die Uhr. Seine Mittagspause war eben vorbei. Schnell wählte er die Handynummer seines Kollegen und Vertreters.
„Ich komme ein wenig später." erklärte er. „Ich muss noch eine Diskussion mit einem sehr sturen weiblichen Wesen führen."
Karl lachte. „Na dann! Viel Erfolg und gute Nerven, du Ärmster!"
Er kannte die Freundin von Johannes natürlich mittlerweile. Ein bildhübsches, kluges, selbstbewusstes Mädchen. Er konnte sich schon vorstellen, dass Diskussionen mit ihr nicht einfach waren.
Anna hatte das Gespräch mitbekommen, das schlechte Gewissen zwickte sie ein wenig. Er musste zurück zur Arbeit! Aber sie konnte sich ein Auto auch vom Unterhalt her nicht leisten.
„Ich habe die Kohle nicht für Versicherung und Steuer, Kundendienste, Sprit!" Sie hatte sich vor zwei Monaten entschieden, die Wohnung zu kaufen, die Raten waren deutlich höher als es die schon nicht gerade günstige Miete gewesen war.
Er verdrehte die Augen. Auch die finanzielle Diskussion hatten sie schon öfter geführt. Das einzige, das sie zugelassen hatte, war, dass er die Rechnung bezahlte, wenn sie ausgingen.
Hin und wieder nahm sie auch ein Geschenk von ihm an, aber da war er schon sehr vorsichtig.
Manchmal hatte sie schon vorgehabt, mit dem Rad nach Regenstauf zu fahren, damit er nicht so viel für Sprit ausgeben musste. Er hatte ihr das bisher immer noch ausreden können.
Manchmal hatte er auch versucht, ihr seine finanzielle Situation zu erklären.
Er verdiente außerordentlich gut für sein Alter, wenn ein Prüfungsjahrgang besonders erfolgreich abschloss, gab es Prämien. Seine Eltern hatten ihn immer an den Gewinnen der Firma beteiligt, Thomas hatte sich vertraglich dazu verpflichtet, das weiter zu führen.
Er hatte ein wenig an der Börse spekuliert, mit ziemlich gutem Erfolg.
Kurz und gut: Er hatte ein sattes finanzielles Polster.
Aber sie hatte immer abgewiegelt, wenn er damit anfing. „Das will ich gar nicht wissen! Küss mich lieber!"
„Das Auto gehört nach wie vor meiner Mutter. Sieh es einfach als Leihgabe!" versuchte er einen neuen Weg.
Sie musste lächeln, und er ahnte, dass er es schaffen würde.
Schließlich hatte er es auch geschafft, sie zu bekommen. Und das war sicher schwieriger und auch wichtiger gewesen.
Er hielt ihr noch mal den Schlüssel hin. „Süße! Du weißt, dass ich sterbe vor Angst, wenn ich weiß, dass du im Winter mit dem Rad fährst. Und ich lebe doch so gerne. Vor allem, seit du in meinem Leben bist." Dann setzte er auch noch diesen speziellen Dackelblick mit den faszinierenden Bernsteinaugen ein, den er immer mehr perfektioniert hatte – und sie war besiegt.
Sie griff nach dem Schlüssel. „Aber den Sprit zahle ich!" musste sie noch loswerden.
Er tat sehr erstaunt. „Na klar! Oder meinst du vielleicht, ich? Ein armer Handwerker?" Die Kopfnuss nahm er gerne in Kauf, die Abschiedsküsse danach aber noch lieber.
„Bis heute Abend!" sagte er schließlich.
„Ich habe heute Elternabend!" erinnerte sie ihn.
„Oh!" Die Enttäuschung stand ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. „Und da wärst du hin geradelt?" fragte er vollkommen fertig.
„Klar!" Doch dann nahm sie das schnell zurück. „Nein! Ich wäre mit dem Bus gefahren!"
„Und dann alleine nach Hause gelaufen? Du bringst mich noch ins Grab!" Es war schon okay, dass sie eine selbstständige Frau war, aber wenn er vorzeitig graue Haare bekommen würde, wäre sie nicht unschuldig daran.
„Also dann, bis morgen!" seufzte er gottergeben. Dann brauchte er schon noch ein paar mehr Küsse, wenn er sie heute nicht mehr sah.
„Wie ist das Auto eigentlich hier hergekommen?" wollte sie noch wissen, als er schon in seinen Wagen eingestiegen war.
„Ich habe ein wenig Red Bull in den Tank geschüttet, dann ist es geflogen!" antwortete er grinsend und fuhr los. Morgen würde er ihr schon erzählen, dass Thomas und Inga es zwischen zwei Terminen vorbeigebracht hatten, nachdem seine Mutter den Vorschlag gemacht hatte, Anna ihr Auto, das sie wirklich nicht mehr brauchte, zu geben. Seine ganze Familie sorgte sich um den kleinen Sonnenschein, den er zu ihnen gebracht hatte.
Anna machte ein Selfie von sich vor dem Auto, schickte es an Carola. Danke! schrieb sie dazu.
Bitte! Und danke, dass wir uns jetzt nicht mehr so viele Sorgen machen müssen! kam kurz darauf als Antwort.
Da verstand Anna, dass man auch einfach etwas annehmen musste, weil es dem, der gab, wichtig war, geben zu können.
Wie auch Johannes, der ihr immer wieder eine Freude machen wollte, wogegen sie sich aber oft aus einem falschen Stolz heraus wehrte.
Sie dachte an Silkes Worte ganz am Anfang: „Stell dir alles mal andersherum vor!"
Was wäre, wenn sie Kohle hätte und er nicht? Würde sie es verstehen, wenn sein Stolz einfach manches nicht zuließ?
Sie nahm sich vor, das Ganze etwas lockerer zu sehen.
Was bedeutete schon Geld, wenn man sich liebte.
Sie legte sich eine Stunde hin, damit sie für den Elternabend fit war. Doch dann musste sie Johannes noch schnell etwas texten.
Danke! Ohne Wenn und Aber! Ohne Zickerei! Einfach nur: Danke!
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