Teil 2
Annas Erfahrungen
Am Samstag klopfte ihr Herz wie rasend.
Sie würde in einen Club gehen, zum ersten Mal.
Mit 29!
Aber sie würde es durchziehen.
Sie betraten den halbdunklen Raum, die Luft war zum Schneiden dick, die Lautstärke ohrenbetäubend.
Auf der Tanzfläche tobten ein paar leichtbekleidete Teenager-Mädchen herum, Männer standen gelangweilt mit Biergläsern in den Händen an der Theke.
O Gott! dachte Anna. Da sind wir schon etwas fehl am Platz.
„Wollen wir nicht lieber zum Essen gehen?" brüllte sie Silke ins Ohr.
Doch die hatte schon ein Auge auf einen der Typen geworfen, sandte deutliche Signale aus.
Anna war immer etwas konsterniert, wenn sie die Freundin beobachtete.
Es schien ihr nie auf Qualität, sondern nur auf Quantität anzukommen.
Hauptsache, ein Mann nahm sie wahr.
Wie der aussah, war vollkommen gleichgültig.
Es ging nur um das Spiel, um die Kerben.
Nicht auf dem Bettpfosten, denn ihre Grenzen kannte Silke schon, aber wahrscheinlich auf der Seele, dem Teil, in dem die Eroberungen gespeichert waren.
Tatsächlich führte der Kerl sie dann auch auf die Tanzfläche.
Er war klein, dick und glatzköpfig.
Anna schüttelte sich innerlich.
Da paschte ihr eine schwere Hand auf die Schulter.
„Du bist doch die Anna vom Piratenball!" brüllte ihr eine Männerstimme ins Ohr. „Das ist aber toll, dass ich dich mal wieder treffe."
Sie sah den Schrank von einem Mann verständnislos an.
„Ich bin's! Der Hans!" rief er.
Sie glaubte ihren Ohren nicht - und ihren Augen schon gar nicht.
Der Traum ihrer schlaflosen Nächte, der Prinz ihrer Geschichten, der Superheld stand leibhaftig vor ihr.
Innerhalb von Sekunden hatte sie das ganze Bild in sich aufgenommen.
Schütteres, dunkles Haar, leichtes Doppelkinn, schlecht rasiert.
Ein kariertes Hemd, das schon bessere Tage gesehen hatte genauso wie die weite, ausgebeulte Jeans und die ausgelatschten Slipper.
Aber er ist der Typ, von dem du seit Monaten träumst! ermahnte sie sich. Der dich geküsst hat, wenn du auch beinahe ersoffen wärst dabei. Der dir so süße Worte ins Ohr geflüstert hat, auch wenn du da schon nicht mehr ganz nüchtern gewesen bist – genau wie er wahrscheinlich.
Zwei Seelen stritten ach in ihrer Brust.
Er zog sie auf die Tanzfläche, presste sie ganz eng an sich, so eng es eben ging, sein Bierbauch setzte da durchaus Grenzen.
„Wolltest du damals nicht anrufen?" brüllte sie in sein Ohr und bereute diese blöden Worte sofort. Wie erbärmlich war das denn.
Aber er war Hans!
„Echt?" Er sah sie verwundert an. „Ach! Ich bin noch ziemlich abgestürzt. Stimmt! Da hatte ich eine Nummer in meiner Tasche."
Er küsste sie auf seine unnachahmliche Art, sie hatte zu tun, all den Speichel zu schlucken, den er ihr zuteilwerden ließ.
Aber es ist Hans! Gleich wird er dir wieder so nette Sachen sagen.
Dann begann er zu fummeln.
Das hatte er auf dem Ball nicht getan.
Oder?
Sie wehrte seine Hände ab.
„Nicht so zickig, Süße!" brummte er. „Auf dem Ball warst du entgegenkommender."
Hatte er also doch!
Wie viel hatte sie da denn getrunken?
Sie erinnerte sich an sanfte Zärtlichkeiten, aber nicht im Geringsten an Hände zwischen ihren Beinen oder an ihren Brüsten.
Er atmete schneller, sie roch Bier und Zigarettenrauch.
Ziemlich fordernd zog er sie ins Freie, in einen Hinterhof, in dem einige Pärchen eindeutig zu Gange waren.
In einer Ecke schob er eine Hand zwischen ihren Hosenbund und ihren flachen Bauch, rieb ziemlich brutal an etwas, das er wohl für ihre Klit hielt, steckte einen Finger in sie, der kratzte und sie wundscheuerte.
"Na komm schon! Das gefällt dir doch! Das brauchst du doch!" lallte er, und sie merkte, dass er wohl schon einige Biere getankt hatte.
Bevor er sie noch verletzte, spielte sie ihm einen tollen Orgasmus vor.
Das konnte sie gut, hatte sie in dreizehn Jahren mit ihrem Ex perfektioniert.
Er grinste sie etwas dümmlich an. „Ich weiß doch, was die Weiber wollen."
Sie verdrehte innerlich die Augen.
Ja!
Sicher!
Aber noch immer machte sie dem Ganzen kein Ende. Das war Hans, ihre erste Erfahrung zwischen Mann und Frau seit mittlerweile 14 Jahren.
Da musste etwas kommen.
Etwas Gutes!
Etwas Schönes!
Er öffnete seinen Gürtel, seinen Hosenknopf, seinen Reißverschluss, packte ihre Hand, presste sie auf sein Geschlecht.
„Revanche, Baby!" forderte er sie auf.
In ihren Geschichten hatten die Helden immer eine Wahnsinnserektion bekommen, wenn sie die Frauen nur angesehen hatten.
Doch hier fühlte sie etwas Kleines, etwas Schlaffes.
Sie mühte sich ziemlich ab, bevor er eine Reaktion zeigte und zu stöhnen begann.
Viel größer war das Ding in ihrer Hand zwar nicht geworden, aber wenigstens etwas steifer.
Plötzlich fühlte es sich feucht an, er war wohl schon gekommen.
Gut! dachte sie.
Er gab ihr ein Papiertaschentuch, das sicher die Jahrtausendwende in seiner Hosentasche erlebt hatte.
„Putz mich ab!" mammelte er, und warum auch immer, machte sie auch das.
Er war schließlich Hans, der Mann ihrer Hoffnungen, Wünsche und Träume!
Er war der Traumprinz auf dem edlen Schimmel.
Allerdings ein Traumprinz, der sie etwas beschränkt angrinste.
„Wasch dir deine Hände. Ich geh schon mal rein." kommandierte er weiter.
Sie ging in den Toilettenraum, sah sich im Spiegel an. Sie hatte es geschafft.
Sie hatte den ersten Sex nach der Trennung gehabt.
Nicht richtig, aber fast.
Hans war wahrscheinlich etwas betrunken, aber er hatte ja nicht gewusst, dass sie kommen würde. Sie würden sich wieder treffen, dann würde er ihr all die schönen Worte sagen, die sie sich so wünschte.
Dass er sie nicht hatte vergessen können.
Dass er immer an sie gedacht hatte.
Dass er lange mit sich gerungen hatte, ob er sie anrufen konnte.
Ja, beim nächsten Treffen!
Sie ging zurück, hörte ihn mit seinem Kumpel lachen.
„Für ihr Alter nicht schlecht!" sagte Hans gerade, und sie lachten wieder. „Kannst sie ja mal ausprobieren."
Wieder brüllendes Gelächter.
Die redeten sicher nicht über sie.
Die hatten irgend eines der jungen Mädchen im Visier.
Hans war verliebt in sie!
Gleich würde er sie wieder küssen.
Er sah sie seltsam an, als sie sich bei ihm einhängte, machte sich frei, leerte das nächste Bierglas. Er schob sie zu seinem Kumpel. „Da! Der Karl möchte auch mal mit dir tanzen!" Wieder brüllten beide los.
Und dann endlich ließ sie zu, dass sie begriff, was glasklar gewesen war.
Er war nicht der Held ihrer Träume, ihrer Geschichten.
Er war einfach nur ein Arschloch!
Ein saufender Prolet der übelsten Sorte.
Ein Dreckskerl, der aus irgendwelchen Gründen auf dem Ball eine Art von Show abgezogen hatte.
Sie grinste Karl an, dann Hans. „Ich hab heute schon genug mit schlechten Tänzern getanzt!" erklärte sie selbstbewusster, als ihr zumute war.
Die beiden Männer sahen sie verständnislos an.
Klar! dachte sie. Die Anspielung übersteigt eure geistigen Fähigkeiten.
Dann drehte sie sich um und machte sich auf die Suche nach Silke.
Zum Glück war die Freundin damit einverstanden, nach Hause zu gehen.
Auf dem Heimweg war sie vollkommen schweigsam, hing ihren Gedanken nach.
Hatte sie sich wirklich so demütigen lassen?
War sie soweit gesunken?
Hatte sich von diesem besoffenen Ekel anfassen lassen!
Hatte sein Ding in den Händen gehabt!
Unbewusst wischte sie sich die Hände an den Jeans ab.
Was war aus ihr geworden?
Nur um irgendeine Erfahrung abzukriegen, hatte sie sich so erniedrigt?
Das musste ein Ende haben!
Das war krank!
Silke sah sie von der Seite an. „War nicht so der Hype, oder?"
Anna lachte. „Nein! Der Hype war das nicht."
„Bei mir auch nicht. Ich glaube, nächstes Mal gehen wir wieder zum Essen." konstatierte Silke.
Anna wusste nicht, wie viel die Freundin mitbekommen hatte, aber es war ihr auch egal.
Der heutige Abend würde in der Kategorie: „Männer sind Arschlöcher" abgespeichert werden.
Zu Hause schenkte sie sich noch ein Glas Wein ein, setzte sich auf die Terrasse, sah in die Sterne.
Das war jetzt der Tiefpunkt in ihrem Leben gewesen.
Ab sofort konnte es nur noch aufwärts gehen.
In ein paar Wochen würde sie geschieden sein, und das war gut so.
Sie hatte einen Job, den sie liebte, Eltern, die zu ihr hielten, eine Schwester und deren Mann.
Wenn sie es zuließ, dass andere Menschen an sie herankamen, würde sie auch neue Freunde finden, denn die alten waren alle Freunde ihres EX.
Ihr ganzes Leben hatte sie auf ihn ausgerichtet gehabt, es wurde Zeit, dass die echte Anna das Licht der Welt erblickte.
Sie würde sie schon irgendwo in sich finden, wenn sie es nur wollte.
Die nächsten Tage schlief sie lange, frühstückte ausgiebig, telefonierte sogar mit zwei Kolleginnen, mit denen sie sich gut verstand.
Sie fuhr mit dem Rad aus der Stadt, hinaus auf Feldwege, legte sich in die Sonne.
Sie besuchte ihre Eltern, nahm sich wieder mal Zeit für sie.
Und schließlich erfüllte sie sich einen riesengroßen Wunsch: Sie meldete sich in einem Fitnessstudio an.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top