Teil 19
Wieder zurück aus der Stadt in ihrer Wohnung musste Joannes sich wohl oder übel verabschieden. „Ich hole dich dann morgen gegen drei ab, oder?" fragte er sicherheitshalber noch einmal nach.
„Klar! Wenn du dir das wirklich antun willst?" antwortete sie.
„Hauptsache, ich sehe dich! Ob vor Gericht oder sonst irgendwo!" zog er sie auf.
Dann fiel ihm noch etwas zu der Mail ihres Chefs ein. „Und du hast dieses Schuljahr montags frei? Das ist ja phänomenal!"
Sie zwinkerte ihm zu. „Das Schicksal will wohl etwas gut machen bei uns."
Es wurde ein etwas längerer Abschied. Viele letzte Küsse, viele letzte Umarmungen mussten unbedingt sein.
Da brachte sie das Geräusch von klatschenden Händen ins Hier und Jetzt zurück. Silke stand grinsend vor den beiden.
„Ich tippe mal schwer, du bist Johannes!" sagte sie in ihrer direkten Art.
Er grinste sie an. Anna schien von ihm gesprochen zu haben, das war nicht übel.
Anna verdrehte die Augen. „Das ist Silke, Nachbarin, Sargnagel, aber auch oft Retterin in der Not!" stellte sie die Freundin vor. „Und das ist natürlich Johannes."
Silke ging sofort in den Flirtmodus um. Sie konnte gar nicht anders.
„Ein hübscher Kerl!" meinte sie und blinzelte ihm zu.
„Findet meine Süße auch!" fertigte er sie ab.
Silke begann zu lachen. „Denk dir nichts, ich probier's bei allen! Und wenn hin und wieder einer darauf eingeht, erzähle ich stolz von meinem Mann und meinen Kindern." Dann wandte sie sich an Anna. „Ich geh schon mal vor."
Johannes sah der Freundin verständnislos nach. „Hat die einen Schlüssel?"
„Ja, den Fehler habe ich mal gemacht. Aber ich muss ihn ihr jetzt wirklich mal abnehmen."
Dann gab es noch ein paar Küsse, ein paar sehnsüchtige Seufzer, noch ein paar Küsse und ein paar Streicheleinheiten.
„Bis morgen!" sagte er gefühlt hundert Mal, bis er sich lachend doch einmal losriss. „Man könnte glauben, ich gehe auf Weltreise."
Sie ging noch die paar Schritte bis zu seinem Auto mit, winkte ihm nach, ging mit verträumtem Blick in ihre Wohnung, gesellte sich zu Silke in den Hof.
„Anna ist verliehibt!" trällerte die.
„Jaha!" antwortete die Besungene.
Dann berichtete sie in einer Kurzfassung über die Ereignisse der letzten beiden Tage, natürlich, ohne zu sehr ins Detail zu gehen.
„Aber hast du nicht gesagt, er sieht langweilig aus?" erinnerte die Freundin sie an die Erzählungen nach dem Ball.
Anna erschrak nachträglich über sich selbst.
Ja, das hatte sie wirklich gesagt, damals, vor unendlichen Zeiten.
Als sie einen jungen Mann abblitzen ließ, weil sie die Macht dazu hatte.
Als sie einfach beschlossen hatte, dass es mit ihm nicht passte, ohne ihm eine Chance zu geben.
Als sie wahrscheinlich auch zu viel getrunken hatte, als sie sich von einem Mann abknutschen ließ, der sich Monate später als Neandertaler herausgestellt hatte.
Als sie einen Mann abserviert hatte, der sich Monate später als Hauptgewinn herausgestellt hatte. Das Leben ging schon manchmal seltsame Wege.
Aber – andererseits hatte sie dieses halbe Jahr auch gebraucht, um zu erkennen, dass der Traummann ein Idiot war, und der, den sie für einen Idioten gehalten hatte, ihr Traummann.
Und außerdem hätte sie dann wohl ihre Geschichten nicht geschrieben, und die gefielen ihr immer noch.
Spontan fasste sie einen Entschluss. Silke wäre eine perfekte Probeleserin. Sie holte den Stick, auf dem alles gespeichert war und legte ihn vor der Freundin auf den Tisch.
„Würdest du das, was da drauf ist, mal für mich lesen? Und mir dann deine ehrliche Meinung sagen?"
Silke lächelte. Sie hatte schon mitbekommen, dass Anna viel am Computer gesessen war in den letzten Monaten.
„Mach ich glatt!" versprach sie. Dann rauchten sie beide noch eine Zigarette.
Anna schlief sofort ein, kaum dass ihr Kopf das Kissen berührte.
Die Konferenz am nächsten Morgen verging wie im Flug. Alle waren gut drauf, am besten Anna. Den Kollegen fiel ihr verändertes Verhalten und auch Aussehen sofort auf.
Ulla, ihre beste Freundin an der Schule, zog sie zur Seite. „Du hattest Sex, guten Sex! Gestehe!"
Anna kicherte nur etwas verlegen.
Der Chef kam dazu. „Na, Frau Müller, ab morgen Frau Falkenberg? Sie sind ja echt gut drauf!"
Sie grinste ihn an. „Messerscharf beobachtet!" gab sie zurück.
„Ein neuer Mann?" wagte er zu fragen. Er hatte den Typen, der ab dem Nachmittag Vergangenheit sein würde, ein paar Mal auf Schulfesten getroffen, wenn er gelangweilt und blöde Kommentare verteilend am Rande des Geschehens gestanden war.
Er hatte nie verstanden, warum die hübsche Kollegin, die beruflich eine große Zukunft hatte, sich nicht von dem Kerl trennte.
Aber nun schien sie es ja getan zu haben, und zu seiner Freude gab es wohl einen Mann, der sie mehr zu schätzen wusste.
Nach dem offiziellen Teil kamen sie noch einmal ins Gespräch. „Das mit dem freien Montag ist echt wie ein Wunder für mich!" gestand sie ein. „Mein Freund leitet die Meisterklassen Elektrik bei Eckert und hat seltsamer Weise auch am Montag unterrichtsfrei."
Er sah sie schmunzelnd an. „Der Vanmeeren?" fragte er dann überraschenderweise.
Sie war mehr als verblüfft. „Ja!" brachte sie nur heraus.
Der Chef lachte. „Mein älterer Sohn ist in einer seiner Klassen. Macht in ein paar Tagen seine Meisterprüfung. Ein sehr guter Mann, Sebastian ist voll begeistert von ihm."
Anna schüttelte den Kopf. „Die Welt ist echt ein Dorf!"
Das Kollegium ging noch gemeinsam zum Mittagessen, Anna war froh über die Ablenkung.
„Hast du heute nicht Scheidungstermin?" fragte Ulla. „Soll ich dich begleiten oder danach treffen?"
Anna drückte ihre Hand. „Danke! Das ist lieb von dir! Aber Johannes kommt mit!"
„Dein Freund? Geht mit dir zum Scheidungstermin? Wow! Gibt es einen Klon von ihm?" Ulla war geplättet.
Da wurde Anna erst so richtig bewusst, wie toll das von „ihrem Freund" war.
Ihr Freund! Das klang irgendwie seltsam. Er war doch viel mehr. Er war der Mann in ihrem Leben, auch wenn noch nicht sehr lange.
Er war es mehr, als es Christian je gewesen war.
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