Teil 17
Nach dem Essen drehten sie noch eine Runde zu Fuß durch den Ort.
Johannes hatte einen kleinen Hintergedanken.
Er wollte ein wenig angeben mit der tollen Frau an seiner Seite. Jahrelang hatten sich die Einwohner den Mund zerrissen, weil der jüngere Vanmeeren keine Frau fand.
Manche glaubten, er sei schwul, was in dem kleinen Marktflecken durchaus ein Thema war. Die Vanmeerens waren schließlich angesehene Bürger. Drei von ihnen saßen im Marktrat, einer war zweiter Bürgermeister.
Der Betrieb schwemmte einen Batzen an Gewerbesteuer in die Kassen, der Seniorchef hatte auch immer größere Summen für Schulen oder Kindergärten gespendet, eine Tradition, die Thomas, der jetzige Chef, weiterführte.
Deshalb verbreitete es sich auch wie ein Lauffeuer, dass Johannes mit einer schönen Frau gesehen worden war, in die er sehr verliebt zu sein schien. Manches weibliche Wesen war davon so gar nicht begeistert.
Anna wunderte sich bei dem Rundgang über den Marktplatz, wie oft Johannes angesprochen wurde, wie viele Menschen ihn in ein Gespräch zu verwickeln versuchten.
„Wow, du bist ja eine richtige Berühmtheit!" staunte sie.
Er schmunzelte. „Die interessieren sich eigentlich nur für dich!" antwortete er und küsste sie zärtlich. „Das geht heute viral! Der Johannes hat ein Mädchen!"
„Besser als: Der Johannes hat schon wieder ein neues Mädchen!"
Er musste sie nochmal, etwas länger dieses Mal, küssen. Vor einer Kneipe war noch eine Menge los. Ein paar junge Männer riefen Johannes etwas zu.
„Hast du Lust, meine Freunde kennen zu lernen?" fragte er.
Anna hatte große Lust. Sie liebte es, mit jungen Menschen zusammen zu sein. Christian war mehr der introvertierte Typ gewesen, die einzigen Freunde waren die Handballspieler seines Vereines.
Und da war sie eher das fünfte Rad am Wagen gewesen. Sie war gut zehn Jahre jünger als die anderen Spielerfrauen, etwas, das in deren Augen ganz und gar nicht für sie sprach.
Außerdem hätte sie sich immer lieber über Politik, Literatur oder sonstige ernsthafte Themen unterhalten – und nicht nur über Windeln, Babynahrung und Kindererziehung.
Noch dazu wurde sie als Lehrerin sowieso schief angesehen. Offen hetzte man in ihrer Gegenwart über die faulen, überbezahlten Pädagogen, besonderes, wenn der Nachwuchs nicht schon mit Zehn das Abitur machen konnte. Da waren natürlich sie und ihresgleichen daran schuld.
Nicht nur einmal hatte sie gekontert: „Warum bist du dann nicht Lehrerin geworden? Es haben doch alle die gleichen Chancen."
Christian hatte sie dann oft angeblafft, weil sie zu frech gewesen war. „Das sind meine Freunde, hör auf, sie ständig zu beleidigen."
Dass eigentlich immer sie angegangen worden war, ließ er nicht gelten.
Schließlich hatte sie aufgehört, sich zu wehren, zu reden. Diese Erinnerungen schossen Anna in Sekundenschnelle durch den Kopf und ließen sie ein wenig zögern.
Wenn das jetzt auch wieder so ein Macho-Verein war?
Johannes sah sie etwas verunsichert an. „Die beißen nicht, sind alles tolle Kerle!" versicherte er.
Sie wischte ihre Bedenken beiseite. Ein so intelligenter Mann wie Johannes würde nicht Idioten als tolle Kerle bezeichnen.
Mutig lächelte sie ihn an. „Logisch! Deine Familie hat mich nicht gefressen, werden die mich auch am Leben lassen."
Glücklich zog er sie an sich, musste sich schnell noch einen Kuss klauen, was mit lautem Applaus kommentiert wurde.
Lachend gesellten sich die beiden zu den Jungs. „Das ist Anna!" stellte er sie stolz vor. „Und das sind Kilian, Chris, Toni, Georgie, Raffi, Lukas und Andi!" Sie drückte sieben Hände, die Namen hatte sie schon drauf. Das war ein Talent von ihr. Wenn sie eine neue Klasse übernahm, kannte sie nach der ersten Stunde alle Vornamen der an die 30 Schüler.
„Glückwunsch, Herr Dipl. Ing!" rief Toni. „Das kostet dich aber schon eine Runde!"
Johannes grinste etwas schief. Das hätte jetzt heute Abend auch nicht unbedingt angesprochen werden sollen. „Ist das auch schon wieder rum?"
„Hey, Alter! Jo – Superstar! Eine Auszeichnung vom Wirtschaftsministerium. Wenn sich diese Nachricht nicht verbreitet, welche dann?" erklärte Kilian. „Außer der, dass der Vanmeeren eine wunderschöne Freundin hat." Er verbeugte sich vor Anna, die ihn offen anlächelte.
„Sehr charmant, Kilian!" bedankte sie sich.
Der Angesprochene fasste sich ans Herz. „Sie hat sich meinen Namen gemerkt! Das überlebe ich nicht, schöne Anna."
Sie lachte mit den anderen. „Bilde dir nichts ein. Ich habe einen Namensspeicher im Kopf, von Berufs wegen."
Johannes drückte sie an sich. Er hatte gewusst, dass sie die Kumpel in Minutenschnelle um den Finger wickeln würde.
Lukas sah sie aufmerksam an. „Anna? Die Anna?" fragte er Johannes. „Wie ist es jetzt dazu gekommen?" Er schien mehr Hintergrundinformationen zu haben als die anderen.
Sie grinste ihn an. „Das Schicksal geht oft seltsame Wege, und unwiderstehliche junge Männer rennen irgendwann einmal offene Türen ein!" antwortete sie.
Lukas schlug Johannes auf die Schulter. „Gut gemacht, Kumpel! Jetzt verstehe ich einiges."
Doch die Befragung ging gleich weiter. „Was heißt von Berufs wegen?" fragte Andi.
Kurz wurde ihr mulmig.
Doch Johannes zog sie an sich, übernahm die Antwort: „Die süße Anna ist Lehrerin."
Sie wartete auf die ewigen negativen Kommentare, legte sich die immer gleichen Verteidigungsworte zurecht.
„Wow! Hättest du dir keinen einfacheren Job suchen können?"
„Mein Gott! Wie hält man das nur aus mit den schreienden Monstern den ganzen Tag!"
„Hut ab, Mädchen! Es ist toll, dass es immer noch Leute gibt, die sich das antun."
Hatte sie jetzt diese Kommentare wirklich gehört? Von den Freunden ihres unvergleichlichen Johannes?
Sie strahlte in die Runde. „Es macht wahnsinnigen Spaß, mit den Kindern zu arbeiten. Sie sind noch so offen, so vorurteilsfrei, so neugierig aufs Leben. Und vor allem denen helfen zu können, die es zu Hause nicht so toll haben, ist eine sehr erfüllende Aufgabe!" sagte sie ruhig und ernst.
Es blieb eine Weile still am Tisch. „Und es gibt immer noch Menschen, die über deinen Job herziehen!" sagte schließlich Lukas, der der engste Freund von Johannes zu sein schien. „Wenn ich das nächste Mal einem solchen Lästerer begegne, rufe ich dich an. Dann kannst du ihn zerlegen. In alle Einzelteile, wenn ich bitten darf."
Johannes schlug sich mit dem Kumpel ab, der danach auch ihr die Hand hinhielt. „Willkommen bei uns, schöne, kluge Anna!" sagte er sehr ernsthaft.
Da wusste sie, dass das kein Machoclub war, dass das hier nette, intelligente, aufgeschlossene junge Männer waren.
Und dass sie in diesem Kreis akzeptiert war.
Und dass Johannes sie stolz anlächelte.
Und dass er ihre Hand drückte.
Er bestellte eine Runde Longdrinks. „Dipl. Ing?" fragte sie ihn leise.
Er wand sich ein wenig. „Ja! Vor ein paar Tagen ist meine Diplomarbeit angenommen worden."
Toni lachte. „Angenommen worden ist gut."
„Haltet jetzt die Klappe!" wies Johannes ihn an.
Doch Toni war nicht zu bremsen. „Er hat über irgendeinen Quatsch von Halbleitern und schnellen Datenübertragungen geschrieben. Aber ein Idiot vom Wirtschaftsministerium hat den Blödsinn wohl kapiert und sich eingebildet, dass dieser Kram bahnbrechend sei. Dann haben sie ihm einen Brief geschrieben, dass sie ihm eine Prämie zahlen, und dass sein Geschreibsel neues Lehrwerk an der Uni werden wird."
„Was die alles wissen!" wunderte sich Johannes schnaubend. Da hatte wohl Thomas etwas viel gequatscht.
Eine Stunde später zogen sie weiter. Johannes hatte seinen Arm um ihre Schultern gelegt, sie versuchten lachend in Gleichschritt zu kommen.
Er fühlte sich einfach nur wohl dabei, in dieser warmen Septembernacht unter dem Sternenhimmel mit ihr durch die Straßen seiner Kindheit und Jugend zu ziehen.
Natürlich pochte es hinter den Knöpfen seiner Jeans, aber sie mussten auch einmal etwas außerhalb des Bettes unternehmen.
Oder? Bei diesen Gedanken musste er grinsen. So kannte er sich gar nicht. So verrückt nach Sex! Alle paar Wochen mal eine Frau, das hatte ihm genügt.
Dazwischen war er sich selbst der beste Freund gewesen, das war mit weniger Anstrengungen und Unannehmlichkeiten verbunden.
Meistens erwarteten die Mädels mehr als die eine Nacht, an der er interessiert war. Vor allem die in seinem Heimatort.
Deshalb unterließ er es bald, in den heimischen Jagdgründen zu suchen.
Aber bei Anna hatte er das Gefühl, nie genug Sex zu bekommen.
„Worüber schmunzelst du denn so?" Sie hatte ihn schon seit einer Weile von der Seite angeschaut.
„Worüber wohl?" Sein Grinsen wurde noch breiter.
Sie lachte leise in sich hinein. War das ein herrliches Gefühl, so begehrt zu werden.
Mittlerweile waren sie am Ufer des Regen angekommen. Er ließ sich auf den noch warmen Kieselsteinen nieder, zog sie zwischen seine ausgestreckten Beine.
„Wann hättest du mir von deiner Diplomarbeit erzählt?" fragte sie lächelnd.
„Weiß nicht! Irgendwann einmal hätte ich es schon einfließen lassen." Sie hörte das Lachen in seiner Stimme. „Vielleicht habe ich dich aber auch absichtlich zu meinen Kumpeln geschleppt, damit sie plaudern?"
Seine Lippen lagen auf ihrem Haar, das so gut nach Vanille duftete, seine Hände hatte er ganz brav um sie geschlungen.
Zeit, bleib stehen! flehte er für sich.
„Und was gibt es sonst noch über dich zu erfahren? Ein Nobelpreis vielleicht?" fragte sie weiter.
Wieder musste er leise lachen. „Bisher noch nicht. Aber du wirst die erste sein, die es erfährt, wenn es so weit ist!" versprach er, und das Lachen gluckste in seiner Kehle.
Da bemerkten sie ein paar Meter weiter ein anderes Pärchen, das kräftig am Rummachen war.
Johannes erkannte seinen Bruder und Inga sofort. Er wusste, dass die beiden sich oft hier zu einem Date trafen, hier, wo sie sich zum ersten Mal geküsst hatten.
„Könnt ihr euch kein Zimmer nehmen?" rief er laut hinüber.
Thomas fuhr hoch, hatte die Stimme seines kleinen Bruders natürlich erkannt. Er ließ sich auf den Rücken fallen. „Ist man vor dir denn nirgends sicher?" Er half Inga hoch, und sie setzten sich zu dem jüngeren Paar.
„Hab ich dich eingeladen?" maulte Johannes.
„Nein! Aber gestört! Und jetzt störe ich dich!" konterte der Ältere.
Inga zog eine Flasche Rotwein aus ihrem Rucksack, ließ sie kreisen. Alle vier lachten, bis sie Bauchschmerzen hatten, die Stimmung war himmlisch. Vor allem Anna genoss jede Sekunde.
Alles, was sie bisher mit Johannes erlebt hatte, war so neu für sie. Er war wirklich dabei, ihr ihre Jugend zurückzubringen.
Da fiel Johannes etwas ein, und er gab Thomas im Voraus schon eine Kopfnuss. „Hast du bei den anderen von der Diplomarbeit gequatscht, du Waschweib?"
Der Bruder grinste nur. „Nein! Aber ich habe es im Mitteilungsblatt der Gemeinde veröffentlichen lassen!" schwindelte er. „Hast du es nicht gelesen?"
Die beiden begannen zu rangeln miteinander. Thomas merkte schnell, dass er Johannes unterlegen war.
„Mannometer! Hat der Kleine eine Kraft! Trainierst du heimlich?"
Johannes erstickte beinahe an einem Lachanfall. „Nein! Aber unheimlich!"
Japsend und nach Luft schnappend kniete er neben Anna, die wohl als Einzige seine Anspielung verstand.
Oder vielleicht doch nicht als Einzige?
Den wissenden Blicken der beiden anderen nach zu urteilen, war denen auch nichts Menschliches fremd.
Als die Uhren des Städtchens zwei Uhr schlugen, machten sich die vier kichernd und albernd auf den Heimweg.
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