Teil 15

Anna und Johannes

Anna  hatte noch nicht alles in Augenschein genommen, als es an der Haustüre laut klopfte. Kurz darauf hörte sie einen jungen Mann rufen: „Jo? Bist du da? Geht es dir gut?"
Schon stand er ihr gegenüber, erstarrte kurz. Sein Blick verdüsterte sich etwas. „Und du bist wohl Anna?"

Sie verstand nicht, warum er sie so unfreundlich begrüßte.
„Ja!" sagte sie nur, und die alte Schüchternheit kroch wieder in ihr hoch.
„Ich bin Thomas, Jo's Bruder!" ließ er sich herab, sich vorzustellen. Angriffslustig baute er sich vor ihr auf, verschränkte die Arme vor der breiten Brust. „Spielst du wieder ein wenig mit ihm?"
Anna verschlug es erst die Sprache, dann fühlte sie Wut in sich und den Wunsch, sich zu verteidigen.

Sie reckte den Kopf. „Ich? Mit ihm? Wer hat denn wen stehen gelassen? Und wer ist wem durch die halbe Stadt nachgelaufen? Spielen sieht anders aus!" knallte sie dem aufgeblasenen Kerl hin.

Thomas bekam einen roten Kopf. Verdammt! Das hatte er ja ganz vergessen gehabt! Jo hatte sie ja echt dämlich behandelt!
Dann begann er zu lächeln. Die Kleine war nicht nur wirklich verdammt nett anzusehen, sie schien auch mit dem Mundwerk gut drauf zu sein.

Wortlos ging er hinaus, klopfte wieder, kam zurück und lächelte sie an. „Hallo?" begrüßte er sie freundlich. „Du bist sicher Anna! Schön, dich kennen zu lernen. Ich freue mich sehr für Jo, dass du ihm sein dummes Verhalten verziehen hast. Ich bin übrigens sein Bruder, Thomas."
Er nahm sie in die Arme, küsste sie auf die Wange.
In diesem Moment kam Johannes, einen Lovesong trällernd durch die Türe.

„Ah, da schau her! Der Herr Bruder! Nutzt jede Situation schamlos aus." Er klatschte dem Älteren ziemlich kräftig auf die Schulter, der die Freundin seines Bruders grinsend losließ.
Johannes legte den Arm um sie.

„Das ist also meine unvergleichliche, wunderschöne Anna, die einem Tölpel verziehen hat. Betonung liegt auf meine!" erklärte er aufgedreht.
Inga hatte vom Fenster des Anbaus, den sie mit ihrem Mann bewohnte, gesehen, dass Jo ein Mädchen in seine heiligen Hallen mitgebracht hatte. Thomas war natürlich, neugierig wie Männer nun mal sind, gleich losgelaufen. Sie hatte den Kuchen erst noch ins Rohr schieben und die mehlverstaubten Klamotten wechseln müssen.

Nun stand sie auch dem Liebespaar gegenüber. Sie staunte nicht schlecht. Zum einen war die Kleine wirklich eine Schönheit, zum anderen sah ihr Schwager vollkommen verändert aus. Sie hatte eigentlich ihren Mann für den besser aussehenden der Brüder gehalten. Jo hatte immer etwas missmutig dreingesehen, war irgendwie mit stets hängenden Schultern durchs Leben geschlurft – nicht direkt unglücklich, aber auch nicht wirklich glücklich.
Heute stand vor ihr ein strahlender, bildhübscher junger Mann, dem das Glück beinahe aus den Augen tropfte. Er schien einen halben Meter gewachsen zu sein, seine Lippen schienen leicht geschwollen.

Sie lächelte Anna an. „Hallo! Ich bin Inga, die weitaus bessere Hälfte von dem da." Sie zeigte auf Thomas, der nur ein „Pf!" herausbrachte, sie aber dann leidenschaftlich küsste.
Anna hielt sich den Bauch über Johannes' verrückte Familie.

Der drehte nur mit dem Finger ein paar Kreise vor seinem Gesicht, fand aber dann die Idee seines Bruders mit dem Küssen gar nicht so schlecht.
Als ein älterer Mann mit einer rundlichen Frau im Arm das Zimmer betrat, freuten sich die beiden Neuankömmlinge über ihre verliebten Söhne.
Johannes trennte sich lächelnd von Anna, hielt sie aber immer noch sehr fest. „Ach! Thomas, Inga, Mum und Dad! Wollt ihr nicht reinkommen? Dann kann ich euch Anna vorstellen!" rief er laut.

Unter lautem Gelächter umarmten  seine Eltern sie. Sie hatten nicht so viel wie Thomas und Inga von dem Herzschmerz ihres Jüngeren mitbekommen, aber das wenige hatte ihnen gereicht.
„Du riechst höchst appetitlich nach Kuchen!" stellte Johannes dann mit Blick auf seine Schwägerin fest. „Sie und ich, wir haben ein Backverhältnis." informierte er seine Süße. „Sie versorgt mich mit dem Lebensnotwendigsten."

„Dafür weihst du uns in die Gefilde der Haute Cuisine ein!" konterte sie.
„Kochen kannst du auch noch?" fragte Anna und wurde sich erst danach der Anzüglichkeit ihrer Worte bewusst. Sie wurde ein bisschen rot. Er musste sie unbedingt küssen. Das war schon wieder ein verdammt heißes Kompliment gewesen.
Die anderen hatten zum Glück die Zweideutigkeit nicht wahrgenommen, oder sie überspielten sie. Anna glaubte an Letzteres, dem leisen Schmunzeln auf den vier Gesichtern nach zu urteilen.

Inga sah auf die Uhr. „Also in einer halben Stunde ist der Kuchen verzehrfertig!" verkündete sie und machte sich auf nach Hause.
Der Rest der Familie folgte.
Johannes drehte sich mit Anna im Kreis. „So! Hast du das auch überlebt! Jetzt fehlen nur noch acht Tanten und Onkel, gefühlt hundert Cousins und Cousinen samt Nachwuchs. Aber das hat Zeit bis morgen."

Zuerst musste er sich ein paar Küsse klauen. „Oder übermorgen!" Hatte er sie jetzt schon geküsst? Er erinnerte sich nicht. Zur Sicherheit machte er das Programm nochmal durch. „Oder überübermorgen!"
Noch ein paar Küsse!
Da läutete ein Apparat an der Wand. „Oh! Der Essensgong! War das jetzt schon eine halbe Stunde?" wunderte er sich.

Anna lachte und lachte und lachte.
Und es war so unbeschreiblich schön, Tränen neben diesem Kerl lachen zu können.
Er küsste die erste, die über ihre Wange lief, weg. „So schlimm ist meine Family auch nicht, Süße!" tröstete er sie todernst, was einen neuen Lachanfall auslöste.
Aufgedreht kamen sie in der Wohnung seines Bruders an. Vater Vanmeeren sah seine Frau an: „Wer ist eigentlich dieser junge Mann da? Und was hat er mit unserem Sohn gemacht?"

Es war die lustigste Kaffeerunde, die Anna je erlebt hatte.
„Und? Was kochst du heute für uns?" fragte Inga nach einer Weile.
Johannes grinste sie frech an. „Ich bring euch eine Dose Ravioli rüber. Mehr gibt es heute nicht. Vielleicht nie mehr."

Thomas lachte, bis er sich den Bauch hielt. „Dosenravioli! Erzähl uns bitte nicht, dass du weißt, dass es so etwas gibt."
„Schon! Hab ich immer zu Hause, falls mich mal eine Grippe erwischt. Nicht, dass ich mich dann euren Kochunkünsten ausliefern muss, wenn ich sowieso schon dem Tod geweiht bin." gab Johannes zurück.

Ein Wort gab das andere, auch Anna mischte kräftig mit.
Nach einer Stunde hatte sie nicht nur Muskelkater in der Leiste von der letzten Nacht, sondern auch in den Bauchmuskeln vor Lachen.
Als sie sich verabschiedeten, nahm seine Mutter sie in die Arme. „Du tust ihm gut, Anna!" sagte sie leise. „Er ist ganz neu."

Johannes tanzte mit ihr zur Melodie des Schneewalzers zurück zu seinem Hexerich-Häuschen.
„Übst du schon den Hochzeitswalzer?" rief ihm sein Bruder nach.
„Den brauch ich nicht üben, ich tanze gar sehr gut!" rief Johannes über seine Schulter zurück.

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