Teil 11
Johannes
Thomas fand seinen Bruder halbtot im Bett. „Jo? Lebst du noch?" Die Bude stank ordentlich nach Sprit.
Was war denn da los? Der halbheilige Johannes hatte sich abgeschossen?
Hatte er sich nicht gestern mit der Kleinen getroffen, von der er seit einem halben Jahr pausenlos gesprochen hatte?
Inga, seine Frau, hatte dem Schwager immer gerne zugehört, hatte ihm Ratschläge gegeben.
Thomas hatte schon öfter mal die Augen verdreht. Irgendwie brachte der Kerl das mit den Frauen nicht auf die Reihe.
Jetzt lag er also im Bett, wahrscheinlich mit einem ordentlichen Brummschädel. Er schüttelte ihn noch einmal. Jo öffnete ein Auge, schloss es mit schmerzverzerrtem Gesicht gleich wieder, als Licht eindrang.
Thomas setzte sich an sein Bett. „Was ist denn los? Was ist passiert?"
„Anna! Was sonst?" stieß Jo hervor. Alles war wieder da! Er hatte gehofft, die Erinnerung totgesoffen zu haben.
Vorsichtig setzte er sich auf. Wider Erwarten hielt sein Schädel dem Pochen dahinter stand. Aber er war in einem Karussell aufgewacht.
Stöhnend ließ er sich wieder ins Kissen fallen.
„Ich koch dir mal Kaffee!" schlug Thomas vor.
Jo nickte nur vorsichtig. Seine Gedanken rasten wieder zu dem gestrigen Abend. Sie hatten sich geküsst! Es war so schön gewesen! Seine Augen wurden feucht.
Und dann?
War dieser Idiot aufgetaucht und hatte alles kaputt gemacht.
Weil er etwas mit ihr gehabt hatte!
„Na, wollen wir wieder etwas Spaß haben da draußen?" hatte er gefragt.
Wieder!
Also waren sie schon mal im Hinterhof zusammen gewesen!
Und da sie wohl kein Mädchen war, das schon beim ersten Mal rummachte mit einem Kerl, hatte sie ihn sicher schon öfter getroffen.
Und ihn hatte er Kuppelmann genannt!
Woher wusste der das?
Hatte sie zusammen mit diesem Kerl über ihn gelacht, gelästert?
Was fand sie überhaupt an diesem Halbaffen?
Thomas kam mit einer großen Tasse starkem Kaffee zurück, flößte ihn seinem Bruder ein.
Das Koffein fuhr sofort in seine Adern, vertrieb den Nebel aus seinem Kopf.
„So! Dann duschst du bitte jetzt, und dann leihe ich dir mein Ohr für die nächste Anna-Geschichte!" erklärte Thomas und versuchte, nicht durch die Nase zu atmen.
Jo schlurfte in Richtung Bad. „Wird wohl die letzte sein!" sagte er vor sich hin.
Doch der Bruder hatte die bitteren Worte verstanden.
Hatte die Kleine ihn schon wieder vorgeführt?
Langsam bekam er einen ordentlichen Brass auf das Weib!
Wenn die wüsste, was Jo für ein feiner Kerl war, sie würde mit fliegenden Fahnen angerast kommen und ihm die Füße küssen.
Aber der war zum einen zu gut für die Damenwelt, zum anderen war er schon auch sehr anspruchsvoll.
Er hatte ihm ein paar Mädels vorgestellt, aber so recht hatte es nie gefunkt, obwohl die wirklich willig gewesen wären.
Aber diese Tussi, die Gerd da angeschleppt hatte, die musste es unbedingt sein.
Jo kam zurück, roch wenigstens etwas besser als vorher.
Aber er sah zum Gotterbarmen aus.
„Also! Sprich! Was hast du dir von ihr wieder bieten lassen müssen?"
Jo verzog das Gesicht. Doch dann begann er zu erzählen. Von dem superschönen Beginn des Abends, seiner Frage, ihrer Antwort, dem ersten Kuss, den Küssen danach.
Und dann der Auftritt des Gorillas.
Den Beleidigungen und seiner Reaktion darauf.
Wie er weggelaufen war, wie sie ihm nachgerannt war, wie sie gerufen hatte nach ihm.
Und während er noch sprach, merkte er urplötzlich, was für einen riesengroßen Bockmist er gebaut hatte.
Und auch Thomas sah ihn ungläubig an. „Du hast sie mitten in der Nacht alleine da stehen lassen? Weil irgendein Idiot Scheiße geredet hat? Sie ist dir nachgelaufen, und du bist weitergerannt? Sie wollte es dir erklären, aber du hast nicht zugehört? Bist du total bescheuert?"
Jo wurde erst feuerrot, dann käsebleich.
Aber Thomas war noch nicht fertig. „Und was hast du ihr eigentlich vorzuwerfen? Sie hatte damals kein Interesse an dir, hatte vielleicht auch kein Interesse daran, verkuppelt zu werden. Ein halbes Jahr später hat sie dich näher kennengelernt, hat sich von sich aus auf euch beide eingelassen, hat dir ein paar Minuten vorher erklärt, dass sie eine Beziehung mit dir versuchen wollte, obwohl sie erst eine ziemlich gescheiterte hinter sich hat. Und du rennst davon wie ein beleidigtes Kleinkind?"
Jo donnerte das Kissen des Sofas in die Ecke.
„Fuck! Fuck! Fuck!" Er schlug sich mit der Faust auf den Kopf. „Bin ich ein Trottel!"
„Stimmt!" meinte Thomas nur, stand auf und ging zur Haustüre. „Bring das in Ordnung!"
Johannes ließ den Kopf hängen. „Bring das in Ordnung!"
Das sagte sich leicht!
Wie er gehandelt hatte, war unverzeihlich!
Plötzlich überfiel ihn nackte Panik. Hoffentlich war sie gut nach Hause gekommen!
Da waren ihm doch zwei Riesenkerle entgegengekommen! Sie mussten kurz darauf auf Anna gestoßen sein.
O Gott! Und danach hatte er keine Schritte mehr von ihr gehört, und auch zu rufen hatte sie aufgehört.
Ihm wurde todschlecht.
Er griff nach dem Telefon, drückte den grünen Knopf. Es läutete endlos durch, natürlich! Er an ihrer Stelle würde ihn auch igorieren.
Er versuchte es mit der Mailbox. „Hallo Anna! Ich habe gestern riesengroßen Mist gebaut! Ich will jetzt auch nicht lange deine Nerven strapazieren! Aber bitte, lass es mich irgendwie erfahren, ob du gut nach Hause gekommen bist!"
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