Kapitel 88

Britta und Hannes hatten einen ähnlichen Gesichtsausdruck, als sie sich zum Abendessen trafen. Die Besucher hatten eines der Gästeappartements beziehen können, hatten eine Woche eingeplant, die wie im Flug verging.

Als sie abfuhren, nahmen sie einen Großteil der neuen Sachen mit, die Mona sich geleistet hatte.
Am Abend trafen Leonie, Marlon und Ronja ein, noch immer das Jungvolk genannt, obwohl sie mittlerweile durchaus Best-Ager geworden waren. Sie waren ebenfalls ausgesprochen erleichtert, als sie sahen, wie gut es ihrer Mutter wieder ging. Ihre Besuche im Krankenhaus hatten sie kaum ertragen können, auch das Leid in den Augen des geliebten Vaters hatte sie sehr mitgenommen.

Doch Mona hatte sie auch immer wieder gebeten, nicht zu kommen, da sie den Schmerz ihrer Süßen geahnt hatte und zum Trösten zu schwach gewesen war.

Die Ehepartner und die erwachsenen Kinder waren zu Hause geblieben, die drei wollten ihre Eltern, vor allem ihre Mutter, ganz für sich alleine haben.
Auch sie bezogen das Gästeappartement. Dem Chefarzt und der Verwaltung fiel es leicht, die beiden Zimmer für die Familie Reiser zu blocken, da Simon eine großzügige Spende für den Neubau mit vielen modernen Therapieräumen überwiesen hatte.

„Ich will Sie aber nicht bestechen!" scherzte er. „Ich möchte auch nicht, dass andere Besucher darunter leiden, dass unsere Leute die Suite belegen. Wir möchten gerne die Kosten für einen Hotelaufenthalt von Angehörigen in der Zeit, in der Mona noch hier ist, übernehmen."
Der Arzt nahm das Angebot gerne an. Dem Paar tat es sicher nicht weh, und anderen konnte damit geholfen werden.

Außerdem war er nicht im mindesten bestechlich, doch wenn einer, der es sich leisten konnte, Gutes für andere, die über nicht so viele Mittel verfügten, tun wollte, stellte er sich natürlich nicht quer.
Und der Anbau war ein Herzenswunsch von ihm. Mit der Summe von Dr. Reiser konnte sofort damit begonnen werden.

Die Tage mit den Kindern waren für Mona wundervoll. Lange waren sie nicht mehr als Kernfamilie zusammen gewesen. Sie erzählten sich Anekdoten aus der Vergangenheit, die alle mit: „Wisst ihr noch?" begannen.

Sie lachten über all die vielen kleinen Geschichten, aus denen ein Leben geworden war.
Ein wunderbares Leben!
Für alle!
Leonie war am zweiten Abend etwas still.
Jonas müsste hier bei uns sein!

Jonas, der ihr Bruder gewesen war, mit dem sie aufgewachsen war.
Sie erinnerte sich an viele glückliche Stunden, aber sie erinnerte sich auch an viele Tränen ihrer Mutter und seines Vaters.

Nie vergessen hatte sie in all den Jahren die Frage des Freundes, als ihr Papa, den sie ja nicht gekannt hatte, wieder zurück kam in das Leben von ihr und Mona: „Kommt meine Mama auch mit?"
Damals hatte sie die Zusammenhänge noch nicht verstanden.

Aber eingebrannt in ihrer Seele hatte sich der schmerzliche Ausdruck in Hannes' Gesicht, als Jonas ihm entgegen gelaufen war und gerufen hatte: „Leonies Papa kommt! Aber meine Mama bringt er nicht mit!"

Ein paar Tage später war dieser hübsche Papa dann dagewesen, und Jonas hatte das klaglos akzeptiert.
Am Abend telefonierte sie mit dem engsten Vertrauten all ihrer Jahre. „Morgen komme ich!" erklärte Jonas. Ja! Er wollte dabei sein! Er war eines der Kinder von Mona, war es immer gewesen. Sie war die einzige Mutter, die er je gekannt hatte.

Britta war dann die Frau seines Vaters geworden, aber der Platz einer Mutter war in seinem Herzen belegt gewesen.
Er rechnete es Britta noch heute hoch an, dass sie ihn nie bedrängt hatte.
Dass sie ihn geliebt und wohl auch erzogen hatte, aber dass sie nie Monas Rolle in seinem Leben hatte übernehmen hatte wollen.

Mona schloss ihren Ziehsohn herzlich in die Arme. Ja! Er gehörte zu ihnen, zu ihrer Familie.
Sie war jeden Tag des zweiten Lebens mit Simon ihrem Mann dankbar gewesen, dass er Hannes und Jonas in ihrer beider Leben so innig aufgenommen hatte.

Sie hatten sich erst ein paar Wochen gekannt, als das Unglück geschehen war, und oft hatte sie sich in den folgenden Jahren Gedanken darüber gemacht, was aus dem Freund und seinem Sohn geworden wäre, wenn Simon nicht abgestürzt wäre. Sie hatte sich auch offen mit der Liebe ihres Lebens darüber unterhalten.

Natürlich gingen sie nicht so weit, zu behaupten, dass das gut gewesen wäre. Aber wenn es schon mal hatte passieren müssen, konnten sie auch das Gute, das daraus gefolgt war, akzeptieren.

Wie auch die Geburt von Marco, der einen Tag später eintraf. Auch er hatte das Gefühl, dass er bei der Frau, die viele Jahre lang Mutter für ihn gewesen war, sein musste.

So saß eine mehr als glückliche Familie im Park der Reha-Klinik. Eltern, drei leibliche Kinder und zwei nicht-leibliche, aber nicht weniger geliebte.

Simon hielt seine Süße wie immer im Arm, lächelte selig vor sich hin. Seine Gedanken trifteten wieder einmal ab in die Vergangenheit. Er sah sie durch den Torbogen des Biergartens kommen, ihr Bild von damals hatte sich in seinem Gehirn und seinem Herzen eingebrannt. Ein paar Tage später hatten sie beschlossen, ein Kind zu bekommen, was eigentlich vollkommen verrückt gewesen war.

Sie hatten seinen Sonnenschein Leonie gezeugt, deren Geburt und erste Jahre er durch den Unfall versäumen hatte müssen.
Doch er war mehr als entschädigt worden für die schlimmen Jahre.

„Hey, Dad! Wovon träumst du?" riss ihn eine italienisch gefärbte Stimme aus seinen Gedanken.
Marco, der Sohn, den es eigentlich nicht hatte geben sollen, grinste ihn breit an.

Simons Gesicht blieb ernst, sein Blick ging in den Himmel. Es musste ja niemand wissen, dass er den Kopf nur hob, damit die Tränen in seinen Augen blieben. „Ich erinnere mich an mein Leben, und das war besser als jeder Traum!" antwortete er heiser und drückte sein Mädchen noch fester an sich.

„Das war unser Leben auch!" flüsterte Leonie.
Da wusste Mona, dass alles einen Sinn gehabt hatte. Die ganzen Qualen, die Schmerzen, die Beeinträchtigungen, mit denen sie nun leben musste. Jeder Tag, den sie mit ihren Kindern und ihrem Mann noch geschenkt bekommen würde, war das alles wert. Sie haderte nicht mit ihrem Schicksal, sie war gesegnet.

Seit diesem letzten Schultag vor so vielen Jahren war sie gesegnet.
Die drei Jahre, als sie dachte, Simon sei tot, wären nicht nötig gewesen, aber sie hatten Hannes und Jonas ein Zukunft verschafft und ihrem italienischen Sonnenschein das Leben geschenkt.
Carlotta war schon so viele Jahre nicht mehr am Leben.

„Ich liebe euch, und ich liebe das Leben!" sagte sie leise, und alle schnieften ein paar Tränen weg.
Dann klatschte Simon in die Hände. „Schluss jetzt mit der Sentimentalität! Lasst uns das Leben feiern!"
Alle lachten, sie brachen auf, um das angesagteste Lokal der Stadt zu stürmen.

                                                      **** ENDE****


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