Kapitel 87

Hannes und Britta waren die ersten Besucher. Sie machte sich die schlimmsten Vorwürfe, dass sie Mona nicht im Krankenhaus besuchen hatte können.
„Ich liebe sie wie die Schwester, die ich nie hatte. Warum konnte ich die Kraft nicht aufbringen, für sie da zu sein!" ging sie mit sich ins Gericht.

Hannes nahm sie in die Arme. „Eben, weil du sie so liebst. Du wolltest ihr ihre Würde lassen."
Britta sah diesen wunderbaren Mann bewundernd an. „Aber du? Du bist immer dort gewesen!"

Sein Blick driftete etwas ab. „Wir beide haben so viel zusammen durchgestanden. Wir haben uns nächtelang im Arm gehalten, haben zusammen geheult, haben uns zum Weitermachen aufgeputscht für unsere Kinder. Unsere gebrochenen Herzen sind zusammen geheilt, jeden Tag ein Stückchen mehr, wenn wir mit den Kleinen zusammen waren. Dann sind sie wieder zerbrochen, und wir haben von vorne angefangen."

Und Britta verstand wieder ein wenig mehr von der absoluten Verbindung zwischen ihrem Mann und Mona.
Sie atmete tief durch und stellte die Frage, die schon seit Jahren immer wieder durch ihren Kopf spukte.
„Und ihr habt nie .... ich meine, euch ist nie in den Sinn gekommen ....?" Sie konnte die Worte nicht aussprechen. Vielleicht auch, weil sie Angst vor der Antwort hatte.

Hannes sah sie verwundert an. Er wusste schon, was sie ihn hatte fragen wollen. Aber jetzt?
Nach all den Jahren?
Hatte sie sich die ganze Zeit gefragt, ob er mit Mona geschlafen hatte?
Ob er das Verlangen dazu gehabt hatte?
Seltsamerweise hatte Simon nie in diese Richtung gedacht.
Seltsamerweise!
Ja!

Mona war eine ausnehmend schöne Frau, er ein Mann in den besten Jahren, auch nicht gerade unansehnlich.
Aber der Freund hatte gefühlt, dass es diese Art von Anziehung zwischen Mona und ihm nie gegeben hatte.

Sein Gesicht verschloss sich etwas. Britta lebte schon so lange an seiner Seite, er hatte ihr nie einen Grund gegeben, an seiner Liebe zu zweifeln.
„Nein! Wir hatten nie ein sexuelles Interesse aneinander!" antwortete er schärfer, als er es eigentlich gewollt hatte. „Wir haben einander nur gebraucht, um zu überleben."
Britta schämte sich zum zweiten Mal auf dieser Fahrt. Sie griff nach seiner Hand. „Es tut mir leid, Hannes!" flüsterte sie. „Aber diese Art von Schmerz kann eben nur der verstehen, der ihn erlebt hat."

Sein Lächeln kam von Herzen. Sie hatte so recht. „Ich bin froh, dass du ihn nicht so ganz verstehen kannst, diesen Schmerz!" antwortete er.

Dann kamen sie an der Kurklinik an, und Hannes und Britta wussten beide, dass sie nicht oft ein so wichtiges Gespräch geführt hatten.

Britta fiel Mona um den Hals, schluchzte einfach los. Sie hatte die Freundin so sehr vermisst.
Als sie wieder reden konnte, stieß sie hervor: „Es tut mir so leid, dass ich dich nicht besucht habe!"
Mona strich ihr tröstend über die Haare. „Ich bin dir sehr dankbar, dass du mich nicht besucht hast. Ich war ein Wrack. Dieses Bild hättest du nie wieder aus deinem Kopf bekommen. Ich sehe heute noch schlimm genug aus."

Britta sah sie entrüstet an. „Du siehst toll aus!"
Mona lächelte dankbar für diese Lüge, die aber vielleicht auch keine war. Sie selbst sah sich sehr kritisch jeden Tag im Spiegel an, bemerkte die Spuren, die die Krankheit natürlich hinterlassen hatte.
Kurz danach suchte sie immer in Simons Augen nach einem Hinweis darauf, dass er diese Spuren ebenfalls bemerkte.

Aber sie fand nie etwas davon.
Was sie sah, war immer noch der liebevolle Blick, die Bewunderung in seinen Augen wie an diesem Abend im Juli in einem Biergarten in ihrer Stadt.
Und das nach all diesen Jahren.

Da wusste sie jedes Mal, dass sie für ihn nie hässlich oder alt werden würde, weil sie immer noch das Mädchen von damals war, in das er sich Hals über Kopf verliebt hatte.
Und sie konnte nicht mit ihrem Schicksal hadern, das ihr eine solche Liebe beschert hatte, ein solches Glück im Leben, eine so wunderbare Familie und einen so wunderbaren Freundeskreis.
Ganz zu schweigen von all den Möglichkeiten, etwas Gutes zu tun, die Welt ein wenig besser zu machen.

Ihr wurde klar, dass Britta sie auch mit den Augen der Liebe sah, dass sie auch für sie keine Narben zurückbehalten hatte.
Irgendwie spürte sie auch eine neue Vertrautheit zwischen Britta und Hannes.
Sie hatten sich immer offensichtlich geliebt, waren sicher glücklich miteinander geworden.
Doch ein kleines bisschen an Reserviertheit war auch immer zu spüren gewesen.

Sie hatte sich oft mit Simon darüber unterhalten, der ihrer Meinung gewesen war.
„Es wird halt seine Trauer um Mia sein. Wenn man so sehr geliebt hat, so überirdisch glücklich war, schafft man es vielleicht nicht, sich ein zweites Mal so fallen zu lassen!" hatte er ihr erklärt.
Sie hatte das auch geglaubt. Wenn Simon nicht zu ihr zurückgekommen wäre, sie hätte sich nie wieder verlieben können.

Doch heute, hier in der Aula der Rehaklinik, schien ein neues Leuchten in den Augen der beiden aufgetaucht zu sein.
Hannes umarmte sie ebenso herzlich. Er war überglücklich, seine Seelenverwandte der schlimmen Jahre wieder lächelnd zu sehen. „Ich bin froh, dass du den Quatsch mit der Glatze wieder gelassen hast!" zog er sie auf.

Lachend machten sich die Vier auf in den Speisesaal, steckten viele der Mitpatienten mit ihrer guten Laune an, brachten einen Hauch von Normalität zu denen, die alle Schweres hinter sich hatten.

Sie stürmten das Büffet, ließen sich das wirklich gute Essen schmecken.
„Bieten sie hier auch Kochkurse an?" fragte Hannes Mona augenzwinkernd.
„Schon! Ich habe auch einmal teilgenommen. Aber am nächsten Tag hat sich der Koch von einem Felsen gestürzt!" antwortete sie.

Simon musste ein paar Tränen wegschniefen.
Die Leichtigkeit war in das Leben von ihnen zurückgekommen.
Hannes tat ihr gut, weil er sie nicht in Watte bettete, weil er ihre freche Klappe herausforderte, weil er sie behandelte, als sei nichts geschehen.

Nach dem Mittagessen fuhren sie nach Salzburg. Mona hatte unbändige Lust zu shoppen. Ihre ganzen Sachen waren noch zu weit, erinnerten sie an die schlimmen Zeiten. Sie würde sie wieder einmal zu einem Second-Hand-Shop bringen, der sie für einen guten Zweck verkaufen konnte.

Heute wollte sie ihr geschenktes neues Leben feiern, dazu brauchte sie neue Klamotten.
Sie machten eine Reihe von Verkäuferinnen glücklich. Mona fühlte sich unglaublich dekadent und genoss es unglaublich.

Simons Herz raste vor Glück, genauso wie das von Hannes und Britta. In der Klinik stand Mona lachend vor dem Kleiderschrank. „Ich bin verrückt! Wo soll ich das denn alles hintun?" Er hob sein verrücktes Mädchen auf seine Hüften, das konnte er immer noch sehr gut. Dafür trainierte er schließlich regelmäßig mit den Gewichten.

Er tanzte mit ihr durch das kleine Zimmer.
Und zum ersten Mal seit Wochen packte sie beide die Leidenschaft, klammerten sie sich hungrig aneinander, keuchten sie vor Begehren.

Sie liebten sich mit der absoluten Hingabe, mit der sie sich immer liebten, gaben und nahmen alles an, was sie sich an Gutem tun konnten – seit so vielen Jahren.
Nach der obligatorischen Kuschel- und Knutschrunde rollten sie lachend durch das Bett - endlich wieder einmal.
„Weißt du, wie sehr ich dich liebe, Süße?" fragte Simon, vollkommen überwältigt von der Intensität der Gefühle.

„Nein!" antwortete sie. „Nein, Simon! Und das ist auch gut so So kann ich jeden Tag neu überrascht sein."
Er riss sie wieder in seine Arme, erinnerte sich daran, als sie diesen Satz zum ersten Mal gesagt hatte, als wäre es gestern gewesen. Dabei waren so viele Jahre seitdem vergangen.
Mit viel Beherrschung schafften sie es, die Hände voneinander zu lassen, vernünftig zu sein.
Doch sie schafften es nicht, ihr seliges Strahlen aus ihren Gesichtern zu bringen.


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