Kapitel 86

Dann waren die vier Wochen überstanden. Wider ihrem eigenen Erwarten hatte Mona es geschafft, vierzehn Bestrahlungen zu überleben.
Ihre Kopfhaut war teilweise schwer verbrannt, die Haare würden wohl nicht mehr nachwachsen an diesen Stellen.

Die Sehkraft des linken Auges hatte gelitten, das Sprechen fiel ihr schwer.
Sie war nur noch Haut und Knochen, so schwach, dass sie kaum einen Schritt alleine machen konnte.
Aber der Tumor war nahezu verschwunden, sie lebte und - sie würde leben.
Alles andere würde sie wieder auf die Reihe bekommen, alles andere würden sie zusammen schaffen.

Eine Woche musste sie noch im Krankenhaus bleiben, doch ohne die Bestrahlungen erschien ihr der Aufenthalt wie der schönste Urlaub ihres Lebens.
Täglich durfte sie normalere Kost zu sich nehmen, horchte sie in sich hinein, war dankbar, dass die Übelkeit ausblieb.

Einen Tag, bevor die Reha begann, konnte sie schon alleine ins Bad, um zu duschen.
Etwas wackelig – aber es war ein erster Schritt zurück.
Ärzte und Schwestern waren überrascht von der inneren Kraft, die die noch immer so schöne Frau anzutreiben schien.
Sie, Simon und Hannes wussten, dass die Liebe ihr diese Kraft gab.

Ein Krankenwagen brachte sie und ihren Mann in die Rehaklinik im Voralpenland. Der Professor hatte mit dem Kollegen telefoniert und ihm klar gemacht, dass die beiden ein Doppelzimmer beziehen mussten.
„Sie können schon versuchen, etwas dagegen zu unternehmen, aber Sie werden verlieren!" warnte er. Dann berichtete er von der Liebe, den guten Taten des Ausnahmepaares. Lächelnd beschloss der Kurarzt, sich zu beugen.

Sich einer Naturgewalt zu beugen.

Als der Sanka ankam, sah Mona alle Bewohner ihres verrückten Hauses vor der Kliniktüre stehen. Tränen der Liebe und der Erleichterung strömten über alle Gesichter.
Sie hatten die Clanchefin nicht verloren.

Die sechs Wochen waren ein Klacks gegen den Krankenhausaufenthalt.
Mona aß wie ein Scheunendrescher, genoss jeden einzelnen Bissen.
Schnell rundeten sich ihre Formen wieder.

Alle Patienten und Patientinnen waren bezaubert von dem Paar, das so liebevoll miteinander umging, das so unendlich viel Liebe ausstrahlte.
Die Ärzte und Therapeuten freuten sich auf jedes Treffen mit der immer strahlenden Frau und ihrem Ehemann, der sie keine Stunde am Tag aus den Augen ließ.

Mona war glücklich. Sie hatte ihr Schicksal gemeistert, hatte sich dem Kampf gestellt, hatte gesiegt. Mehrmals am Tag küsste sie den Anhänger, den Hannes ihr geschenkt hatte.
Mia, die sie nie hatte kennenlernen dürfen, hatte sie beschützt.
Die Zeit war schwerer gewesen, als sie es sich hatte vorstellen können. Manches Mal war sie kurz davor gewesen aufzugeben.

Doch Simon und seine Liebe hatten ihr immer wieder Kraft gegeben.
Sie wusste, er hätte sie gehen lassen, wenn der Berg unüberwindbar für sie gewesen wäre.
Doch so lange er noch Kraft in ihr spürte, hatte er sie zum Kämpfen angehalten.
„Es lohnt sich Baby!" hatte er ihr zugeflüstert, während er die Kotze von ihrem Gesicht gewischt hatte.

„Du wirst den Feind besiegen! Wir werden noch viele schöne, glückliche Tage erleben!" versicherte er, während er sie wusch.
Er sprach nicht von Jahren, wusste wie sie selbst, dass eine so lange Zeit eher unwahrscheinlich war.
Doch er wusste auch, dass ein glücklicher, unbeschwerter Tag zusammen alle Qualen wert war.

Sie hatte die Sehkraft des linken Auges fast vollständig eingebüßt, stolperte manchmal über ihre Füße, weil die Koordination der Gliedmaßen nicht mehr hundertprozentig funktionierte.

Deshalb griff auch ihre Hand hin und wieder daneben,
Doch ihre Sprachschwierigkeiten hatten sich vollkommen gelegt, ihr Geist war so klar wie zuvor. Brav machte sie alle Therapien, die verordnet worden waren, lachte zusammen mit ihrem Ehemann über den einen oder anderen Misserfolg.

Simon war mehr als glücklich. Er hatte sein Mädchen mit den violetten Augen nicht verloren.
Manches Mal war er nicht sicher gewesen, ob sie durchhalten würde, durchhalten konnte.
Ob er es von ihr einfordern durfte, bei ihm zu bleiben.
Ob er sie nicht gehen lassen musste, aus Liebe zu ihr.
Doch so lange er Hoffnung hatte, dass sie Kraft genug haben würde, bat er sie zu kämpfen.

Und jetzt waren sie gemeinsam hier, in dieser wunderschönen Gegend, es war Sommer, sie lachten zusammen, konnten sich im Arm halten, konnten sich küssen.
Ihr Körper verlor seine Ecken und Kanten, rundete sich wieder.
Die Haare wuchsen, die ersten Strähnen konnte sie schon wieder über die verbrannten Hautpartien am Kopf kämmen.

Das war nicht wichtig für ihn, denn er sah sie sowieso mit den Augen der Liebe. Aber für ihr Selbstvertrauen war es nötig.
Nach zwei Wochen war sie so stark genug, dass sie die Klinik für kurze Ausflüge verlassen konnten. Sie machten leichte Wanderungen, küssten sich alle paar Meter, waren verdammt froh, dass sie sich noch hatten.


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