Kapitel 82

Als sie vollkommen aufgedreht zu dem Leihwagen zurückgingen, wurde es Mona kurz schwarz vor Augen. Sie klammerte sich an Simons Arm, versuchte die Blitze in ihrem Blickfeld weg zu schütteln.
„Hoppala, Mäuschen!" zog ihr Mann sie auf. „Hast du etwas viel Champagner erwischt?"

Doch ein Blick auf seine geliebte Frau ließ ihn erstarren. Sie war kreidebleich, ihre Augen schienen herumzuirren, suchten einen Fixpunkt, den sie aber nicht fanden.
„Mona? Mona! Süße! Was ist los?" rief er vollkommen aufgelöst.

Sie atmete hektisch, wollte ihm doch keine Sorgen machen!
Nicht heute!
Nicht hier!
Aber sie hatte schon seit ein paar Tagen das Gefühl, dass etwas in ihrem Kopf nicht stimmte.

Zuerst hatte sie es auf den Flug geschoben, dann auf die Aufregung wegen seines Geburtstages.
Alkohol hatte sie schon seit einigen Tagen gemieden, er verstärkte den Schwindel nur noch.
Sie versuchte, ihm zu antworten, versuchte, ihm die Angst zu nehmen, aber sie brachte kein Wort heraus. Dann sackte sie an seinem Arm zusammen, Schwärze umfing sie.

Simon schrie auf wie ein verwundetes Tier.
Er nahm die Liebe seines Lebens auf die Arme, trug sie zum Wagen, raste zum nächsten Krankenhaus.

Hannes und Britta liefen ihm nach, ihnen war eiskalt vor Panik.
Mona, der Chefin des ganzen Clans, konnte doch nicht ernsthaft etwas geschehen.
Sie durfte auf keinen Fall krank werden!

Nach ein paar Kilometern machte Mona erstaunt die Augen auf, sah sich orientierungslos um.
„Wo bin ich denn? Was ist los?" fragte sie leise und schwach.
Simon wischte sich die Augen trocken. „Du bist umgekippt. Ich bringe dich ins Krankenhaus."
„Nein!" wehrte sie ab. „Auf keinen Fall. Mir geht es wieder gut."

Ihr Mann hielt auf dem Seitenstreifen, sah sie prüfend an. Sie hatte wieder etwas Farbe im Gesicht, sein Herzschlag beruhigte sich etwas.
Er löste die Sicherheitsgurte, riss sie in seine Arme. „Mäuschen! Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt!" stöhnte er.

Mona versuchte ein Lächeln, das aber etwas schief geriet. Das Pochen, das seit einigen Tagen in ihrem Kopf allgegenwärtig war, der Schwindel, der sie immer wieder überfallen hatte, die Sehstörungen, die sie immer wieder versucht hatte, weg zu blinzeln, machten ihr selbst Angst.

„Fahren wir nach Hause. Ich leg mich ein bisschen hin!" bat sie leise.
In der Villa brachte Simon sie gleich ins Bett. Beinahe augenblicklich schlief sie ein.
Er machte sich heftige Vorwürfe.
Hatte er sie mit dieser Reise überfordert?
Hatte er sie in der letzten Nacht überfordert?
Der Rausch hatte ihn wieder einmal erwischt, er hatte nicht genug von ihr bekommen können.
Aber sie hatte es doch genossen wie er!

Sie hatten zusammen gelacht, hatten die Finger nicht voneinander lassen können.
Hatte er ihr all die Jahre zu viel zugemutet?
Sie war immer die Clanmutter gewesen, hatte sich um alle, die in ihrem verrückten Haus wohnten. gekümmert.

Sie waren um die Welt gejettet, sie hatte sogar noch in der Firma mitgearbeitet.
Hatte sie je genug Zeit für sich selbst gehabt?
Genug Ruhe?
Er ging auf die Terrasse zu Britta und Hannes, die sehr bedrückt wirkten.

Mona war stets der Fels in der Brandung für alle gewesen, immer lustig, immer aufgedreht, immer glücklich.
Simon musste seine Selbstvorwürfe mit den Freunden teilen. „Habe ich sie überfordert?" fragte er mit Tränen in den Augen.
Hannes, der Freund so vieler Jahre, nahm ihn in die Arme. „Nein, Simon! Sie ist keine Frau, die etwas tut, was sie nicht will."

Das beruhigte Simon etwas. Hannes hatte recht. Sie hatte sich schon gewehrt, wenn ihr seine Verrücktheiten zu viel geworden waren. Selten zwar, aber das eine oder andere Mal hatte sie schon ein Veto eingelegt.
„Ihr Kreislauf hat halt ein wenig rebelliert!" meinte Britta. „Wir sind eben alle keine zwanzig mehr."
Langsam beruhigte sich Simon.

Klar! Sie waren keine zwanzig mehr!
Und auch keine 30 oder 40!
Seine Gelenke knacksten hin und wieder, nach manch durchliebter Nacht brauchte er ein, zwei Tage zum Regenerieren.

Er sah schnell nach der Liebe seines Lebens, sie schlief ruhig, tief und fest. Er trank ein Glas Wein mit den Freunden, rauchte zur Beruhigung seit langer Zeit wieder einmal eine Zigarette. Dann verabschiedete er sich, legte sich zu seinem Mädchen, bewachte ihren Schlaf.

Hannes sah in den Nachthimmel, seine Augen waren feucht.
Er hatte große Sorgen.
Mona und er waren Seelenverwandte geworden, seit er damals mit Jonas auf dem Arm zum Vorstellungsgespräch bei Reimon gewesen war, seit sie ihn mit Leonie auf dem Arm empfangen hatte.

Er hatte seit einiger Zeit beobachtet, wie sie gegen etwas zu kämpfen schien.
Wie ihre Augen abgedriftet waren, wie sie irgendetwas weg zu schütteln schien.
Irgendetwas stimmte da ganz und gar nicht.
Die Tränen begannen zu fließen.

Britta griff tröstend nach seiner Hand. „Du machst dir Sorgen?" fragte sie.
Er konnte nur nicken, begann zu schluchzen.
„Sie ist krank! Sehr krank. Ich fühle das!" stieß er schließlich hervor und klammerte sich an seine Frau.

Britta hielt ihn nur fest.
Worte hatte sie keine.
Sie wusste, wie eng die Verbindung zwischen Mona und Hannes war und glaubte ihm jedes Wort.
„Er würde es nicht überleben, sie zu verlieren!"

Hannes sprang auf.
Er würde Oliver anrufen. Der Freund vieler Jahre hatte zwar seinen offiziellen Job in Marlon und Ronjas Praxis aufgegeben, genoss mit Anja den Ruhestand, aber als Ratgeber würde er ihm schon zur Seite stehen.

Er schilderte ihm Monas Symptome, berichtete von seinen Beobachtungen.
Oliver fragte nach. „Hat sie Aussetzer? Beim Sprechen? Sind ihre Bewegungen fahrig oder unkontrolliert? Hat sie öfter Kopfschmerzen?"

Hannes merkte, dass er doch zu wenige Auskünfte geben konnte, damit Oliver sich ein Bild machen konnte.
„Also, eine Ferndiagnose ist mir jetzt zu heiß!" erklärte der Freund dann auch. „Aber so eine einmalige, kurze Ohnmacht ist auch nicht so sehr beunruhigend."

Mitten in der Nacht schreckte Simon hoch.
Verdammt! Er war eingeschlafen!
Er musste doch sein Mädchen bewachen!
Er fühlte ihren Puls, der normal war.
Weniger normal war, dass sie nicht aufwachte dabei.
Dass sie sich nicht an ihn schmiegte.
Dass sie bewegungslos, flach atmend, einfach weiterschlief.

Er musste Marlon anrufen!
Oder Ronja!
Den Sohn holte er aus tiefstem Schlaf.
Doch als er Nummer seines Vaters sah, meldete er sich sofort hellwach.
„Dad! Ist etwas passiert?" fragte er besorgt.

Simon erzählte von Monas Kollaps, während Tränen über sein Gesicht liefen.
„Ich schalte mal Ronja dazu!" erklärte Marlon. „Mum ist ja ihre Patientin!"

Simon wollte ihn davon abhalten, auch noch seine Schwester aufzuwecken, doch er wusste, dass seine Jüngste – sie war drei Minuten nach Marlon zur Welt gekommen – sauer sein würde, wenn sie ausgeschlossen von seinen Sorgen bliebe.

Die Eltern und Kinder waren sehr eng, sprachen eher wie Gleichaltrige miteinander. Sie hatten den Nachwuchs nie erzogen, hatten ihn einfach nur geliebt.
Mona war der Meinung gewesen, das würde genügen, und sie hatte wie immer recht gehabt. Auch die Enkelkinder waren bestens geraten, ohne je den Druck von Vorschriften zu spüren bekommen hatten.

Da meldete sich Ronja zur Konferenzschaltung. „Hey, Paps! Marlon hat mir erzählt, was los ist. Also, an einen Schlaganfall kann ich nicht glauben. Mammis Blutwerte sind so was von top, eine 20jährige würde vor Neid erblassen. Sie ist sportlich aktiv, durchtrainiert bis in den letzten Muskel, da kann nichts sein!." Sie klang sehr beruhigend. „Schau halt, dass sie genügend trinkt, macht ein wenig ruhiger!" riet sie schließlich noch.

Simon dankte seinen Zwillingen, legte sich etwas beruhigter zu seiner geliebten Frau.
Alles würde gut werden!
Mona fehlte nichts Ernstes!
Mona durfte nichts Ernstes fehlen!
Am nächsten Morgen ließ er sie schlafen. Als sie sich um elf Uhr noch nicht gemeldet hatte, wurde er wieder unruhig.
So lange geschlafen hatte sie noch nie, seit er sie kannte.


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