Kapitel 78
Jonas
Jonas hatte noch keinen Deckel gefunden, machte sich aber keine Sorgen.
Die Stadt war voll von schönen Mädchen, und sein Vater hatte auch erst mit 32 die Liebe gefunden.
Da konnte er ja noch ein paar Jahre durch die Betten der Stadt reisen.
Mit 28 Jahren hatte er den Firmenanteil seines Vaters übernommen, war ähnlich genial wie er.
Einige der ersten Mitarbeiter waren noch in der Firma, andere hatten sich ins Privatleben zurückgezogen, waren durch junge Leute ersetzt worden.
Er und Leonie waren ebenso so großzügige Chefs wie ihre Väter.
Annika hatte Informatik studiert, war sehr begabt auf dem Gebiet der Virtuell Reality, einem Zweig, der sehr im Kommen und auch Jonas' Steckenpferd war.
Sie saßen viele Stunden am Tag und oft auch in der Nacht zusammen am Computer, lösten Probleme, lachten, zogen sich auf.
Er hatte ihre Schwärmerei für ihn bemerkt, damals, als sie 15 war.
Er lächelte oft darüber, war aber froh, als sie anfing, Jungs zu treffen.
Sie war ja praktisch seine kleine Schwester, war vier Jahre alt gewesen, als Britta zu ihnen gezogen war.
Er war knapp zehn Jahre alt, es war nicht so ganz leicht gewesen, dass sein Vater mit seiner Lehrerin zusammen war, aber sie alle hatten das eine Schuljahr gut überstanden.
Karl musste hin und wieder in seine Schranken gewiesen werden, er nörgelte gerne mal an ihm und Leonie herum, vor allem, als herausgekommen war, mit wem Frau Malnik zusammenlebte.
Annika hing von Anfang an an ihrem großen Bruder, der sie auch sehr liebte.
Sie wuchs zu einem schönen Mädchen heran, groß und schlank wie ihre Mutter, mit langen braunen Haaren und fast schwarzen Augen wie sie.
Er brachte sie zu ihren ersten Dates, holte sie auch wieder ab, hatte ein wachsames Auge auf sie.
Sie schüttete ihm ihr Herz aus, wenn sie Liebeskummer hatte oder wenn sie glücklich war.
Er war der wichtigste Fixpunkt in ihrem Leben.
Später gingen sie oft gemeinsam weg, er, Leonie, die Zwillinge und Annika, Anna und Marco. Die Reiser / Maybach-Geschwister waren stadtbekannt.
Nun arbeiteten sie also zusammen.
Annika hatte ein paar Beziehungen ausprobiert, keiner der Männer war aber der Richtige für sie gewesen.
Irgendwie verglich sie alle mit Jonas, ihrem großen Bruder.
Sie führte ihm gerade ihre neuesten Einfälle vor, beide trugen diese komischen Brillen, hielten sich die Bäuche vor Lachen.
Danach saßen sie auf den Stühlen nebeneinander, Jonas wischte ihr eine Lachträne von der Wange.
Sein Daumen blieb ein wenig länger, als es nötig gewesen wäre, streichelte über ihre Haut, landete auf ihren Lippen, strich vorsichtig darüber.
Sie fühlte eine seltsame Erregung in sich aufsteigen, sein Herz klopfte ein paar Takte schneller.
Jonas, sie ist deine Schwester! hörte er eine warnende Stimme in sich.
Nein! Ist sie nicht! Aber sie ist ein wunderschönes Mädchen! antwortete er dieser Stimme.
Beide wussten nicht, wie ihnen geschah. Er zog sie hoch, nahm sie in seine Arme und begann sie zu küssen.
Ganz sanft, ganz vorsichtig, erwartete eigentlich lachende Abwehr, erlebte aber leidenschaftliche Hingabe an seine Lippen und an seine streichelnden Hände.
Sie verloren beide vollkommen die Beherrschung, er zog sie aus, sie befreite ihn von allen störenden Klamotten.
Er fand ein Kondom in seiner Geldbörse, sie zog es ihm mit zitternden Händen über.
Sie küssten sich, als hätten sie seit Jahren nur auf diesen Moment gewartet.
Als er in sie eindrang, bog sie sich ihm entgegen, klammerte sich an ihn, stöhnte vor Lust.
Sie hoben vollkommen ab, als sie sich auf diesem Tisch in seinem Chefzimmer liebten, umgeben von Computern, Kameras, Druckern und Scannern.
Danach hatten sie das Gefühl, sie müssten eigentlich verlegen sein, müssten ein wenig Reue empfinden über das, was geschehen war.
Aber es wollte sich kein Schuldgefühl einstellen, bei keinem von beiden.
Sie fühlten sich einfach nur wohl, als sie sich nackt in den Armen hielten.
„Das war schön, Annika!" flüsterte er in ihr Ohr. „Das war das Schönste, was ich je erlebt habe!" Und er wusste, dass das stimmte.
„Ja!" hauchte sie. „Das war gut!"
Sie zogen sich notdürftig an, schlichen durchs Haus bis zu seinem Zimmer.
Und dann liebte er sie, wie ein Mann eine Frau lieben sollte. Er hatte viel geübt in den Jahren zuvor, kannte sich durchaus aus mit dem Körper einer Frau.
Sie war auch nicht gerade unerfahren, merkte, dass er nicht nur auf dem Gebiet der Informatik sehr begabt war.
Und sie konnte ihm auch einiges bieten.
Nach dieser wahnsinnigen ersten Nacht waren sie ein Paar, noch ein glückliches Paar mehr in diesem seltsamen Haus.
Für die anderen Bewohner war es zuerst einmal ein Schock, dass Bruder und Schwester zusammen waren, doch sie sahen alle mit der Zeit ein, dass sie ja eigentlich gar nicht verwandt waren.
Der Architekt wurde wieder einmal bemüht, plante auf dem zum Glück großen Grundstück einen weiteren Anbau für Leonie und Florian im Parterre sowie Jonas und Annika im ersten Stock.
Er zählte kurz durch. Da waren jetzt noch Anna, die Tochter von Markus Maybach, und Ronja und Marlon, die Zwillinge der Reisers. Also gut, drei Wohnungen brachte er noch unter. Er konnte sich ja einstweilen mal ein paar Gedanken machen.
Marco lebte wieder in Italien auf dem Weingut in der Toskana, hatte sich schon einen guten Namen als Winzer gemacht. Er hatte sehr jung geheiratet, Carina, eine feurige Landsmännin, hatte schon zwei Kinder mit ihr.
Ab der Geburt seines ersten Enkels war es ein Running-Gag zwischen Simon und Mona, dass sie jetzt mit einem Großvater ins Bett ging.
Es brachte ihr immer einen zärtlichen Nasenstüber ein, wenn sie ihn damit aufzog.
Er war immer noch sehr glücklich darüber, wie sie damals auf sein Geständnis reagiert hatte, und mit wie viel Liebe sie danach seinen Sohn angenommen und aufgenommen hatte.
Sie besuchten die junge Familie so oft es ging in der Toskana, erinnerten sich an die Glücksstunden bei ihrer Hochzeit, aber nicht an den Schmerz, der zwei Tage später über sie hereinbrach.
Anna
Anna brauchte lange, bis sie ihre Verliebtheit in Marco, die während der Gymnasialzeit begonnen hatte, überwunden hatte, auch wenn sie als erwachsene Frau immer so getan hatte, als ob sie längst darüber weg war.
Sie fand die Liebe mit 28 mit einem Kollegen auf einem Juristen-Kongress.
Wie sich herausstellte war es Felix, der Sohn von Gregor.
Sie hatte ihn ein paar Mal getroffen, als sie Kinder und Jugendliche waren.
Gregor war ein Kollege von Mia gewesen, die Familien hielten immer noch losen Kontakt.
Felix konnte sich noch gut an sie erinnern, das schöne, langbeinige Mädchen, das aber nur Augen für diesen Marco hatte, den Italiener mit den hellblauen Augen, der aus irgendwelchen Gründen bei den Reisers aufgewachsen war.
Er hatte sie noch ein paar Mal in den Clubs der Stadt getroffen, aber sie war immer mit ihrer Clique unterwegs gewesen, hatte keinerlei Notiz von ihm genommen.
Nun war sie also Juristin wie er, arbeitete in der Mia-Maybach-Stiftung, aus dem schönen Mädchen war eine wunderschöne Frau geworden.
Er hatte eine missglückte, kinderlose Ehe hinter sich.
Das ist also aus dem schlaksigen Felix geworden, der sie eine Zeit lang angebaggert hatte, dachte Anna überrascht.
Aber damals hatte sie nur Augen für Marco gehabt.
Er war wirklich ein sehr gutaussehender Mann geworden.
Sie gingen zusammen Essen, erzählten sich von ihren Jobs, tanzten im Club des Hotels miteinander.
Sie küssten sich, fühlten beide das Prickeln, die Anziehungskraft zwischen ihnen, verbrachten die Nacht zusammen und wussten am Morgen, dass sie gut zusammenpassten, in jeder Beziehung.
Ein paar Wochen später zogen sie in den Anbau, den der Architekt Simon eingeredet hatte, im Hinblick auf die steigende Zahl der Mitglieder der Wohngemeinschaft.
Die Zwillinge Marlon und Ronja flogen durchs Medizinstudium. Sie wurde Allgemeinärztin, er Internist.
Sie eröffneten eine Gemeinschaftspraxis, nahmen sich vor allem der Patienten an, die am Rande der Gesellschaft lebten. Geld mussten sie nicht in erster Linie verdienen damit, Jonas und Leonie unterstützten sie großzügig.
Sie behandelten Drogen- und Alkoholabhängige, Obdachlose, Menschen ohne Krankenversicherung genauso wie Patienten der High-Society. Sie bezahlten ihre medizinischen Fachangestellten hervorragend.
Marlon
Marlon verliebte sich mit 30 in eine kleine zarte Blondine mit saphirblauen Augen, die auf einem Faschingsball an ihm vorbeigeschwebt war, die er aber erst ihrem Mann ausspannen musste.
Er hasste sich selbst dafür, es entsprach nicht seinem Moralkodex, aber es hatte ihn zu sehr erwischt. Es war eine harte Zeit für ihn, er litt wie ein Hund, versuchte sie zu vergessen, warb immer weiter um sie, musste sie doch überzeugen, zu ihm zu kommen, bei ihm zu bleiben.
Sie trafen sich in Hotels, nur sporadisch, nur wenn sie eine Ausrede für ihren Mann fand.
Er war besessen von ihr, wollte sie immer wieder überzeugen, ihren Mann zu verlassen, auch wenn er sich dabei schäbig fühlte.
Sie hatten keinen Alltag, sie hatten nur die gestohlenen Stunden der Leidenschaft!
Aber er wollte ein Leben mit ihr.
Sabine hatte schwer zu knabbern an der Liebe zu Marlon.
Ein einziges Mal war sie alleine auf einen Ball gegangen, weil ihren Mann die Grippe erwischt hatte und Freunde darauf bestanden hatten, dass sie mit ihnen dort hinging.
Sie hatte gedacht, dass sie glücklich verheiratet war, dass ihr nichts gefährlich werden konnte, bis sie dieser junge Mann aufgefordert hatte.
Dieser junge Mann mit den dunklen Haaren und den hellblauen Augen.
Dieser junge Mann, der sie beim Tanzen viel zu eng an sich zog, der ihren Blick viel zu sehr festhiel.
Der sie, aus welchem Grund auch immer, um ihre Telefonnummer bat, die sie ihm, aus welchem Grund auch immer, gab.
Dieser junge Mann, der am nächsten Tag anrief, mit dem sie sich mit Herzklopfen traf, mit dem sie in einem Hotel landete, mit dem sie eine unglaubliche Nacht verlebte.
Wegen dem sie ihren Mann anlog, als sie ihm erzählte, ihre Mutter sei krank.
Mit dem sie ihn immer wieder betrog, weil die Leidenschaft sie zu Marlon trieb, auch wenn sie wusste, wie falsch das war.
Sie verletzte aber auch Marlon immer wieder, weil sie zu ihrem Mann zurückging, mit ihm schlief, mit ihm lebte.
Den Marlon, den sie längst liebte mit jeder Faser ihrer Seele, ohne jedoch den Mut zu finden, einen Schlussstrich unter ihre Ehe zu ziehen.
Bis zu dem Tag, als er weinend auf einem Hotelbett saß, der große, schöne Mann, von Schmerz zerfressen, und zu ihr sagte: „Ich kann nicht mehr, Sabine! Ich halte das nicht einen Tag länger aus! Du musst dich heute entscheiden!"
Da fuhr sie nach Hause und packte einen Koffer.
Doch da ging der Trouble erst los.
Jochen, ihr Mann, wollte sich nicht damit abfinden, dass seine Frau ihn verlassen hatte.
Er terrorisierte Sabine, Marlon und die ganze Wohngemeinschaft.
Er verbreitete in allen Medien Lügen über seinen Nebenbuhler, dessen Familie, seine Frau.
Er stalkte Sabine und Marlon, trieb sich nächtelang am Haus herum, bis sie Kontaktverbot erwirkten.
Sie weinte viel, fühlte sich schäbig und schuldig.
Marlon litt darunter, dass sie so traurig war.
Doch nach einem halben Jahr gab Jochen auf, sie konnten ihr Zusammenleben beginnen.
Ronja
Ronja begann ein Verhältnis mit ihrem Doktorvater, der letztendlich seine Frau dann doch nicht verlassen wollte.
Als sie erfuhr, dass seine Frau schwanger war, obwohl sie doch angeblich schon lange nichts mehr zusammen hatten, trennte sie sich, heulte 14 Tage durch, rächte sich ein Jahr lang an der Regensburger Männerwelt.
Schließlich verlor sie ihr Herz an einen bildhübschen Jungen, der zwei Jahre jünger als sie und Automechaniker war.
Sie war alleine unterwegs an diesem Abend, flirtete sich durch die Reihen der Männer, spielte mit ihnen, genoss die Macht, die sie über das andere Geschlecht zu haben schien.
Da forderte sie ein gutaussehender Mann auf, den sie noch nie im Club gesehen hatte.
Er war anders als die Männer, die sie bisher gehabt hatte, leiser, ruhiger, ernsthafter.
Doch er zog sich von ihr zurück, als sie ihm von sich und ihrer Familie erzählte. Aber sie wollte nicht locker lassen, hatte sich verliebt in ihn an diesem ersten Abend, in ihrer Stammdisco, umgeben von Verehrern aus ihren Kreisen, aus denen er so positiv hervorstach.
Philipp war hin und weg von der schönen Ronja, gab aber seine Träume sofort auf, als er erfuhr, wer sie war. Ärztin! Tochter aus reichem Haus! Das ging ja gar nicht!
Er liebte und begehrte die Schönheit mit der blonden Mähne, dem wachen Geist, dem unglaublichen Humor vom ersten Tag an, hatte noch nie auch nur annähernd so empfunden.
Aber sie war ein paar Nummern zu groß für ihn.
Er lehnte weitere Treffen ab, doch sie rief immer wieder bei ihm an.
Sie redete auf ihn ein, er wusste nicht warum.
Vielleicht wollte sie ihr soziales Gewissen beruhigen?
Es war ein harter Kampf, sie versuchte ihn zu überzeugen, dass er sehr gut zu ihr passte, dass ihre Familie nicht snobistisch war, dass sie alle immer nur den Menschen sahen, nie den Beruf oder die Kohle, die jemand hatte oder verdiente.
Er ließ sich zu einem weiteren Date überreden, sie gingen an der Donau spazieren, er hielt sie nur an der Hand, versuchte ihr seine Bedenken zu erklären.
Doch Ronja ließ nicht locker. Sie wollte diesen Mann unbedingt, nicht nur im Bett.
Sie packte ihn in ihr Auto, fuhr zur Sozialstation, stellte ihm Florian vor, den Mann ihrer Schwester, der so sehr für sein Engagement brannte.
Der berichtete von seiner Arbeit mit Junkies und Underdogs. Philipp sah, wie ihre Augen leuchteten, während der junge Sozialpädagoge von seinen Erfolgen erzählte.
Ihr Schwager wurde zu ihrem besten Fürsprecher.
Philipp begann zu hoffen.
Zu hoffen, dass eine Frau wie sie ihn wirklich lieben konnte.
Eine Frau, die als Ärztin half, ohne auch nur irgendwie einen finanziellen Vorteil davon zu haben.
Als er die wahre Ronja erkannte, wusste er, dass es sein konnte, dass sie ihn lieben würde, dass er sie lieben durfte.
Von diesem Tag an war Philipp der glücklichste Mann der Welt und Ronja die glücklichste Frau.
Als er beim ersten Treffen mit der Wohngemeinschaft sarkastisch darauf hinwies, dass er wohl über Generationen hinweg das erste Mitglied ohne Studium war, musste Mona lachen.
„Sorry! Das zweite!"
Da wurde es ihm noch ein wenig leichter ums Herz.
Wenn die erklärte Clan-Chefin bildungsmäßig auf einer Stufe mit ihm stand.
Phillip hängte seinen Job an den Nagel, als seine Tochter Lea geboren wurde.
Er ergriff einen neuen Beruf, den des Großfamilien-Helfers, wie er oft lächelnd erklärte.
Durch sein handwerkliches Geschick war er von unschätzbarem Wert für die Mitbewohner.
Er führte Reparaturen durch, baute Möbel zusammen.
Er kaufte ein, beaufsichtigte Kinder, übernahm alles, wofür die anderen gerade keine Zeit hatte.
Er fühlte sich nicht im Mindesten unterfordert oder bekam gar Minderwertigkeitskomplexe.
In dieser Wohngemeinschaft fühlte er sich so liebevoll aufgenommen und so angenommen, wie es besser nicht ging.
Und die vielbeschäftigten Mitglieder brauchten dringend einen wie ihn.
Einen, der ihnen den Rücken freihielt, einen, der Zeit hatte, um einzuspringen, für was auch immer, einen, auf den sie sich alle hundertprozentig verlassen konnten.
Täglich holte er seine süße Ronja von der Arbeit ab, ihre Praxis lag in einem Brennpunktviertel.
Er versorgte seine süße, innig geliebte Tochter mit größter Begeisterung.
Seine früheren Freunde zogen ihn so lange mit seinem Softie-Leben auf, bis er keine Lust mehr hatte, sich mit ihnen zu treffen.
Die hatten ja alle keine Ahnung, wie erfüllt sein Leben wirklich war.
Nachdem Florian bei einem seiner nächtlichen Rundgänge durch die Szene zusammengeschlagen worden war, begleitete ihn Phillip, der ein Schrank von Mann war, oft.
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