Kapitel 68
Hannes, Mona, Simon, Markus
Anna wurde ganz schnell von Jonas und Leonie von ihrem Prinzessinnen-Thron geholt.
Wenn sie mitspielen wollte mit den beiden Älteren, musste sie sich anpassen und auch unterordnen. Sie begriff durch eine Reihe von schmerzhaften Ereignissen, dass alles andere Einsamkeit bedeutete.
Sie vermisste ihre Mutter kaum. Deren Stimmungsschwankungen hatten ihr immer mehr Angst gemacht.
Sie fühlte sich aufgehoben und sicher in dieser neuen Familie mit einer wahnsinnig netten Mutter, drei tollen Vätern und zwei lustigen Geschwistern.
Mona und Simon waren glücklich.
Sie waren zufrieden mit sich und ihrem Leben.
Nein, es war mehr. Sie waren begeistert, sie waren selig, sie waren überglücklich, sie waren alles, was man sein konnte.
Ihre Liebe wuchs, so wie sie hatte von Anfang an hätte wachsen sollen. Die drei verdammten Jahre waren vergessen, sie hatten mehr als aufgeholt.
Die Leidenschaft gehörte genauso zu ihrem Leben wie die Vertrautheit, die Liebe, das Lachen, die Zufriedenheit.
Manches Mal hatten sie seinen oder ihren Schreibtisch getestet, wussten aber noch immer nicht, welcher für heißen Sex besser geeignet war.
Sie mussten wohl den Test noch öfter durchführen.
Sie erlebten unzählige rauschhafte Nächte, in denen sie die Hände nicht voneinander lassen konnten.
Dann baten sie immer Hannes, die Kinder zur Schule zu bringen, machten weiter, wo sie kurz unterbrechen hatten müssen.
Die Angestellten waren es gewohnt, dass die beiden unregelmäßig an ihren Arbeitsplätzen auftauchten.
Alle merkten, dass sie umso verklärter aussahen, je später sie auftauchten.
Simon und Mona war klar, dass alle es wussten, aber es war ihnen egal. Sie hatten ein Wunder erlebt, und dieses Wunder musste gewürdigt werden.
Als Leonie sechs Jahre alt war, hielt Simon in der Nacht das Kondom in die Höhe.
„Sollten wir nicht langsam einmal ein zweites wunderschönes Baby machen?" fragte er sie mit einem frechen Lächeln. Seine wahnsinnigen Husky-Augen blitzten nur so.
Mona dachte eine halbe Sekunde lang nach. „Wer denn, wenn nicht wir?" Der Gummi flog verpackt in die Ecke.
„Wie ist es vom Zyklus?" fragte er.
„Gefährlich!" antwortete sie,
„Gut!" Und beide hatte ein wunderschönes Deja-vus.
Sie erinnerten sich an den vollkommen verrückten Entschluss vor sechs Jahren und neun Monaten, als sie nach nur zwei Tagen beschlossen hatten, ein Baby zu machen.
Eigentlich wussten sie, wie die Sache dieses Mal ausgehen würde.
Höchstwahrscheinlich würden sie in zwei Wochen einen Schwangerschaftstest kaufen, wenn möglich an einem Sonntag, und vielleicht würden sie ein paar Kondome mitnehmen.
Sie rollten lachend durchs Bett, erinnerten sich an damals, lachten Tränen, bekamen kaum noch Luft, was aber auch daran lag, dass sie sich so leidenschaftlich küssen mussten!
Und wohin das führte, wussten sie beide nur zu genau.
Das würde wieder ein später Arbeitsbeginn werden, sie würden sich wieder manches anzügliche Grinsen gefallen lassen müssen.
Aber sie würden sich jetzt und hier heiß lieben, bis sie Sterne sahen.
Und sie genossen es, sich wieder ohne den Gummi zwischen sich zu fühlen.
Mona beschloss, sich, sollte es wieder ein Kind werden, danach die Pille verschreiben zu lassen. Es war zwar auch mit Kondom wahnsinnig, wenn sie ihn in sich fühlte, aber ohne war es schon noch besser, eindeutig.
Simon beschloss, sie zu bitten, die Pille zu nehmen, wenn sie sie denn vertragen würde.
Der Sex mit ihr war zwar auch mit Kondom wahnsinnig gut, doch ohne war er schon noch eine Klasse besser, eindeutig.
Doch, wenn sie nicht wollte, oder wenn sie die Pille nicht vertrug, wäre es auch kein Problem, mit den Gummis weiterzumachen. Wichtig war nur sie, war nur, dass es ihr gut ging.
Wie sie es voraus gesehen hatten, blieb ihre Periode aus.
Wie sie es gehofft hatten, liefen sie an einem Sonntag, verrückt vor Glück in diese Apotheke, kauften einen Schwangerschaftstest und Kondome, verunsicherten die junge Angestellte, frühstückten in der Stadt, unterhielten sich über ihr Leben, tanzten zum Auto, warteten zu Hause auf das Ergebnis.
Und wie erwartet, wurde das Testfeld blau.
„Meine Jungs sind noch immer ganz schön flott!" stellte er überglücklich fest.
Also würde es ein zweites Baby geben.
„Hast du dir schon einen Namen ausgedacht?" fragte sie lächelnd.
Er grinste sie an. „Jonas hat uns ja Hannes geklaut! Jetzt wird es schwer mit den Jungennamen. Toni, Jonathan, Konstantin, mehr mit dem – on - im Namen habe ich noch nicht zu bieten"
„Mir ist eigentlich spontan Marlon eingefallen!" erklärte Mona. „Und bei den Mädchen Veronika oder Ronja!"
„Ronja ist doch hübsch. Ronja Räubertochter! Das passt doch. Ich bin ein bööööööser Räuber, der dein Herz geraubt hat." Er zog sie an ihrer blonden Mähne zu sich, um sie nieder zu schmusen. Leonie war bei Hannes, spielte mit Jonas und Anna. „Und Marlon gefällt mir auch!"
Er küsste sehnsüchtig weiter. „Also, abgemacht, Marlon oder Ronja!"
Er tanzte mit ihr durch das riesige Loft. Dumm von ihm, dass er einen so großen Raum gebaut hatte.
Es war immer so verdammt weit bis zum Schlafzimmer.
Eine Weile später gingen sie zu Hannes hinüber. Der Freund saß mit Markus auf seiner kleinen Terrasse, sah den Kindern zu, die auf einer Decke am Boden Karten spielten.
„Wir bekommen Nachwuchs!" platzte der extrovertierte Simon gleich heraus.
Hannes sprang auf, fiel den beiden um den Hals.
Markus tat es ihm nach.
Leonie wurde auf die Erwachsenen als erste aufmerksam. „Was ist los?" fragte sie.
Simon nahm sie hoch. „Du bekommst einen Bruder oder eine Schwester!" jubelte er und tanzte mit seiner Tochter im Kreis.
„Dann sind wir schon vier!" stellte sie ungerührt fest. „Das reicht aber dann, oder?"
Die Erwachsenen lachten, waren aber auch gerührt, dass die Kinder sich so nah waren.
Da gab es keine Eifersüchteleien, sie teilten sich klaglos eine Mutter, nahmen den Mann als Vater in Beschlag, der gerade verfügbar war, schliefen und aßen mal da, mal da, fühlten sich von allen geliebt.
Auch die Erwachsenen fühlten sich wohl zusammen.
Markus war glücklich, dass er seinen Zwilling wieder zurückbekommen hatte.
Er war froh, dass der Bruder die schlimmste Trauer überstanden zu haben schien und wusste, dass den größten Anteil daran Mona hatte.
Er liebte die schöne Frau wie er Mia geliebt hatte, wie eine Schwester.
Sie war ihr in Vielem ähnlich.
Vor allem ihr großes Herz, ihr Charme und ihr scharfer Verstand erinnerten ihn an die verstorbene Schwägerin.
Mona war zwar größer als Mia gewesen war, ihre Haare waren glatt und nicht so wild und lockig, ihre Augen hatten eine andere Farbe, aber ihre leise dunkle Stimme, ihr dunkles Lachen waren Mias sehr ähnlich.
Markus war froh, dass Simon für ihn angebaut hatte, dass er und seine Tochter ein Zuhause bekommen hatten.
Wie er gehört hatte, war Sarah nach Ibiza gezogen, sie hatte nach Anna nicht ein einziges Mal gefragt.
Na, da auf der Insel würde das Geld, das er ihr gezahlt hatte, nicht lange reichen.
Aber es gab nichts, was ihm gleichgültiger gewesen wäre.
Zu oft hatte sie ihn verletzt, zu oft hatte er ihr zu vieles verziehen.
Die Wohnung in der Stadt, die er ihr überschrieben hatte, hatte sie vermietet.
Mias Eltern kamen mittlerweile oft zu Besuch.
Sie hatten sich nur langsam vom Verlust ihrer Tochter erholt.
Ihrer Tochter, der nur knapp zwei Jahre an Glück vergönnt gewesen waren, die in dieser Zeit aber so intensiv gelebt hatte, als ob das Schicksal diese mit allem, was möglich war, hatte füllen wollen.
Ihr kurzes Leben hatte tiefe Spuren hinterlassen durch ihre Taten.
Sie hatte ihr Lebensziel erreicht, die Welt ein bisschen besser zu machen.
Ihre Talk-Show-Auftritte waren legendär geworden, die Idee ihrer Häuser hatte sich verselbstständigt, in vielen Städten Europas hatten sich Nachahmer gefunden.
Ihr Buch war verfilmt worden, in Hollywood und in Frankreich.
Die amerikanische Fassung war sehr verkitscht geraten, aber ein großer finanzieller Erfolg geworden. Der französische Film war sehr anspruchsvoll geraten, war in Frankreich Kult, vor allem, weil das Buch von ihrer deutsch-französischen Studienrätin stammte.
Paul und Monika freuten sich, dass es Hannes langsam besser zu gehen schien, dass ihr Enkel ein so wunderbares Zuhause mit so wertvollen Menschen gefunden hatte.
Sie liebten Mona wie eine Tochter, Simon, Markus und Hannes wie Söhne.
Über Sarah sprachen sie nie.
Das Mädchen war es nicht wert, dass man auch nur einen Gedanken an sie verlor.
Als sie das zweite Mal mit Markus zusammenkam, hatten sie gehofft, dass die Veränderung der Nichte zum Guten von Dauer wäre, aber irgendetwas war bei ihr im Kopf schiefgelaufen.
Auch Anja und Oliver kamen oft vorbei. Anja machte gerade ihren Facharzt in Gynäkologie, Oliver würde im nächsten Jahr bei Dr. Maybach die Ausbildung als Chirurg beginnen.
Die beiden hielten an ihrem Plan fest, in Afrika eine Klinik aufzubauen.
Sie waren schon oft in den Semesterferien dort gewesen, um zu helfen und zu lernen.
Oliver litt noch immer sehr unter dem Verlust seiner „Little Doc", der er so viel zu verdanken hatte. Die Treffen mit Hannes und den anderen halfen ihm immer, eine Weile über seinen Schmerz hinweg.
Vor allem Jonas, der hübsche, kluge Junge, dessen Taufpate er sein durfte, lenkte ihn ab.
Im Sommer kam Carlotta mit Marco für eine Woche zu Besuch.
Sie hatte es nicht recht glauben können, als Mona sie eingeladen hatte.
Diese Frau zeigte schon eine unglaubliche Größe.
Es wurde eine lustige Woche.
Nach drei Tagen geschah etwas mit Hannes, das er nie für möglich gehalten hätte.
Er merkte, dass er wieder eine Frau begehrte.
Er war weder verliebt, noch kannte er sie näher, sie sah auch vollkommen anders aus als seine Mia, aber er wollte mit ihr schlafen.
Langsam drehte er sich mit ihr zur Musik, langsam machten sich seine Hände tastend auf die Reise.
Er flüsterte ihr ins Ohr, dass er sie haben wollte, sie lächelte ihn an, ging mit ihm in sein Schlafzimmer.
Carlotta war noch nie ein Kind von Traurigkeit gewesen, was auch dadurch bewiesen wurde, dass sie eine Packung Kondome aus ihrer Handtasche zog und sie ihm lächelnd gab.
Es war kein Höhenflug, aber es war guter Sex für beide, für Hannes der erste seit über sechs Jahren.
Kurz packte ihn ein schlechtes Gewissen, als ob er Mia betrogen hätte, wusste aber, dass sie ihn ausgelacht hätte.
Sie verbrachten die Nacht nicht zusammen, beide wussten, dass es eine einmalige Sache gewesen war.
Mona hatte das Verschwinden von Hannes und Carlotta lächelnd bemerkt.
Es war gut! dachte sie. Seine Seele schien immer mehr zu heilen.
Mitte Januar bekam Mona Zwillinge, Marlon und Ronja.
Dr. Maybach machte den Kaiserschnitt, seine Frau Helena war für die Anästhesie zuständig.
Hannes hatte in der Zeit vor der Geburt komplett am Rad gedreht, weil es Winterkinder wurden, und er von panischer Angst erfüllt war.
Als Einziger war er glücklich, als Mona die letzten beiden Wochen im Krankenhaus bleiben sollte, da die Kinder zu früh kommen wollten.
Simon war ein sehr schwangerer Vater gewesen, auch weil er von der ersten Schwangerschaft nichts hatte miterleben dürfen.
Hannes hatte dafür mehr als Verständnis, Mona genoss seine Aufmerksamkeit.
Als sie erfuhren, dass es Zwillinge wurden, gab es in der Großfamilie großen Jubel.
„Na ja! Dann sind wir eben fünf!" stellte Leonie fest. „Aber das reicht dann wirklich."
Das fanden auch Simon und Mona, nach einer längeren Diskussion willigte er ein, dass sie sich nach der Geburt die Eileiter veröden lassen würde.
„Ich könnte aber auch eine Vasektomie machen lassen!" schlug er vor. „Ich hätte echt kein Problem damit."
Doch Mona hatte sich sehr genau informiert, wusste, dass der Eingriff bei ihr leichter zu vollziehen war. Aber für seinen Vorschlag liebte sie ihn wieder ein bisschen mehr.
Simon genoss jede Sekunde, als die Babys nach Hause kamen.
So viel Zeit hatte er bei Leonie versäumt.
Dafür hatte er jetzt alles gleich im Zweierpack.
Er wechselte begeistert Windeln, fütterte die beiden Wonneproppen, sah zu, wenn Mona die beiden stillte, wollte sie am liebsten den ganzen Tag küssen, abknutschen, im Arm halten.
Leonie grinste sich eins, wenn sie den aufgedrehten Papa beobachtete.
„Wenn du nicht aufpasst, frisst er sie auf!" warnte sie ihre Mum. Simon lachte über den trockenen Humor seiner Tochter Tränen. Von wem sie den wohl hatte? dachte er grinsend und fing seine Süße ein, um sich ein paar Dutzend Küsse zu stehlen.
In diesem Sommer fuhr Hannes mit Jonas zum ersten Mal wieder an den Gardasee.
Markus und Anna begleiteten die beiden.
Leonie war stocksauer, dass sie alleine zu Hause bleiben sollte. Jonas war traurig, dass seine Freundin nicht mitkommen durfte.
Doch alle beteiligten Eltern waren einer Meinung.
So gut sich auch alle verstanden, so sehr sie sich auch alle mochten, diesen Weg sollte Hannes ohne die Familie Reiser gehen.
Es wurde ein schwerer Weg.
Nach zwei Tagen wäre er am liebsten wieder heimgefahren.
Doch in der zweiten Woche wurde es besser.
Er hatte auch hier Abschied genommen von seiner großen Liebe, er hatte seinen Sohn zu seinen Wurzeln gebracht, er war stolz, das geschafft zu haben.
Markus und er sprachen viel über die Feste, die sie hier gefeiert hatten.
Ohne Sarah war auch Markus besser in der Lage, seinem Bruder bei seiner Trauer zu helfen.
Die Familie Reiser vermisste doch tatsächlich die Maybachs, hatte aber auch alle Hände voll zu tun mit dem doppelten Nachwuchs, auch wenn es ausgesprochen brave Kinder waren.
Leonie genoss nach ein paar verbockten Tagen dann die Zeit mit ihren Eltern und den kleinen Geschwistern.
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