Kapitel 65
Markus und Sarah
In dieser Nacht, als Hannes wortlos abgezogen war und Markus ihn wortlos hatte ziehen lassen, hatten Markus und seine Frau den ersten richtigen Krach.
Er hatte schon seit geraumer Zeit bemerkt, dass sie sich nicht zu ihrem Vorteil verändert hatte.
Aber die letzten Jahre war er so sehr in seiner eigenen Trauer um Mia gefangen gewesen, in seiner Sorge um Hannes und Jonas, dann aber auch in seiner Freude über sein eigenes Kind, dass er es immer wieder verschoben hatte, sie darauf anzusprechen.
Außerdem machte er sich schlimme Vorwürfe, weil sie an diesem zweiten Januar nicht dagewesen waren, um zu helfen, etwas was Sarah weit von sich gewiesen hatte.
„Ich bin Kinderärztin und keine Gynäkologin!" hatte sie gekontert.
Sie war von Mias Tod betroffen, schien aber nicht tiefer berührt zu sein.
Damals hatte sich Markus schon seine Gedanken gemacht.
Außerdem, dieses ewige Feiern, diese ewigen Partys gingen ihm zunehmen auf den Keks.
Ibiza war der Horror für ihn, doch sie war dort immer sehr glücklich, blühte auf, war sexy wie nie, deshalb machte er das Spiel immer wieder mit.
Sie war eine tüchtige Ärztin, aber als Mutter versagte sie eigentlich. Sie machte aus Annabelle ein Püppchen, erzog sie zur Prinzessin, nach deren Pfeife alle tanzen mussten.
Das alles warf er ihr in dieser Nacht vor, alles brach aus ihm heraus.
Sie vergoss keine Träne, blieb sehr gelassen, während sie seine Vorwürfe anhörte.
Danach sagte sie nur: „Dann geh halt, wenn du es mit mir nicht mehr aushältst. Blöd bloß, dass die schöne Mia nicht mehr zur Verfügung steht."
Für diesen Satz hatte er sie schlagen wollen.
Er erschrak über seine heftige Reaktion, aber noch mehr war er über ihre eiskalten Worte erschrocken.
Was war aus ihnen geworden?
In dieser Nacht betrank er sich, schlief im Gästezimmer.
Sarah lag alleine in dem Bett, in dem sie so oft so glücklich gewesen war.
Nun ließ sie auch die Tränen zu.
Der Tod ihrer Cousine hatte sie natürlich getroffen, mehr als sie die anderen fühlen ließ.
Aber zum Glück hatte sie ja diese kleinen Pillen, die den Schmerz nicht zu sehr an sie heran ließen. Die bunten Dinger, die sie Nächte lang tanzen, flirten, leben ließen.
Die sie so glücklich machten, auch wenn Markus mit einem Miesepeter-Gesicht an der Bar hing, immer krampfhaft nach einem Partner für ernsthafte Gespräche suchte.
Sie wusste, dass es falsch war, was sie machte, als Ärztin wusste sie es doppelt so gut.
Sie war sich auch vollkommen klar darüber, dass sie Markus verlieren würde, wenn sie so weiter machte.
Doch das war ihr eigentlich am meisten egal.
Auf jeder Party gab es mindestens einen Mann, der verknallt war in sie.
Da waren junge Männer, hübsche Männer.
Er würde finanziell bluten müssen.
Dann zog sie mit ihrem Töchterchen auf Ibiza und feierte den Rest ihres Lebens durch.
Sie hatte eigentlich den Bezug zur Realität schon komplett verloren.
Sie holte sich jetzt einfach noch eine Tablette.
Sie würde zwar die ganze Nacht nicht schlafen, aber dann meldete sie sich eben morgen wieder krank.
Wäre ja nicht das erste Mal.
Markus glaubte ihren Erzählungen von der erfolgreichen Medizinerin blind, wusste nichts von ihren Fehlzeiten, ahnte auch nicht, dass sie schon längst geflogen wäre, wenn nicht ein so großer Personalmangel geherrscht hätte.
Sie hatte mit diesen Pillen angefangen, als sie erfahren hatte, dass sie keine Kinder haben würde, hatte bald gemerkt, dass alle Probleme sich damit in nichts auflösten.
Als sie nach Mias Tod ausgerechnet ihren Sohn aufziehen sollte, weil der Herr Schwager sich eine Auszeit gönnte, hatte sie die Dinger fast täglich gebraucht.
Damals hatte sie Markus auch noch geliebt, wollte alles richtig machen, wollte ihm gefallen.
Das ging aber nur mit den kleinen bunten Muntermachern.
Als sie unerwartet schwanger wurde, hätte sie sich freuen sollen.
Doch es fiel ihr zunehmend schwerer auf die Pillen zu verzichten.
Sie schaffte es dennoch bis zur Geburt.
Doch danach brauchte sie mehr denn je.
Markus wunderte sich ein wenig, dass sie mit ihren Verdiensten nicht auskamen, dass er immer wieder von seinem Erbe zuschießen musste.
„So ein Kind kostet eben Geld!" antwortete sie, süß lächelnd, wenn sie eine geschluckt hatte, giftig, wenn sie eine brauchte.
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