Kapitel 63
Der Architekt sah von der Statik her keine Probleme, wenn noch ein Stockwerk aufgesetzt werden würde. Wegen des allgemeinen Wohnungsmangels würde auch eine Baugenehmigung keine Schwierigkeit darstellen.
Die geschätzten Baukosten in Höhe von 300.000 Euro wollte auf alle Fälle Hannes übernehmen.
Simon grinste nur. Als Mitarbeiterwohnung konnte er alles voll von der Steuer absetzen.
„Ich bin der Sohn eines Steuerberaters. Der zieht mir die Ohren lang, wenn ich das zulasse!" sagte er nur.
So vergingen die nächsten Monate.
Simon und Mona feierten ihr erstes gemeinsames Weihnachtsfest mit ihrer Tochter. Er genoss die leuchtenden Augen seiner Tochter, als die Kerzen am Baum brannten, als das Glöckchen erklang, das das Erscheinen des Christkindes verkündete.
Er hatte Tränen des Glückes in den Augen, als er die Kleine beobachtete, wie sie die Geschenke auspackte, mit jedem Teil glückstrahlend zu ihm gelaufen kam, sich in seine Arme warf.
Er konnte sich auch an seiner Frau nicht sattsehen, an ihrem Lächeln, ihren strahlenden Veilchenaugen. Er hatte ihr einen Anhänger anfertigen lassen mit drei dunklen Saphiren. Mit ihnen wollte er sich für die drei Jahre bedanken, die sie auf ihn gewartet hatte.
Er musste, ohne es zu wollen, an seine letztes Weihnachtsfest denken. Die Straßen in Bozen waren festlich beleuchtet, Carlotta hatte die Wohnung geschmückt, Geschenke für Marco gekauft, für Frederico Plätzchen gebacken. Sie hatte immer noch auf seine Liebe gehofft, doch er war kalt, zu Eis erstarrt, zu keinem auch noch so kleinen Gefühl fähig, so lange er nicht wusste, woher er gekommen war, wohin er gehörte.
Er hatte die Wohnung verlassen, war durch die Straßen gelaufen, ziellos, hatte sich zu den Obdachlosen gesellt, sich mit ihnen zusammen betrunken.
Er hatte die abgerissenen Typen beneidet. Sie hatten zwar kein Dach über dem Kopf, aber sie hatten eine Identität, einen eigenen Namen, eine Vergangenheit.
Irgendwann war er zu Carlottas Wohnung zurückgetorkelt, hatte fast gehofft, dass die Polizei ihn aufgreifen würde, damit er nicht dahin zurück musste.
In diesem Jahr hatte er zusammen mit Mona für Marco und Carlotta Geschenke besorgt und ein riesiges Paket nach Bozen geschickt. Vor der Bescherung hatte er mit seinem Sohn und dessen Mutter telefoniert, der Junge hatte durch das Telefon geplappert. Außerdem hatte Mona eine größere Summe an Carlotta überwiesen, sie hatte es ihm erst danach gestanden. Er hatte sie sprachlos vor Liebe an sich gedrückt.
Mona dachte ebenso an das letzte Weihnachtsfest. Sie war bei Simons Eltern gewesen, sie und Leonie waren alles, was den beiden von ihren Söhnen geblieben war. Dem Kind zuliebe hatten sie die Tränen verborgen, hatte versucht zu lachen und glücklich zu erscheinen.
Doch wieder zu Hause hatten ihre Tränen kein Ende gefunden, hatte sie Ströme geheult, hatte ins Kissen gebissen, um nicht laut aufzuschreien.
Um zehn Uhr hatte es geläutet. Hannes stand mit Jonas auf dem Arm vor der Türe, auch er vom Schmerz zerfressen.
Sie hatten sich in den Arm genommen, den Jungen zu Leonie ins Bettchen gelegt, die nur kurz geblinzelt hatte, hatten sich die ganze Nacht in den Armen gehalten.
Hannes hatte schluchzend von den Weihnachtsfesten mit Mia erzählt, wie sehr sie sich gemeinsam in ihrem letzten Jahr auf ihren Sohn gefreut hatten.
Doch dann wischten Simon und Mona beide die Erinnerungen beiseite, wussten aber auch, dass diese Flashbacks immer wieder kommen würden. Die Vergangenheit gehörte eben zu ihrem Leben.
Mona spielte ein paar Weihnachtslieder, Simon sang etwas ungeübt mit ihr die Texte mit.
Leonie legte den Kopf schief, hörte eine Weile zu.
„Mama kann besser singen, und Papa kann besser kochen!" fasste sie die Qualitäten ihrer Eltern trocken zusammen.
Die beiden lachten Tränen. Simon warf seinen Sonnenschein in die Luft, bis sie nur noch kieckste vor Vergnügen. „So ist es doch prima, oder? Wenn jeder etwas gut kann!"
„Aber der Hannes kann gut kochen und gut singen!" plapperte Leonie weiter aus. Dann stockte sie, als hätte sie selbst die Lösung dafür gerade entdeckt! „Aber der Jonas hat ja keine Mama mehr. Da muss der Hannes ja alles alleine können."
Simon sah seine Süße verwundert an. Die Kleine hatte sie schon verdammt gut hingekriegt.
Er reckte bewundernd den Daumen in die Höhe.
„Sie hat tolle Gene!" flüsterte Mona und grinste ihn an.
Ja! Ja! dachte Jonas. Und Erziehung hatte damit gar nichts zu tun, dass seine Tochter ein so tolles Kind geworden war.
Hannes war in diesem Jahr bei Markus, Sarah und Annabelle, ihrer Tochter.
Die Brüder hatten sich etwas entfremdet voneinander.
Zum einen hatte Sarah das Partymachen noch immer nicht abgelegt, die beiden gehörten zur Regensburger Szene, waren fast monatlich in den Gazetten zu finden, Markus schien sich dabei auch wohl zu fühlen.
Annabelle war oft oben bei Anja und Oliver oder bei den Eltern Maybach, entwickelte sich zu einem unangenehmen, verzogenen Gör, das Jonas ziemlich drangsalierte.
Außerdem konnten die beiden nicht mit Hannes' Trauerattacken umgehen, vor allem Sarah war der Meinung, er sollte sich langsam wieder fangen, sollte sich nach einer neuen Frau umsehen.
Sie hatten es sogar fertiggebracht, etwaige Kandidatinnen bei Einladungen zu präsentieren.
Zweimal war er wütend weggegangen.
Den ersten Weihnachtstag verbrachten er und Jonas bei Gregor und Mona I., wie er sie spaßeshalber nannte.
Der Kontakt zu dieser Familie war nie abgerissen. Bei ihnen konnte er auch trauern, sie konnten mit ihm fühlen.
Mona und Simon verbrachten den Tag bei ihren Eltern zusammen mit den seinen und mit ihren Geschwistern. Leonie genoss die Aufmerksamkeit der vielen Cousins und Cousinen. Die Eltern Carsten mussten an die Nesthäkchen-Zeit ihrer Kleinen denken. Auch ihre Mona hatte es geliebt, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Großen zu stehen.
Am zweiten Feiertag kam Hannes mit Jonas zu ihnen, und alle fühlten sich auf eine seltsame Weise komplett.
Die Männer fachsimpelten, kamen auf eine Reihe von Problemlösungen während dieser Gespräche.
Mona hörte zu, machte auch ein paar kluge Vorschläge, was ihr die Anerkennung beider Männer einbrachte.
Sie spielten mit den Kindern, die eine Reihe von neuen Sachen vom Christkind bekommen hatten.
Als Hannes bemerkte, wie sehnsüchtig die Blicke zwischen Simon und Mona wieder einmal hin und her gingen, schickte er sie ganz cool ins Bett.
Anfang Januar flogen Mona und Simon mit der kleinen Maschine – er vertrat die Theorie, sie durften die Angst nicht siegen lassen - nach Bozen, besuchten Marco und Carlotta.
Die Frauen verstanden sich überraschend gut, Mona war sofort verliebt in den kleinen Sohn ihres Mannes.
Ab diesem Zeitpunkt flogen sie einmal im Monat hin, die Beziehung wurde immer enger.
Carlotta war froh, dass Mona ihren Sohn akzeptierte, war auch froh, dass die kluge Frau sie mochte.
Simon überwies ihr monatlich eine wahnsinnig hohe Summe, telefonierte einmal wöchentlich mir ihr. Manchmal rief auch Mona an, einfach nur, um mit ihr zu plaudern
Die junge Italienerin war nicht stolz darauf, wie sie gehandelt hatte, als sie sich in den schönen Deutschen verliebt hatte, aber sie war stolz auf ihren Sohn und auch auf seinen Vater und seine Frau.
Bei ihrem Besuch im April durften sie den Kleinen für eine Woche mit nach Hause nehmen. Den Kindern erklärte sie nicht lange die Zusammenhänge, es war eben ein weiteres Kind auf Besuch.
Hannes wusste Bescheid, bewunderte Monas Haltung.
Aber so war sie eben: Eine phantastische Frau!
Diese Woche genossen alle. Der kleine Marco war ein Sonnenschein, Leonie und Jonas spielten den ganzen Tag mit ihm.
Sie konnten beide etwas Italienisch, Marco lernte seine ersten Worte in Deutsch.
Simons Hochachtung vor seiner Süßen stieg ins Unermessliche.
Aber er wusste, sie beide hatten sich verdient.
Er akzeptierte Hannes und Jonas in seinem Leben, nein, akzeptierte war falsch, er liebte sie in seinem Leben, und sie liebte seinen Sohn.
Sie beide waren außergewöhnliche Menschen, liebten sich gegenseitig auch wegen ihrer Aufgeschlossenheit.
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