Kapitel 62
Kurz darauf wollte Hannes Jonas abholen.
Der Junge sah ihn erstaunt an. „Essen wir heute nicht hier?"
„Nein!" erklärte sein Vater kurz. „Wir essen zu Hause!"
Dem Kleinen schossen die Tränen in die Augen. „Warum?"
Leonie stand dabei, sah ihren Vater auch fragend an.
Sie verstand genau so wenig wie ihr Freund, warum ihr Leben jetzt von einem Tag auf den anderen so grundlegend anders werden sollte.
Simon ging die kleine Szene ans Herz.
„Ja, warum eigentlich?" fragte er. „Wir müssen nicht alles ändern, nur weil ich wieder da bin!"
Er meinte auch, was er sagte.
Natürlich musste er mit seiner Frau viel besprechen, natürlich war er gerne mit ihr alleine, aber es zählten nicht nur seine Wünsche, nicht mehr.
Das Leben hier war weitergegangen, die Zeit ließ sich nicht zurückdrehen.
Jetzt zählte, dass es den Kindern gut ging, sie standen an erster Stelle!
Hannes sah ihn mit gerunzelter Stirn an.
Hatte er richtig gehört?
Wenn ja, war der andere echt ein toller Kerl.
Aber das musste er ja sein, wenn Mona ihn liebte, ihn drei Jahre nicht vergessen konnte.
Mona nahm Simon in die Arme, war ihm so dankbar für seine Worte, liebte ihn noch viel mehr dafür.
Irgendwie würden sie es schaffen, die fünf Leben unter einen Hut zu bekommen, ohne dass es einem von ihnen schlecht ging.
Sie hatten alle zu viel hinter sich, als dass sie sich wegen kleinlicher Eifersüchteleien das Leben schwer machten.
„Also!" Simon klatschte in die Hände, bevor die Rührung von den Erwachsenen zu sehr Besitz ergriff.
Er sah Hannes auffordernd an. „Dann kochen wir beide Mal was für unsere drei!"
Hannes grinste ihn an. „Ich kann aber auch alleine kochen, wenn ihr euch ein wenig ausruhen wollt!" Er hatte schon seit einer Weile beobachtete, wie die beiden sich ansahen.
So hatten er und Mia sich auch oft angesehen!
Aber er wollte jetzt nicht schon wieder an die Vergangenheit denken.
Mona lächelte ihn dankbar an, zog Simon mit sich in Richtung Schlafzimmer.
„Ich bin todmüde!" seufzte sie theatralisch.
Ihr Mann folgte ihr mehr als willig.
Aufatmend nahm er sie in die Arme, versuchte sich an ihren Lippen satt zu küssen, wusste, dass er es in hundert Jahren nicht schaffen würde.
Aber er arbeitete momentan sehr daran.
„Ich liebe es so sehr, dich zu küssen, mein blonder Engel!" stöhnte er.
Mona hatte nicht das Geringste dagegen einzuwenden, auch nicht, als ihr erklärte, wie sehr er es liebte, sie zu streicheln, sich von ihr streicheln zu lassen, sie zu verwöhnen, sich von ihr verwöhnen zu lassen.
Sie war wie immer einer Meinung mit ihm.
Er sah zufrieden, dass sie noch immer glückselig überrascht lächelte, wenn er sie liebte, sie nahm, sie erregte und befriedigte.
In der Nacht hatte er vor lauter Begierde nach ihr und ihrem Körper nicht darauf geachtet, aber heute sah er mehr als deutlich, dass sie alles, was sie zusammen erlebten, noch genauso genoss wie am Anfang.
„Ich liebe dich so sehr, Schönheit!" flüsterte er in ihr Ohr, blies seinen Atem an ihre empfindliche Stelle dort, an die er sich so gut erinnerte, fühlte, wie sie sich ihm entgegenbog.
Na gut! Er würde das Angebot, das ihr Körper ihm machte, nicht ablehnen!
Er hoffte nur, dass Hannes etwas sehr Aufwändiges kochte oder etwas, was man gut warm halten konnte.
Der saß einstweilen am Esstisch und spielte mit den Kindern.
Das Kochen hatte sich schnell erledigt, als er den Topf mit Gulasch fand. Er machte einen Salat, die Nudeln würde er erst ins Wasser werfen, wenn die beiden wieder auftauchten.
Hin und wieder drang aus dem Schlafzimmer ein leises Lachen, die Kinder hoben lauschend die Köpfe.
„Erzählen die sich Witze?" fragte Leonie verwundert.
Hannes unterdrückte einen Lachanfall, machte sicherheitshalber das Radio an.
Er fühlte sich wohl in dieser Wohnung, genau wie sein Sohn.
Ganz anders als in dem dunklen Altbau, in dem er seit seiner Rückkehr wohnte.
Für Anja und Oliver war die Wohnung perfekt gewesen, nah an der Uni, nah an der Stadt, die erste gemeinsame Wohnung, da war das Ambiente zweitranging.
Aber er wollte mit seinem Kind nicht ewig dort bleiben.
Bisher hatte ihm aber die Kraft gefehlt, einen Umzug in Angriff zu nehmen.
Außerdem waren sie ja sowieso meistens hier, fuhren eigentlich nur zum Schlafen nach Hause.
Das würde jetzt anders werden
Er musste der Familie auch Zeit geben, zusammen zu leben.
Bei diesem Gedanken überfiel ihn wieder die Zukunftsangst. Er hatte durch Monas Freundschaft so viel Halt gefunden, er liebte sie sehr, ohne aber auch nur das Geringste an Begehren für sie empfunden zu haben.
Manche Nacht hatte er sie im Arm gehalten, wenn sie beide, vom Schmerz zerfressen in Tränen zu ertrinken drohten.
Außerdem war sie für Jonas eine zweite Mutter.
Er wusste, er würde sich nie aufdrängen, aber er würde unter dem Verlust seiner Vertrauten leiden.
Als Mona und Simon wieder auftauchten, mit noch leicht wackeligen Knien und verklärtem Blick, schaltete er das Nudelwasser ein, mischte den Salat, stellte das Gulasch zum Wärmen auf den Herd.
Simon stellte sich neben ihn.
Er hatte sich mit Mona gerade über ihre Freundschaft zu Hannes und ihre Gefühlen für Jonas unterhalten.
Er hatte nicht die geringste Eifersucht verspürt, hatte verstanden, dass sie ein Leben zusammen mit seinem Kompagnon und dessen Sohn führen mussten, dass es auch für ihn keinen anderen Weg geben würde, wollte er sich nicht schlecht fühlen dabei.
Das Schicksal hatte sie alle zusammengebracht durch seine seltsamen Kapriolen, er war dankbar, seine Süße wieder zurück bekommen zu haben, war aber auch dankbar, dass sie in den letzten Jahren einen so verlässlichen Freund gefunden hatte.
War vor allem dankbar, dass sie keine neue Liebe kennengelernt hatte.
„Wir lassen alles, wie es ist, ja?" schlug er Hannes vor.
Der sah ihn ungläubig an. Sollte das heißen, dass.....?
„Was genau?" fragte er nach.
„Na ja! Alles! Du und Jonas und Mona und Leonie und jetzt eben auch noch ich!" Er lächelte zuversichtlich.
„Und du packst das?" Hannes war noch nicht überzeugt.
„Natürlich! Es ist vielleicht etwas ungewöhnlich, aber es ist das Beste für euch vier! Wie könnte ich weniger wollen als das Beste?" Simon sprach aus tiefstem Herzen die Wahrheit, und das fühlte auch Hannes.
„Danke!" sagte er nur. Simon hielt ihm die Hand zum Abklatschen hin. „Freunde? fragte er.
„Freunde!" antwortete Hannes.
Dann halfen die beiden Männer zusammen, machten das Essen fertig, deckten den Tisch, und eine eher seltsame Patchwork-Familie aß glücklich zu Abend.
Mona konnte die Augen nicht von ihrem Mann lösen.
Hätte sie ihn nicht schon so sehr geliebt, heute hätte er sie für immer für sich gewonnen.
Der Vorschlag, alles beim Alten zu lassen, war von ihm gekommen, sie hatte kaum glauben können, was er gesagt hatte.
Sie hatte immer gewusst, dass er ein guter Kerl war, aber wie großzügig er denken und handeln konnte, hatte sie nicht geahnt.
Sie hatte gewusst, dass er sie liebte, aber nicht, wie sehr!
Beim Essen sprachen sie über die Sozialwohnungen, Simon war begeistert und stolz auf sein Mädchen. „Du hast wohl noch nicht genug um die Ohren gehabt, Schönheit?" fragte er mit einem zärtlichen Blick.
„Ich hatte eine Menge Zeit übrig!" sagte sie und sah ihn so schelmisch an, dass er laut lachen musste.
Das wird in Zukunft wieder anders werden! dachte er schmunzelnd.
Hannes genoss das Glück der beiden ohne Missgunst. Im Gegenteil - es wärmte seine Seele.
Jonas sah Leonie an. „Der ist nett, dein Papa!" Die Erwachsenen lachten.
„Deiner auch!" antwortete die Kleine trocken.
Hätte man Simon vor seiner Abfahrt in Italien gefragt, ob er sich vorstellen könnte, seinen zweiten Abend zu Hause so zu verbringen, hätte er diesen Gedanken weit von sich gewiesen.
Doch hier und jetzt konnte er sich nicht vorstellen, glücklicher sein zu können.
Die Männer räumten ab, machten die Küche sauber.
Mona spielte Klavier, die Kinder hörten verzückt zu.
Alle setzten sich noch zusammen, bis Hannes unwillig aufbrach.
Auch Jonas verzog das Gesicht.
Da kam Simon ein verrückter Gedanke, den er auch gleich aussprach.
„Wir könnten doch noch ein Stockwerk auf den Anbau setzen, als Wohnung für euch!"
Mona und Hannes blieb der Mund offen stehen.
„Echt jetzt?" Hannes hatte als erster die Sprache wieder gefunden.
„Ja klar! Das wäre doch die beste Lösung!"
Mona fiel ihm um den Hals, ihre Augen waren feucht geworden.
Mein Gott! Was für ein Mann! dachte sie.
„Ist ja auch nicht ganz uneigennützig!" scherzte Simon. „Erstens haben wir immer einen Babysitter, wenn wir uns mal hinlegen wollen, und zweitens binde ich dich dadurch fester an die Firma!"
Hannes lachte.
Da hatte der andere auch wieder einmal die richtigen Worte gefunden, damit er sich nicht als eine Art Almosenempfänger fühlen musste.
Simon rief gleich den Architekten an, der ein wenig herumdruckste, von wegen Feierabend und so, doch da zeigte sich der unerbittliche Geschäftsmann.
„Ich bin der Meinung, dass Sie einen ganz guten Auftrag von Reimon erhalten haben! Da wäre es für Ihre Zukunft als freiberuflicher Architekt sicher von Vorteil, wenn Sie in einer halben Stunde hier wären!" Dann legte er einfach auf.
Bis der junge Mann, der den Ernst der Lage durchaus begriffen hatte, eintraf, hielt Simon Mona im Arm, Hannes spielte mit den Kindern Karten.
Alle fünf waren zufrieden mit ihrem Leben!
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