Kapitel 61

Er war der Chef gewesen, der Firmengründer, unangefochten in seiner Autorität. Doch ein anderer hatte sein Lebenswerk weitergeführt, noch größer werden lassen.
Wo stand Dr. Simon Reiser heute, drei Jahre später?
Wo stand Dr. Hannes Maybach, dem sie diesen Erfolg wohl zu verdanken hatten?

Doch seine Bedenken waren innerhalb von Minuten weggewischt.
Seine Jungs fielen ihm um den Hals, die neuen Angestellten folgten.
Sie hatten so viel von Simon gehört.

Dr. Maybach umarmte ihn herzlich. „Hallo, Chef! Ich bin froh, dass ich diesen Job wieder loswerde!" sagte er lachend. Er hatte einen etwa dreijährigen Jungen auf dem Arm, der Simon vorsichtig anlächelte.
„Du bist bestimmt Jonas!" Simon verwuschelte dem hübschen Jungen, der ein Ebenbild seines Vaters war, die Haare.

„Ja!" antwortete Hannes. „Ich musste ihn heute mitnehmen. Mein Bruder und seine Frau hatten keine Zeit!"
„Ich hoffe, dass Sie nicht glauben, dass mir das irgendein Problem macht!" antwortete Simon ernst.
Hannes lächelte. „Nein! So wie Mona von Ihnen gesprochen hat, habe ich das wirklich nicht angenommen."
Er setzte seinen Sohn ab, der sofort mit Leonie durch die Räume zu sausen begann.

Die Erwachsenen trafen sich im Aufenthaltsraum.
Sandra, die mittlerweile mit Kai verheiratet war, hatte eine Torte gebacken. Simon machte Cappuccino für alle, was eine Weile dauerte.

„Wir brauchen entweder eine zweite Maschine oder eine größere!" sagte er zu Mona, die ihn lächelnd beobachtete.
Sie sah ihn noch da stehen, vor drei Jahren, als er es nie hatte nehmen lassen, den Kaffee für alle zu machen.
Nahtlos war er wieder in diese Rolle geschlüpft, und es war wunderbar.

Dann begann er zu seinen Mitarbeitern zu sprechen. „Also, Jungs, die alten und die neuen, wir bleiben, denke ich mal, alle beim Du.
Ich bin froh, stolz und glücklich darüber, was ihr geleistet habt in den letzten Jahren. Ich habe den Anbau gesehen, was darauf schließen lässt, dass wir weiter wachsen. Ich weiß nicht recht, was ich sagen kann, außer: Danke.
Wie ich meine Süße kenne, hat sie euch ordentlich entlohnt, materiell dürfte also alles klar gehen. Emotional mit Sicherheit auch, ihr seht nicht gerade unglücklich aus."
Alle lachten, klopften auf die Tische.

„Die, die mich vor dem Unglück kannten, wissen, dass ich ein Arbeitsjunkie war, bis zu dem Tag, als mir die bezaubernde Mona über den Weg lief und direkt in meinem Herzen landete."

Er zog sie auf seinen Schoß. „Ich habe durch ein schreckliches Unglück drei Jahre meines Lebens verloren, weiß aber auch, dass ich dankbar sein muss, nicht mein ganzes Leben verloren zu haben. Ich werde also in nächster Zeit nicht in das alte Fahrwasser zurückkommen, ich muss viel nachholen, mit meiner Frau und meiner Tochter. Deshalb wäre ich Hannes dankbar, wenn wir uns die Geschäftsleitung teilen könnten."

Eine Weile herrschte Schweigen, dann begann Niklas auf den Tisch zu trommeln, die anderen stimmten ein. Die Angestellten waren gut mit Hannes ausgekommen, fanden diese Lösung perfekt.
Niklas war froh, dass sein langjähriger Freund langsam wieder Boden unter den Füßen zu bekommen schien.

Er war selbst fassungslos gewesen, als er vom Tod Mias erfahren hatte. Die kleine Schönheit, die von der halben Regensburger Männerwelt angebaggert worden war, die an diesem Rosenmontag vor Jahren Hannes ins ZAP nachgelaufen war, was der Anfang einer großen Liebe war, die Paris geflasht hatte und ihre Heimatstadt sowieso, sollte nicht mehr leben?
Weil ein verdammter Eisregen die Stadt überzogen hatte, genau an dem Tag, als das mit Liebe erwartete Baby kam? Er konnte die Grausamkeit des Schicksals nicht fassen, wie so viele andere auch.

Doch er zollte auch Simon Respekt. Die drei, die ihn kannten, lobten ihn in den höchsten Tönen.
Alle klopften sich auf die Schultern, waren mit der Planung des Chefs für die Zukunft sehr zufrieden.

Danach sprang Simon ins kalte Wasser. Er ließ sich erklären, woran zur Zeit gearbeitet wurde. Er saß neben Hannes am Computer, beide waren erfreut über die schnelle Auffassungsgabe des anderen, wussten, sie würden sich perfekt ergänzen.
Sie fachsimpelten auf Augenhöhe, wussten, sie waren beide Cracks, von denen keiner dem anderen etwas beweisen musste.
Mona ging mit den beiden Kindern nach oben, glücklich, dass alle sich mit der neuen Situation zurecht fanden.

Nach drei Stunden schlugen sich Simon und Hannes ab, grinsten sich an.
„Na, da hat meine Kleine ja einen Fang gemacht!" sagte Simon lachend.
„Stimmt!" antwortete Hannes, meint aber eher Simon damit.

Blieb die Frage nach den Arbeitsplätzen. Das Chefzimmer war zwar groß genug für zwei Schreibtische, aber zum einen arbeiteten Programmierer lieber ungestört, zum anderen erinnerte sich Simon nicht ganz vage an Besuche seiner Süßen in seinem Büro, an Zweckentfremdungen des Tisches.

„Du könntest in Monas Zimmer umziehen, und sie arbeitet dann hier bei mir." schlug er vor. „Oder wir richten dir den Aufenthaltsraum ein, nutzen dann eben den Besprechungsraum für die Pausen."
Der zweite Vorschlag schien ihm praktikabler, denn Mona und er in einem Raum, das würde vieles nach sich ziehen, was nicht direkt mit Arbeiten zu tun hatte.
Hannes schmunzelte, als könnte er die Gedankengänge des Firmeninhabers erahnen, und er konnte es auch wirklich.

Er spürte, wie die Luft zwischen den beiden brannte, wenn sie sich nur ansahen, spürte diese Verbundenheit, wie sie bei ihm und Mia vorhanden gewesen war.
„Mia!" Wieder einmal trifteten seine Gedanken ab, gingen in die Vergangenheit.
Wieder einmal erinnerte er sich an die vielen Szenen, wenn sie ganz schnell von Feiern oder Partys wegliefen, weil sie sich lieben mussten.

Wieder einmal traf ihn sein Verlust mit aller Macht.
Wieder einmal liefen Tränen über seine Wangen.
Simon fühlte mit Hannes, wünschte er könnte ihm helfen.
Hannes schüttelte den Kopf, schüttelte die Erinnerungen weg. „Sorry!" sagte er. „Manchmal erwischt es mich immer noch brutal."

Simon klopfte ihm vorsichtig auf die Schulter. „Ich bitte dich! Ich habe da echt kein Problem damit!"
Nachdem Hannes sich beruhigt hatte, nahmen sie gleich den internen Umzug in Angriff.
Alle halfen zusammen, in einer Stunde war alles erledigt.
Simon ging hinauf zu Mona, da bemerkte er erst das Bild, das sie vom Gebäude gemalt hatte.
Wow! dachte er. Der Hammer! Vorne fotografisch genau, der Hintergrund interpretiert, eine Mischung aus Realismus und Impressionismus.
Die hatte es echt drauf, die Schönheit.
Wann sie das wohl gemalt hatte?

„Das Bild ist ja der Wahnsinn!" lobte er. „Ich habe es gerade erst gesehen."
Mona lächelte stolz.

Sie hatte nach der Geburt damit begonnen, meistens auf der Terrasse.
Simon saß auf einem Stuhl neben ihr, sprach mit ihr, fand gut, was sie machte, lachte, wenn sie nicht zufrieden war.

Wenn sie eine Pause machte, nahm er sie in den Arm.
Dann sagte er ihr, dass sie Leonie stillen und wickeln musste, er stand immer neben ihr, redete und lachte mit ihr.
Als sie ein halbes Jahr später in die Realität zurückgefunden hatte, hatte sie aufgehört zu malen.
Vor ein paar Monaten hatte sie es fertig gestellt, warum, wusste sie nicht.

Vorige Woche hatte sie es ganz alleine aufgehängt, mit Hilfe von Leitern, hatte gebohrt und gedübelt.
Niklas hatte sie erwischt, die Jungs hatten mit ihr geschimpft.
„Ich glaube, ich bin die beste Handwerkerin von uns allen!" hatte sie sich gerechtfertigt.
„Handwerkerin mit Sicherheit!" hatte Hannes grinsend gemeint.
„Außerdem seid ihr alle viel zu gut bezahlt, als dass ihr Bilder aufhängt. Ab mit euch. Macht Kohle!" hatte sie gescherzt.
Lachend waren die Jungs abgezogen.

„Ich hatte drei Jahre Zeit!" antwortete sie ihrem Mann, ihrem Mann, ihrem Mann!
Irgendwann würde sie ihm einmal erzählen von der Zeit, als sie in ihrer Phantasiewelt gelebt hatte, ohne die sie sicher nicht überlebt hätte.
Simon nahm sie in den Arme.
Er konnte nur ahnen, was sie ausgehalten hatte, aber die Zukunft würde alle Wunden heilen.
Er würde alle Wunden heilen.


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