Kapitel 59

Die Strecke zog sich. Nach gefühlten Stunden war er am Brenner, Stau ohne Ende, Lastwagen an Lastwagen.

Endlose Zeit später erreichte Simon Innsbruck, schließlich Rosenheim. Im Großraum München ging gar nichts mehr, er hatte voll den Berufsverkehr erwischt. Anrufen konnte er auch nicht, er hatte kein Handy.

Eine Raststätte anzufahren hätte noch mehr Zeit gekostet.
Wenn er sich nur nicht gemeldet hätte bei ihr, bevor er losfuhr.
Seine Mona machte sich bestimmt Sorgen.

Je näher er an zu Hause kam, desto nervöser wurde er.
Was würde er vorfinden?

Er hatte eine Firma mit vier Angestellten verlassen und kam in eine mit neun zurück.
In seiner Wohnung lebte Mona weitaus länger als er je dort zu Hause gewesen war. Seine Tochter, die nur aus ein paar geteilten Zellen bestanden hatte, als er sie verlassen musste, war mittlerweile zweieinhalb Jahre alt.

Seine Frau hatte er drei Wochen gekannt, über alles in der Welt geliebt, wie sie ihn auch.
Aber sie hatte drei Jahre ohne ihn gelebt, hatte die Firma geführt, wohl zusammen mit Thorsten, wie er es verfügt hatte.
Doch nun es gab einen Dr. Hannes Maybach, der an ihrer Seite im Betrieb war.
Nur im Betrieb?

Würde seine Tochter ihn lieben können?
Würde sie Angst vor dem fremden Papa haben?
Würde seine süße Mona den heutigen Simon so lieben können wie sie den Simon vor drei Jahren geliebt hatte?

Würden sie problemlos an die Vergangenheit anknüpfen können?
Er bestimmt leichter als sie.
Er hatte in einem Loch von Vergessen gelebt, aber sie hatte die Gegenwart gemeistert.

Würde sie ihn noch voll überraschter Glückseligkeit anlächeln, wenn sie sich liebten oder hatte sie andere glückliche Erfahrungen gemacht?
Die Männer waren verrückt nach ihr, er hatte das sehr schnell gemerkt.
Hatte sie die Bewunderer, die überall auftauchten, wahrgenommen, erhört?
War womöglich dieser Dr. Maybach einer von ihnen?

Er wollte sich diese Gedanken verbieten, wollte sich nicht zu Tode quälen auf dieser verdammt langen Autobahn, aber es gelang nicht.
Sie war eine solche Schönheit, warum sollte sie drei Jahre trauern um einen Mann, den sie drei Wochen gekannt hatte?

Doch kurz vor Regensburg wusste er ganz tief in seinem Inneren die Antwort: Weil sie ihn liebte!
Sie hätte sich nie wieder mit weniger zufrieden gegeben als mit dem, was sie zusammen gehabt hatten.
Und was sie gehabt hatten, konnte sie mit keinem anderen Mann erleben, weil keiner sie so lieben würde wie er.

Außerdem hätte er es an ihre Stimme gehört, wenn es da einen anderen Mann gäbe.
Ein kurzes Zögern, ein falscher Unterton.
Aber da war nichts gewesen außer riesengroßer Freude.
Eine halbe Stunde später fuhr er endlich auf den Parkplatz vor seinem Haus. Er bemerkte kurz den Anbau im Licht der Straßenlaternen.

Sie war wohl noch tüchtiger, als er gedacht hatte.
Er raste die Stufen hinauf und riss die Liebe seines Lebens in seine Arme.
Er war zu Hause!
Er war bei Mona!

Er konnte nicht anders als sie zu küssen, ohne Ende zu küssen.
Er wusste, er sollte höflicher sein, sollte mit ihr sprechen, sie fragen, ihr antworten, aber er wollte sie im Moment nur küssen.

Mein Gott, diese Lippen, wie hatte er sie vermisst, ohne sich daran zu erinnern.
Wie hatte er diesen Körper vermisst, der sich an ihn schmiegte.
Wie hatte er ihr Haar vermisst, in das er greifen konnte!
Wie hatte er dieses Lächeln vermisst, das Strahlen dieser dunkelblauen Augen, die jetzt eindeutig violett waren, auch das hatte er sich gemerkt.
Alles war wieder da, er erinnerte sich an jede Sekunde ihrer gemeinsamen Zeit, an jedes Wort, das sie je gesprochen hatten, an jeden Zentimeter ihrer Haut, den er je berührt hatte.

Ohne ein Wort gesprochen zu haben, taumelten sie ins Bett. Lächelnd gab sie ihm ein Kondom, das sie aus ihrer Schublade geholt hatte.
Kurz schoss der Gedanke durch sein vernebeltes Gehirn, dass er hoffte, sie hätte es für ihn besorgt, und es war kein Restbestand von vergangenen Abenteuern.

Aber nein, er wusste, das hätte sie niemals fertig gebracht. Er versank in der absoluten Leidenschaft, riss sie mit sich, ließ sie fliegen, flog mit ihr.
Danach lagen sie lachend nebeneinander, wie früher, kuschelten, knutschten, liebten sich noch einmal mit aller Zärtlichkeit.
Wussten, dass sie sich überhaupt nicht getrennt hatten, dass sie vor zwei Tagen geheiratet hatten.

Aus unerklärlichen Gründen waren zwar drei Jahre vergangen, aber wahrscheinlich hatten sie die im Bett verbracht.
Er hielt sie fest im Arm, so fest wie nie zuvor.
Er würde sie nie im Leben wieder loslassen.

Doch jetzt musste er reden, fragen, musste wissen, musste erzählen, musste wohl auch gestehen.
Er hatte den festen Entschluss gehabt, ihr alles vorher zu sagen, bevor sie miteinander schliefen.
Es wäre ihm fairer vorgekommen.
Aber die Leidenschaft war wieder einmal über ihnen zusammen geschlagen.

„Wann kann ich denn unsere Tochter sehen?" fragte er als erstes.
„Tut mir leid, Simon, aber ich möchte sie ungern aufwecken und ihr dann den neuen Papa präsentieren. Machen wir das lieber am Morgen, ja?"
Natürlich sah sein Verstand das ein, wenn auch sein Herz nach etwas anderem schrie.

„Wie ist es dir denn ergangen, Süße?" Er streichelte ihr schönes Gesicht zärtlich.
„Ich bin jeden Tag neu gestorben, und es war der grausamste Tod, den ich mir je hatte vorstellen können!" flüsterte sie.

Er küsste ihre Stirne, konnte sich ihren Schmerz vorstellen.
„Gab es, gab es später, ich meine, in letzter Zeit jemand anderen?" Jetzt war sie ausgesprochen, die Frage, die er doch gar nicht stellen wollte.

Die er nicht stellen durfte, nicht er.
Nicht heute!
Nicht, bevor er gebeichtet hatte.
Sie lächelte ihn an, vertrauensvoll, liebevoll.
„Nein! Nicht im Geringsten. Nicht in den leisesten Gedanken."
Sie schmiegte sich an ihn, sah ihm offen in die Augen, fragte mehr aus Scherz: „Und bei dir?"

Als er stockte, zögerte, ihrem Blick auswich, gefror ihr Herz, schossen heiße Tränen in ihre Augen.
Nein, nein!
Bitte nicht!
Warum hatte er denn sie gefragt?
Wenn er, wenn er doch...!
Warum hatte diese Frage sein müssen?
Warum gleich in ihrer ersten Nacht?

Er merkte, wie sie erstarrte in seinen Armen.
O, mein Gott, warum hatte er nicht warten können!
Er versuchte, ihr eine Erklärung zu geben, hoffte, er würde Worte finden, die nicht alles noch schlimmer machten.

„Mona, bitte! Ich war nicht Simon. Ich war Frederico, der nichts davon wusste, dass er mit einer wundervollen Frau verheiratet war."
Seine Worte erreichten ihren Verstand, aber ihr Herz tat weh.

„Okay!" flüsterte sie. „Wer war sie?"
„Die Schwester, die mich im Krankenhaus gepflegt hatte."
„Wie lange?"
„Ein knappes Jahr!" gestand er.
„Hast du, hat Frederico sie geliebt?" Sie hatte das Gefühl, an dieser Frage zu ersticken.

„Nein, er mochte sie nicht einmal, wirklich nicht. Sie hat mich betatscht, wollte mich haben, hat mich mit zu sich genommen, als niemand wusste, wohin mit mir."
Er fühlte noch heute Carlottas Hände auf sich, als er zwischen Koma und Wachsein war, als er sich nicht wehren konnte.

„Ich habe mit ihr geschlafen, weil... weil... weil ich ein Mann bin." Eine andere Erklärung hatte er ihr nicht zu bieten. „Ich konnte nicht lieben, so lange ich nicht wusste, wer ich bin. Und als ich es wusste, wusste ich ja auch, dass ich liebe."
Ihr Körper wurde wieder weicher, aber das Wichtigste hatte er ja noch immer nicht gesagt.

„Mona, ich muss dir noch etwas sagen, gestehen, beichten, ich weiß nicht, wie ich es nennen soll. Aber ich bitte dich, mich erst ausreden zu lassen. Und ich bitte dich, daran zu denken, dass ich nicht ich war, ja?"
Ihre Augen spiegelten die riesige Angst wieder, die sie bei seinen Worten empfand.
Ihr Herz zog sich zusammen, ihr Magen verkrampfte. Sie löste sich aus seinen Armen, setzte sich auf.
„Also, sprich!" forderte sie ihn ruhig auf.


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