Kapitel 58
Mona
Mona brauchte eine Weile, bis sie verarbeitet hatte, was der Dottore ihr erzählt hatte, was sie eben erlebt hatte.
Sie hatte nie um ein solches Wunder gefleht, weil sie gewusst hatte, dass es sinnlos war.
Wenn ein Flugzeug an einem Felsen zerschellt und ausbrennt, waren keine Wunder möglich.
Und doch hatte sie gerade mit Simon gesprochen.
„Ich komme nach Hause!" hatte er gesagt. Und: „Ich liebe dich noch immer, wie am ersten Tag!"
Sie stand wie vom Donner gerührt mitten im Zimmer.
Die Kinder spielten Fangen um sie herum in dem großen Loft. Sie rührte sich nicht.
Plötzlich blieb Leonie vor ihr stehen, sah sie keck an. „Träumst du?" fragte sie lachend.
„Nein!" sagte Mona. „Nein! Dieses Mal nicht!" Sie nahm die Kleine hoch, tanzte mit ihr durch den Raum.
„Papa kommt!" rief sie. „Papa kommt! Papa kommt!"
Leonie sah sie ungläubig an. „Papa ist tot!" Auch die Kleine hatte viel zu viel von all dem Kummer in diesem Haus mitbekommen. „Nein, Leonie! Papa hat gerade angerufen Er ist nicht tot. Er wusste nur nichts mehr von uns! Er hat sich den Kopf angestoßen und dann alles vergessen!"
Jonas stand daneben, sah ihnen verwirrt zu. „Kommt dann meine Mama auch wieder?" fragte er leise.
Mona hielt inne in ihrem Freudentaumel. „Nein, mein Süßer, leider nicht. Ich wollte es wäre so!"
Der Junge nickte verständig.
So recht hatte er ja nicht daran geglaubt.
Aber wenn Leonies Papa zurückkam, hätte es ja sein können, dass er seine Mama mitbrachte.
Hannes kam gerade herauf, um die drei zum Mittagessen abzuholen.
Jonas lief ihm entgegen. „Leonies Papa kommt!" rief er. „Aber meine Mama bringt er nicht mit."
Hannes sah Mona bitterböse an.
War sie jetzt verrückt geworden?
Wie konnte sie jetzt, nach all der Zeit, die Kinder mit so einem Blödsinn verunsichern.
„Spinnst du?" fragte er wütend.
Leonie und Jonas erschraken.
Noch nie hatte Hannes mit Mona geschimpft!
Sie blieb ruhig. Sie hätte es ihm gerne schonend beigebracht.
„Der Anruf aus Italien, das war Dr. Borgetti, Simons Therapeut. Er hat den Unfall überlebt, hatte aber sein Gedächtnis verloren!" erklärte sie.
Hannes ließ sich in einen Sessel fallen. „Und du glaubst das?"
„Natürlich! Ich habe mit Simon gesprochen. Er kommt in ein paar Tagen nach Hause."
Da nahm er sie in die Arme, heulte wie ein Schlosshund. Aber nicht aus Trauer, sondern aus Freude für sie.
Er missgönnte ihr das Glück auch nicht. Seine Frau würde nie zurückkommen, das wusste er.
Aber er war überglücklich für Mona und ihre Tochter.
„Das ist unglaublich, Mona! Ich freue mich so für dich!"
Doch bald darauf wurde er nachdenklich.
Wie würde es mit ihnen beiden weitergehen?
Konnte Simon diese innige Beziehung aushalten?
Würde sein Sohn Mona als weibliche Bezugsperson verlieren?
Was würde aus seinem Job, wenn der Besitzer der Firma wieder zurückkam?
Was würde aus den Häusern, die sie bauten?
Wäre Simon damit einverstanden?
Schließlich sprach er das alles an, während die Kinder in Leonies Zimmer spielten.
„Hannes, du musst dir keine Sorgen machen. Simon ist ein guter Mensch. Ein sehr guter! Er wird unsere Beziehung akzeptieren."
Und wenn nicht? dachte sie ganz kurz. Dann hätte sie ein Problem. Denn dann wäre er nicht der Mann, als den sie ihn gesehen hatte.
Die Jungs waren genauso ungläubig wie Hannes, als sie ihnen erzählte, dass Simon lebte.
Auch sie hatten Angst, sie wäre wieder in das Verhaltensschema von den ersten Monaten nach seinem Tod zurückgefallen.
Doch als sie ihren Worten glauben konnten, war der Jubel groß.
Sie beschlossen spontan, eine Party zu feiern, fuhren die Computer runter, holten Essen von Nick, Mona brachte Wein und Sekt von Simons Weingut, alle waren fassungslos vor Glück.
Auch die neuen Mitarbeiter, die schon viel über den charismatischen Chef gehört hatten.
Thorsten nahm Hannes zur Seite. „Wirst du damit klarkommen?" fragte er.
Hannes lachte nur. „Ich wollte nie Chef sein, deshalb habe ich ja eine Stelle gesucht. Du hast mich da eigentlich reingequatscht. Mehr Sorgen macht mir, dass er die Beziehung zwischen Mona und mir nicht akzeptieren könnte."
„Dann hätte er ein Problem. Denn Mona würde sich nie verbiegen lassen, um ihm zu gefallen."
Abends rief Simon an. Es war schön, seine Stimme zu hören.
„Morgen komme ich!" rief er glücklich.
Morgen! dachte sie. Nicht erst in ein paar Tagen! Sie konnten nicht viel sprechen. Sie mussten beide zu sehr weinen.
In dieser Nacht schlief sie kaum.
Simon würde zurückkommen!
Wie würde das sein, wenn er wieder da war?
Wie würde er sein?
Hatte er sich verändert?
Gesprochen hatte er wie damals, so liebevoll, so verliebt.
Würden sie sich fremd sein?
Hatte ihre Liebe, die nur drei Wochen gedauert hatte, diese langen drei Jahre überstanden?
Wäre die Anziehungskraft zwischen ihnen noch so stark?
Mussten sie sich wieder neu kennenlernen?
Hatte er eine andere Frau geliebt, hatte er mit einer anderen Frau geschlafen?
Wenn ja, konnte sie es wieder vergessen, so wie sie die Frauen seiner Vergangenheit vergessen hatte?
Ihr Magen zog sich zusammen.
Er hatte einmal zu ihr gesagt, er würde nie wieder mit einer anderen Frau schlafen.
Aber er war ja nicht er selbst gewesen.
Er hatte ja nichts gewusst von ihr und Leonie.
Sie mussten beide diese Jahre einfach vergessen.
Er war weggeflogen, und bald kam er nach Hause.
Früh am Morgen rief Simon wieder an. „Ich fahre los, Süße! Ich komme nach Hause!" Mona tanzte durch den Tag. Sie wollte nicht die Stunden zählen wie damals, als er nach Florenz fuhr.
Wenn er kam, war er da.
Hannes schlug ihr vor, Jonas zu Sarah zu bringen, damit sie ungestört waren.
Er könnte auch Leonie mitnehmen.
„Nein, er muss in das Leben zurückkommen, das seine Zukunft ist. Ich kann kein Leben konstruieren!" wehrte sie ab.
Hannes lächelte.
Sie hatte recht. Und wenn dieser Simon einen Funken Verstand hatte, würde er dieses Leben lieben, in das er zurückkam.
Mona fuhr es plötzlich wie ein Blitz durch alle Nervenbahnen.
Seine Eltern!
Mein Gott, sie hatte seine Eltern noch gar nicht verständigt.
Sie wollte das aber nicht am Telefon machen.
Sie musste vorbeifahren, aber ohne Kinder.
Die sollten nicht noch einmal erschreckt werden.
Sie brachte die beiden zu Hannes, der aber im Moment sehr angespannt war und genervt am Telefon hing. Der einzige, der wirklich Zeit hatte, war Jean, der junge Franzose. Er ging mit den beiden in den Aufenthaltsraum, um Memory zu spielen, bei dem jeder Erwachsene gegen die Kinder nur verlieren konnte.
Mona läutete an der Tür, Susanne öffnete. Sie freute sich über den Besuch der Schwiegertochter, wunderte sich, dass sie die Kinder nicht dabei hatte.
Die strahlenden Augen und der lächelnde Mund ließen sie hoffen, dass Mona sich endlich wieder verliebt hatte.
Als sie im Wohnzimmer bei einer Tasse Kaffee saßen, begann Mona zu sprechen.
Die Reaktionen von Hannes und den Angestellten hatten sie vorsichtig werden lassen.
„Susanne, ich werde dir jetzt etwas sagen, das die Wahrheit ist. Ich bin nicht verrückt und phantasiere nicht." Sie sah die Schwiegermutter durchdringend an, holte tief Luft. „Es ist wirklich kaum zu glauben, aber vor zwei Tagen hat mich ein Arzt aus Bozen angerufen, der mir gesagt hat, dass Simon lebt, aber das Gedächtnis verloren hatte bei dem Unfall. Er kommt heute nach Hause."
Die Ältere ließ vor Schreck die Kaffeetasse fallen.
Sie wusste sofort, dass Mona die Wahrheit sagte, sprang auf, fiel ihr um den Hals. Vor Tränenströmen der Freude konnte sie lange Zeit nicht sprechen.
Peter sperrte die Türe auf, kam zur Frühstückspause zu seiner Frau wie jeden Tag. Er sah nur die Tränen, fürchtete , es sei etwas mit Leonie passiert. Doch die lächelnde und strahlende Mona beruhigte ihn.
Susanne wechselte von Mona zu ihrem Mann.
„Simon lebt! Simon kommt heute nach Hause!" jubelte sie.
Peter ließ sich fassungslos auf einen Sessel fallen, zweifelte seltsamer Weise auch keine Sekunde an den Worten seiner Frau.
Mona erzählte alles haarklein, was sie wusste. Bald verabschiedete sie sich, ließ das Elternpaar mit seinem Glück alleine.
Schnell rief sie noch bei ihren Eltern an, erklärte die Situation.
Auch hier war die Überraschung und Freude groß.
Dann fuhr sie nach Hause und befreite Jean, der an seiner visuellen Wahrnehmung zweifelte.
Zwei noch nicht einmal Dreijährige hatten ihn nach Strich und Faden beim Memory-Spielen abgezockt.
Lachend ging sie mit den beiden nach oben.
Die lange Zeit des Wartens begann, wieder einmal.
Aber dieses Mal würde er ankommen.
Drei Jahre zu spät, aber früh genug.
Sie sah im Kühlschrank nach, ob etwas zu essen da wäre.
Zum Glück hatte die Perle gestern einen großen Topf Gulasch gebracht, vielleicht schaffte sie es, ein paar Nudeln dazu zu machen.
Sie musste lächeln. Sie konnte noch immer nicht kochen, Simon konnte es dagegen umso besser, wenn er nicht abgelenkt wurde.
Die drei glücklichen Wochen zogen wie ein Film an ihr vorüber. Sie konnte sich an jedes Wort, jede Geste erinnern, hatte die wenigen Tage oft und oft zu sich zurückgeholt.
Sie machte Kakao und Brote für die Kinder. Hannes hatte sich abgemeldet, er war voll im Stress. Sie selbst brachte keinen Bissen hinunter.
Die Zeiger der Uhr schienen sich nicht zu bewegen. Es war halb ein Uhr, zwei Stunden später war es viertel vor eins.
Sie las den Kleinen etwas vor, wusste nicht, wovon die Geschichte handelte.
Sie legte ihnen ausnahmsweise eine Kassette ein, merkte erst spät, dass sie einen Krimi erwischt hatte.
Sie spielte am Klavier, sang mit den beiden, sang so falsch, dass Leonie sich die Ohren zuhielt.
Sie bedauerte, dass sie das riesige Bild, das sie vom Gebäude für den Eingangsbereich gemalt hatte, vor einer Woche aufgehängt hatte, das hätte sie jetzt eine Weile beschäftigt.
Sie rief ihre Schwester an, die hatte keine Zeit, musste zur Lehrerkonferenz.
Bruder Florian war auf dem Sprung mit Nick zum Arzt zu fahren. Der Junge hatte sich den Fuß vertreten.
Christoph hatte die Grippe, lag im Bett und konnte nur krächzen.
Bei Kilian meldete sich der AB.
Sarah saß mit ihrer Tochter im Wartezimmer des Kinderarztes.
Endlich bekam sie mit Anja ein menschliches Wesen ans Telefon, das auch noch Zeit hatte.
Die junge Medizinstudentin, die sich sehr mit ihr angefreundet hatte, hörte sich eine Stunde lang geduldig Monas Glückstiraden an, danach waren tatsächlich 60 Minuten vergangen.
Nicht auf die Uhr sehen! ermahnte sie sich.
Hannes holte Jonas um sieben ab, blieb noch auf eine Zigarettenlänge auf der Terrasse bei ihr.
Um acht legte sie Leonie in ihr Bettchen, ersparte ihr ein Schlaflied.
Langsam begann sie wieder, nervös zu werden.
Wo blieb er nur?
So weit war es von Bozen doch auch nicht.
Sie schenkte sich ein Glas Wein ein, rauchte draußen drei Zigaretten Kette.
Als sie die dritte gerade ausdrückte, fuhr ein Auto vor, bremste mit quietschenden Reifen, die Türe wurde aufgerissen, ein großer, schlanker Mann sprang heraus, raste zur Eingangstüre, schloss auf.
Sie raste zur Wohnungstüre, riss sie auf und fiel in seine Arme.
Simon war da!
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top