Kapitel 49
Am nächsten Morgen weckte Simon sein Handy, Thorsten rief an. „Chef, der französische Kunde sitzt bei mir, ist vollkommen aus dem Häuschen. Er hat am Freitag schon dauernd angerufen, aber wir können kein Französisch. Heute stand er plötzlich vor der Türe."
„Gib ihn mir mal!" Er weckte Mona auf. „Süße, du musst übersetzen."
Er stellte auf Lautsprecher.
Der Kunde legte los, sprach ohne Punkt und Komma, schien wahnsinnig erregt zu sein.
„Pas si vite!" rief Mona. „Nicht so schnell!"
Der Franzose stockte. „Ich muss übersetzen!" sagte sie.
„Also, so viel ich verstanden habe, ist ein Virus auf der Festplatte, die ihr geschickt habt, und sie haben das ganze Programm sicherheitshalber gelöscht und zerstört."
„O Gott, diese Idioten! Sie haben das Passwort dreimal falsch eingegeben, damit aktivieren sie einen Minivirus, der sie zwingt, sich mit uns in Verbindung zu setzen. Aber die Hinweise sind in Englisch, und diese sturen Franzosen weigern sich einfach, eine Fremdsprache zu lernen. Gut, wenn wir dich da schon gehabt hätten, hättest du es übersetzen können, aber so erschien mir der Aufwand zu groß." erklärte Simon.
Mona übersetzte die Sache mit dem Passwort, dem Virus und dem Anruf bei Reimon, der nötig gewesen wäre.
Der Kunde wurde etwas kleinlauter, verlangte aber, dass Simon persönlich antanzen musste, sonst würde er ihn verklagen.
„Sag ihm, dass wir auf Hochzeitsreise sind, vielleicht stimmt das einen Franzosen versöhnlich!" bat Simon.
Doch der Manager war nicht zu überreden. Er bestand darauf, dass der Chef kam.
Simon sah Mona an. „Okay! Dann flieg ich halt schnell heim. In drei Stunden bin ich da mit Fahrtzeit, eine Stunde mit dem Idioten, abends bin ich wieder bei dir."
„Ich fliege mit, zum Übersetzen!" bestimmte sie.
„Sonst noch was! Das machen wir mit einem Übersetzungsprogramm."
„Bitte, Simon!"
„Nein, Engelchen! Bestimmt nicht! Ruh dich aus! In ein paar Stunden bin ich wieder da."
Sie gab dem wartenden Franzosen die ungefähre Ankunftszeit Simons durch, war für ihre Verhältnisse eher unfreundlich.
„Merci!" antwortete der unterkühlt.
Simon war schon unter der Dusche.
„Organisiere bitte ein Auto für mich!" rief er.
Mona zog sich schnell an.
„Simon braucht ein Auto, er muss schnell nach Hause fliegen. Ein Kunde dreht am Rad." erklärte sie der Familie.
Kilian warf ihr seinen Schlüssel hin. „Meiner ist vollgetankt."
Simon küsste sie noch einmal zärtlich und fuhr los. Mona sah auf die Uhr. Zehn! Wenn alles gut ging, wäre er um siebzehn Uhr wieder da.
Sie wollte noch zwei Stunden dazugeben, auf alle Fälle würde er sie um sieben Uhr abends wieder in die Arme nehmen können.
Sie frühstückte, spielte mit den Kindern, legte sich in die Sonne, träumte von seinen Küssen, von den schönen Dingen, die er gestern gesagt hatte.
Als sie auf die Uhr sah, waren zwei Stunden vergangen. Er würde bald in Straubing landen.
Vielleicht rief er sie dann ja an.
Sie aß mit den anderen etwas Salat und Fleisch von gestern, unterhielt sich mit den Gästen, alberte, lachte, sah auf die Uhr.
Noch eine Stunde war vorüber.
Er konnte schon bei dem unfreundlichen Franzosen sein, hätte wohl keine Zeit um mit ihr zu telefonieren, wollte so schnell wie möglich wieder los.
Fünf Stunden, nachdem er losgeflogen war, freute sie sich, dass schon weit mehr als die Hälfte der Zeit ohne ihn vergangen war.
Sie machte gerade ein Brettspiel mit den Kindern, als ihr Handy klingelte.
Sie sah auf die Uhr, sechs Stunden waren rum, vielleicht war er schon in Florenz gelandet.
Doch die Nummer auf dem Display kannte sie nicht.
Sie meldete sich, Holger fragte aufgeregt, wo denn Simon bleiben würde.
„Aber, aber, er ist vor sechs Stunden weggeflogen!" stammelte sie.
„O Gott! Er ist noch nicht da!" Der Kollege schrie die Worte fast.
Um Mona drehte sich alles. Kreidebleich ließ sie sich auf einen Stuhl fallen, das Telefon rutschte ihr aus der Hand.
„Er ist nicht angekommen!" flüsterte sie nur.
Sie wählte mit zitternden Fingern seine Nummer, hörte nur: „Der Empfänger ist zur Zeit nicht erreichbar."
Sie verstand. Er hatte sein Handy ausgeschaltet, als er gestartet war und nicht wieder eingeschaltet.
Er vergaß das aber nie.
Florian begriff als erster, raste los, holte Luigi, hatte vergessen, dass seine kleine Schwester Italienisch sprach.
Kilian schaltete den Computer im Wohnzimmer ein.
„Flugaufsichtsbehörde!" sagte Mona und tippte das italienische Wort ein.
Sie wählte die Nummer, die auf dem Bildschirm gemeldet wurde, erklärte starr, dass sie ihren Ehemann vermisste.
Am anderen Ende der Leitung war es eine Zeitlang still.
Dann erfuhr sie, dass über dem Grödner Joch ein Kleinflugzeug vom Radar verschwunden war, das gegen 10.30 von Florenz aus gestartet war, als einziges an diesem Tag.
Suchmannschaften seien unterwegs, man würde sie informieren, wenn man Genaueres wusste.
„Er ist abgestürzt!" sagte sie mit einer unmenschlichen Roboterstimme. „Über dem Grödner Joch!" Dann kippte sie um.
Luigi rief den Notdienst, ein Sanka brachte sie ins Krankenhaus, Sonja begleitete sie. „Sie ist schwanger!" erklärte sie dem Notarzt mit Händen, Füßen und etwas Englisch.
Der nahm die Infusion wieder ab, da durfte er ihr diese Medikamente nicht geben, er musste auf rein pflanzliche Mittel zurückgreifen.
Eine Woche dämmerte sie dahin, die Verwandten wechselten sich an ihrem Bett ab.
Man hatte die Maschine gefunden, sie war zerschellt und total ausgebrannt, von menschlichen Überresten, wie es in der Amtssprache hieß, war keine Spur mehr zu finden.
Die Jungs von Reimon waren im Schockzustand. Sie warfen den Franzosen hinaus, seine Drohung, die Firma zu verklagen, ließ sie vollkommen unberührt.
Nichts zählte im Augenblick noch etwas.
Simon, ihr verehrter Chef war tot!
Nach einer Woche hatten sie sich gefangen, wollten in seinem Sinn weitermachen.
Thorsten übernahm Simons Aufgaben, er hatte es schriftlich so verfügt.
Sie suchten einen Übersetzer für Mandarin, der Mr. Huen telefonisch die Situation erklärte.
Der Chinese war am Boden zerstört, als er von Simons Schicksal erfuhr.
Sie stellten auch stundenweise eine Lehrerin ein, die Monas Aufgaben übernahm.
In der Stadt waren die Menschen fassungslos. Am Samstag hatten sie gelächelt über die halbseitige Anzeige, die sie über die Hochzeit des Liebespaares Nummer 1 informierte, der extrovertierte Simon hatte die Welt unbedingt an seinem Glück teilhaben lassen wollen, ein paar Tage später erfuhren sie vom schrecklichen Schicksal der jungen, schönen Leute.
Nach einer Woche fing Mona an zu weinen.
Keiner hatte je erahnen können, wie viele Tränen ein Mensch vergießen konnte.
Nach ein paar Tagen begann sie zu schreien, versuchte sie, sich ihren grenzenlosen Schmerz von der Seele zu brüllen.
Simons Eltern wollten sie hassen.
Wieder hatten sie einen Sohn verloren.
Er hatte wohl zu viel an Mona gedacht, war unvorsichtig geworden.
Wieder hatte eine Frau das Leben eines ihrer Jungen zerstört.
Doch sie spürten, dass sie sie immer lieben mussten, weil ihr Sohn sie sein Leben lang geliebt hätte. Und auch, weil sie ihr Enkelkind erwartete, ein Kind, das seinen Vater nie kennenlernen durfte.
Sie fuhren mit dem Zug nach Hause, hielten an Max' Grab eine Trauerfeier ab, ließen Simons Namen auf dem Grabstein eingravieren.
Nach drei Wochen brachten die Geschwister Mona nach Hause.
Sie versuchten, sie zu überreden, dass sie bei einem von ihnen wohnte, aber sie wollte in das Loft zurück.
Sie musste zu dem Leben mit Simon zurück.
Zwei Wochen lebte sie in absoluter Agonie, aß, wenn jemand vorbeikam und ihr etwas zu essen gab, wenn man sie fütterte wie ein Kind, trank, wenn jemand sagte, dass sie trinken musste wegen des Babys.
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