Kapitel 47
Auf der Piazza ein paar Meter weiter waren vor einer Trattoria viele Tische und Stühle aufgestellt. Die Familie und das Brautpaar nahmen an den geschmückten Tischen Platz, die Italiener an den andern die im Kreis herum angeordnet waren.
Am Rand war ein kleines Tanzpodium aufgestellt.
Der Wirt brachte Gläser mit Champagner, Simon und Mona stießen mit allen an, taten, als ob sie trinken würden, stellten die vollen Gläser irgendwann einmal auf einem Tisch ab.
Dann fanden sie endlich einmal eine ruhige Minute.
Er nahm sie in den Arm, drückte sie fest an sich. „Mein Gott, Mona! Siehst du schön aus! Ich habe in der Kirche gedacht, ich falle in Ohnmacht!"
Sie lächelte ihn an. „Und du? Wow, wo hast du denn den Anzug her? Ich hatte schon Angst, du heiratest in Trauerkleidung!"
„Von Brigitta! Sie hat mich wieder einmal gerettet."
„Sonst hättest du in Boxershorts heiraten müssen?" Sie blinzelte ihn anzüglich an.
„So ungefähr, ja! Und hör auf, mich zu locken, Biest." Lachend gingen sie zu den Gästen, bevor die Gespräche zu heiß wurden.
Mona fühlte sich wie in einem Traum. Einige Sekunden dachte sie an ihre erste Hochzeit. Am Altar hatte sie damals gewusst, dass sie einen Fehler machte. Dass sie den Mann an ihrer Seite nicht liebte, dass sie eigentlich nur gute Freunde waren – zu wenig für eine Ehe. Dann die fade Feier mit der ganzen Verwandtschaft, zu den meisten hatte sie nur sehr wenig Kontakt gehabt in den Jahren zuvor.
Der peinliche Alleinunterhalter, die gequälten Tanzrunden mit fast fremden Männern, ein zunehmend betrunkener Ehemann, der mehr Zeit mit seinen Kumpeln an der Bar verbrachte als mit seiner Braut, etwas, das er noch nie vorher getan hatte. Es schien fast, als glaubte er nun, sie fest zu haben und sich nicht mehr bemühen zu müssen. Selten hatte sie sich so gelangweilt wie auf ihrer eigenen Hochzeit.
Wie anders war dieses Fest, unter der italienischen Sonne, mit fröhlichen Menschen um sie herum, und vor allem: An ihrer Seite der Mann, den sie liebte, bis zum Wahnsinn liebte.
Simon hatte sie beobachtet, gesehen, wie sich ihre Mine kurz verdüsterte, dann wieder strahlend wurde.
Er ahnte, dass sie Vergleiche zog mit einem anderen Tag vor sechs Jahren, und er wusste, dass das Strahlen dem heutigen Tag galt.
Es gefiel ihr, da war er sicher.
Er mochte schon ein bisschen extrem extrovertiert sein, aber sie hatte auch gerne Menschen um sich.
Das hatte er schon im Biergarten geahnt, als sie den ganzen Tisch mit Kollegen unterhalten hatte. Oder im Club, als sie seine Freunde in ihren Bann gezogen hatte, mit ihrem Charme und ihrer Schlagfertigkeit.
Die Art, wie sie mit anderen umging, wie sie auf andere wirkte, hatte ihm jedes Mal gezeigt, dass sie Menschen mochte.
Deshalb war er auch relativ sicher gewesen, dass ihr diese Art der Feier gefallen würde.
Zwanglos, heiter, umgeben von denen, die sie liebten, aber auch denen, die sie kennenlernen konnte, noch dazu, da sie fließend Italienisch sprach - besser als er.
Es gab italienischen Kaffee in allen Variationen und Berge von Dolci.
Die Kinder tollten auf dem Podium.
Langsam erreichte der Lärmpegel die Schmerzgrenze.
Mona stand auf, ging zu den Kleinen. „Hört mal bitte kurz zu!" bat sie, beinahe, ohne die Stimme zu heben. „Wir würden uns gerne unterhalten. Aber das ist schwierig, weil ihr ein bisschen laut seid. Es würde mich freuen, wenn ihr ein wenig darauf achten würdet, etwas leiser zu sein, ja?"
Die Kinder sahen sie schuldbewusst an. Die schöne deutsche Prinzessin, die ihre Sprache so gut konnte, die heute ein schönes Fest feiern wollte, durften sie nicht ärgern.
Sie hatte ja auch so lieb mit ihnen gesprochen!
Simon beobachtete sie.
Oh, Kleine! dachte er. Da wirst du nicht viel Glück haben. Italienische Kinder waren nun mal sehr laut.
Umso überraschter war er, als er hörte, wie immer einer von ihnen die anderen ermahnte, nicht so zu schreien. Und immer wieder fielen die Worte: „La Principessa bella!" Für die schöne Prinzessin wollten sie etwas ruhiger sein.
Simon zerschmolz wieder einmal. Okay! Mit Kindern hatte sie es also auch drauf.
Der Pfarrer kam, setzte sich zu ihnen, gratulierte noch einmal herzlich.
„Gut, dass es nicht viele Frauen gibt, die so schön sind wie Ihre!" scherzte er mit Simon. „Sonst würde der Zölibat noch schwerer fallen!"
Der nahm seine Frau in den Arm.
Der junge Priester tat ihm aufrichtig leid.
Anschließend brauchte er dringend einen Kuss, eine ganz kleinen nur, einen klitzekleinen, wirklich.
Es wurde ein eher längerer Kuss, und er dankte dem Designer des Anzuges, dass er die Hose nicht ganz so eng entworfen hatte.
Wieder konnte er eine ganze Weile den Blick nicht von ihren violetten - er hatte sich eingeprägt, dass sie nicht lila waren – Augen lösen, musste sie lange ansehen, musste seine Hände in ihrer Mähne vergraben, musste Visionen vertreiben, wie sich ihr Haar um sie breitete, wenn sie nackt im Bett lag.
Zum Glück begann sein Schwiegervater eine launige Rede und lenkte ihn ab.
„Wir hatten zwar bisher schon neun Kinder und Schwiegerkinder, aber ein ganz wichtiger Schwiegersohn hat gefehlt. Ein Mann für unsere Kleine, unsere Jüngste, unser Nesthäkchen. Ein Mann, der es ertragen kann, dass der kleine Sonnenschein leuchtet, ein Mann, der es liebt, wenn die schöne Blume blüht. Ein Mann, der ihre vielen Talente ertragen kann, der ihrer Klugheit gewachsen ist, ein Mann wie du, Simon. Sei willkommen in unserer Familie, fühle dich zu Hause bei den Carstens, nimm ein zweites Elternpaar an, genauso wie acht Geschwister. Lass dich lieben von uns allen, aber vor allem, nimm die Liebe des Wirbelwindes an, der wieder wirbelt, der so viel Liebe zu geben hat."
Simons Augen liefen schon wieder einmal über.
Sein Vater hieß Mona in ihrer kleinen Familie willkommen. „Wir haben lange auf ein Töchterchen warten müssen!" stellte er fest. „Wir hatten schon Angst, der lange Lulatsch wollte uns dieses Glück vorenthalten. Aber dann hat er eingesehen, dass er sich dabei ins eigene Fleisch schneiden würde. Und nur, falls ihr das vergessen habt, Enkelkinder haben wir beide noch nicht."
„Aber in acht Monaten habt ihr eins!" rutschte es Simon heraus.
Mona knuffte ihn ordentlich.
Diese Quasselstrippe!
Sie hatte es geahnt!
Einige Kuchengabeln fielen aus Händen, einige Kaffeetassen wurden unsanft auf die Tellerchen gestellt.
„Nein! Wahnsinn! Super! Unglaublich!" hörten sie.
Da musste jetzt unbedingt sein Husky-Blick herhalten. „Sorry Süße!" Er küsste sie schnell auf die samtweichen Lippen, sah sie schelmisch an. Wie sollte ihr Herz da nicht schmelzen. „Du weißt ja, ein übervolles Herz läuft manchmal über."
Sie musste über ihn und seine treuherzigen Blick lachen.
Sonja lächelte. Deshalb trank die Kleine keinen Schluck Alkohol, deshalb rauchte sie auch nicht mehr. Sie freute sich unglaublich. Sie hatte oft mit dem Schicksal der kleinen Schwester gehadert. Ausgerechnet dieses Muttertier von allen sollte kein Kind haben.
Aber nun würde alles noch mehr als gut werden.
Simon wollte noch etwas klar stellen, nicht das sich irgendwelche Gedanken in den Köpfen der Verwandten einnisteten.
Es war ihm sehr wichtig.
Deshalb begann er zu sprechen, auch ohne seine Süße zu fragen.
„Also, wir haben nach sehr, sehr kurzer Zeit beschlossen, ein Kind zu haben. Es war kein Unfall, sondern eine bewusste Entscheidung. Wir haben auch nicht wegen des Kindes geheiratet, sondern einfach, weil ich keine Zeit verlieren wollte. Nicht um sie an mich zu binden, sondern, weil ich sie voll Stolz als meine Frau vorstellen will."
Die anderen waren überrascht über Simons Offenheit, aber so war der junge Mann eben, er trug sein Herz auf der Zunge, und sie mochten diesen Wesenszug sehr, genau wie Mona.
Danach mussten sie schnell aufs Standesamt, um die Papiere dort zu unterschreiben. Es war eine eher formlose Zeremonie, in Italien war die kirchliche Trauung wichtiger. Dann kam noch der Fotograf, machte eine Reihe von Bildern, was ihm größtes Vergnügen bereitete. Ein so schönes Paar hatte er noch nie fotografiert.
Danach hatten sie wieder ein paar Minuten für sich. Er zog sie in seine Arme. „Bitte, Mona nicht böse sein, weil ich meine Klappe nicht halten konnte."
„Nein, Simon, böse bin ich nicht. Ich habe nur Angst, etwas zu bereden."
„Aber Süße! So ist das Schicksal nicht drauf, ja? Du musst vertrauen! Alles wird gut!" Er küsste sie, wollte ihr etwas von seiner Zuversicht abgeben.
Doch ganz schaffte er es nicht. Für sie war das noch zu unfassbar, dass es so schnell geklappt hatte. Freilich, andere Frauen bekamen auch einfach Kinder, wenn sie mit Männern schliefen, aber sie hatte die Verzweiflung kennen gelernt, das Hoffen, das enttäuscht werden, schließlich die katastrophale Diagnose.
Für sie war dieses werdende Leben nichts Normales, sondern ein Wunder.
Ein Wunder, an das sie sich erst noch gewöhnen musste.
Und damit es für ihn einfacher war, sie zu verstehen, erklärte sie ihm ihre Gedankengänge. Er war ihr dankbar, dass sie wieder einmal so offen mit ihm sprechen konnte, fühlte einmal mehr diese unheimliche Vertrautheit, diese Nähe zwischen ihnen.
Er bereute es fast, dass er so unbedacht gewesen war. Doch dann wusste er, dass es so falsch auch nicht gewesen war.
„Aber weißt du, Süße, wenn man es ausspricht, wenn man es als Tatsache ansieht, dass wir ein Kind haben werden, dann wird es auch Wirklichkeit sein, nicht nur ein Traum."
Mona sah ihn fassungslos an. Er hatte das Thema sehr philosophisch betrachtet, und vielleicht hatte er auch recht.
Vielleicht hatte er es deshalb überall ausgeplaudert, damit dieses Baby real würde.
Sie küsste ihren sensiblen klugen Mann. „Simon, du bist der Hit!" brachte sie nur heraus.
„Ich hoffe, Nummer eins in deinen Charts!" scherzte er.
„Das kannst du aber annehmen. Ein regelrechter Chartstürmer!" gab sie zurück.
Die kleinen Späße hatten die Sorge aus ihren Augen gewischt.
Sie strahlten wieder.
Die ganze Mona strahlte wieder.
Er drückte die schöne Frau Reiser an sich.
Frau Reiser!
Wow!
Das hörte sich echt gut an.
Besser als alles, was er je gesagt hatte.
Frau Reiser, das war eindeutig die Nummer eins in seinen persönlichen Charts.
„Mona Reiser!" flüsterte er vor sich hin. „Simon und Mona Reiser! Darf ich Ihnen meine Frau, Mona Reiser vorstellen?" Er musste diese Worte auf der Zunge zergehen lassen. „Klingt das nicht wundervoll?"
Sie lächelte nur. Ja, Mona Reiser, das klang echt gut.
Sie setzten sich wieder auf ihre Plätze. Das Galadinner wurde serviert, für die italienischen Gäste gab es ein reichhaltiges Büffet.
Mona war direkt froh, dass sie in den hektisch schönen Tagen, seit sie Simon kannte, noch zwei Kilo verloren hatte, dass das Kleid eher locker saß. So konnte sie sich an den Köstlichkeiten der italienischen Küche so richtig satt essen.
Simon fütterte sie, was wieder richtig gefährlich wurde.
Das hatte er unter anderem echt drauf.
Wie sein Daumen ihre Lippen berührte, sein Zeigefinger unschuldig ihre Mundwinkel liebkoste, wenn er ihr eine Tomate oder eine Stück Pizza in den Mund schob.
Aber sie beherrschte diese Technik mittlerweile auch meisterlich.
Die Erotik ihrer gemeinsamen Mahlzeiten genossen sie immer sehr.
Sie atmeten schneller, vergaßen das Luftholen dafür kurz darauf vollkommen.
Sie wussten, dass es sie gewaltig anheizte, dieses Spiel ihrer Finger und konnten es doch nicht lassen. Ihre Blicke verhakten sich ineinander, sie versanken in ihrer Liebe, klinkten sich vollständig aus.
Florian klatsche laut in die Hände. „Erde an Mona und Simon!" rief er lachend.
Sie zuckten zusammen, tauchten auf, lächelten entschuldigend in die Runde.
„Ich liebe dich!" flüsterte Simon und streichelte ihr Gesicht.
„Ich liebe dich!" flüsterte Mona und streichelte sein Gesicht.
Und wieder war die Welt um sie verschwunden.
Er küsste die Finger ihrer rechten Hand, den Ringfinger besonders ausgiebig.
„Gefallen dir die Ringe?" fragte er leise.
Sie sah nur in seine hellblauen Augen.
„Ja!" hauchte sie. „Die Ringe gefallen mir auch."
Seine Lippen streiften die ihren sanft. „Das freut mich, dass dir die Ringe auch gefallen."
Kilian klatschte als Nächster. „Essen wird kalt!"
Haltet die Klappe! Stört mich nicht immer! Verdammte Bande! dachte Simon.
„Kann man sich von Brüdern eigentlich scheiden lassen?" fragte sie leise.
„Ja, das muss man sogar!" antwortete er und kraulte ihren Nacken. Ihr Kopf sank an seine Schulter.
„Weitermachen! Nie mehr aufhören!" bat sie heiser.
Kilian lachte über seine verliebte Schwester. „Mona! Essen!" rief er.
„Ja!" antwortete sie verträumt. „Ich habe ja auch solchen Hunger." Ihre Hände krabbelten im Schutz der Tischdecke seine Oberschenkel hoch.
Sie fühlte, wie hart er war, fühlte, wie sie noch feuchter wurde. Simon stöhnte leise auf, hielt panisch ihre Hand fest.
Sie kam in die Realität zurück, lachte leise.
Wie sie es genoss, dass sie ihn so erregen konnte.
Wie sie dieses Spiel genoss.
Kleines Teufelchen! dachte er. Das gefällt ihr, wenn sie mich so hochbringen konnte, immer, überall.
Und mir gefällt das erst! Aber ich darf jetzt nicht dran denken, wie feucht sie ist, wie es sie selbst erregt, mich zu erregen. Ich könnte zwar meine Finger etwas spielen lassen mit ihr, aber unter das Brautkleid zu kommen, war unmöglich.
So lachten sie nur beide, kamen auf die Feier zurück, ließen sich das Essen weiter schmecken.
Nach dem Essen baute die Band die Instrumente auf.
Simon machte eine Ansage in beiden Sprachen. „Das ist heute meine, also unsere Hochzeit. Deshalb habe ich keine Lust, meiner Schönen zuzusehen, wie sie mit anderen Männern tanzt. Ich weiß, es ist üblich, dass alle Männer die Braut auffordern, aber diese Regel brechen wir heute. Die Süße wird heute nur mit mir tanzen. Aus! Amen!"
Alle lachten, die italienischen Frauen erleichtert, die Männer enttäuscht. Die Feier ging bis drei Uhr morgens, eine Lärmbelästigung gab es nicht, weil alle Dorfbewohner anwesend waren.
Simon und Mona drehten sich bei den langsamen Liedern im Kreis zur Musik, bei den flotten Klängen machten sie Pause.
Als das Fest zu Ende war, fühlte Simon die Erschöpfung seiner Frau. Das Brautauto brachte sie zur Villa. Er half ihr beim Ausziehen, nahm das Diadem aus ihrem Haar, zog sie in seine Arme und streichelte sie in den Schlaf. „Aber es ist Hochzeitsnacht!" brummelte sie.
„Eine von vielen!" antwortete er nur und war überglücklich, dass sie ihr Versprechen hielt.
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