Kapitel 31

Maulend zog er sich notdürftig an, drückte auf die Gegensprechanlage.
„Wir bringen das Klavier!" tönte es von unten.
Simon fuhr sich mit der Hand über das Gesicht.
Klavier?
Okay!
Klavier!
Langsam klärten sich seine Gedanken.
Das Klavier von seiner Süßen, das Klavier seiner heißen Geliebten.

Als es im Zimmer nebenan rumpelte, stieg Mona schnell in Jeans und Shirt, spitzte zur Zimmertüre hinaus.
Die Arbeiter kamen gerade heraufgeschnauft.
„Mein Klavier!" rief sie begeistert. Sie hatte ganz vergessen, dass Simon es für heute angekündigt hatte.
Er sah ihr Strahlen, war hin und weg.
Diese Augen waren schon so der Hammer, aber wenn Veilchen strahlten, war es der schönste Anblick der Welt.
Können Veilchen strahlen? fragte er sich.
Natürlich! antwortete er sich. Schau sie doch an!

„Wohin?" brummte der Träger, der rückwärts ging. Der andere sah sie fassungslos an.
Na, das war ja mal ein hübsches Ding! schoss es ihm durch den Kopf. Er stolperte fast über seine Füße, was Simon zu einem verständnisvollen Grinsen brachte.
„Ja, wohin?" Simon sah Mona fragend an.
„Also, nicht ans Fenster, wegen der Sonne. Von der Akustik her wäre es mitten im Raum am besten, aber da stört es dich vielleicht." gab sie zu bedenken.

Er lächelte sie nur an.
Stören!
Auf Ideen kam die Süße!
Er rückte eines der Sofas zur Seite, damit ausreichend Platz für das Instrument war, gab den Möbelpackern ein Zeichen, das Klavier dort abzustellen. Es sah sehr gut aus.
„Wir haben noch etwas unten!" sagte der eine. Kurz darauf kamen sie mit der Gitarre und einem großen Karton und dem Hocker zurück.
„Ah, meine Noten sind auch dabei!" freute sie sich.

Simon gab den Trägern ein großzügiges Trinkgeld.
Mona setzte sich ans Klavier, schlug ein paar Tasten an, verzog das Gesicht.
„Autsch! Sauber verstimmt!" merkte sie trocken an.
„Dann holen wir halt einen Klavierstimmer!" schlug Simon vor.
Sie grinste ihn an. „Das kann ich schon selber." Sie suchte im Karton, fand das Werkzeug, machte sich gleich drüber.

Na, klar! dachte er. Wie konnte ich auch nur auf die Idee kommen, dass sie etwas nicht kann.
Er lächelte still vor sich hin, setzte sich in einen Sessel, beobachtete sie.
Sie klimperte ein paar Töne, runzelte genervt die Stirne, schraubte im Inneren an den Saiten.
Sie stimmte Ton für Ton, er hörte nicht wirklich einen Unterschied, aber schließlich war sie zufrieden. Sie strahlte ihn an, hob den Daumen.

Dann ließ sie sich auf dem Hocker nieder, warf ihre blonde Mähne, in die er noch vor kurzem gefasst hatte, in den Nacken und legte los.
Er war jetzt nicht der große Klassikkenner, aber ein paar Stücke kannte er auch.
Auswendig und als hätte sie jahrelang nicht anderes gemacht, spielte sie Mozarts kleine Nachmusik.
Fassungslos sah er dieses schöne Mädchen mit den geschlossen Augen, das dem Klavier diese wunderbaren Töne entlockte.
Sie spielt für mich! dachte er. Die Süße, die ihm vor ein paar Tagen so den Kopf verdreht hatte, saß in seiner Wohnung und spielte Klavier - für ihn!

Und er wusste, er hatte in seinem Leben nichts Schöneres gesehen, gehört, erlebt.
Er wagte kaum zu atmen, schloss ebenfalls die Augen, genoss den Augenblick, der so vollkommen war.
Als der letzte Ton verklungen war, atmete Mona tief ein.
Es war wieder da in ihrem Leben, ihr Klavier, das die Musik wieder möglich machte.

Die Musik, die immer in ihr geklungen hatte in den letzten Jahren.
Simon hatte ihr Klavier zu ihr zurückgebracht, und sie war nicht sicher, ob er verstanden hatte, was diese wunderbare Geste ihr bedeutete.
Wieder fragte sie sich, warum sie sich so lange Fabian untergeordnet hatte. Das konnte doch keine Liebe von seiner Seite gewesen sein, wenn er so wichtige Teile aus ihrem Leben entfernt hatte.
Das war reines Besitzdenken gewesen, waren nur Machtspiele eines unsicheren Menschen gewesen.
Simon hatte das nicht nötig, bei ihm durfte sie sein wie sie war.

Strahlend sah sie ihn an, sah seine feuchten Augen.
Sie setzte sich auf seinen Schoß, küsste die Tränenspuren weg. „So schlecht habe ich doch gar nicht gespielt!" zog sie ihn auf.
Er schniefte ein bisschen. „Bist du sicher?" fragte er lächelnd.
„Na ja, ein bisschen eingerostet bin ich schon!" gab sie zurück.

Er küsste sie zärtlich, seine Schönheit, seine, seine, seine.
„Spiel weiter!" bat er dann leise. Dieser Moment sollte ewig dauern.
Mona setzte sich zurück ans Klavier. Wie von selbst begannen ihre Finger über die Tasten zu gleiten, fühlten die Musik in ihrem Inneren, übertrugen sie.

Simon konnte den Blick nicht von ihr abwenden. Anmutig neigte sie ihren Kopf, langsam und bedächtig bewegten sich ihre Hände, entlockten dem Instrument Klänge, die er nicht kannte, aber die ihn mitten in seiner Seele trafen.
Plötzlich hatte er Visionen: Mona saß am Klavier, ein kleines blondgelocktes Mädchen saß auf ihrem Schoß, auf seinem saß ein dunkelhaariger Junge. Es war der schönste Zukunftstraum, den er je gehabt hatte.

Wenn mir das vor 14 Tagen jemand gesagt hätte, dachte er. Ich hätte ihn in die Klapse einliefern lassen.
Das Baby fiel ihm wieder ein, das sie hatten machen wollen letzte Woche. Er versuchte zu rechnen. Das waren gefährliche Tage gewesen, hatte sie gesagt, also zwischen zwei Monatsblutungen. Das war jetzt eine Woche her.
Das hieß: Sie würde bald ihre Periode bekommen, oder es hatte tatsächlich geklappt.
Er wurde nervös.
Sollte er mit ihr drüber sprechen?
Wie lang ihr Zyklus normalerweise war?
Sollte er einfach abwarten?
Ab wann könnte man einen Test machen?

Er musste im Netz recherchieren!
Als sie die letzten Takte angeschlagen hatte, blieb es eine Weile lang still in dem großen Raum.
Sie sahen sich nur an, strahlten sich an, lächelten sich an.
Er streckte schweigend die Hand aus, ging ihr langsam entgegen.
Er nahm ihre Hände, seine Augen hielten ihren Blick fest.
„Was war das, was du gespielt hast?" flüsterte er.
„Liebestraum von Franz Liszt!" sagte sie lächelnd.

Liebestraum! dachte er. Was für einen wunderschönen Liebestraum erlebe ich. Und was für eine wundervolle Musik hat der Komponist dafür gefunden.
Er küsste sie vorsichtig, wollte die Magie des Augenblickes nicht zerstören.
Er wusste, an diese Magie würde er sich zeitlebens erinnern.
An ihr Klavierspiel, ihre Schönheit, ihr Lächeln, sein Glück.
„Das war schön, Mona!" Und er dachte an den ersten Kuss in ihrer Wohnung, als sie geflüstert hatte: „Das war schön!" Und er wunderte sich, wie viele Dinge er hätte aufzählen können, die in diesen wenigen Tagen geschehen sind und die wunderschön gewesen waren.


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