Kapitel 22
„Ich muss beim Schulamt anrufen!" sagte sie nach dem Frühstück.
Sie war ein wenig aufgeregt. Heute würde sich ihr Leben verändern, wieder einmal.
Sie holte tief Luft, wählte die Nummer ihres Chefs bei der Behörde.
Sie erklärte ihr Anliegen, entweder ein Sabbatjahr oder noch lieber eine Jahr Beurlaubung zu beantragen.
Der Schulamtsdirektor reagierte sauer.
„Das ist aber jetzt schon etwas spät. Termin für einen Antrag wäre im Februar gewesen."
„Die Veränderung meiner Lebensumstände war aber im Februar nicht abzusehen!" erklärte sie selbstbewusst.
„Und was wären das für Veränderungen?"
„Ich habe vor, beruflich einen neuen Weg einzuschlagen." Mehr wollte sie nicht preisgeben.
Der Vorsetzte seufzte. Diese jungen Dinger! Immer Flausen im Kopf! Da sind sie verbeamtet, wollen aber dann plötzlich neue Wege einschlagen.
„Ich rufe mal bei der Regierung an, checke die Chancen ab. Dann müssten Sie aber heute noch dahin, den Antrag gleich vor Ort stellen und unterschreiben."
Eine halbe Stunde später rief Regierungsschulrat Becker zurück.
„Frau Berg, das Schulamt hat mich über Ihr Vorhaben informiert! Aber wir würden eine so hervorragende Kraft natürlich ungern verlieren. Sie scheinen ja EDV-mäßig ziemlich begabt zu sein, wir haben sie eigentlich in den nächsten Jahren als Mediatorin auf diesem Gebiet vorgesehen."
„Danke für das Kompliment, wenn ich auch von dieser Einschätzung nichts mitbekommen habe. Aber an meinen Plänen ändert das auch nichts."
Simons Ohren wurden immer größer. Was ihr BigBoss sagte, machte ihn stolz auf sie, wie nonchalant sie antwortete, noch stolzer.
„Also, wie wäre es mit einem Kompromiss? Wir beurlauben Sie aus fortbildungstechnischen Gründen ein halbes Jahr, da können Sie auch ihre Planstelle behalten, und wir sprechen uns im Februar wieder."
Simon reckte den Daumen in die Luft.
„In Ordnung! Machen wie es so!" stimmte sie zu.
Sie verabredeten einen Termin in einer Stunde.
Simon wirbelte sie durch die Luft. „Mädchen, Mädchen! Jetzt weiß ich auch, wer meine Geschäftsverhandlungen in Zukunft führt!"
Sie grinste ihn an.
So hätte sie nie mit dem Becker reden können, früher, in der Vor-Simon-Zeit.
Wortgewandt war sie schon immer gewesen, doch ihr Selbstbewusstsein war durch ihn deutlich gestiegen. Dafür bekam er jetzt auch einen langen Kuss, der so lange dauerte, dass die Zeit fast knapp wurde.
Er küsste aber auch so gut, und sie liebte es so sehr, seine weichen Lippen zu fühlen.
Zu allem Überfluss kam auch noch Brigittas Lieferung an, sie ließen alles im Wohnraum liegen.
Regierungsschulrat Becker hatte in der Zwischenzeit ihre Personalakte durchgesehen.
Mittlere Reife mit 1,2, trotzdem war sie vom Gymnasium abgegangen.
Abschlusszeugnis der Ausbildung: 1,00, Befähigung zum Pädagogikstudium, nicht genutzt.
Zweite Lehramtsprüfung: 1,00. Angebot mit verkürztem Studium Grundschullehrerin zu werden. Abgelehnt.
Erste Beurteilung: Stufe zwei! Fünf war bei Dienstanfängern normal. Vorzeitige Verbeamtung, Angebot, als Seminarleiterin zu arbeiten – abgelehnt.
Eine seltsame Frau - eine seltsame Nicht-Karriere. Und jetzt wollte sie etwas anderes machen, womöglich war der Schuldienst wirklich nichts für sie.
Familienstand verheiratet, kinderlos.
Als es klopfte, war er gespannt auf die junge Dame.
Ihr Anblick überraschte ihn. Ein schönes Mädchen mit eindeutig Modelmaßen.
Noch mehr überraschte ihn, dass ihr Ehemann sie begleitete.
„Frau Berg! Herr Berg!" begrüßte er die beiden.
„Dr. Reiser!" verbesserte Simon ihn lächelnd.
Der Beamte stutzte. Hatte sie einen Rechtsanwalt mitgebracht?
Verwirrt bat er die beiden, sich zu setzen.
Frau Berg schien aber keine Erklärungen abgeben zu wollen.
„Also, ich würde dann gerne den Antrag unterschreiben." bat Mona.
„Ja, ja, natürlich!" stammelte Herr Becker. „Aber wollen Sie es sich nicht doch noch überlegen? Ich habe Ihre Personalakte angesehen. Nur Bestnoten! Große Karrierechancen! Viele Talente! Sie haben den Schwimmtrainerschein, Sie sind hochmusikalisch, Ihre Auftritte mit dem Schülerchor sind legendär in der Stadt, Sie spielen konzertreif Klavier und Gitarre, Sie sind künstlerisch sehr begabt, Ihre Kunst-AG wird jedes Schuljahr gestürmt, Sie haben Unmengen von EDV-Fortbildungen besucht, wurden jedes Mal von den Kursleitern lobend erwähnt, wahrscheinlich habe ich noch die Hälfte vergessen. Warum wollen Sie aufhören?"
Simon atmete kaum noch bei seinen Ausführungen, das wurde ja immer besser.
Das war ja kaum zu glauben, was er da noch alles erfuhr.
Und er wusste jetzt noch sicherer, dass sie nicht in einen festen Beruf eingepfercht werden durfte. Auch nicht, wenn sie für ihn arbeitete.
Sie war ein Freigeist, hatte bei der Talentvergabe sehr laut hier gerufen, musste alles ausprobieren. Und das würde sie auch.
An seiner Seite würde sie es ganz sicher.
Mona versank fast im Boden bei dieser Lobeshymne des Vorgesetzten.
Doch dann siegte ihr Stolz über ihre Bescheidenheit. Ja, sie war gut in vielen Dingen.
„Warum ich aufhöre? Weil ich eben Förderlehrerin bin, der man diese Dinge nie gesagt hat.
Die öfter zu hören bekommen hat, dass der Lehrmittelraum nicht ordentlich genug ist, als dass die Chorevents ein Erfolg waren.
Weil ich auch als Grundschullehrerin in diesem System an Regeln, Vorschriften, Forderungen an mich festgesteckt hätte."
„Aber dieses System hält und ernährt sie auch!" wandte der Chef ein.
„Und macht mich dadurch erpressbar!" konterte sie.
Dem Beamten gingen die Worte und die Argumente aus, er fühlte, dass sie Recht hatte, dass sie ihren Weg gehen musste.
Interessiert hätte ihn nur die Rolle, die der gutaussehende Mann neben ihr auf diesem neuen Weg spielte.
Er lächelte ihm zu, hoffte ihn ein wenig aus der Reserve zu locken.
Doch Simon lächelte nur freundlich zurück, wenn, dann sollte Mona erklären, wer er war.
Das hier war ihr Terrain, ihr Schlachtfeld, auf dem der Regierungsschulrat bereits am Boden lag.
Nun war sie auch bereit dazu. „Herr Dr. Reiser ist mein Lebensgefährte und zukünftiger Arbeitgeber. Er ist der Besitzer einer EDV-Firma."
Das musste reichen an Informationen.
Da zuckte eine Erinnerung durch das Gehirn von Herrn Becker. Hatte er nicht heute etwas über den jungen Mann in der Zeitung gelesen?
Er fischte das Blatt aus einer Schublade, blätterte, fand den Artikel, legte die Seite vor Mona und Simon.
Sie lachten beide, als sie das wirklich hübsche Foto sahen, und noch mehr, nachdem sie den Text gelesen hatten.
Dr. Simon Reiser in festen Händen?
Bei einem Stadtbummel wurde der begehrteste Junggeselle der Stadt mit einer neuen Schönheit an seiner Seite gesehen. Das Paar wirkte sehr verliebt und vertraut miteinander. Dr. Reiser stellte die hübsche Dame als seine zukünftige Frau vor.
Mütter von Töchtern werden Trauer tragen, wenn der gutaussehende, betuchte junge Mann nicht mehr die Rolle des Lieblingsschwiegersohnes spielen wird. Unbestätigten Gerüchten nach hat das Paar schon vier Kinder, von denen das Älteste bereits schulpflichtig sein soll, was angesichts der Jugend der Frau etwas unwahrscheinlich scheint.
Dr. Reiser ist der Gründer und Inhaber des EDV-Unternehmens Reimon, das im letzten Jahr ein imposantes neues Gebäude im nördlichen Gewerbegebiet bezogen hat. Über die schöne junge Frau ist uns außer dem Vornamen Mona nichts bekannt. Sie ist ein völlig neues Gesicht in den Gesellschaftskreisen unserer Stadt.
Simon legte die Zeitung zurück. „Hätte schlimmer kommen können!" stellte er fest. Er war es schon gewohnt, dass ihm aufgelauert wurde, wenn er mit einer Frau irgendwo auftauchte. Oft waren diese Artikel auch lanciert von Damen, die meinten, sich dadurch interessant machen zu können, entweder bei ihm oder bei seinen Nachfolgern.
Oft waren die Worte, mit denen er tituliert worden war, nicht so harmlos wie dieses Mal.
Georg hatte seinem Freund wohl auf die Finger geklopft.
Nun, in Zukunft musste sich der Schreiberling sowieso ein neues Opfer suchen, einen neuen begehrtesten Junggesellen, er stand nicht mehr zur Verfügung, auch nicht als Lieblingsschwiegersohn.
Mona lächelte still vor sich hin. Irgendwie gefiel es ihr, wie Simon im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stand.
„Also, dann gebe ich mich geschlagen. Eine Mutter von vier Kindern hat ein halbes Jahr Urlaub verdient!" scherzte der Regierungsbeamte.
„Vielleicht liefern wir die Kinder ja nach!" konterte sie.
Simon nahm sie in den Arm. „Ich bin dabei!" flüsterte er ihr ins Ohr.
Und seit dem gestrigen Tag meinte er das durchaus ernst.
Diese große Familie hatte ihm schon gefallen!
Aber dann wird es nichts mit dem Leben in zehn Jahren als Privatier! überlegte er kurz.
Doch diese Lebensplanung stammte aus der Vergangenheit.
Die neue würde ganz anders aussehen.
Mona unterschrieb schließlich, Herr Becker verabschiedete die beiden.
„Ich wünsche Ihnen viel Glück bei allem, was das Leben für Sie bereithält!" sagte er zu ihr und meinte es sehr ehrlich.
„Und Ihnen herzlichen Glückwunsch zu dieser Frau!" sagte er zu Simon und meinte es genauso ehrlich.
Engumschlungen gingen die beiden aus dem Regierungsgebäude. Auf der Straße lächelte er sie an.
„Wann hätte ich das alles erfahren?"
„Wann hätte ich das von Häusern auf Mallorca und in der Toskana erfahren?" erwiderte sie. „Nicht zu reden von dem Urlaub!"
„Sorry, das mit dem Urlaub musste sein, weil ich sonst heuer keinen ordentlichen Flug mehr bekommen hätte. Ich wollte nur noch das O.K. von der Regierung abwarten, bevor ich es dir sage. Ich wollte, dass du einmal außerhalb der Ferien in Urlaub kannst, und später kann ich nicht, weil im Oktober und November die großen Messen stattfinden."
„Ich war eigentlich überhaupt nicht in Urlaub, weder in den Ferien noch außerhalb!" stellte sie emotionslos fest. „Also außer früher, mit meinen Eltern."
Er sah sie lange an. „Komm gehen wir frühstücken, neue Schönheit an meiner Seite. Dann können wir noch ein wenig quatschen."
Sie gingen noch einmal in das Hotel. „Wegen der Monatsrechnung?" zog sie ihn auf.
„Die in Zukunft nur noch Frühstück beinhalten wird!" gab er lächelnd zurück. „Außer, du möchtest einmal eine heiße Nacht außer Haus verbringen."
„Wäre schon möglich. Um Abwechslung in unser Sexualleben zu bringen!" konterte sie.
Simon blieb der Mund offen stehen.
„Abwechslung? Nach nicht einmal einer Woche? Die Kleine schau an!" sagte er gespielt entsetzt.
Ihre Worte hatten ihn aber auch ziemlich hart werden lassen.
Schade, dass das kein Stundenhotel war.
Lachend betraten sie den Frühstücksraum. Der Ober begrüßte ihn und die „gnädige Frau", von der er heute aus der Zeitung erfahren hatte, dass sie die zukünftige Frau des Stammgastes war.
Na ja, hübscher war sie ja als die Damen, mit denen er früher oft eine Nacht in der Luxussuite verbracht hatte.
Und netter schien sie auch zu sein.
Sie lächelte ihm freundlich zu, behandelte ihn nicht so überheblich wie die aufgetakelten Miezen. Außerdem schien der Doktor eindeutig verliebt zu sein.
Sonst wirkte er immer relativ genervt und gestresst beim Frühstück, die Schöne da himmelte er die ganze Zeit an, konnte weder Augen noch Hände von ihr lassen. Aber das mit den Kindern konnte er nicht recht glauben, so jung wie sie aussah.
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