Kapitel 76

Sie gingen zusammen zur nächsten Vorsorgeuntersuchung bei ihrem Frauenarzt.
Der war ein wenig pikiert, dass Hannes seine Frau keine Sekunde aus den Augen ließ.
Er war nicht so locker drauf wie der französische Arzt.

Als Hannes seinen Vaterpass vorlegte, verstand er den Scherz nicht im Mindesten.
Der werdende Vater informierte den Gynäkologen über die Bedenken von Professor Legrande wegen der Größe des Kindes, zeigte ihm den Arztbrief, den er mitbekommen hatte.
„Das werden wir dann sehen. Ihre Frau schafft das schon. Müssen wir halt ein wenig schneiden." bekam er als Antwort.

Hannes wurde übel.
War der Typ verrückt?
Fluchtartig verließ er mit seiner Frau die Praxis.
„Ist der verrückt geworden?" rief er schon im Treppenhaus. „Spinnt der komplett? Da schneiden wir halt ein bisschen! Wir suchen sofort einen neuen Arzt!"
Er war vollkommen entsetzt.

Sie fuhren ins Krankenhaus zu seinem Vater. Der hatte gerade Mittagspause, erschrak kurz, dachte, es sei etwas passiert.
Doch dann freute er sich über den Besuch, lud die beiden zum Mittagessen in die Kantine ein.
Stolz stellte er seinen gutaussehenden Sohn und sein schöne Schwiegertochter den Kollegen vor.

„Na, was verschafft mir denn diese Ehre?" fragte er, als sie alle vor einem Teller Spagetti saßen, den Hannes stirnrunzelnd genehmigt hatte.
Der Sohn erzählte aufgebracht von dem Besuch beim Frauenarzt.
Dr. Peter Maybach schüttelte den Kopf.

Wie unsensibel Kollegen doch manchmal waren!
„Wir gehen nach dem Essen zu Professor Kanter von der Gynäkologie. Ich schau, dass ich den Kaiserschnitt selber machen kann, keine Sorge. Helena macht die Rückenmarksnarkose, dein Schatz wird in besten Händen sein." versprach er.

Hannes und Mia waren beruhigt.
Professor Kanter schloss sich voll und ganz der Meinung seines französischen Kollegen an.
„Das wird ein Prachtkerl! Aber da werden wir die Mama nicht quälen!" Er stempelte auch lachend Hannes' Vaterpass ab.

„Das ist ein Gag. Das könnten wir auch machen. Da fühlen sich doch dann die werdenden Väter auch ernst genommen." Er machte sich gleich eine Notiz.
Am Nachmittag bummelten die beiden wieder einmal durch ihre Heimatstadt. Mia brauchte ein paar Hosen mit Dehnbund und ein paar lockere Oberteile.
Hannes verzog gespielt entsetzt das Gesicht. „Na, sexy ist anders!" zog er sie auf, als sie mit der ersten Kombination aus der Kabine kam.

Sie knuffte ihn. „Das hättest du dir eher überlegen sollen. In deinem Alter müsstest du schon wissen, dass eine Frau in der Schwangerschaft nicht sexy ist, sondern fett wird."
Er nahm sie lachend in den Arm. „Ausnahmen bestätigen die Regel!" flüsterte er ihr ins Ohr.

 Schließlich begann die Schule wieder. Mia war ihre Schwangerschaft schon deutlich anzusehen. Bei der Anfangskonferenz herrschte große Aufregung. Die Kollegen freuten sich aufrichtig, ihren Superstar zurückbekommen zu haben.
Gregor hob sie hoch, drehte sich vor Freude mit ihr im Kreis.
„Na, so leicht bist du nicht mehr!" sagte er lachend, was ihm eine Kopfnuss einbrachte.

Der Chef beobachtete seine besten Hauptstufenlehrer lächelnd. Er war froh, die französische Kollegin wieder losgeworden zu sein. Die beiden hier verstanden sich, waren Garanten für ein vorzügliches Abschneiden der Abiturklassen. Schade nur, dass Frau Dr. Maybach nur noch kurz hier wäre, bevor sie in Mutterschutz ging. Aber bis dahin würde sie schon die wichtigsten Weichen bei den jungen Leuten stellen.

„Wollen Sie eigentlich nach der Geburt wieder anfangen, oder wollen Sie das Babyjahr nehmen?" fragte er sie.
„Nein, ich nehme nur den gesetzlichen Mutterschaftsurlaub. Hannes ist ja zu Hause, wir sind uns da sehr einig."
Der Chef war erleichtert.
Am ersten Schultag lernte Mia ihre neuen Klassen kennen. Lächelnd sah sie in einigen Gesichtern die Langeweile, den Null-Bock-Ausdruck.
Euch krieg ich schon! dachte sie voller Vorfreude.

In den nächsten Wochen merkten die meisten Abiturienten, dass sie plötzlich gerne zur Schule gingen, dass sie sich am meisten auf den schrecklichen Mathematikunterricht freuten, aber auch auf die öden Deutschstunden.
Dass sie Spaß an komplizierten Berechnungen fanden, dass sie gerne ätzende Literatur lasen, dass es sehr erfüllend sein konnte, selbst zu schreiben, sich auszutauschen, zu diskutieren, Referate zu halten.

Sie fühlten in sich die Kraft, die sie befähigen würde, das Beste aus ihrem Leben zu machen. Und sie wussten auch, dass diese Kraft von der kleinen Germanistik-Doktorin kam, die sie mit Worten aufwühlte, niederbügelte, anspornte.
Ein paar männliche Herzen brachen auch in diesem Jahrgang, obwohl sie ja hochschwanger war. Aber ihr Witz, ihr Charme, ihre Herzlichkeit, ihre Intelligenz flashten die Jungs trotz der Kugel, die sie vor sich herschob. Außerdem war sie immer noch wunderschön und strahlend.

Hannes genoss es, wenn sie von den jungen Leuten erzählte. Sein Käferchen war wieder am richtigen Platz.
Die Häuser waren bezugsfertig, an den Außenanlagen wurde noch gearbeitet. Mia wollte große Spielplätze, eine Hütte für die Kids, Rasenflächen zum Toben, kleine Gärten für die Erwachsenen, einen Brunnen mit Tischen und Bänken als Treffpunkt.

Sie hatten sich mit der Stadt kurzgeschlossen, um Bewerber für die Wohnungen auszuwählen. Der Bürgermeister hatte es zur Chefsache erklärt, mit Mia zusammenzuarbeiten.
Sie wählten zu einer Hälfte Familien aus, zur anderen alleinerziehende Mütter und Väter.
Kriterien waren ein geringes Einkommen trotz Fleiß, Krankheit, die eine Berufstätigkeit einschränkte, am meisten aber Empathie.

Mia hatte eine sehr gute Menschenkenntnis, sie wählte die aus, von denen sie glaubte, dass sie bereit waren, sich in eine Gemeinschaft einzufügen und sich auch einzubringen.
Ein Vater von drei Kindern, dessen Frau gestorben war, bekam die gutbezahlte Stelle als Hausmeister. So konnte er sich um seine Kinder gut kümmern.
Eine arbeitslose Sozialpädagogin mit einem Kind wurde als Familientherapeutin angestellt.

Hannes strahlte vor Stolz. Er war zwar bei allen Gesprächen anwesend, hielt sich aber zurück. Seine mittlerweile etwas rundliche Süße meisterte alles perfekt.
Mitte November ging sie in Mutterschaftsurlaub, bis Weihnachten waren alle Wohnungen bezogen.
Sie feierten ein wunderschönes ruhiges Weihnachtsfest mit den Verwandten in ihrer Wohnung.
Silvester blieben sie allein zu Hause, was sie sehr genossen.

Sie erinnerten sich an das letzte Jahr in Paris, genossen ihre Liebe, die immer noch voll Zärtlichkeit und Leidenschaft war. Er ersparte ihr lächelnd ihren Smoothie, fütterte sie mit all den Leckereien, auf die er sie so lange hatte verzichten lassen, küsste sie dazwischen ein wenig schwindelig, lachte mit ihr gemeinsam darüber, wie Jonas boxte und stieß dabei.
„Eifersüchtiger Lümmel!" schimpfte Hannes. „Da wirst du dich dran gewöhnen müssen, dass Papa die Mama küsst."

Sie waren glücklicher als je im Leben. Sie hatten etwas geleistet in diesem vergangenen Jahr, sie hatte die Welt ein wenig besser gemacht. Sie waren aber auch unglaublich dafür belohnt worden, mit unglaublicher Liebe, mit unglaublichem Glück, mit vielen unglaublich schönen Momenten in diesem Jahr.

Er hielt sie im Arm, konnte kaum noch um sie herumreichen, lachte sich kringelig, wenn sie über ihren Umfang zeterte, dabei aber so selig lächelte, dass ihm schwummrig wurde. Er brauchte dann ein bisschen Zärtlichkeit, ein bisschen Leidenschaft. Sie fanden immer Wege, sich im Bett gut zu tun, in ihrer Liebe zu versinken.
„Danke für die Zeit, die ich mit dir verbringen durfte!" flüsterte Hannes. „Jeder Tag war ein Geschenk für mich!"
„Bitte schön! Ausgesprochen gerne geschehen!" antwortete sie gerührt. Sie sahen dem Feuerwerk zu, das sie so liebte, legten sich engumschlungen schlafen.

Am Neujahrstag fuhren sie zu ihren Eltern, seine Eltern kamen dazu, es wurde ein fröhlicher Nachmittag und Abend. Alle sprachen von dem Baby, das ja nun bald kommen würde.
Hannes Eltern erklärten den beiden werdenden Eltern noch einmal den genauen Ablauf des Kaiserschnittes.

Alles war geplant, ihr Zimmer stand bereit, ein kleiner OP blieb in den nächsten Tagen geblockt, Peter und Helena hatten Urlaub genommen, damit sie nicht anderweitig eingesetzt wurden, wenn ihr Enkelkind zur Welt kam.
Mia und Hannes waren gerührt von so viel Voraussicht, waren zutiefst beruhigt!
Am zweiten Januar standen sie glücklich auf.

Hannes verbot sich zu grinsen, als er seine Krabbe beobachtete, wie sie sich aus dem Bett wälzte. Sie hatte zwar nur das Gewicht des Kindes zugenommen, aber es sah zu ulkig aus, wenn sie sich hochstemmte, dabei ächzte und stöhnte, aber immer strahlend lächelte.
Er liebte sie so sehr, so sehr, so sehr! Er musste sie unbedingt küssen, küssen, küssen, streicheln, streicheln, streicheln!

Dann machte er Frühstück, während sie duschte. Er sah zum Fenster hinaus, bemerkte, dass in der Nacht dicker Eisregen die Welt um sie herum mit einer glitzernden Schicht überzogen hatte. Es sah zwar wunderschön aus, machte ihm aber Angst.
„Mein Gott!" betete er leise. „Lass nicht gerade heute unser Baby kommen!"

Doch Gott hatte in diesem Moment keine Zeit, auf ihn zu hören.

Der Teufel hatte dafür seine Ohren besonders gut gespitzt.

------------------------------------------------------------------------------

Triggerwarnung für  das nächste Kapitel.

Ich will nicht spoilern,  reba seseid laM tbig se niek dneyppaH.

Entscheide selbst, ob du weiterlesen willst, aber denke daran: Es ist nur eine Geschichte.



Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top