Kapitel 75
Sie hätten gerne noch eine Woche angehängt an ihren Liebesurlaub, aber Markus und Sarah heirateten am Wochenende.
Ihre Cousine hatte sich eine traditionelle Hochzeit gewünscht, in Neumarkt, mit allen Verwandten und Freunden, 150 Gästen – für Mia und Hannes ein Albtraum-
Markus hätte auch lieber etwas anders geheiratet, aber da war die kleine Prinzessin wieder durchgekommen, und er hatte ihr gerne diesen Wunsch erfüllt.
Sie hatte sich so sehr zu ihrem Vorteil verändert, da durfte sie diese Tage im Mittelpunkt ruhig genießen.
Doch als das Kleid geliefert wurde, das Sarah für Mia als Brautjungfer ausgesucht hatte, streikte Hannes.
Hellbeige, eigentlich hautfarben, sah es einfach grässlich aus! Fast als ob sie nackt wäre, es machte sie blass, trotz ihrer getönten Haut!
„In diesem Kleid wirst du nicht auf diese Hochzeit gehen!" bestimmte er.
Mia hatte Tränen in den Augen.
Was hatte Sarah sich dabei nur gedacht? Fiel sie jetzt wieder in dieses alte Verhaltensmuster zurück?
Hannes sprang die Treppen hinunter.
Sarah öffnete auf sein Klingeln. Er hielt ihr das Kleid hin.
„Was soll das sein?" fragte er scharf. „Du glaubst doch nicht im Ernst, dass meine Frau das anzieht?"
Sie zog den Kopf ein, schämte sich, dass sie schon wieder dieses Konkurrenzdenken entwickelt hatte. Aber an ihrem Hochzeitstag wollte sie einmal die Schönste sei. Und das gelang nie, wenn Mia herausgeputzt in ihrer Nähe war.
Markus kam dazu. „Was gibt es?" fragte er.
Hannes hielt ihm das Kleid hin. „Das soll Mia auf eurer Hochzeit tragen!"
Markus sah Sarah an, ein wenig Trauer trat in seine Augen.
„Wir regeln das!" sagte er zu seinem Bruder und schloss die Türe.
Im Wohnzimmer sah er Sarah fragend an, sie versuchte seinem Blick auszuweichen.
Er schüttelte den Kopf.
Als Hannes und Mia in Paris waren, war alles wieder ins Lot gekommen mit ihnen.
Sarah half, wo sie konnte, kaufte für die beiden ein, dekorierte die Wohnung.
Es gab kein böses Wort gegen Mia.
Doch seit die beiden wieder hier wohnten, gab es immer wieder einmal eine kleine Spitze.
War sie immer öfter schlecht gelaunt.
Er hatte es auf die aufregenden Hochzeitsvorbereitungen geschoben.
Und jetzt das!
„Würdest du mir das bitte erklären, warum du eine solche Scheußlichkeit ausgesucht hast?" fragte er leise.
Sie wollten in drei Tagen heiraten, aber er verstand sie im Augenblick wieder einmal nicht.
„Ich wollte an einem Tag in meinem Leben schöner sein als sie!" stieß Sarah hervor und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
Er zog sie in seine Arme. „Sarah! Für mich bist du jeden Tag schöner als Mia! Und das sollte doch zählen, oder?"
Doch sie machte sich frei. „Aber sie hat alles! Jetzt ist sie auch noch schwanger!"
Markus verschlug es komplett den Atem. „Süße! Du bist einige Jahre jünger! Wir heiraten in ein paar Tagen! Du wirst so viele Kinder bekommen, wie du willst!"
Da brach sie von einer Minute zur anderen zusammen.
Sie weinte, dass sie kaum noch atmen konnte.
Es schüttelte sie so sehr, dass Markus Angst bekam.
Er holte ihr ein Glas Wasser gegen ihren Schluckauf, streichelte beruhigend ihren Rücken.
„Ich......, ich....., ich kann...... keine Kinder ......bekommen!" schluchzte sie schließlich.
„Was? Wieso? Was sagst du da?" Seine Stimme war ganz ruhig.
Sarahs Herz gefror. Aber sie wusste, jetzt musste alles gesagt werden.
„Ich war beim Arzt. Ich habe eine Gebärmutterinsuffienz. Ich werde nie eigene Kinder haben!" flüsterte sie.
Markus war wie vom Donner gerührt. Sie hatten nie über Kinder gesprochen. Er war jetzt auch kein Mann, der sich unbedingt reproduzieren musste.
Aber dass sie ihm das verschwiegen hatte, traf ihn schon schwer!
„Und wann wolltest du mir das sagen?" fragte er leise.
Sie wich seinem Blick nicht aus. „Tausend Mal, Markus, glaub mir! Aber es war immer zu schwer!"
Ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen. „Ich habe es erst vor drei Wochen erfahren. Kein Arzt hatte bisher auch nur eine Andeutung gemacht."
Und plötzlich verstand Markus.
Ihre schlechte Laune hatte nichts mit Mia und Hannes zu tun, nicht direkt zumindest.
Sie hatte die niederschmetternde Nachricht bekommen, zu einer Zeit, als die Cousine strahlend schön und schwanger zurückgekommen war, als sich alles um sie gedreht hatte, als auch er selbst vor lauter Wiedersehensfreude sein Mädchen wohl etwas vernachlässigt hatte, sonst hätte er gefühlt, dass sie litt.
Und dieses scheußliche Kleid war nichts anderes als ein Hilferuf ihrer Seele gewesen.
Er stellte sich vor, er hätte eine solche Diagnose bekommen.
Wie wäre er damit umgegangen?
Er zog sie auf seinen Schoß. „Sarah! Süße! Es ist nicht schlimm! Es macht mir nicht so viel aus, wie du vielleicht gedacht hast. Ich will doch nicht die Mutter meiner Kinder heiraten, sondern die Frau, die ich liebe."
Sie sah ihn ungläubig an. „Du willst mich trotzdem heiraten?"
„Wir werden heiraten. Wir beide werden uns heiraten, Sarah." Er wiegte sie wie ein Kind, die
Tränen strömten nur so aus ihren Augen.
Sie hatte solche Angst gehabt, hatte gewusst, sie musste es ihm sagen, noch vor der Hochzeit, hatte es einfach nicht geschafft.
Und dabei hatte er so toll reagiert, so wunderbar.
Das Kleid, das sie für Mia ausgesucht hatte, war boshaft gewesen.
Aber sie war so fertig gewesen, weil die Cousine alles zu haben schien.
„Können wir mit den beiden sprechen?" bat Markus.
Sarah wusste, dass sie ihm das schuldig war.
„Ja, schon!" stimmte sie zu.
„Oder soll ich es alleine erklären?" schlug er vor.
Sie sah ihn dankbar an. „Würdest du das machen?"
„Natürlich, Kleine! Es war ja auch meine Schuld, dass ich nicht gespürt habe, was du mitmachst." Er küsste sie zärtlich. „Es ist alles gut, Sarah. Wirklich! Ich verstehe, warum du so gehandelt hast. Du wolltest meine Hilfe."
Markus ging hinauf und erzählte den beiden, was er soeben erfahren hatte.
Hannes und Mia waren sehr betroffen.
„Kannst du dir ein anderes Kleid besorgen?" bat Markus. „Wir bezahlen es dann schon."
Hannes lachte. „Na, das werden wir uns gerade noch leisten können. Hau bloß ab."
„Kannst du mit Sarah kurz sprechen?" bat Markus Mia.
Sie lief hinunter, nahm die Cousine in den Arm. „Sarah, es tut mir so leid, aber schau, das Kind war ja nicht geplant. Wir wären doch auch ohne Kind glücklich gewesen. Und du bist auch nicht wirklich ein Muttertier, oder?"
Sarah lachte wieder. „Nein! Ich hatte eigentlich nicht den dringenden Baby-Wunsch. Aber ich dachte wegen Markus."
„Mädchen, ihr müsst über solche Dinge reden. Ihr müsst über alles reden. Zwei, die sich lieben, müssen und können das. Aber Gedanken lesen kann auch der verliebteste Mann oder die verliebteste Frau nicht."
Sarah nahm die Cousine dankbar in den Arm. „Versprochen!" sagte sie leise.
Hannes kam mit dem Bruder nach unten. „Los Süße! Jetzt kaufen wir ein Kleid für dich, das diesen Namen verdient." Er grinste Sarah an. „Und du suchst bitte nie wieder etwas für meine Frau aus."
Sie fanden tatsächlich auf die Schnelle noch eine wunderschöne Robe in dunkelblau.
Die Hochzeit war stressig, fanden Hannes und Mia.
Die vielen fremden Menschen, das umfangreiche Programm, die schreckliche Musik am Abend, das üppige Essen.
Aber Sarah hatte es so gewollt und genoss jede Minute, und Markus war glücklich, dass sie glücklich war.
Mia hielt sich zurück, versuchte, nicht immer im Mittelpunkt zu stehen. Sie gingen noch vor Mitternacht in ihr Hotelzimmer.
„Mein Gott, wie schrecklich! So eine Spießerhochzeit!" stöhnte Hannes, als er sich aus seinem Smoking schälte.
Er nahm sie in die Arme. „Und da kann Sarah maulen, was sie will, du warst trotzdem die Schönste von allen. Denn du wirst immer und überall die Schönste sein." Ein ganz langer Kuss unterstrich seine Aussage.
Aber dann sanken sie beide müde ins Bett und schliefen ein. Der Tag war wirklich Stress pur gewesen. Es war das erste Mal, dass sie in einem Hotelbett auch eine Nacht lang zum Schlafen kamen.
Grinsend sah Hannes sie am Morgen an. „Sind wir gestern glatt weggepennt! Und das in der Hochzeitsnacht!"
Mia lachte. „War ja nicht unsere!"
Er schrak hoch, legte die Hand auf ihre Stirne. „Mäuschen! Geht es dir gut? Du hast das Subjekt und das Objekt vergessen!"
Sie hielt sich den Bauch. „Sorry! Es war ja nicht unsere Hochzeitsnacht!"
„Besser! So viel Zeit muss sein. Sonst verliere ich den Glauben an die Menschheit, wenn nicht einmal mehr die Vorsitzende des Germanistenbundes zur Rettung der deutschen Sprache korrekte Sätze spricht." Er rollte auf sie, rieb sich aufreizend an ihr. „Habe ich dich eigentlich schon gefragt, ob du meine Frau werden würdest?"
„Ja!" sagte sie lachend.
„Und was hast du gesagt?" Er musste schon sicher sein.
„Ich habe ja gesagt!" versicherte sie.
„Und hatten wir schon unsere Hochzeitsnacht?" Er konnte sich eigentlich gar nicht mehr erinnern.
„Ja, wir hatten unsere Hochzeitsnacht!" versicherte sie.
Sein Dackelblick war nicht mehr zu toppen. „Irgendwie habe ich Liebes-Alzheimer. Ich vergesse immer wieder, ob ich jetzt schon mit dir geschlafen habe oder nicht. Deshalb liebe ich dich sicherheitshalber immer wieder, nicht, dass ich was versäume."
Mia lachte Tränen. „Ich kann dir versichern, viel hast du nicht versäumt in den letzten Monaten."
„Das ist gut! Das ist sehr gut! Da bin ich sowas von beruhigt!" Und weil er so sehr beruhigt war, aber gleichzeitig auch so angeheizt, liebte er sie voll Hingabe an ihren Körper, ihre Schönheit, ihren Sex-Appeal, der keine Sekunde seine Wirkung auf ihn verfehlte.
Zum Frühstück trafen sich viele Hochzeitsgäste im Restaurant des Hotels. Hannes war überrascht, dass sein Bruder und seine frischgebackenen Ehefrau auch schon an einem der Tische saßen.
Aber bei den beiden war alles ein bisschen anders als bei ihm und seiner heißen Schnecke. Und wenn Hannes recht überlegte, war eigentlich bei allen anderen Paaren alles ein bisschen anders als bei ihnen.
So verliebt wie sie beide schien niemand sonst zu sein. Er nahm sein Käferchen in den Arm.
Mannomann, was hatte er für ein Glück.
Um zwölf machten sie sich auf, das Ehepaar zum Flughafen zu bringen. Sarah hatte sich gewünscht, die Hochzeitsreise nach Ibiza zu machen. Noch etwas, was Hannes seltsam vorkam. Sein Bruder auf Ibiza, das konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen.
Als er mit Mia darüber gesprochen hatte, hatte sie ihn ausgeschimpft. „Lass doch die beiden ihr Leben leben! Markus kann sich zum einen ja ändern, ihr zuliebe, und zum anderen wird er sich schon wehren können, wenn ihm etwas nicht passt."
Er zog gespielt ängstlich den Kopf ein. „Autsch! Die Kleine teilt aber heute aus!"
„Ist doch wahr! Du beobachtest Sarah, und wehe, sie macht etwas, was du nicht möchtest, schon denkst du, der arme Markus leidet, als ob sich ein Mann in seinem Alter nicht durchsetzen könnte, als ob er seinen großen Bruder als Aufpasser brauchen würde!"
Hannes musste lachen. „Dankeschön! Das waren genügend Nebensätze, und ich habe sie sogar alle verstanden!" Er zog sie an sich. „Es ist ja nur so, dass ich möchte, dass er so glücklich wird wie ich. Er ist mein Zwilling."
Da bekam Mia ein schlechtes Gewissen.
Er hatte recht!
Zwillinge fühlten wohl intensiver füreinander als andere Geschwister.
Außerdem, vor der Zeit mit Hannes hätte sie Markus und Sarah für das glücklichste Paar der Welt gehalten.
Aber neben ihrer Beziehung voll Liebe und Leidenschaft verblasste eben jede andere. So empfand er wohl auch.
„Es können sich wohl nicht alle so sehr lieben wie wir beide. Wir sind wohl eine Ausnahmeerscheinung!" stellte er gleich nach einem langen Kuss fest.
Ihr Lächeln gab ihm recht.
Nun also waren sie auf unterwegs, Markus und Sarah auf den Weg nach Ibiza zu bringen. Sie verabschiedeten sich herzlich, wünschten ihnen viel Spaß, wobei es Hannes innerlich schüttelte.
Auf der Heimfahrt kam er ins Grübeln. Würde er auf die Hippie-Insel fliegen, wenn Mia sich das wünschte?
Wäre er mit Mia noch zusammen, wenn sie Partys und Halligalli lieben würde? Wohl kaum!
Er ging gerne aus, in den Club, zu Konzerten, ins Theater. Aber für Partys, laut, wild, mit viel Alkohol hatte er noch nie viel übrig gehabt und sein Zwilling auch nicht.
In der Zeit mit Caro hatte er zur Genüge davon abbekommen, jede Fete war schlimmer gewesen als die davor. Laute Musik, betrunkene Gäste, kichernde Mädchen, Macho-Jungs – das war nicht seine Welt.
Zuerst hatte er gedacht, Sarah würde die Landschaft der Insel interessieren, die ja sehr reizvoll sein sollte. Aber sie hatte immer wieder betont, dass sie Party machen wollte.
Das Mädchen war ihm ein Rätsel.
Auf der einen Seite verantwortungsvolle Kinderärztin mit einem sehr guten Abschluss, mit Sicherheit hochintelligent – auf der anderen Seite das Partygirl.
Mia zerstreute seine Bedenken, als er auf der Heimfahrt mit ihr darüber sprach.
„Weißt du, sie hat schon immer sehr funktionieren müssen, als einziges Kind des erfolgreichen Dr. Leissen. In gewisser Weise hat ihr Vater sie so um ihre Jugend gebracht wie mich Thomas. Sie hat wohl eine Menge nachzuholen, und Ibiza ist eben das, was sie unter Jugend und Glück versteht. Markus liebt sie, deshalb will er ihr die Möglichkeit dazu geben. Den Weg zum Glück müssen die beiden finden. Vielleicht hat Markus sich ja gedacht, der arme Hannes muss ein Jahr nach Paris gehen, weg von seinen Freunden und seiner Familie, weil sie das so will."
Hannes sah sie bewundernd an.
Sie hatte Recht!
Das Glück hatte verschiedene Gesichter, und die Liebe bestimmte die Spielregeln.
Seine weise Philosophin hatte das längst erkannt, und ab heute verstand er es auch.
Er küsste ihre Hand, streichelte zärtlich ihr Gesicht.
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