Kapitel 72
Mia und Hannes suchten die Bauherren der anderen Häuser. Eine Gruppe von Gleichgesinnten formierte sich.
Die Deutschen erfuhren , dass es sich um den Besitzer einer Ladenkette handelte, den Erben eines Chemiekonzernes, den Sohn eines algerisch-stämmigen Paares, der Programmierer war wie Hannes und auch sehr viel Geld verdiente mit seinem Start-Up. Der vierte war ein erfolgreicher Architekt, der Bauten auf der ganzen Erde plante. Die Frau stammte aus einer berühmten Musiker-Familie, hatte zahlreiche Hits für große Stars geschrieben.
„Würden Sie mich Ihren Text über Paris vertonen lassen?" fragte sie Mia. „Jaques D. ist auf der Suche nach Chansons für sein nächstes Album."
Hannes grinste Mia an. Na, das wär's doch! dachte er.
„Ja, natürlich! Das wäre mir eine große Ehre!"
„Haben Sie noch andere Texte, die sich eignen würden?" fragte die Komponistin sicherheitshalber.
„Hundert!" antwortete Hannes an Mias Stelle, die ihn liebevoll ansah dafür.
Man vereinbarte, dass die junge Frau sie in den nächsten Tagen besuchte, um sich die Gedichte übersetzen zu lassen. „Dann könnte es ja sein, dass wir die ganze CD mit Ihren Texten machen!" freute sie sich.
Hannes erzählte von dem Konzertabend, an dem seine Süße mit Jaques D. auf der Bühne gestanden war.
„Na, dann kennen Sie sich ja schon!" scherzte die Komponistin. „Er wird begeistert sein!"
Sie gingen lachend eine Runde durch den Saal, er hatte den Arm sicherheitshalber um ihre Taille gelegt, es gab sehr viel gutaussehende Konkurrenz unter den Männern der Stadt.
Sie machten Small-Talk, sie nahm Glückwünsche zum Geburtstag entgegen, Komplimente wegen ihres Aussehens, Dankesworte über das, was sie gesagt hatte.
Hannes wurde zu seiner Frau beglückwünscht, gelobt für sein Engagement.
Irgendwann landeten sie schließlich bei ihren persönlichen Gästen. Die Eltern nahmen ihre Kinder stolz in den Arm, bewunderten die Auszeichnungen, erklärte, wie sehr sie sich über das Baby freuten.
Eine Stunde später ertönte das Lied, das in Frankreich stets bei Geburtstagen gesungen wurde, alle hoben die Champagnergläser, tranken auf ihr Wohl. Sie selbst hatte Saft bestellt, Hannes auch. Schwangere Männer durften ebenfalls keinen Alkohol trinken.
„Ich bitte nun, das Ehrenpaar, den Tanz zu eröffnen!" erklärte der Bürgermeister und führte die beiden in den Tanzsaal nebenan.
Die Band spielte ihnen zu Ehren einen deutschen Walzer, den sie perfekt aufs Parkett legten. Die Umstehenden sahen fasziniert zu, waren fast enttäuscht, dass danach die Tanzfläche freigegeben wurde.
Dann begann für Hannes eine harte Phase des Abends. Mia flog von Arm zu Arm. Er musste mit den Damen ihrer Tanzpartner vorlieb nehmen.
Damit hatte er nicht gerechnet.
Er fühlte sich fast wie damals auf dem Ball oder dem zweiten Abend in der Disco, als er eifersüchtig zusehen musste, wie sie reihenweise Männern den Kopf verdrehte.
Natürlich war es heute eine andere Situation, sie war seine Frau, sie liebte ihn, er musste keinerlei Angst haben, sie zu verlieren, aber er gönnte sie partout keinem anderen, auch nicht für einen harmlosen Tanz.
Er war ein schlechter Gesprächspartner für seine Tänzerinnen, weil er immer aufpassen musste, ob nicht einer seine Mia zu eng an sich zog, ob die Hände der Männer auch wirklich da blieben, wo es sich gehörte. Ob die Lippen der Männer im schicklichen Abstand blieben, ob die Augen der Tänzer nicht zu sehr leuchteten.
Nach eineinhalb Stunden war er fix und fertig.
Oliver hatte ihn schon eine ganze Weile amüsiert beobachtet.
Er wusste, er musste seinem Freund und seiner Lebensretterin beistehen.
Er ging zur Band, sprach ein paar Worte mit dem Sänger.
Der lachte, nickte verständnisvoll.
„Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich möchte eine kurze Ansage machen. Ich habe gerade erfahren, dass es in Deutschland üblich ist, dass in der ersten Hälfte eines Abends die Tanzpartner wechseln, dass man aber in der zweiten Hälfte den Herren ihre Damen lässt. Die Franzosen können das natürlich jetzt halten wie sie wollen. Aber unserem deutschen Ehrenpaar sollten wir seine Tradition lassen."
Hannes und Mia sahen sich überrascht und glücklich an. Sie hatten Oliver gesehen, wussten, dass er diese Tradition heute für sie erfunden hatte.
„Jetzt hat er mir das zweite Mal das Leben gerettet!" stöhnte Hannes, zog seine Mia auf die Tanzfläche.
„So schlimm?" fragte sie lächelnd.
„Schlimmer! Unglaublich schlimm! Es hat richtig körperlich geschmerzt!" gestand er.
„Mit hat es auch nicht gefallen, dich mit diesen ganzen Frauen zu sehen!" räumte sie ein.
„Frauen? Sind Frauen hier? Habe ich mit Frauen getanzt?" fragte er lächelnd.
Oh! Oh! Dieses Lächeln! Dieser Dackelblick! Schau lieber weg, Mia! mahnte sie sich.
Bis Mitternacht ließ er sie sicherheitshalber nicht mehr aus seinen Armen, nicht, dass der eine oder andere auf deutsche Traditionen pfiff.
Er litt zwar jetzt andere Qualen, aber die waren leichter zu ertragen als Eifersucht und Trennungsschmerz.
Um zwölf Uhr gab es im Park hinter dem Palais ein großes Feuerwerk. Hannes hielt sie im Arm, wischte ihr ab und zu eine Freudenträne weg, küsste ihren Scheitel, fühlte sich dem Himmel näher als je.
Danach wurde noch ein großes Büffet aufgefahren. Mia sah ihn bei allem, was sie essen wollte, fragend an, aber an diesem einen Tag gab er grünes Licht bei jeder Leckerei.
Dann kam der Knaller des Abends.
Jaques D. gab ein Privatkonzert!
Der Bürgermeister hatte seine Hausaufgaben bravourös erledigt.
Der Chansonnier freute sich, die schöne deutsche Madame wiederzusehen. Er bat sie nach ein paar Liedern wieder zu sich auf die Bühne, küsste sie links, rechts, links auf die Wangen.
Diese Franzosen! Mussten immer alles übertreiben! dachte Hannes. Und das Ganze natürlich zum Abschied noch einmal!
Der Sänger wandte sich an sein Publikum. „Ich habe heute erfahren, dass unsere Lieblings-Deutsche wahrscheinlich die Texte für meine neue CD schreiben wird oder schon geschrieben hat. Ich freue mich wahnsinnig darüber."
Ja, ja! Bla! Bla! Und jetzt nimm die Hand von ihrer Schulter! dachte Hannes.
„Aber ich freue mich auch sehr, dass die Schönheit sicher wieder ein Lied mit mir singen wird!" fuhr Jaques D. fort.
Schmalz! Schmalz! dachte Hannes. Und halte jetzt deine Finger still!
„Also, Madame, würde Sie mir die Ehre erweisen, mich noch einmal zu unterstützen?"
Mia konnte nur stumm nicken, trat aber einen Schritt zur Seite, mochte gar nicht, wie sich seine Hände an ihrem Rücken bewegten.
Braves Mädchen! dachte Hannes.
Der Sänger lächelte ihm jetzt auch noch zu, nickte leicht mit dem Kopf.
Ich weiß schon, dass sie dir gehört! sollte das heißen. Aber die Macht der Gewohnheit!
Die Musiker stimmten das Chanson an, er begann zu singen, nach einer Strophe stieg Mia beim Refrain ein.
Wieder einmal machte die Kleine die Gäste atemlos. Wieder brandete Applaus auf. Dann musste Hannes noch drei Wangenküsse überstehen, bis er seine Frau wieder in die Arme nehmen konnte.
„Na, Süße? Alles okay?" fragte er, weil sie ihre Stirne so runzelte.
„Ja!" stieß hervor. „Seine Hände waren heute etwas übereifrig. Ich mag das nicht."
„Gut!" sagte er erleichtert.
Dann genossen sie den Rest des Konzertes, Hannes hielt sie im Arm, sah den Sänger, dessen Hände seiner Maus zu übereifrig gewesen waren, mehr als einmal grinsend an.
Sie gehört mir! hieß das.
Jaques D. grinste zurück. Ich weiß!
Beim letzten Chansons füllte sich die Tanzfläche wieder. Die Paare drehten sich zu einer wunderschönen Ballade über die Liebe.
Danach erklärte der Bürgermeister den Abend für beendet.
Mias Gäste setzten sich noch mit den beiden in der Hotelbar zusammen. Sie hatten sich den ganzen Abend nicht richtig unterhalten können, und alle flogen am Nachmittag schon wieder nach Hause.
Hannes bedankte sich bei Oliver für seinen Trick. Der grinste ihn nur an. „Ich hatte auch schon die Nummer für einen Anwalt herausgesucht, als der auf der Bühne Mia angegrapscht hat. Nur falls er sich eine Ohrfeige von ihr oder einen Kinnhaken von dir eingehandelt hätte."
„Viel hat nicht gefehlt!" gab Hannes lachend zu.
„Bei mir auch nicht!" stimmte Mia zu.
Dann plauderten sie noch eine Weile, erfuhren Neuigkeiten von zu Hause. Sarah hatte ein Stelle am Klinikum in Aussicht, in einem Monat würde sie ihre Facharztprüfung machen.
„Dann hat die Fernbeziehung ein Ende!" freute sich Markus und nahm seine Freundin in den Arm.
Um drei Uhr war Hannes' Limit erreicht. Er brauchte eine Dosis Mia. Die Entzugserscheinungen waren jetzt nicht mehr auszuhalten. Noch dazu, da sie in einem Hotel waren. Da waren die Nächte immer besonders heiß gewesen.
Die anderen erkannten die Zeichen. Wenn Hannes so nervös herumrutschte, wenn Mia den Gesprächen kaum noch folgen konnte. Wenn ihre Blicke sich so ineinander verhakten, wenn sie sich ständig irgendwo berühren mussten, wenn sie so atmeten, dann würden sie bald aufspringen, sich kurz verabschieden.
„Also, dann, danke dass ihr gekommen seid. Wir wünschen euch einen guten Heimflug." stieß Mia dann auch bald hervor.
„Sehen wir euch denn nicht beim Frühstück?" zog Markus sie auf. Oliver lachte laut los, was ihm einen kräftigen Knuff von Mia einbrachte.
„He, little Doc!" beschwerte er sich und rieb sich den Arm.
Lachend liefen Hannes und Mia nach oben, hatten den Aufzug ganz vergessen, vergaßen in dieser Nacht noch manches, zum Beispiel das Schlafen.
„Huh! Das war aber jetzt nötig!" stöhnte Hannes nach der ersten Runde. „Ich hab schon geglaubt, ich überlebe den Abend nicht."
Mia lachte wieder einmal über den verrückten gutaussehenden Kerl da neben sich. Ihre Hände streichelten seinen wunderbaren Körper, der sie relativ meschugge machte, jedes Mal wieder aufs Neue.
Sie genoss, wie er die Luft einzog und stoßweise wieder durch seine Zähne presste, sie genoss seine steigende Erregung, wenn sie seinen Nacken und andere erogene Zonen berührte, genoss es, wie sich seine Augen verdunkelten, wenn sie ihn anfasste, wie er stöhnte, wenn er in ihr kurz nach ihr kam.
Sie rollten knutschend durchs Bett, lachten wieder und wieder vor Glück, kuschelten kurz, weil die Erregung sie schon wieder erfasste.
Mit dem ersten Vogelzwitschern schliefen sie ein. Gegen Mittag checkten sie aus. Bei Gästen der Stadt wurde mit der Uhrzeit großzügig verfahren, sie mussten keinen zweiten Tag bezahlen.
Wider Erwarten trafen sie die anderen noch im Frühstücksraum.
Oliver sah süffisant auf die Uhr, was ihm noch einen Knuff von Mia einbrachte. „Die Leidenschaft wird doch nicht nachlassen?" wagte der ehemalige Schüler todesmutig zu bemerken.
„Na, das Jungvolk haben wir ja noch geschlagen!" parierte Hannes, zog seine Süße in die Arme.
„Wir wollten nur einen guten Eindruck hinterlassen!" Oliver hatte Spaß an dem Wortgefecht. Anja gluckste vor Lachen über ihren Schatz.
„Wahrscheinlich hattest du wieder einmal Versorgungsschwierigkeiten!" Hannes konnte auch ganz schön austeilen.
Oliver sah Hannes gespielt fassungslos an. „Touche! Ich gebe mich geschlagen!"
Hannes reckte die Siegerfaust in die Luft.
Sie frühstückten in ausgelassener Stimmung. Die Eltern beobachteten ihre glücklichen Kinder.
Hannes kontrollierte Mias Frühstücksauswahl, nahm den fetten Streichkäse weg, brachte ihr stattdessen einen Apfel.
„Aha! Schonfrist zu Ende!" stellte sie lapidar fest.
Die Eltern Maybach wunderten sich über das Verhalten ihres Sohnes. „Alles, was schmeckt, steht auf dem Index!" erklärte Mia. „Ich mutiere zur Kuh, bis dieses Kind da ist."
Peter lachte Tränen. „Übertreib's aber nicht, Junge!" stieß er hervor. „So ungesund habt ihr ja vorher auch nicht gelebt."
„Sicher ist sicher." Hannes wich nicht von seiner Meinung ab, lächelte aber dabei. Er hatte sein strenges Regime sowieso schon manches Mal gelockert. Aber er musste sich ja um sein Mädchen und das Baby kümmern.
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