Kapitel 70
Engumschlungen gingen sie nach Hause, standen lange im Wohnzimmer, waren sich einfach nur nah, wollten nicht sprechen, wollten den Moment festhalten, ewig.
Doch natürlich fühlten sie nach einer Weile die Nähe ihrer Körper, atmeten gegenseitig ihren Duft ein, ließen ihre Hände auf die Reise gehen, die Haut spüren wollten, die lieben wollten, reizen, aufheizen, streicheln, anfassen wollten.
Ihre Lippen fanden sich zu einem dieser endlosen Küsse, die sie schon auf dem Ball atemlos gemacht hatten, und die ebenfalls nichts von ihrer Wirkung verloren hatten.
Aufstöhnend trug Hannes sie ins Bett. Er schaffte es einfach nicht, ihrer Anziehungskraft zu widerstehen, wollte, wollte, wollte sie immer wieder.
Er liebte sie wie in der ersten Nacht in seinem zwei Meter großen Bett, als er schon nicht genug von ihr bekommen konnte.
Als er verwundert begriffen hatte, dass es das wirklich gab, dass man eine Frau eine ganze Nacht lang lieben konnte.
Es musste nur die Richtige sein.
Er dachte an ihre Tränen, als ihr in den Sinn kam, dass er mit anderen Frauen in diesem Bett gelegen hatte.
Und er dachte auch daran, wie unsinnig er diese Gedanken gefunden hatte. Denn was er mit ihr erlebte, hatte nicht das Geringste mit der Vergangenheit zu tun! Da lagen einfach Welten dazwischen.
Beim Kuscheln musste Hannes über seine ständigen Ausflüge in die Vergangenheit lachen. Mia sah ihn fragend an.
„Ich muss heute ständig an unsere ersten Tage denken." erklärte er ihr kopfschüttelnd. „An den Ball, den Abend im ZAP, das erste Mal, die erste Nacht. Ich weiß auch nicht, warum."
Sie krabbelte auf seinen Bauch, sah ihn voll verliebt an. „Ich auch! Aber ich glaube, ich weiß, warum. Heute hat irgendwie ein neuer Lebensabschnitt begonnen. Da erinnern wir uns eben gerne an die Anfänge. Damit wir nicht vergessen, wie alles begann."
„So wird es sein, mein kluges Miamäuschen!" stimmte er zu.
Er sah, wie ihre Blicke in die Ferne schweiften, wusste, was das zu bedeuten hatte. In ihrem schönen Köpfchen formten sich Gefühle zu Gedichten, und die mussten raus. Er sprang aus dem Bett, holte ihr Gedichteheft und einen Stift. „Voila, Madame!"
Sie strahlte ihn an. „Kennst mich wohl schon ein bisschen?"
„Könnte sein!" meinte er lächelnd.
Während sie schrieb, lag er neben ihr, und wieder gingen seine Gedanken auf die Reise.
Die ersten Tage, seine Unsicherheit, was sie anbetraf.
Würde dieses Wundermädchen wirklich bleiben in seinem Leben?
Würde sie irgendetwas stören an ihm?
Machte er Fehler, die sie nervten?
Wollte er zu viel Sex von ihr?
War er zu anhänglich?
Wenn sie in der Schule war, dachte er oft über diese Dinge nach.
Dann die Diskussionen wegen seines Geldes.
Und heute war alles klar, alles so einfach, sie waren zu zweit, sie waren zusammen.
Es gab keine Grübeleien mehr, keine konkrete Angst, sie zu verlieren.
Nur Glück!
Jeden Tag mehr!
Er sah ihr beim Schreiben zu, das tat er gern.
Er fand es sexy, wie sie mit Worten umgehen konnte.
So sexy, wie sie seinen Job fand.
Er musste wieder lächeln, als er daran dachte, wie sich ihre Sinne immer noch vernebelten, wenn sie ihn am Computer arbeiten sah.
Sein Job hatte ihm schon viele heiße Stunden im Bett beschert.
Sie legte aufatmend den Stift weg, sie hatte ihren Kopf wieder frei geschrieben.
Wortlos hielt sie ihm das Heft hin, es war schon fast wieder voll, er musste ihr morgen eine neues besorgen.
Es macht ihm Spaß, ihr diese Kladden zu kaufen, mit einem besonderen Einband, einer besonderen Lineatur, einem besonderen Aufdruck.
Sie freute sich darüber wie ein kleines Kind, fast mehr als über ein Schmuckstück, mit dem er sie hin und wieder überraschte.
Auch Stifte besorgte er für sie, ausgefallene Stücke, von denen sie mittlerweile schon eine ganze Sammlung hatte.
Oft saß sie nur da, ordnete die Schreibutensilien, hielt sie in der Hand, als ob sie sie liebkosen wollte.
Sie merkte nicht, dass er sie dabei beobachtete, mit Tränen der Rührung in den Augen über dieses süße Mädchen, das seine Frau war.
Er las ihre Gedichte, lachte, lächelte, vergoss aber auch ein paar Tränen.
„Ein neuer Weg" hieß das erste Gedicht, in dem sie auf den Punkt genau ihrer beider Gefühle beschrieb, die vom „Wir wollen kein Kind" bis zum „Wir wünschen uns ein Kind" gegangen waren.
„Zwei Lieben" räumte seine Urangst aus, sie könnte das Kind mehr lieben als ihn.
Er wusste, dieser Gedanke war idiotisch, aber er war eben tief in seinem Unterbewusstsein kurz aufgetaucht, und sie hatte ihn erfühlt.
„Im Taumel" war sehr heiß, wäre wohl für die Öffentlichkeit nicht geeignet gewesen, denn hier beschrieb sie, zwar in zarten wunderschönen Worten, aber doch sehr direkt, wie sie die Leidenschaft in diesem Hauseingang überwältigt hatte, nach diesem Abend in der Diskothek.
Er fühlte die Erregung, die ihm an diesem Abend die Sinne geraubt hatten.
Dann gab es noch ein sehr trauriges Gedicht, das ihm vor Schwermut fast den Atem nahm.
„Wenn nicht" hatte sie es tituliert.
Es handelte von ihrer Angst, er hätte womöglich das Kind nicht haben wollen, wäre bei seiner Meinung geblieben, hätte erwartet, dass sie eine Lösung fand.
Was, wenn nicht?
Wenn du nicht ja gesagt hättest?
Was hätte ich getan?
Wenn du nein gesagt hättest?
Hätte ich es getan?
Was wäre ich geworden, hätte ich es getan?
Was wären wir geworden, hätte ich es nicht getan?
Schnell wäre es gegangen, einmal schlucken und vorbei!
Aber wären wir die Gleichen gewesen, danach, wir zwei?
Wäre ich die Gleiche gewesen?
Und du?
Hättest du danach gelesen?
In mir?
Hättest du gesehen?
Zu spät?
Hättest du gespürt?
Vorbei?
Für immer!
Für alle Zeit!
Vorbei!
Und wir zwei? Alleine? Vorbei?
Da wurde ihm klar, dass ihre Beziehung, ihre Liebe, ihre Ehe es nicht geschafft hätte, wenn er darauf bestanden hätte, dass sie die Pille danach nahm. Dass es ihr nicht möglich gewesen wäre, einen Mann weiter zu lieben, der sie gezwungen hatte, ihr Kind zu töten.
Aber diese Worte waren nicht schlimm, denn es war ihm ja nicht möglich gewesen, das von ihr zu verlangen, weil er es um nichts auf der Welt gewollt hatte.
Minuten nach dem ersten Erschrecken wusste er, dass er dieses Vielleicht-Kind wollte, dass aus dem Vielleicht-Kind ein Ganz-Sicher-Kind werden musste.
„Du hättest es nie getan, Süße. Du hättest diese Tablette nie genommen. Und ich hätte es auch irgendwann verstanden, warum du das nicht konntest. Ich hätte dich nie überredet oder gar gezwungen, das weißt du."
„Ja, aber es ist verdammt gut, dass deine Entscheidung so schnell kam, so gleichzeitig mit meiner."
Es war schon öfter geschehen, dass sie sich durch ihre Gedichte über manches klarer geworden waren als nur durch reden.
Es war ein Wahnsinnstalent von ihr, alles in ein paar Worte zu bringen, was es ihm immer leicht machte, ihre Gefühle zu verstehen und über seine zu sprechen!
Sie war einfach der Hammer, sie war der Wahnsinn, und sie war seine Frau.
Und – sie würde die Mutter seines Kindes sein! Was konnte ein Mann sich mehr wünschen?
Er küsste sie mit all der Zärtlichkeit, die er in sich fühlte, und er fühlte auf seinen Lippen all die Zärtlichkeit, die sie in sich fühlte.
Die Liebe danach war heiß, voll Begehren, voll Erregung, voll Befriedigung. Er musste sie extra lange abknutschen danach, musste ganz lange kuscheln, weil er den Körperkontakt nicht aufgeben wollte.
Musste sie dann nochmal lieben, zart, vorsichtig, langsam, zerschmolz in ihren Armen, unter ihren Händen, stöhnte vor Lust, lächelte vor Liebe. Hörte sie stöhnen vor Lust, sah sie lächeln vor Liebe.
Irgendwann an diesem wahnsinnigen Tag konnten sie das Bett verlassen. Er machte ihr einen Drink in dieser grässlichen Maschine, die er besorgt hatte, den sie brav trank. Danach kochte er richtiges Essen, ein bisschen weniger gewürzt, mit ein bisschen weniger creme fraiche, aber genießbar, durchaus, noch dazu, weil es mit vielen Küssen serviert wurde.
Als Nachtisch gab es zwei Stücke Schokolade und ein paar Streicheleinheiten, eine Kombination, die sie voll akzeptieren konnte.
Sie lächelten die ganze Zeit, lachten dann vor Glück.
„Für ein altes Ehepaar benehmen wir uns ganz schön ulkig!" stellte sie fest, als sie auf der Dachterrasse standen und auf Paris hinunterblickten.
„Ja!" stimmte er zu. „Und es ist wunderbar!"
Sie sahen sich einen Liebesfilm im Fernsehen an, kuschelten sich aneinander, waren wieder einmal glücklicher als je in ihrem Leben.
„Pah! Das soll eine Liebesgeschichte gewesen sein!" stellte er am Ende des Filmes fest. „Da hätte ich schon eine bessere Story zu erzählen."
Seine Küsse erklärten, was er meinte. Und im Bett erklärte er ihr auch noch die Details.
Engumschlungen wie immer schliefen sie ein.
Am nächsten Tag fragte Mia Claudine wegen des Frauenarztes.
„Bist du schwanger?" fragte die Frau ihre Kooperationspartners wie aus der Pistole geschossen.
„Nein! Ja! Wie kommst du darauf?" Mia war etwas perplex.
Claudine lachte. „Na, wenn man dein strahlendes Gesicht so sieht, liegt die Vermutung schon nah."
„Okay, ja, du hast recht!" gestand Mia und dachte an Hannes' Worte.
„Also, ich würde dir Professor Legrand empfehlen. Er ist sehr einfühlsam und eine Koryphäe!" Sie gab der deutschen Kollegin die Nummer des Arztes.
Gleich in der Pause wählte Mia die Nummer.
„Guten Tag, Dr. Mia Maybach. Ich hätte gerne einen Termin bei Dr. Legrande."
Am anderen Ende war es erst einmal still „Dr. Maybach? Aus Deutschland?" fragte die Dame am Telefon schließlich.
„Ja?" Mia war etwas von der Reaktion überrascht.
Sie bekam wider Erwarten einen Termin am übernächsten Tag.
Als sie sich fertig machte, stand Hannes schon wartend im Flur, hatte sich sehr schick gemacht.
„Was hast du denn vor?" fragte sie ihn verwundert.
„Ja, ich komm mit." Seine Antwort klang nicht weniger überrascht.
„Du? In eine Frauenarztpraxis?"
„Logo! Der muss sich auch um schwangere Männer kümmern, nehme ich an." Seine Augen blitzten schelmisch.
„Okay! Dann mal los!"
Sie fuhren fünf Stationen mit der Metro, lachten und kicherten die ganze Strecke, gingen engumschlungen die paar Meter zu dem imposanten Bau, in dem die Praxis lag.
Die Rezeptionistin begrüßte sie fast ehrfurchtsvoll, die anderen Arthelferinnen lächelten ihnen glücklich zu.
Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass das deutsche Ehepaar zu ihnen in die Praxis kommen würde.
Dass Hannes seine Frau begleitete, wunderte sie nicht.
Sie wussten ja, wie die beiden sich liebten.
Hoffentlich kamen sie wegen einer Schwangerschaft. Das wäre das Tüpfelchen auf dem i !
Sie saßen kaum im Wartezimmer, als der Professor sie persönlich abholte. „Frau Dr. Maybach! Herr Dr. Maybach! Kommen Sie bitte?"
Im Sprechzimmer bat er sie, Platz zu nehmen. „Ich freue mich sehr, dass Sie zu mir gekommen sind. Meine Angestellten sind schon seit zwei Tagen aus dem Häuschen." Natürlich kannte auch er die deutsche Studienrätin und ihren Informatiker-Ehemann.
Fast wöchentlich stand etwas über die beiden in der Presse oder flimmerte über den Bildschirm.
„Was kann ich für sie tun?" fragte er freundlich.
In echt sehen die beiden noch besser aus, als auf den Fotos oder im Fernsehen! dachte er.
Ich bin froh, dass ich mitgekommen bin! dachte Hannes. Der Typ sieht fast zu gut aus!
„Wir sind schwanger!" erklärte er, bevor Mia den Mund aufbekam.
Der Arzt lachte. „Aha! Beide? Das liegt wohl an der Pariser Luft."
Mia kicherte. „Nein, das lag wohl eher an der Regensburger Luft." Und an einem fehlenden Pariser. Sie musste einen Lachkrampf unterdrücken.
„Sie haben einen Test gemacht? Gut, dann wollen wir mal das Baby verifizieren. So wie sie beide strahlen, gehe ich davon aus, dass sie ein Kind wollen?"
„Natürlich!" riefen beide gleichzeitig und dachten in diesem Moment nicht mehr an ihre Zweifel.
Dann rutschte es aber Mia heraus, dass sie im ersten Augenblick des Schreckes kurz an die Pille danach gedacht hatten.
„Das hätte wahrscheinlich nichts mehr gemacht!" erklärte der Arzt. „Das ist keine Abtreibungspille. Wenn es da gleich zu einer Befruchtung gekommen ist und die Eizelle sich eingenistet hätte, wäre nichts passiert. Nur für die nächsten Tage hätte die Tablette gewirkt. Wann war denn der Einsprung ungefähr?"
Hannes war erleichtert, dass sie nichts zerstört hätten, hätte sie die Pille doch genommen, nichts getötet, aber womöglich etwas verhindert. Das wäre im Nachhinein aber auch schlimm gewesen.
„Das kann ich nicht sagen. Mein Zyklus ist vollkommen unregelmäßig." antwortete Mia. Auch sie hatten die Worte des Arztes etwas erleichtert.
„Na, das wird sich nach der Geburt dann sicher einspielen." Er bat sie in den Untersuchungsraum, bat aber Hannes, auf sie zu warten.
Nach der Untersuchung erklärte er, dass die Gebärmutter deutlich vergrößert war, was auf eine Schwangerschaft von knapp drei Wochen schließen ließ.
Die beiden lächelten sich an. Also hatte es doch gleich beim ersten Mal geklappt.
Ein Blutschnelltest bestätigte die Diagnose.
Der Professor gratulierte, stellte ihren Mutterpass aus und aus Spaß auch einen Vaterpass für Hannes.
„Gut, dann sehen wir uns in vier Wochen wieder!" erklärte er lächelnd.
„In vier Wochen erst? Müssen Sie nicht öfter untersuchen, ob alles in Ordnung ist?" Hannes war wirklich überrascht. Der Doktor musste doch mindestens einmal pro Woche nachsehen, ob es seinem Kind gut ging.
Vier Wochen!
Da starb er ja tausend Tode!
Professor Legrande lachte.
Diese Väter!
„Nein, in vier Wochen reicht wirklich. Seien Sie bis dahin einfach schwanger, ernähren Sie sich gesund, vermeiden Sie großen Stress. Sex ist uneingeschränkt möglich."
Mia musste über ihren Mann lachen, der wirklich schwangerer als sie zu sein schien.
Die Arzthelferin brachte die beiden zur Tür, den Terminzettel hatte sie schon in der Hand.
Sie strahlte das Promipärchen an. „Darf ich, dürfte ich vielleicht ein Selfie machen?" Sie hatte ihren ganzen Mut zusammengenommen, um diese Frage zu stellen.
„Natürlich!" Mia war das ja mittlerweile schon gewohnt.
Die andern Mädchen kamen mit ihren Handys an, dann noch zwei Patientinnen. Alle wünschten ihnen viel Glück.
Deshalb verwunderte es Hannes auch nicht, als Le Figaro zwei Tage später titelte: „Unser europäisches Traumpaar erwartet ein Souvenir der besonderen Art"
Alle schienen überzeugt, dass das Flair der Stadt der Liebe für dieses Kind verantwortlich war.
Dass es das besondere Flair eines Clubs in der Heimat war, des Clubs, in dem die Liebe begonnen hatte, eine Liebe zu werden, das Flair der Erinnerung, das diese Leidenschaft ausgelöst hatte.
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