Kapitel 69
Die freien Tage vergingen im Flug. Kaum waren sie in der Heimat angekommen, mussten sie auch schon wieder nach Paris zurück. Aber sie freuten sich auch auf die Wahlheimat auf Zeit, auf das Frühjahr, den Sommer in der Stadt der Liebe, auf die Menschen, die sie so freundlich behandelten.
Doch sie kamen als andere zurück als die, die vor Ostern weggeflogen waren. Sie liebten sich noch inniger, hatten beschlossen, Eltern werden zu wollen.
Sie wussten, dass sie gute Eltern werden würden, dass sie aber auch ein Liebespaar bleiben würden, für immer.
Dass die Liebe zueinander immer an erster Stelle stehen würde.
Da sie überhaupt nicht wusste, wann ihre fruchtbaren Tage waren, hingen sie mit dem Thema Kind ein wenig in den Seilen.
Nach vierzehn Tagen startete Hannes einen Versuch und besorgte einen Schwangerschaftstest.
Am nächsten Morgen küsste er sie wach, liebte sie hingebungsvoll. Mia war ein wenig überrascht. Sonst ließ er sie immer bis Ultimo schlafen, für Liebe war am Nachmittag und Abend ausreichend Zeit.
Aber sie genoss seine Zärtlichkeiten unglaublich! Irgendwie hatte sie seit Ostern das Gefühl, noch verrückter auf ihn zu sein als vorher.
Als sie in seinen Armen lag, nachdem er sie ausgiebig abgeknutscht hatte, nach einer ausgedehnten Kuschelrunde, wagte er es.
„Duuu? Mia? Könntest du..... also, könntest du...... möglicherweise.......vielleicht........diesen Test heute machen?" Jetzt war es raus.
Er gab ihr die Tüte von der Apotheke, sah sie mit dem schönsten Dackelblick aus seinen Bernsteinaugen an.
Sie küsste ihn bewundernd. Wieder einmal hatte er ihre innersten Gedanken gelesen. Auch sie hatte in den letzten Tagen darüber nachgedacht, ob oder ob nicht!
Gemeinsam lasen sie die Gebrauchsanweisung, sie machte sich auf den Weg zur Toilette. Er tigerte vor der Türe auf und ab, sein Herz raste.
Na dafür, dass du nie ein Kind wolltest, drehst du ja ganz schön am Rad! dachte er und grinste vor sich hin.
Sie kam endlich heraus, das Teststäbchen in der Hand. Er führte sie in die Küche, stellte den Kurzzeitwecker auf fünf Minuten ein, legte den Streifen verdeckt auf den Tisch.
„Aber wenn er negativ ist, probieren wir es doch weiter, oder?" Er wollte es noch einmal aus ihrem Mund hören.
Seit dem Ausrutscher mitten in der Stadt hatten sie keine Kondome mehr verwendet. Sie mussten sich erst daran gewöhnen.
Für ihn war es das erste Mal, dass er ungeschützt mit einer Frau schlief, und er musste zugeben, es war ein schönes Gefühl, ein sehr schönes sogar, sie so ganz zu fühlen. Er hatte das nicht vermutet gehabt.
Auch Mia mochte es ohne eigentlich lieber, wenn sie fühlte, dass er in ihr kam.
Das war bisher immer ein bisschen schade gewesen, hatte sie gefunden.
Gut, sie musste jetzt öfter ins Bad, aber das war ein geringer Preis für das größere Vergnügen, das sie auch durch Haut an Haut erleben durfte.
Sie hatten auch ganz offen darüber gesprochen, wie sie fühlten, was anders war, wie sie die neuen Erfahrungen mochten.
„Natürlich! Wir haben es uns ja versprochen!" antwortete sie, sah aber etwas abgelenkt auf die Uhr. Noch drei Minuten!
Er legte die Hand auf den Wecker, er wollte ihre ganze Aufmerksamkeit.
„Schönheit! Wir müssen uns beide sicher sein. Ich will dich nicht in etwas hineinquatschen."
Mia musste lachen. „Nein, Hannes. Ich will ein Kind, ich stehe voll und ganz dahinter, wenn du auch voll und ganz dahinter stehst. Und ich weiß, das tust du."
Sie hatte sich wirklich gewundert, wie sich seine Meinung gedreht hatte. Er sprach ständig von dem schönen Leben, das auf sie als Familie wartete, sah Babys in Kinderwagen verliebt an.
Der Wecker läutete, ihre Hand schoss vor, wollte den Streifen umdrehen. Aber Hannes hielt ihre Hand fest.
Er atmetet tief ein und aus.
Das was sie gleich sehen würden, würde vielleicht ihrer beider Leben verändern.
Er wollte es noch ein wenig hinauszögern, hatte ein wenig Angst vor der Enttäuschung, jetzt, nachdem er seine Meinung so sehr geändert hatte.
Er erinnerte sich an seine Worte am Gardasee.
„Kinder haben in unserem wunderbaren Leben keinen Platz!" hatte er zu Maria gesagt, und Mia hatte ihm zugestimmt.
Den leichten Schatten in ihren Augen hatte er übersehen wollen.
Er hatte sich bestimmt getäuscht! redete er sich ein.
Danach hatte sie nie mehr über dieses Thema gesprochen.
Und jetzt saß er hier, sein Magen zog sich vor Angst zusammen, dass der Test negativ ist.
„Wo haben denn Kinder sonst Platz, wenn nicht in unserem Leben?" Er merkte, dass er diesen Satz laut gesagt hatte, nicht nur gedacht.
Er sah das Blitzen in ihren Augen, und um nichts auf der Welt wollte er es übersehen!
Er küsste sie, schloss die Augen, ließ sie den Streifen umdrehen, öffnete vorsichtig die Augen wieder.
„Yep!" rief er, die Siegerfaust schoss in die Höhe.
Er hob sie vom Stuhl, setzte sie auf seine Hüften, tanzte mit ihr durch den Raum.
Er war vollkommen betrunken vor Glück.
Plötzlich besann er sich, dass sie schwanger war, dass er vorsichtig sein musste, dass er aufpassen musste!
Behutsam setzte er sie aus Sofa.
„Entschuldige, Süße! Ich darf nicht so wild sein!"
Mia musste lachen. „Hoffentlich muss ich jetzt nicht neun Monate lang Tee trinken, warme Socken anziehen und mit einer Wärmflasche ins Bett gehen."
„Nein! Auf keinen Fall, Miamäuschen!" versicherte er und grinste sie schelmisch an. „Nur achteinhalb Monate."
Sie hielten sich in den Armen, lachten Tränen, weinten ein paar Tränen vor Glück und Rührung.
Danach wurde es höchste Zeit, sich für die Schule fertig zu machen.
Hannes richtete ein paar Brote, die sie in der Metro essen konnte, Kaffee bekäme sie im Lehrerzimmer.
Engumschlungen gingen sie zur Station, er hielt sie in der U-Bahn im Arm, während er sie fütterte. Die meisten Mitfahrer erkannten die beiden, hatte ein paar Tränen in den Augen, während sie das deutsche Paar beobachteten.
Am Schultor küsste er sie ausnahmsweise, sonst verabschiedeten sie sich immer ohne Zärtlichkeiten.
Hannes fuhr nach Hause, setzte sich an den Computer, recherchierte den ganzen Vormittag über Schwangerschaft und Geburt, druckte stapelweise Informationen aus.
Gesunde Ernährung war sehr wichtig. Er lief in die Markthalle, kaufte Obst und Gemüse in so großen Mengen, dass George lachen musste, als er die Tüten durchs Foyer schleppte.
„Bekommen Sie eine Armee zu Besuch?" fragte er.
„Nein, wir bekommen ein Baby!" rief Hannes auf dem Weg zum Aufzug. „Meine Frau muss sich gesund ernähren."
Arme kleine Frau! dachte George, der schon des Öfteren Zeichen von Hannes' Überfürsorglichkeit mitbekommen hatte. Wahrscheinlich musste sie die nächsten Monate Unmengen von Grünzeug in sich hineinfuttern!
Aber er freute sich ungemein, dass das sympathische Paar Nachwuchs bekommen würde. Es würde ein glückliches Kind werden.
Gott segne euch! dachte er und sprach ein Gebet.
Mia schwebte durch den Vormittag. Kollegen und Schüler wunderten sich, dass die deutsche Studienrätin noch glücklicher zu sein schien als sonst.
Um ein Uhr holte Hannes sie ab. Sie kamen an einem Schnellimbiss vorbei, von dem es verführerisch nach Frittiertem duftete. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen.
Komisch! dachte sie. Ich mag doch gar kein Fastfood!
„Ich hole mir eine Portion Pommes!" sagte sie zu Hannes.
„Nichts da! Zu viel Acrylamid!" widersprach er.
„Ha?" Sie sah ihn verständnislos an.
„Zu ungesund! Nicht gut fürs Baby!" erklärte er, und ihr schwante, wie ihr Speiseplan in den nächsten Monaten aussehen würde.
Vorsichtig fragte sie: „Und was ist gut fürs Baby?" Sie hatte so eine Ahnung, wie er den Vormittag verbracht hatte.
„Wenig Fett, wenig Salz, sehr wenig Zucker, kein rotes Fleisch, kein Weißbrot, viele Ballaststoffe, viele Vitamine!" Er zeigte ihr, wie gut informiert er war.
„Also esse ich in Zukunft Kartoffeln naturell mit einem Hauch von Hühnchenfleisch und einem Berg an Salat ohne Salz und Öl?"
„So ungefähr, ja!" Ein bisschen grinsen musste er schon, ganz so streng würde er dann doch nicht sein. Aber die Richtung hatte sie schon erkannt.
„Und, mein lieber Hannes, was sagt das Internet zur Erfüllung der Gelüste einer Schwangeren, die sicher auch nicht zu vernachlässigen sein werden, und deren Nichterfüllung mit Sicherheit zu beträchtlichen psychischen Störungen führen würden, was auch zur Beeinträchtigung des Wohlergehens eines Baby beitragen würde, weil das Nichtwohlergehen der Mutter sich auf das Kind übertragen würde, das dann motzig und unglücklich wäre, was ein fürsorglicher Vater sicher nicht will!"
Hannes sah sie fassungslos an. So viel Nebensätze hatte sie ihm schon lange nicht mehr um die Ohren gehaut.
Er musste sie küssen, weil es ihn immer so anmachte, wenn sie solche Satzmonster aussprach, mit vielen Genitiven und Konjunktiven, ohne ein einziges Subjekt oder Prädikat zu vergessen.
Außerdem rollte sie, seit sie so viel Französisch sprach, die R's noch mehr, verschluckte die H's noch stärker. Und das hatte ihm schon immer Herzrasen beschert.
„Eigentlich habe ich jetzt nur verstanden, dass du irgend etwas von Gelüsten von Schwangeren erzählt hast!" flüsterte er in ihr Ohr. „Und über deren Erfüllung habe ich heute ganz viel gelesen!"
„Na, wenigstens etwas!" meinte sie lakonisch.
Lachend führte er sie zum Aufzug, lachend nahm er sie in den Arm, lachend erfüllte er ihre sicher vorhandenen Gelüste im Bett.
Als sie später lachend in der Küche standen, sah sie die Berge an Grünzeug, die nicht einmal in dem riesigen Kühlschrank Platz gefunden hatten.
„O Gott! Er will aus mir eine Kuh machen!" stöhnte sie.
Hannes nahm sein lustiges, aufgedrehtes Mädchen in den Arm.
„Ich mach dir jetzt einen leckeren Smoothie, du wirst Augen machen, Süße! Und wenn du den schön brav getrunken hast, ziehen wir los und du bekommst eine Portion Pommes, okay?"
„Deal!" freute sie sich und schlug ihn ab.
Der Drink, den er ihr servierte, schmeckte nicht einmal so übel. Sie trank das ganze Glas leer, und er hatte das größte ausgesucht, das zu finden war.
Dann gingen sie noch einmal los, um sich eine große Portion Pommes zu holen. Er fütterte sie auf diese gefährliche Art und Weise, die er echt drauf hatte, mit Fingern, die immer wieder ihre Lippen berührten. Sie bummelten durch den Park, setzten sich in die Sonne auf eine Bank.
Mia beobachtete wie immer die Leute, die vorbeikamen, zahlreiche Geschichten entstanden in ihrem Kopf.
Hannes beobachtete sie eine Weile. „Na, kleine Dichterin? Sammelst du wieder ein paar Menschen ein?" fragte er liebevoll und zog sie an sich.
„Ertappt!" gestand sie lächelnd. Sie wusste, er mochte diese Seite an ihr. Er liebte jedes Wort, das sie schrieb, hatte jede Zeile gelesen, die sie je verfasst hatte.
„Was macht dein neues Buch?" wollte er wissen.
„Ein bisschen zäh! Aber der Mann ist gerade dabei, sich zu fangen, Kontakte zu knüpfen!"
Hannes dachte an die traurige Geschichte von der Frau, die bei der Geburt des Kindes gestorben war. Sein Herz zog sich zusammen. Es wäre ihm lieber, sie würde nicht gerade jetzt an dieser Geschichte weiterschreiben.
„Und wenn, und wenn du das Buch erst fertig machen würdest, nachdem, nachdem unser Baby auf der Welt ist?" Er kam ein wenig ins Stottern, als er ihr seine Bitte vortrug.
Wenn alles gutgegangen ist bei uns! dachte er weiter.
Sie nahm sein schönes Gesicht in ihre Hände. „Das hat nichts mit uns zu tun, Hannes! Das ist nichts Reelles!" versuchte sie ihn zu beruhigen.
Sie fühlte seine Gedanken. Aber irgendwie hatte er auch recht. Sie wollte sich in der Zeit, in der sie so glücklich war, nicht in einen so traumatisierten Mann hineinversetzen, konnte es eigentlich auch kaum.
Darum ging es mit dem neuen Buch ja auch so schleppend vorwärts! Sie würde die Kladde erst einmal zulassen.
„Ich habe eigentlich im Moment gar keine Lust auf diese Geschichte!" eröffnete sie ihm, merkte, dass er aufatmete.
Sie musste ja nicht schreiben, stand nicht unter Druck, irgendeinen Roman abliefern zu müssen. Das erste Buch hatte sie in der Zeit vor Hannes begonnen, die Geschichte wollte noch aus ihrem Kopf. Es war ein Erfolg geworden, vor allem durch Hannes, dadurch, dass sie ihn kennengelernt hatte, dass sie die Liebe kennengelernt hatte, weil sie dadurch über die Liebe schreiben konnte.
Sie machte mit den kleinen Dingen weiter, für die Kolumne, das genügte ihr.
Es gab so viel anderes Schönes in ihrem Leben!
Sie schwiegen eine Weile, da kam Hannes ein neuer Gedanke, über den er mit ihr sprechen wollte.
„Du musst demnächst zu einem Frauenarzt! Willst du hier gehen, oder sollen wir nach Hause fliegen?"
„Stimmt!" Sie war überrascht, an was dieser Mann alles dachte! Das hätte sie jetzt glatt vergessen.
„Ich frag mal morgen die Kolleginnen, ob sie mir einen empfehlen können! Ich muss ja nichts davon sagen, dass ich ein Baby bekomme!"
„Warum willst du da denn nicht sagen?" fragte er verwundert.
„Weil, weil es so frisch ist. Weil ich Angst habe, etwas zu bereden!" räumte sie ein.
Er verstand schon ihre Bedenken, hatte aber einen anderen Gedanken in seinem Kopf.
„Andererseits, wenn man darüber spricht, wir es auch real, wird dieses Kind Wirklichkeit!"
Mia sah ihn wieder einmal verblüfft an. Immer öfter schlug er sie mit Worten.
„Vielleicht solltest du Bücher schreiben?" schlug sie lächelnd vor.
„O je! Da würden alle Seiten nur voll von: Ich liebe dich! stehen!" Er grinste sie an.
„Na, dieses Buch würde ich dann schon gerne lesen!" flüsterte sie.
„Gut! Ich fange gleich morgen damit an!" versprach er heiser.
Langsam bummelten sie zurück.
In einem Straßencafé bestellten sie zwei Cappuccini und Brioches.
Torte war verboten, bestimmte er, und den Zucker, den sie in ihren Kaffee geben wollte, nahm er ihr weg, schenkte ihr aber dafür einen so innigen Blick seiner wunderschönen Augen, dass sie den Tausch sehr gerne annahm.
Die Zigarette ließ sie von sich aus weg, das wusste sie schon selber.
„Du kannst ruhig rauchen!" sagte sie lächelnd.
„Ich bin mindestens so schwanger wie du!" erklärte er lachend. Er streichelte ihr Gesicht, wie nur er es konnte. Der Zeigefinger zeichnete die perfekten Konturen nach, der Handrücken fuhr über ihre Wangen.
Diese kleine, unschuldige Berührung hatte sie auf dem Ball schon so sehr erregt, als sie noch gar nicht an Zärtlichkeiten gewohnt war.
Sie hatte bis heute nichts an ihrer Wirkung verloren.
Zwei Tage später hatte er sie wieder so gestreichelt, als dieses dumme Missverständnis ausgeräumt war, als sie gewusst hatte, dass es richtig gewesen war, ihm nachzulaufen.
Nicht aus Liebe hatte sie das gemacht, sondern weil sie sauer auf ihn war.
Aber noch in derselben Nacht war es Liebe geworden!
„Kann es sein, dass du noch schöner geworden bist?" fragte er leise.
Sie lächelte zuckersüß, ihre Saphiraugen strahlten ihn an.
Damit hatte sie ihn auf dem Ball schon erregt, erinnerte er sich. Dieses lächelnde Strahlen oder strahlende Lächeln hatte sie ihm geschenkt, als sie das erste Mal an ihm vorbeigeschwebt war.
Danach konnte er keine Minute mehr den Blick von ihr lassen, lief ihr so lange nach, bis er sie in der Bar auf seinen Schoß zog, glücklicher als je in seinem Leben.
Und dieses Glück hatte nicht nur angehalten, es wuchs täglich.
Er war so froh, dass sie damals so sauer auf ihn gewesen war, dass sie in die Disco gekommen war. Dass sie zugelassen hatte, dass es Liebe wurde zwischen ihnen, und was für eine Liebe!
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