Kapitel 68

Zwei Tage später trafen seine Eltern ein. Sie freuten sich, ihren Sohn und seinen Sonnenschein Mia wiederzusehen.
Sie bezogen das Gästezimmer. Hannes zog mit ihnen am Vormittag durch die Stadt, während Mia arbeitete. Nachmittags machten sie sich oft allein auf den Weg, damit die beiden genug Zeit für sich hatten.

„Ihr seht 10 Jahre jünger aus!" stellte Helena lächelnd fest. „Ich glaube fast, ihr seid glücklich!"
„Passt schon!" meinte Mia.
„Das heißt bei meiner Süßen, wir sind unglaublich, unbeschreiblich, grenzenlos, atemberaubend glücklich!" übersetzte Hannes lachend.
„So habe ich es auch verstanden!" Helena nahm die Kleine in die Arme.

Zum Abendessen gingen sie meistens aus oder sie bestellten etwas in die Wohnung. Das Seniorehepaar Maybach genoss die Tage so sehr, dass es um eine Woche verlängerte. Sie liehen sich das Auto der jungen Leute, machten Ausflüge ins Umland. Sie hatten in ihrem Leben nicht viel Urlaub gemacht, zuerst das anstrengende Studium, dann die Zwillinge, dann der Beruf, die Karriere. Erst in den letzten Jahren hatten sie angefangen, auch mehr an sich zu denken.

„Wie läuft es mit Markus und Sarah?" fragte Mia eines Abends.
„Besser als beim ersten Mal!" freute sich Peter. „Sie ist auch zu uns anders geworden, nicht mehr so schnippisch und von oben herab."

„Ich glaube, das war mehr aus Unsicherheit. Sie wusste, dass ihr mich mögt und hatte Angst, mit mir um eure Gunst wetteifern zu müssen!" versuchte Mia, die Cousine zu verteidigen.
„Oder, sie war ein verzogenes Gör, das erwachsen geworden ist!" stellte Helena trocken fest.
Mia musste lachen. „Könnte natürlich auch sein!"
Drei Tage vor der Abreise seiner Eltern holte Hannes am Morgen die Zeitung herauf. George grinste ihn an. „Seite zwei!" sagte er nur. „Aber ich kann nichts dafür."

Im Aufzug blätterte Hannes um. Unser Lieblingspaar beschenkt Paris las er. Irgendwie war die Geschichte mit den Häusern bekannt geworden, wahrscheinlich hatte ein Mitarbeiter irgendeiner Genehmigungsbehörde gequatscht und sich ein paar Euro dazuverdient.
Eine ganze Seite lang war dem geplanten Projekt gewidmet, auch das, das in Deutschland bereits entstand, wurde erwähnt.
Mia wurde zitiert, was sie in der Talkshow über die soziale Verpflichtung von Kapital gesagt hatte.

Hannes war relativ sprachlos, als er die Wohnung betrat, legte den Artikel vor seine Eltern, übersetzte den Text. Die bekamen beide feuchte Augen. Die zwei waren schon echt gelungen, ihr Sohn und seine reizende Frau.

Mia wurde in der Schule noch freundlicher als sonst begrüßt, wunderte sich über noch mehr lächelnde Gesichter, wenn sie irgendwo auftauchte. In der Pause löste der Chef das Rätsel, als er einen Artikel vor sie legte. 

Es war eine andere Zeitung, als die, die sie abonniert hatten.
Unser deutsch-französischer Engel und ihr deutsch-italienischer Ehemann leben uns ein soziales Europa vor lautete die zweizeilige Überschrift auf Seite Eins. Der Text entsprach in etwas dem, den Hannes zu Hause gerade vor sich liegen hatte.

Mia las, die anderen beobachteten sie gebannt.
„Wir müssen das tun!" sagte sie schließlich schulterzuckend. „Das ist unser Weg zu unserem Ziel, die Welt ein wenig gerechter zu machen."
Die Kollegen klopften Beifall spendend auf die Tische.
Mittags holten die Eltern und Hannes sie von der Schule ab. Das war immer eine schöne Überraschung, wenn sie nicht alleine mit der Metro fahren musste.

Sie redeten natürlich hauptsächlich über die Artikel.
„Das Telefon läuft heiß zu Hause!" berichtete Hannes. „Unzählige Anfragen nach Interviews und Talkshowauftritten!"
„O Gott!" Mia war leicht genervt. „Und was hast du gesagt?"
„Sie sollen morgen wieder anrufen, ich muss mich erst mit dir besprechen!"
„Also, ich würde sagen, wir gehen höchstens zu Christin. Die hat uns sehr fair behandelt. Ich will nicht an irgendeinen Blutsauger geraten, der uns in eine Ecke drängt, oder uns in die Pfanne haut."

„Und du meinst, das würde jemand wagen? Der müsste doch Angst haben, den Rest seines Lebens als Origami-Schwan zu verbringen!" lachte Hannes. „Aber nein, Süße, du hast schon recht. Von Christin können sie ja dann Infos kaufen."
Er erklärte seinen Eltern, wie Mia immer wieder Menschen, die das brauchten, zusammenfaltete.
Am Nachmittag stellten sie das Telefon ab. George wimmelte die Journalisten ab, die ihre Adresse herausgefunden hatten.

Hannes schickte Christin eine Mail, die Antwort traf umgehend ein. Sie würde am liebsten am gleichen Tag noch einen Termin machen. Er fragte an, ob seine Eltern mit ins Studio kommen könnten, was gerne angenommen wurde.
Zwei Stunden später holte die Limousine sie ab.

Es wurde wieder ein sehr launiges, faires Gespräch. Sie sprachen über das Glück, das sie teilen mussten, über das Geschenk, das sie der Stadt zurückgeben wollten, die sie so herzlich aufgenommen hatte. Sie stellten noch einmal das Projekt vor, das in ihrer Heimatstadt schon am Entstehen war und die Idee, die dahintersteckte.

„Paris ist ja um ein Vielfaches größer als Regensburg. Vielleicht findet sich ja hier ein Nachahmer. Vielleicht können wir irgendeinen Superreichen auch ein bisschen beschämen, einen, der mehr Geld hat, als er je ausgeben kann. Einen, der schon zehn Häuser auf der ganzen Welt hat, fünf Yachten, zwei Privatjets. Vielleicht können wir ihn auch davon überzeugen, dass Geben sehr glücklich macht." fasste Mia ihre Intention zusammen.
Das Publikum tobte wieder.

„Früher war es gang und gebe, dass ein Fabrikbesitzer Wohnungen für seine Arbeiter bauen ließ. Doch dieses soziale Gewissen wurde dem Aktienmarkt geopfert." fügte Hannes hinzu. „Jetzt knöpfe ich diesen Unternehmern eben ein wenig Geld ab, und wir bauen die Häuser."
Mia lachte. So hatte sie das Ganze noch gar nicht betrachtet, aber er traf den Nagel auf den Kopf! Sie musste ihm unbedingt einen Kuss geben.
Paris freute sich. „Na endlich!"

Immer wieder brachte der Regisseur Hannes' Eltern ins Bild. „Frag mal, ob die Eltern auf die Bühne kommen können!" wies er die Moderatorin an, die die Bitte weitergab.
„Aber meine Eltern sprechen nicht Französisch!" gab Hannes zu bedenken.
„Sie bekommen einen Knopf ins Ohr. Wir haben einen deutschen Übersetzer geholt!" erklärte Christin. 

Die Eltern zierten sich nicht lange. Sie berichteten, wie stolz sie auf die beiden waren, wie sehr sie Mia in ihr Herz geschlossen hatten, wie glücklich sie ihren Sohn vom ersten Tag an machte. Paris zerschmolz wieder einmal, und Frankreich gleich mit. Es gab wieder ein paar Küsse, denn das mit dem glücklich machen hatte sie an das Wichtigste überhaupt erinnert.
Hannes berichtete, dass seine italienische Mutter die Gewinne aus dem Weingut in das Projekt einfließen ließe.

Auf die Frage, wie sie ihre Zwillingssöhne denn erzogen habe, antwortete Helena lächelnd: „Ich habe ihnen beigebracht, dass sie gut zu den Menschen sein müssten, und dabei ganz besonders gut zu Frauen!"
Hannes grinste, Mia nahm die Schwiegermutter in den Arm.
„Und? Hat die Erziehung gefruchtet?" fragte Christin Mia scherzhaft.
„O ja! Wollen Sie Details hören?" Mia saß wieder der Schalk im Nacken.
„Gerne!"

Hannes runzelte leicht die Stirne, wusste aber, dass seine süße Ehefrau nur scherzte.
„Also, er..." Sie machte eine dramaturgische Pause. „Er kann........phantastisch.........kochen!"
Das Publikum johlte.

„Und? Finden Sie das auch sexy?" wollte Christin in Erinnerung an das letzte Interview wissen.
„Nein, das finde ich nur praktisch. Gott sei Dank!" Mochten sich die Zuschauer selbst einen Reim auf diese Aussage machen. Aber die meisten verstanden sie schon so, wie sie sie gemeint hatte.
Vor allem Hannes verstand und lachte leise, bis ihm die Tränen kamen.

„Sonst kämen wir gar nicht mehr aus dem Bett!" flüsterte er in ihr Ohr und musste sie schon wieder küssen, dieses Mal nutzte er den schicklichen Spielraum voll aus, und der Regisseur streckte vor Freude die Siegesfaust in die Luft.

Christin wendete sich noch mit einem Scherz an die Eltern Maybach. „Es tut mir unendlich leid, Frau Dr. Maybach, Herr Dr. Maybach, aber Paris hat beschlossen, diese beiden fabelhaften jungen Leute zu adoptieren." 

Alle vier lachten. „Wir werden sie nicht mehr nach Deutschland zurücklassen."
Das Publikum brach in einen Beifallsturm aus.
„Eine letzte Frage, Herr Dr. Hannes Maybach. Worüber können Sie mit Ihrer Frau streiten?"
Hannes lachte. „Streiten? Mit Mia? Über nichts! Bei uns gab es in diesem ganzen ersten Jahr nicht ein einziges unfreundliches Wort!"
Das brachte ihm, dem Regisseur und dem Publikum wieder einen grenzwertigen Kuss von Mia ein.

„Und, Frau Dr. Helena Maybach, was gefällt Ihnen an Ihrer Schwiegertochter am besten?"
„Dass sie meinen Sohn vom ersten Tag an zum Strahlen gebracht hat."
„Und Ihnen, Herr Dr. Peter Maybach?"
„Dass sie sehr feinfühlig ist, dass sie immer die richtigen Worte findet und sich nicht scheut, sie auch auszusprechen."

„Und, Frau Dr. Mia Maybach, hätten Sie ein Schlusswort für uns?"
„Danke!" sagte Mia grinsend.
„Na, so wörtlich müssen Sie das nicht nehmen!" lachte Christin.
„Die ist echt gut drauf, die kleine Studienrätin!" freute sich der Regisseur. „Da sollten wir direkt eine wöchentliche Sendung machen, so lange sie noch da ist."

„Also, wenn ich mehr als ein Wort sagen darf, dann sage ich trotzdem: Danke!
Ich danke allen Franzosen, dass sie mich so freundlich aufgenommen haben, allen meinen Schülern hier, dass sie bereit sein werden, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen.
Und ich danke der Person, von der ich hoffentlich bald lesen werde, dass sie unserem Beispiel gefolgt ist.
Aber vor allem danke ich meinem unvergleichlichen Mann Dr. Hannes Maybach, dass er die Kohle ranschafft für all die Häuser, dadurch, dass er so brillant ist beim Spielen am Computer." 

Der Kuss, den sie dafür bekam, dauerte den gesamten Abspann.
„Yep!" rief der Regisseur. Das waren knapp zwei Stunden gewesen, der Sender war dran geblieben, die späteren Sendungen hatten sich verschoben.

Hannes' Eltern flogen glücklich nach Hause, sie hatten die zwei Wochen sehr genossen, waren stolz auf ihre beiden jungen Leuten.
Hannes und Mia verlebten die Wochen bis Ostern noch ein bisschen glücklicher.
Schneller als erwartet wurde ein Grundstück für ihr Projekt gefunden, die Baugenehmigung wurde in Rekordzeit erteilt, so dass kurz vor ihrem Heimflug schon der Aushub beginnen konnte.

Es gab einen Pressetermin, bei dem auch der Pariser Bürgermeister anwesend war. Er nahm Mia in den Arm, drückte Hannes fest die Hand, hatte Tränen in den Augen.
„Zwei Deutsche rühren Paris zu Tränen!" titelte Le Monde.
„Danke, Mia und Hannes!" lasen sie im Figaro.

In München holte sie am Karfreitag Markus vom Flughafen ab. Er sah glücklich aus, wirkte entspannt.
„Alles klar mit Sarah?" fragte Mia.
„Bestens!" erklärte er strahlend. „Ihr braucht aber jetzt nicht jede Woche nachzufragen."
In der Wohnung war alles österlich geschmückt, sie waren gerührt.
„Sarah hat ein Händchen dafür!" gab Markus als Erklärung ab.

Da schau her, das verwöhnte Cousinchen schmückt unsere Wohnung! dachte Hannes. So ändern sich die Zeiten.
Sie telefonierten mit dem Architekten, der sich trotz des Feiertages freute, von ihnen zu hören. Sie trafen sich zu einem Besichtigungstermin bei den Häusern. Das erste war im Rohbau fertig, beim zweiten das Erdgeschoß. Sie gaben zwei weitere Häuser in Auftrag, damit war das Grundstück dann ausgereizt, sie müssten sich eine neues suchen.

„Die sollten dann aber zügig gebaut werden, damit die Menschen nicht ewig auf einer Baustelle leben müssen!" gab Mia zu bedenken.
Hannes nahm sie in den Arm. Seine Süße machte sich immer Sorgen um das Wohlergehen der anderen.

„Wie machen wir das eigentlich mit der Auswahl der Mieter? Nach welchen Kriterien gehen wir da vor?" fragte sie.
„Ich hätte schon gerne, dass du das machst, Engelchen. Du kannst die Menschen am besten beurteilen, dir kann keiner so leicht etwas vormachen."
„Okay! Dann muss das alles halt warten, bis wir wieder hier sind. Dann setzen wir uns mit der Stadt in Verbindung, die wissen am besten über Härtefälle Bescheid."
Er sah sie bewundernd an. Sie blickte wieder einmal voll durch.

Ein Liedtext kam ihm in den Sinn, den er neulich gehört hatte, und er musste lächeln.
She's a maniac in the bed
And a brainiac in her head
Sie ist wild im Bett
und eine Intelligenzbestie in ihrem Kopf!

Da hatte er sofort an seine Süße denken müssen!
„Warum lächelst du?" fragte sie.
„Das sage ich dir zu Hause!" versprach er grinsend.

An einem Abend gingen sie in den Club tanzen. Ihre Bewunderer hatten sich damit abgefunden, dass Mia für die Männerwelt verloren war. Aber den alten Gewohnheiten folgend, scharten sie sich um die Schöne, flirteten mit ihr, forderten Hannes heraus.
Es war ihnen schon klar, dass diese Jagd nie wieder eröffnet werden würde, doch es reizte sie einfach, das Spiel wieder aufzunehmen.

Niklas freute sich sehr, die beiden wiederzusehen, seltsamerweise freute er sich auch, dass sie noch immer so glücklich waren. Durch Artikel in den Printmedien und aus dem Netz war er bestens informiert über das soziale Engagement der beiden und die Liebe, die die Franzosen dem Paar entgegen brachten.
Die zwei waren echt der Hammer.

Oliver und Anja waren zufällig auch da. Der junge Mann nahm seinen ganzen Mut zusammen, forderte Mia auf, mit ihm zu tanzen.
Eigentlich hatte er erwartet, dass Hannes Einspruch erhob, aber der lächelte nur. Vor einem Jahr hätte er noch anders reagiert, aber heute wusste er, dass die beiden Bruder und Schwester im Herzen waren.

Mia und ihr ehemaliger Schüler drehten sich zur Musik, hielten sich locker fest. „Na, little Doc, du flasht jetzt Frankreich? Und was kommt dann?"
Sie lachte ihn an. „Dann kommen wir wieder zurück, und ich unterrichte wieder vielversprechende junge Leute!"

„Sicher?" fragte er.
„Natürlich! Was sollte ich denn sonst tun?"
„Ihr habt eine Menge Kohle. Du müsstest nicht mehr arbeiten!" gab er zu bedenken.
Mia lachte. „Aber ich will. Ich muss."
„Dann ist es ja gut!" Der Ernst in der Stimmen des ungewöhnlichen Jungen ließ sie aufhorchen.
„Was geht dir denn durch den Kopf?" fragte sie.

„Irgendwie habe ich Angst gehabt, du würdest nicht mehr als Lehrerin arbeiten wollen, nach all den Erfolgen, mit den Büchern, nach Paris, mit eurem Sozialprojekt, Hannes' Programmen. Aber Mia, die Schüler der Zukunft brauchen dich. Es wird mit Sicherheit jedes Jahr mindestens einen Oliver, eine Anita oder auch eine Anja geben, die dich brauchen, die du retten musst."
„Ich weiß, Oliver. Und das wird auch immer mein Hauptjob bleiben. Jungen Leuten den Weg zu zeigen, den sie gehen müssen, um ihr Ziel zu erreichen."
Er brachte sie zu Hannes zurück, war froh, dass sie ihre Zukunft weiter an der Schule sah.

Hannes nahm seine Süße in den Arm, führte sie auf die Tanzfläche, erinnerte sich wieder einmal an jenen Montagabend, als er sie überglücklich im Arm halten durfte, weil ein riesengroßes Missverständnis ausgeräumt worden war.
Er erinnerte sich an seine Erregung, das herrliche Gefühl, ihre Schultern küssen zu dürfen, seine Verwunderung, aber auch Erleichterung darüber, dass sie so passiv war.
Da wusste er ja fast noch nichts von ihr, nichts von ihrer Unerfahrenheit, ihrer Unsicherheit, ihrer Angst.

Da wusste er nur, dass sie ein wunderschönes Mädchen war, mit Wahnsinnsaugen, das die Männer umschwirrten, das sich aber, warum auch immer, nur von ihm küssen ließ – hier im Club wie auch auf dem Ball.

Er wusste, dass er zwei verdammt harte Tage hinter sich hatte, weil er glaubte, sie nie wiederzusehen.
Er wusste, dass er verliebt war.
„Ich bin so verliebt in dich, Süße!" flüsterte er ihr zu. „Ich bin voll verknallt in dich! Und ich fahre voll auf dich ab!"

Mia lachte. Sie liebte diese ungezwungene Sprache, die sie sich so jung fühlen ließ!
So, als wäre sie 15!
Als wäre die Zeit zurückgedreht!

Als hätte es alle die Jahre ohne ihn nie gegeben!
„Und du machst mich an, du heißer Typ!" antwortete sie kess.
„Dann sollten wir verduften und uns ein Bett suchen, meinst du nicht?"
„Ich wär dabei!" Sie lächelte ihn frech an.
„Zu dir, oder zu mir, heiße Braut?"

„Lieber zu dir! Mein Bett hat nur eine Matratze!" Sie erstickte fast an unterdrücktem Lachen, oder war es Erregung? Egal, auf alle Fälle fiel ihr das Atmen schwer!
Hannes grinste sie an. „Okay, Biene! Dann schlepp ich dich mal jetzt ab! Du wirst es nicht bereuen!"
Er schob sie in Richtung Ausgang.
„Bist du eigentlich gut im Bett?" fragte sie treuherzig.
„Der Beste!" versicherte er.

Vor der Türe presste er sie gegen die Wand, küsste sie leidenschaftlich.
Ihr kleines Spiel hatte ihn ordentlich scharf gemacht. Die Wellen schlugen über ihm zusammen und rissen sie mit.

Er fand Zugang zu viel Haut, der Ledermantel, den sie trug, war kein Sicherheitsmodell.
Er drängte sie in einen Hauseingang, so wie er es damals fast gemacht hätte, öffnete die Knöpfe an seinen Jeans, schob ihren Rock hoch, zog seinen und ihren Slip nach unten und drang in sie ein.
Beide hatten jedes Denken ausgeschaltet, die Leidenschaft riss sie mit.
Sie genossen diesen Höllenritt, stöhnten, trieben sich hoch, fühlten nur noch. Als sie zusammen den Höhepunkt erreichten, keuchten sie nur noch.

So hatten beide noch nie gefühlt, so hoch waren sie noch nie geflogen, wie auf diesen zwei Stufen vor dieser fremden Türe mitten in der Stadt, ein paar Meter von ihrer Wohnung entfernt!
Sie knutschten noch lange, hielten sich im Arm, als Hannes plötzlich die schreckliche Erkenntnis traf.
„Kondom! Verdammt, wir haben das Kondom vergessen!"
Ein kalter Guss traf sie beide, brachte sie unsanft in die Realität zurück.
Sie liefen schnell nach Hause, ließen sich auf das Sofa fallen.

„Und jetzt?" fragte Hannes aufgewühlt. „Wie glaubst du, sieht es vom Zyklus her aus?"
„Keine Ahnung! Du weißt, wie unregelmäßig er bei mir ist!" antwortete sie verstört.
„Puh! Wie konnte uns das nur passieren!" Er stand komplett neben sich. Er wollte kein Kind! Das passte nicht in seine Lebensplanung!

Er wollte sein Leben mit Mia genießen, nicht Windeln wechseln, sich nicht 20 Jahre lang um Nachwuchs sorgen müssen!
Er wollte kein schreiendes Monster in seinem Leben, er wollte sie nicht teilen, wollte sie ganz und gar für sich!
Ihr Leben war perfekt, sie konnten die Welt aus den Angeln heben, sie brauchten kein Kind!
Sie wollten kein Kind!

Mia dachte ähnlich, nicht ganz so fatalistisch wie er, aber sie hatte auch andere Pläne, als Mutter zu werden.
Vor allem aber wegen Hannes!
Er hatte damals am Gardasee den Gedanken an Nachwuchs so kategorisch abgelehnt, dass sie sich jeden weiteren Gedanken daran verboten hatte.
Sie hatte nicht darunter gelitten, war so glücklich in ihrem gemeinsamen Leben, dass sie sicher nichts vermissen würde!
Sie hatte das Thema Kinder oder nicht einfach aus ihrem Denken gestrichen.

„Die Pille danach?" schlug sie vor. „Ich könnte morgen zu meinem Frauenarzt gehen!"
Er atmete erleichtert auf. „Ja, das wäre gut!" Er drückte sie dankbar an sich.
„Wir wollen doch keine Kinder, oder? Wir haben andere Pläne für unser Leben, da hat ein Kind keinen Platz! Wir haben doch uns, nicht wahr?" fragte er eindringlich.

Warum aber zog sich dann sein Herz so seltsam zusammen?
Wo kamen diese Tränen her, die in seinen Augen standen?
„Natürlich, Hannes! Das war ja von Anfang an klar!" stimmte sie ihm zu.
Warum hatte sie dann einen solchen Kloß im Hals?
Warum brachte sie kein Lächeln zustande bei diesen Worten?
Er schenkte zwei Gläser Wein ein, zündete zwei Zigaretten an.
Sie gingen auf den Balkon, rauchten, tranken schweigend.

Und wenn sich jetzt schon einer seiner Samen mit einem Ei bei ihr vereint hatte? Als aufgeklärter Arztsohn sah er das ganz pragmatisch!
Dann war neues Leben dabei zu entstehen.
Die Pille danach, dachte er, was machte sie genau?
Er wusste es nicht!
Würde sie sein und ihr mögliches Kind töten?

Die Pille danach, dachte sie, was macht sie? Bringt sie unser Kind vielleicht um? Ist da schon etwas geschehen in ihr? Etwas, das diese Pille zerstören würde?

Wäre ein Kind wirklich eine solche Katastrophe? dachte er.
Wäre es wirklich so schlimm, wenn wir ein Kind bekämen? dachte sie.

Ein kleines Baby, mit ihren Augen, von seiner Süßen, wäre das denn nicht das Schönste, was er sich vorstellen könnte? fragte er sich.
Ein Kind von Hannes, was könnte es eigentlich Schöneres geben? dachte sie.

Wir haben die besten Voraussetzungen, um ein Kind glücklich aufwachsen zu lassen! dachte er.
Wer auf der Welt sollte denn ein Kind bekommen, wenn nicht wir? dachte sie.

Aber, wenn sie doch kein Kind will! dachte er.

Aber, wenn er doch kein Kind will! dachte sie.

Sie drehten sich einander zu, wollten beide gleichzeitig zu sprechen anfangen.
Dieses Mal wollte er nicht knobeln darum, wer beginnen sollte, wie sonst immer, wenn sie zur gleichen Zeit anfingen zu reden.
Dieses Mal musste er anfangen!

„Nein, Mia! Keine Pille danach! Bitte nicht! Ich weiß nicht, was diese Tablette macht, aber bitte bring das Kind nicht um, das wir vielleicht bekommen werden!"
Er nahm sie in die Arme, ihre Tränen mischten sich mit seinen.

„Aber du wolltest doch kein Kind!" schluchzte sie.
„Ich wollte auch nie eine Beziehung!" konterte er. „Und schon gar keine Ehefrau! Menschen ändern sich! Ich habe mich geändert! Ich möchte ein süßes Baby mit dir, Mia, wenn das Schicksal uns eines schenken will!"
Sie heulte in seinen Armen, er küsste alle Tränen weg.

„Und du, Liebe meines Lebens, was möchtest du?" fragte er mitten in ihren Tränenfluss hinein.
„Ich weiß nicht, Hannes! Aber ich weiß, dass ich das nicht umbringen könnte, was wir heute vielleicht zu Stande gebracht haben!"
„Also, keine Pille danach?"
„Nein! Lassen wir das Schicksal entscheiden!" erklärte sie.

„Und das Schicksal hat es doch gut mit uns gemeint in den letzten Monaten, oder?" Er wollte es aus ihrem Mund hören.
„Ja, sehr gut, Hannes! Und ein Kind wäre ein guter Schicksalsschlag?" Sie wollte es aus seinem Mund hören.

„Ich glaube fast, also, es überrascht mich auch ein wenig, aber im Moment glaube ich beinahe, es wäre der himmlischste Schicksalsschlag, den ich mir vorstellen könnte!"

Sie gingen hinein, er hob sie hoch, wirbelte mit ihr im Kreis herum.
„Ja, Mia! Ja, Süße! Ja, süße Mia! Ich möchte ein Kind mit dir haben! Eine Tochter, einen Sohn, ganz egal! Ja, ich möchte der Vater deines Kindes sein! Ich möchte, dass du die Mutter meines Kindes wirst! Ja, ja, ja! Ich möchte ein Baby! Und wenn es dieses Mal nicht geklappt hat, werden wir es weiter versuchen, denn ich möchte, ich möchte es wirklich und aus tiefstem Herzen, dass wir Eltern werden, Süße!" Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus.
Sie lachte in seine Küsse, ihr Herz platzte fast vor Glück. Sie hatte es gestern noch nicht gewusst, aber ja, sie wollte ein Kind von Hannes.


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