Kapitel 6

Hannes stand in der Gästetoilette, hatte den Kopf an den Spiegelschrank gelehnt. Seine Knie waren immer noch weich.
„Was war das, Hannes?" fragte er sein Spiegelbild. „Was hast du da gerade erlebt? Was hat die kleine Schönheit mit dir gemacht?"

Als er den Boden unter seinen Füßen wieder wahrnahm, kam er zurück, legte sich neben sie, zog sie eng an sich. Er streichelte liebevoll ihren Rücken.
„Das war das Wunderbarste, das ich in meinem Leben erlebt habe!" stieß er schließlich hervor. „Sag bitte nie wieder, du wüsstest über irgendetwas nicht Bescheid!"

„Aber...!"
Er verschloss ihren Mund mit seinen Lippen. „Nein! Kein Aber! Nicht das geringste Aber!" Seine Hände konnten nicht anders, als sie wieder zu streicheln, ihre Haut zu liebkosen

Doch er rollte ständig gegen die Kante des Sofas. „Rutsch doch mal ein bisschen, bitte!" bat er leise.

„Ich kann nicht! Ich bin schon am Anschlag!"

Hannes lachte. „Wie meinst das genau: Du bist schon am Anschlag?" Sie lächelte ihn an.
Eindeutig? Zweideutig? Süffisant? So recht konnte er das Lächeln nicht lesen.

„Gibt es in diesem Haus eigentlich auch ein Schlafzimmer?" fragte er heiser an ihrem Ohr.
„Ja, aber das Bett hat nur eine Matratze!"

„Warum das denn?"
„Weil ich seine mit ihm rausgeschmissen habe!"

Das allerdings gefiel ihm. Er küsste sie, rutschte dabei endgültig vom Sofa. Vom Boden aus sah er sie lachend an. „Das haben wir gerne! Männer abschleppen und kein ordentliches Bett zu Hause!"

Sie sprang auf, boxte ihn. „Und das haben wir gern! Vorher heiße Liebesworte und nachher frech werden!"
Sie wunderte sich wieder über ihren Mut, aber sie fühlte sich so leicht, so unbeschwert, so frei! So befreit von jeder Angst, jeder Unsicherheit. Da kam ihre alte Schlagfertigkeit wie von selbst zurück.

Hannes rappelte sich grinsend wieder hoch, versuchte noch einmal neben ihr Platz zu finden. „Wären wir bloß zu mir gegangen! Ich habe ein zwei Meter breites Bett!" seufzte er.
„Ich kann mich nicht erinnern, eingeladen worden zu sein!" foppte sie ihn.
Schau, schau, dachte er, die kleine Schönheit hat es faustdick hinter den Ohren, jetzt wo die Angst weg ist. Das zweideutige Wortspiel erregte ihn ordentlich.
Oh Mia, du bist so süß! Der Gedanke, die Erinnerung an das gerade Erlebte nahm ihm den Atem.

„Das können wir ganz schnell ändern! Pack ein paar Sachen, in 15 Minuten sind wir in der Stadt!" schlug er leise vor, strich ihr die verschwitzten Locken aus dem Gesicht.
„Um sechs Uhr früh! Ganz bestimmt!" Sie tippte auf seine Stirn.
„Du hast doch eine Woche Ferien, oder?"
„Du meinst das ernst?" Sie schien nachzudenken. „Warum eigentlich nicht? Ich war verrückt genug, ins ZAP zu fahren, bin ich halt jetzt verrückt genug, wieder in die Stadt zu fahren!"

Hannes sah sie liebevoll an. „Also, dann los! Packen!"
Er war überglücklich.
Die Süße war wie verwandelt.
Weg war das ängstliche Mädchen, das sich vor der Liebe gefürchtet hatte.
Zum Vorschein kam eine selbstbewusste Frau, die er noch mehr liebte.

Liebe, Hannes? So schnell? fragte er sich.
Oh ja! antwortete er sich selbst. Liebe!

Mein Gott, hat es mich erwischt!
Das Gefühl in ihm nahm ihm den Atem.
Mia, süße Mia, du bist der Wahnsinn!
Mit dir zu schlafen war der Wahnsinn, süße, süße Mia!

Aber er hatte auch ein wenig ein schlechtes Gewissen, dass er sich nicht hatte beherrschen können, dass er sie vielleicht doch ein bisschen überfahren hatte.
Doch er war auch sicher, dass er ihr gut getan hatte, dass es schön für sie gewesen war, dass sie es hatte genießen können.

Sie lief nach oben, packte ihre schönsten Wäscheteile ein, sie hatte sich seit der Trennung ein paar hübsche Sachen zugelegt, für alle Fälle.
Eine Jeans zum Wechseln, die engste zog sie an, ein paar Oberteile, das hübscheste, knappste zog sie an, einen Morgenmantel, ihre Kosmetiksachen, einen Fön, Pantoffeln, das sollte reichen.
Kurz musste sie innhalten.

Die Erinnerung an das, was sie gerade erlebt hatte, nahm ihr den Atem.
Diese unglaubliche Zärtlichkeit, die er ihr geschenkt hatte, diese Gefühle, die er in ihr erweckt hatte, diese Erfüllung, die er ihr gegeben hatte.
Und sie wusste, dass auch er es genossen hatte, dass es gut für ihn gewesen war, dass sie nicht zu unerfahren, zu langweilig für ihn gewesen war.
Er hat sich nicht angezogen und ist weggefahren, er wollte sie mit zu sich nehmen, in seine Wohnung.

Er will halt noch ein bisschen Spaß mit dir haben! meldete sich die ekelhafte Stimme in ihrem Kopf wieder.
Na und? Habe ich halt auch noch ein bisschen Spaß! Ich wollte schließlich Erfahrungen sammeln und nicht heiraten!
Sie war frech zu dieser Stimme, aber sie war wie losgelöst, hatte keine Angst mehr vor ihr.
Sie war schließlich 28 Jahre alt.

Hannes sah sich einstweilen im Zimmer um.
Er musste sich ablenken von den Gefühlen in sich, die ihm immer wieder den Atem nahmen.

In einem Bücheregal standen eine gebundene Doktorarbeit in Germanistik und eine Diplomarbeit in Mathematik mit ihrem Namen: Mia Leissen.
Da schau her, eine kleine Doktorin und Diplommathematikerin habe ich mir da geangelt auf diesem Ball.
Und hätte sie beinahe wieder verloren, sein Herz verkrampfte nachträglich vor Angst.

Er blätterte in ihrer Diplomarbeit, als sie zurückkam. Aha, dann wusste er ja jetzt Bescheid, dachte sie und lächelte.

„Kann ich mir die mal ausleihen?" fragte er.
„Klar!" antwortete sie.
Sie konnte den Blick kaum von ihm lösen, von diesem gutaussehenden Mann, mit dem sie gerade Unbeschreibliches erlebt hatte, der sie mit zu sich in die Stadt nehmen wollte.

Er sah ihre kleine Sporttasche. „Na, lange willst du scheinbar nicht bleiben!"
Sie grinste ihn übermütig an. „Im Bett braucht man nicht so viel zum Anziehen!"
„Aha! Ins Bett will sie mich zerren, die schöne Frau Doktor!" Er steckte das Buch in ihre Tasche, kam ihr dabei gefährlich nahe, atmete ihren Duft ein, schloss die Augen.

„Zerren?" fragte sie mit rauer Stimme.
Sie strich mit einem Finger an seinem Shirt entlang, das nur knapp bis zum Bund seiner Jeans reichte.
„Vorsicht, Süße, sonst wird' s sieben, bis wir in ein bequemes Bett kommen!" flüsterte er. Schnell nahm sie die Hände weg, steckte sie demonstrativ tief in ihre Hosentaschen.

„Danke! Ich nehme auch das Zerren zurück!" Er stupste leicht auf ihre Nase. „Also, los, fahren wir."
O Gott, hatte er sich verliebt!

Sie nahm ihre Schlüssel, schloss hinter ihnen ab, ging zu ihrem Auto.
„Willst du nicht mit mir fahren?" fragte Hannes verblüfft.
„Und dann?"
„Was: Und dann?" Er sah sie verwundert an.
„Wie komme ich dann wieder nach Hause?"
„Musst du dir halt wieder ein Taxi nehmen!" scherzte er.

Sie überlegte eine Weile, leicht stieg die Panik wieder hoch.
„Also gut! Wenn schon crazy, dann voll!" Sie steckte die Schlüssel in ihre Handtasche. Hannes legte den Arm um ihre Taille, führte sie zu seinem Auto.
Es war noch stockfinster, der Vollmond stand über ihnen, die Sterne funkelten in der eiskalten Winternacht.
Die ersten Nachbarn fuhren zur Arbeit, winkten ihr zu, sie fuhr mit Hannes einem großen Bett entgegen.
Still lächelte sie vor sich hin.
Gut, dachte sie, dass ich gestern ins ZAP gefahren bin! Sehr gut!

Hannes sah sie von der Seite an. „Warum lächelst du?"
„Weil ich mich am Leben freue!" antwortete sie.
Hannes bekam direkt feuchte Augen. Sie war unglaublich süß. Blitzgescheit, wunderschön, zuckersüß!
Und diese Frau soll ich nicht lieben? fragte er die Stimme in sich. Wie bitte soll das denn gehen?
So recht verstand er zwar die Gefühle in sich nicht, die ihn so schnell so überwältigt hatten, aber sie waren da.
Dieses Mädchen, diese Frau war etwas Besonderes, das verstand er sehr genau.
Er strich ihr mit dem Handrücken zärtlich übers Gesicht, hätte beinahe angehalten, um sie zu küssen.
Aber auf der Standspur der Autobahn wäre das nicht so gut gewesen.

Eine Weile fuhren sie schweigend durch die Nacht
Sie sah ihn von der Seite an. „Darf man einem Mann eigentlich sagen, dass er toll aussieht?" fragte sie und wunderte sich, wie frei und offen sie ihre Gedanken aussprechen konnte. Irgendetwas hatte dieser Typ an sich, dass sie sich gut fühlte, dass sie sich ihm nahe fühlte, das war schon in der Stadt so gewesen.
Ob ich wohl dabei bin, mich zu verlieben?

„Einem schon! Aber nur einem einzigen!" Er wandte ihr kurz den Kopf zu, lächelte sie an.

„Du siehst echt toll aus! Ich hoffe, du bist der Mann, zu dem ich das sagen darf!" musste sie einfach los werden.

Hannes holte tief Luft. Hoffentlich schaffte er es noch bis zu seiner Wohnung! „Danke!"

„Im ZAP habe ich gedacht, der Typ da an der Säule, der würde mir schon gefallen, aber erkannt hab ich dich nicht."
„Ich habe dich gleich gesehen, als du reingekommen bist. Ich wollte weglaufen, hatte so eine Wut auf dich, weil ich mich so in dich verliebt hatte. Aber als du mit den anderen getanzt hast, war ich so eifersüchtig, dass mir alles andere egal war."

„Du hast wirklich geglaubt, ich habe ein Abenteuer gesucht auf dem Ball, habe mit dir einen Abend verschmust und bin dann zu meinem Mann nach Hause gegangen? Und dann gebe ich dir meine Telefonnummer, dass du anrufst, und er geht ran, oder wie?"
„Ist schon klar, im nachhinein ist das alles nicht sehr logisch. Aber den Mann zeigst du mir, der sich Hals über Kopf in dich verliebt hat, und dann noch logisch denken kann." Er lächelte sie wieder an.
„Aber eben bei dir hat mich schon die Panik gepackt, was gewesen wäre, wenn du nicht gekommen wärst."

Im Radio spielten sie: Chasing cars von Snow Patrol. "If I lay here.....!" Er sang den Text leise mit, sah sie immer wieder von der Seite an.
Sie hatte sich zurückgelehnt, die Augen geschlossen.
Sie hörte den Worten des Songs zu.
Ja! dachte sie. Ja, ich werde mich zu dir legen und die perfekten Momente genießen! Sie räkelte sich in ihrem Sitz.
So recht konnte sie es noch nicht glauben, was heute mit ihr geschehen war.
„All, what i am, all what I ever was, is there in your perfekt eyes!" Na, dieser Satz passte aber zu ihnen beiden! dachte er. „In your perfect blue eyes!"
Gleich im Anschluss kam „If I said, you have a beautiful body, would you lay it against me?"

Mia musste lachen.
„Na, der Sender macht es den Männern aber heute einfach! Die brauchen bloß lauter zu drehen und auf Antwort zu warten. Und das um sieben Uhr in der Früh."
Hannes lachte mit ihr mit, losgelöst, abgehoben vor Glück! „Heute ist Faschingsdienstag! Vielleicht sind noch mehr Pärchen wie wir unterwegs?" Er streichelte wieder vorsichtig ihr Gesicht. „Und? Wie ist die Antwort?"
„Ja!" flüsterte sie und küsste den Finger, der gerade über ihre Lippen strich. „Zweimal ja!"


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