Kapitel 57
Sarah saß alleine in ihrem Bungalow, begriff, dass sie verloren hatte.
Sie hatte gepokert, wollte ihren Willen durchsetzen, wollte die erste Geige bei Markus spielen, war genau einen Schritt zu weit gegangen, als sie über Hannes herzog.
Sie hörte den Bolero, hörte das Feuerwerk, hörte das Lachen einer Truppe, die sie aufgenommen hatte, mit denen sie jetzt glücklich sein könnte, wenn sie ihren Mund gehalten hätte.
Das Lachen und die Musik verstummten, sie hörte Paare, die zu ihren Bungalows gingen, wartete auf Markus, hoffte dass er zum Schlafen zurückkam, musste eine Stunde später einsehen, dass er nicht kommen würde
Sie heulte die ganze Nacht, Markus schlief in einem der freien Bungalows, für ihn war Sarah Geschichte!
Vielleicht hatte sie ja auch ein wenig Recht gehabt, dachte er, bevor er einschlief.
Vielleicht hatte er trotzdem etwas von Mia gesucht in ihr!
Er war nicht mehr verliebt in Mia, da war er sicher, aber er hatte sich wohl doch erhofft, geblendet von ihrer Ähnlichkeit, etwas von der Frau seines Bruders in ihr zu finden.
Etwas von ihrer Güte, ihrem Charme, von ihrer Herzenswärme!
Angeturnt durch die Stimmung des Abends, von etwas Alkohol, von ihrer Schönheit hatte er sich vor ein paar Wochen wohl blenden lassen, hatte sich in der folgenden Zeit geklammert an seinen Wunsch, dass sie ein wenig sein möge wie Mia.
Am späten Vormittag erwachte ein frischgebackenes Ehepaar nach ein paar Stunden Schlaf und strahlte sich an.
„Hallo, süße Ehefrau!" flüsterte Hannes.
„ Hallo, sü......super Ehemann!" flüsterte sie zurück.
Er nahm sie in den Arm. „Heute haben wir die Obergrenze geschafft!" meinte er lachend, rollte mit ihr durchs Bett.
Sie fuhr mit der Hand seine Wirbelsäule entlang, streichelte hingebungsvoll seinen knackigen Po. Hannes stöhnte auf. „Oder doch nicht!" sagte er gottergeben.
Mia lachte Tränen. „Sorry, aber wir sollten trotzdem aufstehen! Ich habe totalen Muskelkater in der Leiste!"
„Ah, kaum ist sie verheiratet, sucht sie schon Ausflüchte, um der Erfüllung ihrer ehelichen Pflichten nicht nachkommen zu müssen!"
Mia kriegte sich nicht mehr ein. „Wow, so ein langer Satz, mit Genitiv, nach einer so kurzen Nacht!"
Er grinste sie an. „Ich bin gut, oder?"
„Ja!" sagte sie kichernd. „Und du warst auch gut, falls du das auch noch fragen wolltest!"
„Das brauche ich nie zu fragen! Das merke ich schon, dass ich gut bin!"
Sie knuffte ihn. „Eingebildeter Kerl!"
„Ich bin nicht eingebildet! Ich habe nur ein gesundes Selbstvertrauen, und das kann man schon haben, wenn einen eine Frau wie du liebt!" Er streichelte ihr schönes Gesicht, das von innen leuchtete. „Dr. Mia Maybach!" Plötzlich stockte er.
„Ah! Ein kleines MMchen habe ich jetzt im Bett, und ich darf es vernaschen, so oft ich will!" Er fing gleich mit dem Knabbern an. „Ich muss nur aufpassen, dass ich keinen Zuckerschock bekomme, mit so einem zuckersüßen MMchen!"
Mia hielt sich den Bauch vor Lachen über ihren aufgedrehten Ehemann.
Irgendwann gegen Mittag schafften sie es doch noch aus dem Bett, machten sich extra fein zurecht, schließlich waren sie jetzt ein respektables Ehepaar, und gingen zu einem sehr späten Frühstück.
Auf Süßes verzichtete Hannes lieber, davon hatte er in den letzten Stunden zur Genüge gehabt.
Markus hatte relativ gut geschlafen.
Als er aufwachte, dachte er über den gestrigen Tag nach.
Sollte er noch einmal mit Sarah reden, sollte er ihrer Beziehung noch eine Chance geben?
Wollte er eine Fortsetzung?
Er horchte in sein Herz, aber es sagte zu allen drei Fragen: Nein!
Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatte er die Anzeichen schon eine Weile gespürt. Sarah war perfekt, wenn sie alleine waren. Aber sobald sie Konkurrenz um seine Aufmerksamkeit witterte, wurde sie kratzbürstig.
Schon bei Mias Geburtstag war ihm das aufgefallen. Oder wenn sie zu viert essen gingen oder sich auf einen Kaffee trafen in einer der Wohnungen. Dann bestrafte sie ihn auch schon mal mit Liebesentzug, bekam Kopfschmerzen.
Er duschte, schlüpfte in seine Kleidung vom Vortag, machte sich auf den Weg, seine Sachen zu holen.
Sarah lag noch im Bett, sah verheult aus.
Sie sah ihm ängstlich entgegen.
Er war gekommen!
Er würde sie um Entschuldigung bitten, es konnte wieder gut werden!
Sie könnte wieder zu den anderen gehen, in seinem Arm, ohne ihr Gesicht zu verlieren! schoss es ihr durch den Kopf.
„Hallo, Markus!" sagte sie und versuchte ein Lächeln.
„Hallo, Sarah!" sagte er, ohne ein Lächeln auch nur zu versuchen. „Ich muss nur meine Sachen holen!"
„Aber, aber... Können wir nicht noch mal reden?" startete sie noch einen Versuch.
„Nein, Sarah! Du hattest gestern den ganzen Nachmittag und Abend Zeit zu kommen, dich zu entschuldigen, mit uns zu feiern. Dann hätte es noch eine Chance gegeben für uns. Aber du hast es vorgezogen zu bocken."
„Wofür hätte ich mich denn entschuldigen sollen?" maulte sie ihn an.
Markus war fassungslos. Sie war boshaft und beleidigend gewesen und war sich keiner Schuld bewusst.
„Ist Papi immer angekrochen gekommen, wenn seine Prinzessin nur lange genug gebockt hatte?"
Sie senkte den Blick, er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.
„Aber ich bin nicht dein Papi, Sarah! Ich wollte dich wirklich lieben, aber ich will eine Frau freiwillig lieben, nicht weil sie mich erpresst! Vielleicht gibt es einen Mann für dich, der sich das gefallen lässt! Ich bin es auf jeden Fall nicht!"
Dann packte er seinen Koffer und ging.
Das Frühstück ging nahtlos in den Mittagsimbiss über, sie saßen alle fröhlich zusammen, fühlten sich einfach wohl. Viele Augen glänzten, die Paare hielten sich an den Händen, hatten die Arme umeinander gelegt.
Doch Markus war nicht neidisch, gönnte allen ihr Glück. Er war jung, er sah gut aus, Sarah würde nicht die letzte Frau sein für ihn. Dass es gerade hier, mitten im Paradies zur Trennung gekommen war, war dumm gelaufen, tat ihm vor allem für Mia und Hannes Leid, aber es war nicht zu ändern.
Mia nahm Markus an der Hand, ging mit ihm die paar Schritte zum Strand.
„Erzähl!" sagte sie nur und er berichtete ihr Wort für Wort, wie alles abgelaufen war.
Sie merkte, dass er nicht litt, was sie erleichterte. Aber was sollte sie jetzt mit der durchgeknallten Cousine machen? Wollte die jetzt drei Tage lang im Bungalow hocken? Eigentlich hätte sie es ja verdient! Aber Mias gutes Herz konnte das nicht zulassen.
Sie ging zu Sarah, die immer noch im Bett lag.
„Hat deine Zofe heute Ausgang, Prinzessin?" fragte sie sarkastisch.
„Hau ab!" haute ihr Sarah hin.
„Ich hau ab, Mädchen, wann ich will! Vielleicht versohle ich dir aber vorher auch noch den Hintern!" drohte sie. „Das hätten deine Eltern ruhig manchmal machen sollen, verzogener Fratz!"
Sarah sah Mia verwundert an. Jahrelang hatte sie mit der älteren Cousine machen können, was sie wollte, die hatte immer zu ihr gehalten! Bei allen Spielen als Kinder hatte sie gewinnen dürfen, im Fernsehen wurden die Kinderfilme angeschaut, die sie sehen wollte! Später war sie bei jedem Anfall von Liebeskummer auf ihrer Seite gewesen, und heute nannte sie sie einen verzogenen Fratz!
„Ja, schau nur! Die Schonzeit ist vorbei! Ab heute beginnt die Erziehung zu einem Menschen, den man mögen kann!" Auch Mia konnte austeilen.
„Magst du mich denn nicht mehr?" Sarah sah sie ungläubig an.
„Nein, im Moment mag ich dich überhaupt nicht. Und mit dieser Meinung werde ich nicht alleine sein. Deshalb wirst du jetzt aufstehen, dich duschen, hübsch anziehen, nach vorne kommen, dich entschuldigen bei den Gästen, dass du so zickig warst, Besserung geloben und die restlichen Tagen mit uns verbringen, eben nicht mehr als Freundin von Markus, sondern als meine Cousine."
„Das kann ich nicht! Nie und nimmer!"
„Das musst du! Ich lasse dich da hinten hungern, Madamchen. Es gibt fantastisches Essen vorne, Eier mit Speck, Krabben ohne Ende, frittierten Fisch, Salate, Kaviar, Blinis, frisches Brot!"
Sarah knurrte schon seit Stunden der Magen. Aber entschuldigen? Besserung geloben? Wer war sie denn?
„Kannst du mir nicht was bringen?" Sie machte ihr süßestes Schmollmündchen.
„Meinst du echt, dass du mich damit rumkriegst? Sarah, du bist 25 Jahre alt, du hast einen Doktortitel, du machst deinen Facharzt! Warum glaubst du denn, du musst immer noch das kleine Mädchen spielen? Hör doch endlich mal auf, dich wie in der schlimmsten Pubertät zu benehmen. Du bist eine erwachsene Frau. Du hast einen Fehler gemacht, und jetzt stehst du dazu. Kein Mensch wird dir daraus einen Strick drehen, das sind alles großzügige erwachsene Menschen, die da vorne feiern. Also, komm jetzt, werde in Gottes Namen endlich erwachsen!"
Sarah ging Mias Rede doch ein bisschen an die Nieren. Aber sie war so lange Papas kleines Mädchen gewesen, dass sie fast nicht mehr anders konnte. Selbst auf der Station im Krankenhaus behandelte er, der große Chefarzt, sie so.
Kaum zog sie eine Schnute, brauchte sie keinen Nachtdienst zu machen, hatte sie am Wochenende frei, konnte sie eher nach Hause gehen.
Wahrscheinlich tuschelten alle Kollegen schon über die kleine Leissen-Prinzessin!
Das muss anders werden! dachte sie ganz plötzlich.
Vieles muss anders werden! Und jetzt würde sie Mia beweisen, dass sie es wert war, gemocht zu werden, als erwachsene Frau!
Sie sprang aus dem Bett, duschte, zog sich an, ging mit erhobenem Haupt neben Mia her zu den Feiernden.
Alle Gespräch verstummten, als sie an den Tisch trat.
„Ich möchte mich entschuldigen, vor allem bei Mia und Hannes, aber auch bei all denen, denen ich vielleicht ein wenig die Laune verdorben habe. Ich war dumm, kindisch und zickig. Ich werde jetzt erwachsen werden, und ich hoffe, ihr glaubt mir das."
Hannes stand auf, nahm sie in den Arm. „Es ist gut, Sarah."
Markus sah geflissentlich in eine andere Richtung, der Rest der Anwesenden sah sie ruhig an. Das sollte sie jetzt schon erst einmal beweisen, wie ernst es ihr war.
Anja und Oliver reagierten toll, nahmen sie in ihre Mitte, taten, als wäre nichts geschehen, gingen mit ihr ans Büfett, erzählten von Hannes' Plänen.
Sarah war Mia von Herzen dankbar.
Hannes nahm seine Süße in den Arm. „Was hast du mit ihr angestellt? Gehirnwäsche?"
„Nein! Nur einmal eine ordentliche Kopfwäsche!"
„Und jetzt glaubt sie, sie sei ein Briefkuvert?" zitierte er Gregor.
„Schlimmer! Ein Origami-Schwan!"
Hannes lachte wieder einmal über die Schlagfertigkeit seiner Kleinen!
Die letzten Tage vergingen wie im Flug. Die Gäste genossen, den Luxus, das Zusammensein, die Freundschaft, die Liebe.
Markus und Sarah gingen sich aus dem Weg.
Er überlegte ganz kurz, ob er es noch einmal versuchen möchte mit ihr, da sie doch versprochen hatte, sich zu ändern.
Aber er spürte, dass die Liebe tot war, gestorben an einer tödlichen Krankheit: Selbstsucht!
Und eine tote Liebe konnte auch eine junge Ärztin nicht wiederbeleben.
Sarah unternahm auch keinen Versuch, sich Markus anzunähern. Sie verstand die Signale, die er aussandte oder besser: nicht aussandte. Monika und Paul Leissen behandelten ihre Nicht höflich distanziert ebenso wie Carla und Robert. Peter und Helena Maybach ignorierten sie. Schließlich hatte sie ihre Zwillinge verletzt, beide!
Hannes und Mia behandelten sie freundlich, aber nicht mehr herzlich.
Sarah schluckte das alles als eine Art Buße. Sie hatte einen Plan gefasst: Sie würde nach Nürnberg ans Klinikum gehen, sich aus der seelischen Umklammerung ihres Vaters lösen, ihren eigenen Weg gehen. Doch sie erzählten niemandem davon, das war jetzt ihre Sache.
Dann war der Tag der Abreise gekommen. Ein Bus brachte Mia und Hannes in ihr neues Quartier, die anderen nach einem tränenreichen Abschied zum Flughafen. Hannes gab Oliver noch die Adresse der Wohnung, damit sie sie ansehen könnten.
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