Kapitel 44
Mia wachte auf, hörte Stimmen aus dem Wohnzimmer. Sie dachte nach, wo sie war, wieso sie im Bett lag, warum Hannes nicht neben ihr lag.
Dann kamen die Bilder wieder hoch. Der Kerl, der mit dem Baseballschläger ausholte, um den Kopf von Hannes zu zerschmettern.
Sie wankte ins Wohnzimmer, musste wissen, ob alles in Ordnung mit ihm war.
Sie fiel ihm um den Hals, weinte schon wieder herzzerreißend. Ihre Eltern umarmten sie, ihre Tränen vermischten sich.
„Papa, was soll ich denn tun? Ich krieg ihn nicht mehr los! Hätten wir ihm nur das Geld gegeben!"
„Meinst du, das hätte dann für immer geholfen? Menschen wie er halten sich doch an keine Vereinbarungen, ma petite!"
Plötzlich wusste Mia, was zu tun war. Aber da musste sie alleine durch, da konnte sie niemanden hineinziehen.
Keiner hatte in diesem Milieu gelebt, nur sie!
Keiner hatte Erfahrung mit diesem primitiven Volk, bei dem im Rausch ein Menschenleben nichts zählte.
Sie musste denken wie er!
Musste böse sein wie er, wie sein Umfeld, musste ihn mit seinen Waffen schlagen, musste kämpfen um ihr Leben und das von Hannes!
Sie wandte sich an ihren Schwiegervater. „Liegt er bei dir in der Klinik?" Alle waren zum Du übergegangen.
„Ja! Ich musste ihn auch noch operieren!"
„Ich muss mit ihm sprechen! Wer fährt mich hin?" Es war natürlich die Aufgabe von Hannes, der ob ihrer Entschlossenheit nicht wagte, Einwände zu erheben. Vielleicht hatte sie Recht, vielleicht musste sie es zu Ende bringen!
„Ich weiß jetzt, wie ich ihm beikomme!" sagte sie nur.
Er fragte nicht nach ihrem Plan. Sie war alt genug, sie kannte den Irren am besten, wer sollte ihr einen Rat erteilen?
Vor seinem Krankenzimmer atmete sie kurz durch. Ihre Sinne waren von den Beruhigungsmitteln noch leicht benebelt, aber grundsätzlich war und sah sie klar.
Sie öffnete die Türe, stellte sich vor ihm auf. Zum Glück lag er alleine im Zimmer.
Thomas sah sie ein wenig ängstlich an. Er hatte große Schmerzen, wartete seit langem auf die Schwester, die ihm eine Infusion legen wollte.
Aber wer den Sohn des Chefs angriff, musste eben dann im Krankenhaus etwas geduldiger sein als andere Patienten.
Mia stellte sich vor seinem Bett auf. Ihre Stimme war eiskalt.
„Hör zu, du Bastard! Ich sage jedes Wort, jeden Satz nur einmal! Du verschwindest aus der Stadt, sobald du hier raus bist! Gehst möglichst auch aus Bayern weg! Ich bezahle deine Schulden, die du in Erwartung der Abzocke gemacht hast! Ich zahle dir 1000 Euro im Monat, zwei Jahre lang, wenn ich dich nie wieder sehen muss! Solltest du irgendwo in unserer Nähe auftauchen, versiegt die Geldquelle, und ich werde dich wegen Vergewaltigung einer Jugendlichen anzeigen. Das verjährt erst nach 20 Jahren! Wie du weißt, kann ich sehr überzeugend schauspielern!
Außerdem haben die Leissens und die Maybachs genug Geld, um tausend Zeugen anzuheuern, die meine Aussage bestätigen würden. Und Vergewaltiger von Kindern haben es im Knast nicht leicht. Die Leissens und die Maybachs haben auch genug Geld, um tausend Killer anzuheuern. Wenn du dich noch einmal in meiner Nähe oder der von Hannes sehen lässt, bist du ein toter Mann, ich schwöre es dir bei Gott. Ich werde noch heute eine eidesstaatliche Erklärung abgeben, die bei einem Anwalt deponiert wird. Es wäre nicht gut, wenn mir in den nächsten 20 Jahren irgendetwas zustoßen würde. Ich werde auch einen Privatdetektiv anheuern, der überwacht, ob du wegziehst und monatlich kontrolliert, ob du wegbleibst"
Thomas bekam es echt mit der Angst zu tun, als er sie so kalt und entschlossen sprechen hörte. 1000 Euro im Monat, Bezahlung seiner Schulden, das klang besser als gar nichts!
„Ich schicke dir morgen einen Anwalt vorbei, der alles schriftlich niederlegt!" Damit verließ sie das Zimmer.
Eine Schwester wollte gerade die Schmerzinfusion legen.
„Er schläft jetzt!" meinte Mia. „Er hat gesagt, die Schmerzen sind schon vorbei!"
Die Schwester zog sich zurück, Mia lächelte boshaft.
Thomas wartete noch eine Stunde, dann hielt er es vor Schmerzen nicht mehr aus. Sein Schädel drohte zu zerspringen, die gebrochene Nase pochte. Eine Rippe war gebrochen, hatte an der Lunge gekratzt. Ein sehr unfreundlicher Arzt hatte ihn operiert, auch das gesamte Klinikpersonal war äußerst kühl zu ihm.
Er läutete noch einmal, versuchte ein wenig freundlich zu sein. „Bitte Schwester, ich habe echt Schmerzen!"
Sie sah ihn kalt an. „Dann hätten Sie sich halt nicht mit dem Sohn vom Chef anlegen sollen! Noch dazu, wenn der einen Kopf größer und 10 Kilo schwerer ist als Sie." Sie legte ihm endlich die Infusion, dosierte lieber nicht zu hoch, seine Leberwerte waren sehr schlecht!
Langsam wurde der Schmerz ein wenig geringer, er konnte wieder ein wenig klarer denken.
Der Sohn vom Chef, war er, dieser reiche Schnösel! Na, das war dann auch blöd gelaufen, dass er gerade hier gelandet war.
Irgendwann schlief er ein, schreckte aber bald wieder hoch. Das Bild, wie Rudi mit dem Baseballschläger auf den Typen losging, war durch seine Träume gegeistert.
So war das nicht geplant gewesen!
Sie wollten Mia ein wenig Angst machen, aber von der rohen Gewalt des Kumpels war er dann doch selbst überrascht.
Hatte Rudi wirklich vorgehabt, auf das kleine Püppchen einzuschlagen?
Seine Gedanken gingen zurück.
„Kleines Püppchen!" So hatte er sie anfangs immer genannt. Er war damals auf dem Schulfest aufgetaucht, wollte den feinen Herrschaften dort ein wenig aufmischen. Bald merkte er, wie die Kleine ihn anschmachtete. Mehr aus Spaß hatte er mit ihr gesprochen, hatte sie eingeladen, am nächsten Tag einen Ausflug mit ihm zu machen.
So ging es los mit ihnen. Sie hing an seinen Lippen, machte alles mit, was er vorschlug. Sie war 15, bildhübsch und ein Töchterchen aus reichem Haus.
Sie strahlte ihn verliebt an mit ihren blauen Augen, und manchmal berührten diese Augen sogar ein wenig sein Herz.
Mit Sex ging noch nichts, da musste er schon ein Jahr werben.
Sie bezahlte den Sprit für seine Karre, die Reparaturen, seine Klamotten, seinen Alkoholkonsum im Wirtshaus.
Dafür konnte er schon ein wenig Süßholz raspeln.
Er merkte bald, dass sie ihn von seinen Freunden wegbringen wollte, ihn, den Underdog umerziehen wollte.
Aber das ging ja gar nicht!
Er merkte aber auch bald, dass sie ihm geistig hoch überlegen war, und so viel er sie auch unterdrückte, von ihrem Studium ließ sie nicht ab.
Den größten Fehler hatte er mit dieser komischen Heirat auf dem Schiff gemacht, die dann letzten Endes keine war. Ab dem Zeitpunkt versiegte die Geldquelle, und er hatte sie an der Backe.
Dann begann sie zu arbeiten, das Geld floss wieder, nur im Bett lief fast nichts mehr.
Er soff sich die Mary schön, ein Mann hatte schließlich seine Bedürfnisse.
Der nächste Fehler war dann dieser Auftritt auf dem Schulfest am Goethe. Er flog aus ihrem Haus, musste bei Mary unterkommen, konnte sie sich beim besten Willen nicht mehr schön saufen.
Wenn er ein bisschen vernünftiger gewesen wäre, hätte er ein angenehmes Leben mit dem kleinen , verliebten Püppchen haben können, aber in seinen Kreisen war man nicht nett zu Frauen, da hatte die Alte zu parieren!
Aber jetzt war er zu weit gegangen. Richtig wehtun wollte er ihr nicht und auch dem reichen Schnösel nicht. Ihr Angebot war in Ordnung, er würde weggehen, auch von seinen Freunden, vielleicht bekam er sein Leben irgendwie doch noch in Griff! Er telefonierte mit einem Kumpel, erfuhr, dass Rudi wegen Mordversuchs in Untersuchungshaft saß, wies Hans an, alle Versuche, Mia zu schaden, ein für alle Mal zu unterlassen, auch den anderen in der Clique Bescheid zu geben.
Hat sie es doch noch geschafft, mich zu ändern, das kleine Püppchen! war sein letzter Gedanke. Dann schlief er wieder ein.
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Hannes saß neben Mia im Auto, streichelte ihr über die Haare. Der Tränenstrom war versiegt, langsam verschwanden die fürchterlichen Bilder vor ihren Augen. Sie hatte gehandelt, sie hatte sich gewehrt, sie hatte ihn bedroht, sie hatte reagiert, sie war kein Opfer mehr, sie wollte nie mehr Angst vor ihm haben!
Tief atmete sie ein.
„Willst du drüber reden?" fragte Hannes.
Sie sah ihn lange an. „Ich musste mich noch einmal auf eine Stufe mit ihm stellen, um ihn zu besiegen! Ich musste sehr böse sein, um zu gewinnen!" sagte sie nur.
„Du warst nie auf einer Stufe mit ihm, süße Mia, niemals auch nur im Entferntesten!" Er nahm sie in den Arm. „Aber willst du nicht erzählen, was war?"
Mia konnte tatsächlich schon wieder lächeln, als sie an die Angst in Thomas' Augen dachte, an die Dollarzeichen, die folgten, an seine Sprachlosigkeit über ihre kalte Wut und Entschlossenheit.
„Ich habe ihm ein Angebot gemacht, das er nicht ablehnen konnte!" Dann berichtete sie auszugsweise von ihrem Gespräch.
Sie erwähnte die Drohungen nicht, in der Welt von Hannes redete man so nicht miteinander!
Hannes sah sie stolz an. Seine kleine Kämpferin!
„Dann rufe ich doch gleich mal den Anwalt an! Vielleicht hat er Zeit, um bei uns vorbeizukommen!" schlug er vor.
Er küsste sie auf die süße Nase. Der Anwalt versprach, in einer halben Stunde in der Wohnung zu sein.
Die Familie wartete noch, Carla und Robert waren dazu gekommen.
Hannes und Mia zogen sich mit dem Anwalt ins Arbeitszimmer zurück. Sie setzten zusammen den Vertrag auf, Mia unterschrieb.
Dann schrieb sie die eidesstattliche Erklärung, ohne jemandem zu sagen, worum es sich dabei handelte. Sie bezichtigte ihn in drastischen Worten, wie er sie als 15jährige brutal misshandelt und vergewaltigt hatte, wie er sie in der Folgezeit durch Drohungen gefügig gemacht hatte.
Sie hatte ja ein Riesenmaß an Fantasie, das kam ihr zu gute. Sie verschloss den Umschlag, schrieb ihren Namen darauf und „Im Falle meines gewaltsamen Todes zu öffnen", schob ihn dem Anwalt zu, ohne dass Hannes die Beschriftung lesen konnte.
Der hatte die Zeit genutzt, dem Anwalt das Programm zu erklären, das am Vormittag fertig geworden war. Er bat ihn, alle Zahlungen an den Bastard mit ihm abzurechnen.
Dann unterrichtete sie die Familie von dem Vertrag, sprach aber auch hier die Drohungen nicht an, das musste sie mit sich ausmachen.
„Vielleicht sollte ihm jemand noch klar machen, dass er es nicht überleben wird, sollte er noch einmal in Mias Nähe auftauchen!" stieß Hannes hervor.
Mia musste lächeln. So weit lagen auch hier ihre Einstellungen nicht auseinander!
„Ich glaube, das ist ihm klar!" sagte sie nur und Hannes verstand, dass sie dem Anderen Ähnliches hingeknallt hatte.
Hannes kochte Kaffee, Markus holte Kuchen, sie bestellten Pizza beim Lieferdienst, Hannes' Vater holte seine Mutter ab, die noch Dienst gehabt hatte, der Anwalt blieb auch gerne noch sitzen. Alle außer Mia bekamen ein Glas Wein, langsam verarbeitete die Familie den schrecklichen Tag, sie redeten immer wieder darüber, ließen ihre Ängste und den ganzen Schrecken heraus, machten eine ordentliche Familientherapie durch.
Mia und Hannes sahen nicht mehr sooft den Baseballschläger niedersausen, Mia brach nicht mehr ständig in Tränen aus, die Angst nahm ihnen nicht mehr sooft den Atem. Sie saß auf seinem Schoß, er hielt sie fest umschlungen, küsste ab und zu ihr Haar, tröstete sie, streichelte sie beruhigend, wenn er spürte, dass ihr Herz wieder zu rasen begann. Sie fühlte sich wohl in seinen Armen, beschützt im Kreis ihrer Familie.
Um zehn Uhr verabschiedeten sich die Gäste, die beiden räumten auf, kuschelten sich auf das Sofa, im Radio lief leise Musik.
„Ich werde langsam ins Bett gehen!" sagte sie etwas später leise. „Morgen um sechs ist die Nacht aus!"
Hannes lachte leise. „Du glaubst doch nicht, dass du morgen in die Schule gehst!"
„Natürlich gehe ich! Mir geht es doch wieder gut!"
„Mia, du hattest einen Nervenzusammenbruch! Mein Vater hat dich ein Woche krankgeschrieben!"
In diesem Augenblick läutete das Telefon.
Gregor war dran. „Sorry, Hannes, dass ich so spät anrufe, aber ich muss wissen, wie es Mia geht!" Er klang sehr aufgeregt.
„Im Moment ist alles gut, aber sie will morgen in die Schule gehen! Wir diskutieren gerade darüber!"
„Und du meinst, du kannst sie davon abhalten, wenn sie das will?" Gregor lachte.
„Es sieht nicht danach aus!" Hannes war schon klar, dass er gegen seinen kleinen süßen Sturkopf verlieren würde.
„Willst du sie sprechen?" fragte er Mias Kollegen, der wohl ein Freund von ihm werden würde.
„Nein, ich sehe sie morgen! Gute Nacht, grüße sie!"
„Also, wir sehen uns dann am Samstag!" verabschiedete sich Hannes.
Mia grinste ihn an. „Gibst du wohl die Diskussion auf, die du aus verschiedensten Gründen nicht gewinnen kannst, weil ich erstens ein Sturkopf bin, zweitens erwachsen und drittens sowieso die besseren Argumente habe, gegen die du nicht ankommen wirst?"
Hannes stand mitten im Raum, sah sie an, bekam einen Lachanfall. „Gott sei Dank!" Er schnappte nach Luft. „Gott sei Dank sind die Nebensätze wieder da!"
Er drückte sie fest an sich. „Und jetzt geh ins Bett, kleine süße Germanistin!"
„Ganz alleine?" Sie sah ihn kokett an.
„Ja, mein Schatz! Ganz alleine! Du brauchst deinen Schlaf dringend!"
„Ich habe heute den ganzen Tag gepennt! Ich brauche etwas ganz anderes dringender als Schlaf!"
„Mia! Hör auf zu locken! Du weißt, dass du nur mit dem kleinen Finger winken musst, und ich werde schwach!"
Er wehrte sich gegen die Versuchung.
Es war nicht gut für sie!
Es war ganz und gar nicht gut für sie!
Es war überhaupt nicht gut für sie! Sie musste schlafen.
Er musste sie küssen!
Sie musste Ruhe haben!
Er musste sie streicheln!
Sie musste sich erholen!
Er musste sie lieben!
Er atmete tief durch, kämpfte auf verlorenem Posten, weil sie die Hände unter sein Shirt schob, kämpfte auf vollkommen verlorenem Posten, weil sie seinen Haaransatz berührte, sich an ihn presste, fordernd, hungrig.
Sich an ihm rieb, erregend, erregend, erregend!
Die Mauer des Widerstands, die gerade noch Papierstärke hatte, brach in sich zusammen.
Vielleicht konnte er ja mit seiner Zärtlichkeit den Alptraum vertreiben, der heute in ihr Leben gekommen war! rechtfertigte er sich.
Er schenkte ihr mehr Zärtlichkeit als je zuvor, und die Bilder eines Baseballschlägers wurden überlagert von zwei Bernsteinaugen, in die sie sah, während seine Hände sie verwöhnten, wenn sie nicht gerade die Augen schließen musste, weil die Erregung sie überspülte.
„Und alles gut, süße Mia?" fragte er später.
„Ja!" seufzte sie glücklich. „Jetzt ist alles gut!"
Dann schlief sie in Armen ein, die sie fest umschlungen hielten die ganze Nacht, in seinen Armen, in den Armen der Liebe ihres Lebens.
Hannes schlief nicht viel.
Er genoss es, sie zu fühlen, zu spüren, sie zu halten, sie zu riechen, sie zu sehen, ihren gleichmäßigen Atem zu hören.
Er genoss es, am Leben zu sein!
Er dankte allen Mächten, die sein Glück, für das er in Italien gedankt hatte, beschützt hatten!
Und er wusste, es war knapp gewesen, verdammt knapp!
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