Kapitel 42
Mia hatte gut zu tun gehabt den ganzen Nachmittag.
Sie musste Hannes vermissen, sich nach ihm sehnen, ihn vermissen, ein paar Mathearbeiten korrigieren, sich nach Hannes sehnen, ein paar Mathearbeiten korrigieren.
Sie musste ein bisschen in Erinnerungen schwelgen, an Italien, die Verlobung, den Ball, den ersten Abend im ZAP, die erste Nacht, ihr Staunen über ihre Gefühle, über Hannes' Zärtlichkeit, an heiße Nächte.
Zum Runterfahren korrigierte sie die Mathearbeiten fertig. Als sie den Auswertungsbogen ausfüllte, staunte sogar sie, die wusste, wie gut ihr Kurs war. In einem Viertel der Zeit hatten 80% die volle Punktzahl erreicht!
Sie war gespannt, wie Gregors Gruppe abgeschnitten hatte. Er war ein sehr guter Lehrer, der aber auch von ihr viel über Motivation gelernt hatte, wie sie sich offen eingestand. Sie rief ihn schnell an.
Seine Frau meldete sich. „Hallo, Mona! Mia hier!"
„Hallo! Warte, ich gebe dir Gregor gleich!"
Sie rief nach ihrem Mann. Bis er kam, plauderte sie noch ein wenig mit Mia.
„Das war heute lustig mit Ulla! Die hat ganz schön blöd geschaut, als ich plötzlich beim Dinner for Two aufgetaucht bin!"
„Hat Gregor das wirklich gemacht? Hat er sie glatt zum Essen eingeladen? Ich dachte, er macht einen Witz!"
„Nein, nein! Das hat er voll durchgezogen, damit Hannes in Ruhe arbeiten kann!" Mona musste noch lachen über ihren verrückte Mann.
„Ich hatte gehofft, dass das Gespräch mit dem Chef sie ein wenig runtergeholt hat!"
„Also, wie ich Ulla einschätze, ist sie jetzt erstmal wütend auf dich und sinnt auf Rache! Ich an deiner Stelle würde mich vor ihr demnächst in Acht nehmen! Jetzt ist Gregor da! Tschüss, Mia!"
„Hallo Schönste aller Kolleginnen! Was kann ich für dich tun?"
„Hast du die Mathearbeiten schon korrigiert?" wollte Mia wissen.
„Gerade fertig geworden!"
„Und, der Schnitt?"
„Braucht sie wieder ein riesengroßes Erfolgserlebnis, die Kleine?"
„Quatsch, komm, sag schon!"
„Also, 75 Prozent volle Punktzahl! Ich bin zufrieden, für die kurze Zeit! Und deine?"antwortete er.
„Knapp drüber, 80 Prozent!"
„Na, aber wir nähern uns ganz schön an, seit ich dich kopiere! Anfangs stand es 40 zu 80 Prozent!"
Mia lachte. „Gibst du echt zu, dass Machomänner von Frauen was lernen können?"
„Erstens, liebe Mia, bin ich kein Macho! Zweitens gebe ich das schon längere Zeit zu! Und drittens trägt ja auch dein Mathebuch langsam Früchte bei den Kids!"
„Okay, das nehme ich mal so hin!" Und plötzlich hatte Mia einen Gedanken im Kopf.
Du darfst einladen, wen du willst! hatte Hannes gesagt. Sollte sie sich trauen oder erst fragen?
Trauen! beschloss sie.
„Du Gregor, könntet ihr in den großen Ferien euere beiden meistens entzückenden Kinder für eine Woche irgendwo parken?"
„Jederzeit! Das machen wir oft in den Ferien! Wir sind ja nicht nur Eltern, wir sind ja auch ein Paar!"
„Wir geben am Samstag eine Verlobungsparty. Wir würde uns freuen, wenn ihr Zeit und Lust hättet, so ab sechs!"
„Und was hat das jetzt mit den großen Ferien zu tun?"
„Das besprechen wir auf der Party! Nur unsere Eltern und Geschwister!"
„Und in welche Kategorie fallen wir?"
„Irgendwie so etwas wie Geschwister? Freunde eben!"
„Danke, Mia, wir kommen gerne! Also bis Morgen!" Er legte lieber auf, denn sie sollte nicht hören, wie gerührt er war.
Gregor erzählte seiner Frau von dem etwas kryptischen Gespräch. „Na , wir werden sehen, was sie ausgeheckt hat!" sagte seine pragmatische Mona.
Dann musste sich Mia noch ganz stark nach Hannes sehnen und ein Gedicht über Sehnsucht schreiben.
Und gleich noch eins über die Erfüllung der Sehnsucht und noch eines übers Vermissen und eines übers Aufgehoben sein in der Liebe, übers Vertrauen auf diese Liebe und noch eines übers Genießen dieser Liebe.
Das Schreibfieber hatte sie erfasst. Sie schrieb das nächste Kapitel ihres Romans, und dann noch ein paar Geschichten über kleine Dinge, die sie in Italien erlebt und beobachtet hatte, die sie an die MZ schicken wollte. Damit hatten die für die Kolumne dann für ein paar Wochen Stoff, falls sie einige Zeit nicht zum Schreiben kam. Bei dem Gedanken musste sie lächeln.
Was mich wohl davon abhalten könnte? Sie schmunzelte vor sich hin.
Vielleicht ein paar dunkelbraune Augen mit bernsteinfarbenen Sprenkeln?
Vielleicht ein großer, kräftiger Kerl mit gut trainierten Armmuskeln?
Vielleicht ein gewisser Diplominformatiker, der Programme schrieb zum Modifizieren?
Vielleicht aber auch ein super gutaussehender Typ, der ein Liebeslied sang für sie und dazu Klavier spielte?
Sie hatte da so gewisse Ahnungen für die Zukunft.
Nach dem Telefonat mit Hannes hatte sie großen Hunger, noch größeren als vorher, aber nicht auf Essen! Sie holte zur Ablenkung ihr Sudokuheft, konnte aber nicht einmal Schwierigkeitsstufe eins fehlerlos lösen. Ein dunkler Haarschopf und zwei Grübchen tanzten vor ihren Augen und lenkten sie gehörig ab. Ein Haaransatz in einem Nacken tauchte vor ihren Augen auf und die Reaktion, wenn sie die Stelle streichelte, in ihrem Sinn.
„Mia, Mia!" schalt sie sich selbst. „Du drehst noch durch!" Sie wollte lesen, verstand nicht im Geringsten, was da stand. Dann schrieb sie noch ein Kapitel des Romans, die Geschichte ging dem Ende zu, das halbe Jahr war fast vorbei, die Hauptfigur schien sich auf einem Weg zu befinden, der sie nach Hause führte, dahin, wo sie hingehörte, und sei es nur, um dort zu sterben. Sie hatte viele Lieben gefunden unterwegs und doch keine. Denn die einzige Liebe, die zählte, hatte sie verlassen.
Sie schrieb wie im Fieber, wusste, sie musste es heute zu Ende bringen.
Als Hannes die Tür aufsperrte, hatte sie gerade die letzten Sätze fertig. „Und sie schloss die Augen, im Reinen mit sich und ihrem Leben, das, wenn es auch zu kurz gewesen war, gut war, weil das Ende gut war, weil sie heimgekommen war, weil sie die Liebe gefunden hatte, die sich richtig anfühlte. Sein Herz brach, aber es waren keine Scherben, die blieben, es war ein wunderschönes Mosaik, das ihr Bild zeigte."
Sie lief Hannes entgegen, der sie allerdings zum ersten Mal abwehrte. „Stop, Süße! Nicht anfassen, nur küssen!"
Das taten sie dann ausgiebig, sie schmeckte seine salzigen Lippen mit Hochgenuss.
Doch dann ließ sie ihn widerstandslos in die Dusche, er sollte sich ja wohlfühlen in seiner Haut.
„Miaschatz, kannst du mir bitte einen Slip bringen?" rief er ihr durch die Badtüre zu.
Sie lächelte. Auch eine Premiere! Sie brachte dem Mann in ihrem Leben frische Wäsche ins Bad!
Sie öffnete die Türe, er stand im Bademantel über das Waschbecken gebeugt und putzte seine Zähne. Ein winzig kleines Stück alltäglichen Zusammenlebens ließ ihr Herz fast zerplatzen. Sie reichte ihm das gewünschte Kleidungsstück. „Mehr brauchst du aber nicht anziehen!"
Er spülte seinen Mund aus. „Mehr hätte ich auch nicht angezogen!" sagte er grinsend. „Ich will uns doch heute unnötige Arbeit ersparen!"
Sie ging aus dem Bad und fühlte schon wieder das Ganzkörperkribbeln. Um sich zu beschäftigen, öffnete sie eine Flasche Wein, stellte sie mit zwei Gläsern und ein paar Knabbersachen auf den Tisch. Hannes ließ sich Zeit, cremte sich mit Bodylotion ein, zögerte die Vorfreude auf seine schöne Doktorin ein wenig hinaus. Als er sich auf das Sofa sinken ließ, sog sie seinen Duft ein, die Ablenkung war umsonst gewesen.
Er nahm sein Glas, stieß mit ihr an, nahm einen großen Schluck.
„Ah, was zum Knabbern!" stellte er freudig fest, nahm sie in den Arm und knabberte an ihren Lippen, ihrem Nacken, fand die Stelle zwischen Hals und Schlüsselbein, von der er wusste, dass das Knabbern hier sie verrückt machte, knabberte sich weiter vor.
„Viel zu sehr eingepackt, die leckere Mia!" beklagte er sich und sorgte für Abhilfe. Sie lag vollkommen willenlos in seinen Armen, das Geknabbere hatte sie hilflos vor Begehren gemacht.
Er küsste sie hungrig, während er sie zum Bett trug. Und er liebte sie trotz seiner Erschöpfung und seiner Begierde zärtlich wie noch nie, weil er eine so große Zärtlichkeit wie noch nie für sie empfand.
Mia genoss und genoss und genoss. Seine Hände, seine Lippen, seine Zunge, seinen Körper, ihn.
Was für einen Mann hat mir der Himmel geschickt, dachte sie noch, bevor sie einschlief.
Was für ein Engel ist da vom Himmel in meine Arme gefallen, dachte er, bevor er einschlief.
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