Kapitel 41

Kurz vor halb neun sah Mia zum Fenster hinaus. Hannes stieg gerade aus seinem Auto. Wieder einmal verkrampfte sich ihr Magen. Mein Gott, was für ein toller Mann! Lässig ging er mit wippenden langen Schritten über den Hof.

Mia öffnete das Fenster, pfiff leise anerkennend, er sah hoch, sie winkte ihm zu.
Meine Süße! dachte Hannes und war wieder einmal fassungslos über ihre Schönheit. Er warf ihr eine Kusshand zu und legte seine Hand auf sein Herz. Sie lächelte ihm zu und schloss lieber schnell das Fenster, bevor sie wieder die Klasse alleine ließ und zu ihm rannte.

Hannes lief glücklich und beschwingt nach oben. Seine süße Studienrätin am Fenster des Klassenzimmers hatte ihn wieder einmal total geflasht!
Wenn ihm damals, als er hier Abitur machte, jemand gesagt hätte, dass er einmal fast krank vor Liebe dieses Haus betreten würde, nachdem eine wunderschöne Lehrerin ihm zugewinkt hatte, er hätte es wohl nicht geglaubt!

Kurz darauf kamen die Geräte, die Lieferanten halfen ihm beim Auspacken und nahmen das Verpackungsmaterial wieder mit. Dann begann er mit dem Aufstellen der Computer, sie erschienen ihm ungewöhnlich leicht. „Aja! Das Armmuskeltraining macht sich bezahlt!" Er grinste vor sich hin.

Es gongte zur großen Pause, kurz darauf klopfte es an der Türe. „Mia!" dachte er glücklich.
Aber herein kam diese Zicke von gestern. Mein Gott, hatte die sich aufgebrezelt!
Sie lehnte sich lasziv lächelnd an den Türrahmen. „Kann ich helfen, Herr Dr. Maybach?" fragte sie mit tiefer Stimme. Hannes schüttelte es innerlich, obwohl sie eindeutig seinem Beuteschema vor Mia entsprach. Da hatte er wohl an Geschmacksverirrung gelitten!
„Gerne!" sagte er. „Machen Sie einstweilen hier weiter, und ich gehe zu Mia!"

Er ließ sie einfach stehen und sprang die Treppe hinunter zum Lehrerzimmer. Mia lief ihm entgegen.
„Nicht anfassen, Schönheit, ich bin total verschwitzt!"
Sie küsste ihn leicht. „Hm, schön salzig!" flüsterte sie. Er wischte sich mit einem Taschentuch den Schweiß aus den Augen und von der Stirne. „Wie weit bist du?" fragte Mia.

„Noch nicht so weit, wir haben ja erst alles auspacken müssen, aber deine komische Kollegin macht gerade weiter!"
Mia sah ihn verständnislos an. Lachend erklärte Hannes die Situation, die er gerade erlebt hatte.
Uschi hatte mitgehört, bog sich vor Lachen. „Und jetzt schleppt sie oben Computer, um ihr Gesicht nicht zu verlieren?"

„Was weiß ich, was die jetzt macht da oben! Ist mir auch vollkommen egal!"
Der Chef kam herein, begrüßte ihn herzlich. „Einen Kaffee?" fragte er.
Hannes verzog das Gesicht. „Nein danke! Lieber einen Liter Wasser!" Mia faszinierte wieder die Leichtigkeit, die ihr Hannes an den Tag legte, wenn er mit anderen Menschen verkehrte.
„Ich glaube, als nächstes spendiere ich dem Kollegium eine ordentliche Kaffeemaschine, vielleicht sogar eine, die heißen Kaffee produziert!"

Alle lachten, Mia platzte wieder einmal beinahe vor Liebe und Stolz!
„Hannes ist halber Italiener, dadurch natürlich Kaffeejunkie und –kenner! Da können wir mit unserer Brühe nicht landen!" erklärte sie.
Hannes zog sie an sich, seine süße Maus. Jemand brachte ihm eine Flasche Wasser, die er gleich zur Hälfte leerte. Die Sekretärin kam mit zwei Wurstsemmeln für den Verlobten der netten Frau Dr. Leissen.
„Na, heute werde ich aber verwöhnt! Da komme ich doch glatt öfter vorbei!" scherzte er aufgekratzt.

„Sie sind uns jederzeit willkommen, Herr Dr. Maybach!" ging der Chef auf seinen Scherz ein. Es war eine fröhliche Stimmung, eine fröhliche Runde, und im Mittelpunkt stand ein toller Mann, und der tolle Mann war ihr Hannes, und er hielt sie die ganze Zeit fest im Arm, küsste immer wieder ihr Haar. Mia konnte wieder einmal ihr Glück nicht fassen.

„Was mache ich jetzt mir der da oben?" fragte Hannes, als er die Semmeln verputzt hatte und die Wasser Flasche leergetrunken hatte.
Der Chef sah ihn fragend an. Hannes wand sich ein wenig, erzählte aber dann doch einfach die Wahrheit. Er hatte einfach keine Lust, sich ihrer Angriffe heute den ganzen Tag zu erwehren.
„Oh oh! Unsere Frau Maurer! Ich weiß bald nicht mehr, was ich mit ihr machen soll!"

Kurz nach Pausenende kam eine Durchsage: „Frau Maurer, kommen Sie bitte ins Direktorat!"
Ulla beschäftigte schnell ihre Klasse, ging zum Chef. Der führte dann endlich einmal das längst überfällige Gespräch mit der Kollegin, in ruhigem Ton, aber unmissverständlich im Inhalt.
Ulla nahm die Worte zwar wahr, aber in ihrem Kopf war hautsächlich ein Gedanke: Dieses Mia- Mistvieh! Das bekommst du zurück! Mit deinen blauen Augen meinst du alle becircen zu können! Alle auf deine Seite ziehen! Aber das hier zahle ich dir heim!"

In der kleinen Pause brachte Mia wieder einen Liter Wasser zu ihrem Hannes. Der litt Höllenqualen, weil er sie nicht in seine Arme nehmen konnte, aber sein Shirt klebte am Körper, seine Haare waren schweißnass.

Er strahlte sie nur an, trank ein paar Schlucke. Aber wenigstens konnte er sie ansehen.
„Hat sie einen Anpfiff bekommen, deine komische Kollegin mit der vielen Farbe im Gesicht?"
„Ja, ich denke schon! Das wird ihm nicht leicht gefallen sein, unserem auf Harmonie bedachten Chef!
Aber sie dreht ja manchmal echt am Rad! Es haben sich schon Abiturienten bei mir beklagt, dass sie ihnen dauernd mit zweideutigen Bemerkungen kommt."

Hannes sah sie fassungslos an. „Das kann ja nicht wahr sein!"
„Dabei hat sie einen tollen Mann! Er hat wegen ihr seine Frau und zwei Kinder verlassen, trägt sie auf Händen! Ich weiß auch nicht! Ist das eine Midlifecrisis oder was?"
„Vielleicht! Aber da muss der Chef schon langsam mal handeln! Schüler anbaggern, das geht ja gar nicht!"

Es gongte schon wieder. Er warf ihr eine Kusshand zu, legte wieder seine Hand auf sein Herz. „Ich liebe dich, Mia!"
Sie versank in seinen wunderschönen Augen. „Ich liebe dich, Hannes, von ganzem Herzen!"

Dann flog sie zu ihrem Leistungskurs und freute sich auf die jungen Leute.
„Mesdames et messieurs, heute schreiben wir ein Probeabbi. Normalerweise habe Sie 180 Minuten Zeit, ich bin aber sicher, Sie schaffen das in 45 Minuten! Lets go!"
Sie wirbelte durch das Zimmer und teilte die Blätter aus. Die Schüler begannen sofort, der erste gab nach 40 Minuten ab, die meisten waren nach 45 Minuten fertig, zwei durften noch fünf Minuten nacharbeiten.

„Yep!" Mia reckte die Siegerfaust in die Höhe. „Ich wusste es! Sie sind Top!"
Die Klasse klatschte wieder einmal Beifall. Ihre Frau Dr. Leissen war echt ein Glücksfall. Sie war eigentlich eine von ihnen, sie motivierte sie, trieb sie an, forderte sie heraus, appellierte an ihren Stolz, brachte ihr Selbstvertrauen in höchste Höhen, lachte mit ihnen, scherzte mit ihnen, machte Mathematik zu einem einzigen Vergnügen für sie. Ihre Eltern verfolgten fasziniert die Wandlung von Mathematikmuffeln zu Liebhabern dieses Faches, wussten, dass das nur an der kleinen Studienrätin mit den langen Locken lag, die einfach den Bogen raus hatte.

Aber auch der Deutsch- Leistungskurs schnitt immer mit Abstand als bester der Stadt ab. Sie hatte eine Art, mit Sprache umzugehen, die alle dazu brachte, sie nachahmen zu wollen. Die Schüler beschäftigten sich in ihrer Freizeit mit Literatur, mit Gedichten, anspruchsvoller Literatur, gründeten Lesekreise, Schreibzirkel, Diskussionsrunden, es war unglaublich.
Schon in der neunten Klasse hatten ihre Kinder die Lust am Schreiben entdeckt, weil sie sie schreiben ließ, was gerade in ihnen war.

Die Elternschaft des Gymnasiums wäre für ihre Frau Dr. Leissen durchs Feuer gegangen, und manch einer erinnerte sich an das Schulfest im letzten Jahr mit dem peinlichen Auftritt des betrunkenen Mannes. Aber ihre Reaktion hatte die Hochachtung aller zur Folge.
Beschwingt packte Mia die Arbeiten in ihre Tasche, ging aus dem Zimmer, nachdem 30 junge Leute das Zimmer in der Gewissheit verlassen hatten, dass das Matheabbi ein Klacks sein würde.

Auf dem Gang traf sie Anita. Vor der Klasse hatte Mia nicht mit ihr sprechen wollen, hatte auch gefühlt, dass das Mädchen das nicht wollte. „Danke für deinen schönen Brief!" sagte sie leise.
„Ich danke Ihnen, Frau Dr. Leissen!"
„Und es geht dir gut jetzt, da wo du bist?"
„Ja, sehr gut! Die Pflegemutter ist sehr lieb, und der Mann behandelt mich wie eine Tochter und nicht wie eine, eine....."
„Wie eine mögliche Geliebte, nicht wahr?" half Mia ihr. „Sprich es ruhig aus, Anita! Das schreckliche darfst du ruhig rauslassen aus dir!"
„Ja, wie eine mögliche Geliebte! Aber es sind nicht alle Männer so wie mein Stiefvater, nicht wahr?"

„Nein, mit Sicherheit nicht! Die meisten Männer sind wunderbar!" versicherte Mia.
„Sie können da gut mitreden, hört man so ?"
„Ja, Anita, ich kann bei beiden Arten mitreden, bei den schrecklichen und bei den wunderbaren, vielmehr bei einem Wunderbaren!" Sie nahm das Mädchen in den Arm, dann lief sie zu dem wunderbaren Mann in ihrem Leben ein paar Treppen hinauf.

Hannes strahlte sie an. „Na, hast du es geschafft, Schönheit?"
„Ja, ich schon! Und du?"
„Ich bin am Verkabeln, dann muss ich noch alles installieren, das dauert schon noch!"
„Und musst du dann noch modifizieren und Benutzeroberflächen einrichten und solche Sachen?" Sie sah ihn mit dunkelblauen Augen an.
„Nein, meine süße, heiße Mia, das mache ich dann zu Hause, extra für dich, wenn ich geduscht bin!" Er war fast arbeitsunfähig vor Sehnsucht, sie sowieso.
„Jetzt fahr nach Hause, du Versuchung für einen schwachen Mann wie mich!"

Sie wankte mit weichen Knien zur Türe. „Bis später, Hannes!" hauchte sie und schloss lieber die Türe ganz schnell, ohne noch einen Blick auf ihn zu riskieren.
Hannes sah aus dem Fenster, als sie zu ihrem Auto ging. Sie ging tanzend, man sah ihr das Glück an, die Haare wehten im Wind. Sie drehte sich um, sah ihn am offenen Fenster stehen, warf ihm eine Kusshand zu, legte ihre Hand auf ihr Herz. „Ich liebe dich auch, süße Mia!" flüsterte er.

Er sah dem roten Mini nach, stand noch lange am Fenster, dachte an sie, ihre Stimme, ihren Duft, ihre Augen, lief Gefahr, eine Pause einzulegen, nach Hause zu fahren, zu duschen, sie in die Arme zu nehmen.
Doch irgendwann würde er hier fertig sein, aber wenn er so weiter den Tag verträumte, würde es ewig dauern!

Gegen fünf merkte er, dass er ohne Hilfe die halbe Nacht hier sein würde. Er rief Niklas auf seinem Handy an. Der erklärte sich sofort bereit, zu kommen.
„Bring noch ein paar Burger mit, sei so gut!" bat Hannes.
Dann rief er sein Mädchen an.

„Hallo, Süße! Ich brauche noch ein paar Stunden! Niklas kommt und hilft mir!"
„Oh Gott! Hast du Hunger? Soll ich dir was bringen?"
„Neinneinnein!" wehrte er hastig ab. „Wenn du kommst, wird mein Hunger nur noch größer! Und ich brauche noch länger! Niklas bringt Burger mit! Und was isst du, Schönheit?"
„Ich mache mir ein paar Brote!"
„Oh, meine arme Maus! Bestell dir halt was!"
„Okay, ich bestelle mir einen großen Hannes!"
„Und was machst du dann mit dem großen Hannes?"
„Ich knabbere ein bisschen an ihm rum!"

Die Stimme versagt ihm schon wieder fast. „Ich könnte natürlich auch Niklas alleine arbeiten lassen, und heimfahren!"
„Das ist doch mal eine gute Idee! Da hätte er doch bestimmt Verständnis dafür!"
„Niklas? Na, sicher! Und morgen schalten wir die Computer dann ein, und alles fliegt uns um die Ohren!"

„Dann müssen wir eben leiden!"
„Ja, Süße, das werden wir wohl müssen! Ich küsse dich!" Er legte schnell auf.
Dann arbeitete er weiter. Kurz darauf kam Niklas an. „Der Hausmeister wollte mich gar nicht mehr reinlassen!" beschwerte sich der Kollege.
„Oh, da muss ich schnell Bescheid geben, dass wir noch eine Weile brauchen, sonst sperrt er uns ein!"

Niklas verzog das Gesicht. „Na, wir beide eine Nacht zusammen im Schulhaus, das ist jetzt nicht meine bevorzugte Kombination!"
Hannes lachte: „Ich kann mir schon denken, was deine bevorzugte Kombination wäre!" Er lief schnell zur Hausmeisterwohnung, machte mit H. Ebenhöch aus, dass sie läuten würden, wenn sie aus dem Haus wollten. Sie ließen sich erst noch das Essen schmecken und legten dann los. 

Es ging mehr als doppelt so schnell, weil Hannes nicht mehr so viel tagträumen konnte.
Gegen zehn war der letzte Probelauf erfolgreich durch. Sie fuhren alles herunter, ließen sich vom Hausmeister aufsperren.

„Tausend Dank, Niklas! Schreib mir eine Rechnung, ja?"
„Pf!" machte der bloß. „Das Einzige, was ich von dir möchte, ist die kleine Mia, die nicht Niklas heißt!" Er grinste, um dem Gag den Ernst zu nehmen, der aber durchaus in seinem Kopf vorhanden war.
Hannes lachte. „Dann werde ich wohl ewig dein Schuldner bleiben!"
Um halb elf war er endlich zu Hause.


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