Kapitel 4

Die anderen Männer im Club sahen ein wenig konsterniert auf Mia und Hannes. Erst flirtete sie mit ihnen, war aber unnahbar, Hannes starrte sie die ganze Zeit nur an, nahm sie mit nach draußen, beide kamen engumschlungen zurück.
Da sollte einer die Frauen verstehen!

Hannes holte an der Bar einen Cuba libre für sie, ein Wasser für sich. Im Nebenraum war eine Nische freigeworden, sie setzten sich dicht nebeneinander. Eine Weile sah er sie nur an.
„Das ist ganz schön dumm gelaufen!" stieß er hervor. „Ich bin froh, dass du gekommen bist. Das waren zwei verdammt harte Tage."
Er küsste sie wieder sehr vorsichtig. „Komm, tanz mit mir, Schönheit. Und ab jetzt gibt es kein Abklatschen mehr."

Sie ging mit zitternden Knien neben ihm her, aber sie war glücklich. Sie war mutig gewesen, sie hatte sich getraut, hierherzukommen.
Zwar hatte sie keine Ahnung, wie es weitergehen würde, was daraus werden würde, aber sie hatte eine Antwort bekommen. Sie hatte es nicht einfach so hingenommen, dass er sich nicht gerührt hatte. Sie war sicher, auf dem richtigen Weg zu sein.

Er zog sie an sich, küsste ihr Haar, zog sie noch näher, küsste ihre Schultern, ihre Lippen. Die anderen Typen sahen den beiden zu.
Was hatte der Hannes, was sie nicht hatten?
Wieso war der gelandet, und sie waren abgeblitzt?
Warum hatte man sie hier noch nie gesehen?
Wo hatte sie sich bisher versteckt?
Eine Frau wie sie wäre ihnen doch mit Sicherheit früher schon aufgefallen.

Er tanzte wieder mit relativ großem Abstand mit ihr, wollte sie ansehen, in ihren großen blauen Augen lesen, was sie dachte, was sie fühlte.
Doch der Abstand verringerte sich schnell wieder, er streichelte ihren Nacken, ihre Schultern.
Ihr Kopf lag an seiner Brust, sie genoss die vorsichtigen Berührungen, genoss das Prickeln in sich, blieb aber vollkommen passiv.
Sie wollte keine Signale senden, sie wusste nicht, wie man sich in solchen Situationen verhielt.

Wenn ich bloß nicht so unerfahren wäre! dachte sie. Wenn ich nur wüsste, was er erwartet von mir, wenn er mich so streichelt, so küsst!

Hannes genoss jede Minute, wunderte sich etwas über ihre Passivität, war anderseits aber auch dankbar. Er wusste nicht, wie er es ertragen hätte, wenn sie auch noch zärtlich zu ihm gewesen wäre.
Mit jeder anderen Frau wäre er wahrscheinlich schon auf dem Weg zu seiner Wohnung. Doch sie zog immer noch eine Grenze, wie auf dem Ball, er spürte es genau.

In der nächsten Tanzpause musste er erst einmal tief durchatmen, um sich ein wenig abzuregen.
„Ich glaube, ich brauche jetzt etwas Abkühlung und frische Luft!" flüsterte er in ihr Ohr. „Laufen wir ein paar Schritte?"

Sie nickte nur. Schaden würde ihr eine Abkühlung sicher auch nicht. So erregt war sie selten in ihrem Leben bisher gewesen. Hannes hielt nur ihre Hand, als sie durch die Straßen gingen, mehr Körperkontakt wäre zu gefährlich für ihn gewesen.

„Erzähl mir doch ein bisschen von dir!" bat er, räusperte einen Frosch aus seinem Hals. „Was machst du beruflich?"

„Ich habe Germanistik und Mathematik studiert." Sie hatte Angst, wieder auf diese altbekannte Abwehr zu stoßen, wenn sie ihren Beruf nannte.

„Aha! Nicht nur schön." Er lächelte sie von der Seite an. Dieses kleine zarte Ding. Er war froh, eine intelligente Frau kennengelernt zu haben. „Und wo arbeitest du?"
Sie holte tief Luft, wappnete sich gegen einen dummen Kommentar. „Ich bin Lehrerin am Goethegymnasium, Deutsch und Mathe!"

„Wow! Super! An meinem alten Gymnasium! Na, so eine schöne Lehrerin hätte ich auch gerne gehabt!"
Er war stehen geblieben, zeichnete mit einem Finger die Konturen ihres Gesichtes nach.
„Und warum ist dir das jetzt so schwer gefallen, mir deinen Beruf zu verraten?" Er ahnte die Antwort schon.

„Weil es zu oft dumme Kommentare gibt!"
„Aber dumme Kommentare geben nur dumme Menschen, oder? Die, die in der Schule nicht klargekommen sind. Alle anderen wissen, was das für ein wichtiger Beruf ist."

„Danke!" flüsterte sie. Mein Gott, wie er mit ihr sprach! dachte sie.
Ja, klar, der will dich halt rumkriegen! sagte ihr Verstand.

Er war erstaunt. Da musste in ihren früheren Beziehungen einiges schiefgelaufen sein, wenn sich eine kluge, schöne, junge Frau bei ihm bedankte, dass er nicht über ihren Job lästerte, einen tollen Job.

„Und du? Was machst du?" fragte sie.

„Ich habe auch Mathematik studiert und Informatik. Ich arbeite Teilzeit im Rechenzentrum bei Siemens als Techniker und daneben als selbstständiger Programmierer." Sie war auch sehr erleichtert, einen klugen Mann kennengelernt zu haben. Er sah nicht nur umwerfend aus!
„Das klingt sehr gut!" Sie lächelte ihn an.

„Wann hast du Mathe studiert?" fragte er.

„1999-2002."

„Da hätten wir uns ja direkt treffen können. Bei mir war's 1996-99!" Er stutzte kurz. „Aber hast du nicht gesagt, du bist 28?"
Sie lächelte ihn an. „Ja, schon, ich war ein bisschen früh dran mit dem Abi. Ich war erst 17!"
„Und ich 18! Da habe ich wohl gebummelt!" Beide lachten über die Zufälle.
Sie hatte schnell gerechnet: „Dann bist du 32?"
„Ja, kleine Mathematikerin!" Er stupst sie auf ihre hübsche Nase.

„Und du bist nicht in festen Händen?" fragte sie sicherheitshalber und auch ein bisschen verwundert.

„Nein, nicht verheiratet, nicht verlobt, nicht liiert, nur sehr verliebt!"

Das klingt auch sehr gut! dachte sie.
Du wirst nicht die erste sein, der er das erzählt! sagte die warnende Stimme in ihrem Kopf. Und ganz bestimmt nicht die letzte.
Na, und? antwortete sie. Heute sagt er es mir! Und heute tut es mir gut, dass er es sagt.

Sie tanzten lachend über die Straße, fühlten sich wunderbar zusammen, fühlten sich jung, leicht, verliebt!
In einer Seitenstraße brauchte Hannes jetzt aber dringend einen Kuss. Die Leidenschaft, die sich durch die Unterhaltung ein wenig abgekühlt hatte, brach wieder durch.

Sie war süß! Wie sie sprach, was sie sagte, sie war einfach nur süß!
Seine Hände suchten Zugang zu ein bisschen Haut, er brauchte etwas zum Streicheln, irgendwo musste er die Zärtlichkeit loswerden, die er in sich fühlte, doch ihr dicker Wintermantel versperrte jeden Weg.
„Hat das Ding keinen Eingang?" stöhnte er.

Sie musste leise lachen. „Nein, das ist ein Sicherheitsmodell!"
Hannes sah sie ernst an. „Aber du weißt schon, dass du das bei mir nicht brauchst?"
Sie sah an ihm vorbei, wich seinem Blick aus. „Das Problem ist, dass ich sehr unerfahren bin in Situationen wie diesen, im Umgang mit Männern, im Flirten und dem, was danach kommt!" Sie hatte sich entschieden, einfach die Wahrheit zu sagen.

Hannes sah sie verwundert an.

„Warum denn das? Ein schönes Mädchen wie du?"
„Ich war 15, als ich meinen Fast-Ex kennengelernt habe, und von da an immer in festen Händen!"
Das musste Hannes nun erst einmal verdauen. 13 Jahre war sie mit diesem Mann zusammen gewesen, fast ihr halbes Leben.
„Und da sind wirklich keine Gefühle mehr da?" Der Stein war wieder auf seine Seele zurückgerollt.

„Nein, ganz und gar nicht. Schon lange nicht mehr." Sie ließ ein paar Bemerkungen fallen über ihre Ehe. Was sie so andeutete, klang nicht gut, klang nach Verletzungen der Seele.
„Und seitdem?" Er wollte wissen, ob es seit der Trennung einen Mann für sie gegeben hatte.
„Seitdem versuche ich, den Anschluss ans Leben zu finden." antwortete sie lächelnd.

Er verstand die Antwort auf seine unausgesprochene Frage und verstand auch, dass er noch vorsichtiger sein musste mit ihr, sie auf keinen Fall drängen durfte, wozu auch immer. Eine Kirchturmuhr schlug die ganze Stunde, sie zählte mit. „Vier Uhr morgens!" rief sie erstaunt. „Heute bin ich aber komplett aus der Zeit gefallen."

Er lachte. Es gefiel ihm sehr, wie sie sich ausdrückte. Gut, für eine Germanistin waren schöne Worte vielleicht nichts Ungewöhnliches, obwohl er sicher war, dass sie das schon vor dem Studium drauf gehabt hatte.
In Wirklichkeit musste er sich aber eingestehen, dass ihm die ganze Frau sehr gut gefiel, es stimmte alles perfekt. Sie war eigentlich der absolute Wahnsinn!

Die Sehnsucht überfiel ihn plötzlich wieder mit aller Macht. Er konnte sich nicht wehren gegen seine Gefühle, küsste sie leidenschaftlich, hungrig, vergrub seine Hände in ihrer Lockenmähne, presste sie an sich. Und nun gab sie ihre Passivität ein wenig auf, fasste nach seinem Nacken, streichelte ihn zärtlich.

Er sah Sterne vor seinen geschlossenen Augen, sein Herz raste, er wusste nicht, wie er da rauskommen sollte, die Erregung nahm ihm fast den Atem.
Mein Gott, wie ich auf ihre Berührung reagiere! dachte er. Diese zufällige, unschuldige Berührung!!
Wie ich auf ihre Nähe reagiere! Ich möchte, ich möchte, ich will, ich muss... Er wagte nicht, diesen Gedanken zu Ende zu denken.
Er musste ihr Zeit lassen! Durfte sie nicht drängen! Aber......es war sehr schwer!

Ihr ging es kaum besser, sie versank in einem Rausch, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. Fühlte nur noch, hatte fast aufgehört zu denken. Seine Hände auf ihrem Nacken, seine Lippen auf ihrem Mund, sanft streichelnd, heiß fordernd.
Ja! schrie ihre Seele, ihr Körper schrie fast noch lauter, wollte sich an ihn drängen, wollte, wollte, wollte mehr!
Nein! schrie ihr Verstand. Nein, nicht heute, nicht jetzt, noch nicht!
Sie löste sich aus seinen Armen, löste sich von seinem Anblick, atmete tief durch.


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